Kapitel 27

 

Benjamin!« Ich schob mich an Chase vorbei und eilte an Benjamins Seite. Der arme Mann hatte einen wilden Ausdruck in den Augen, als würde er von den Höllenhunden selbst gehetzt. In gewisser Weise stimmte das, nur waren seine Jäger viel schlimmer; neben Dämonen sahen Höllenhunde aus wie ein Haufen kläffender Pudel. »Komm hier herüber. Chase, hilf ihm, ein Versteck zu finden.«

Wenn die Dämonen schon so nahe waren, musste ich das Siegel schützen. Ich schnappte mir das Schwert und musterte die Nahtstelle, wo das Siegel am Metall befestigt war. In meinem Hinterkopf machte es klick, und ich sammelte meine letzte Energie und strich mit der Hand über das Geistsiegel. »Befreie!«

Der Anhänger löste sich und fiel mir in die Hand. Ich starrte das Geistsiegel an und fragte mich, was zum Teufel ich jetzt damit tun sollte. Wenn die anderen nicht bald zurückkamen, hatten Chase und ich nicht die leiseste Chance, uns gegen die Dämonen zu verteidigen. Ich blickte mich in der Höhle um. Verstecken nützte nichts; sie würden alles auf den Kopf stellen, um den Edelstein zu finden.

Da mir nichts anderes übrig blieb, ließ ich das Siegel in meinen BH gleiten. Nun lag es leicht vibrierend zwischen meinen Brüsten. Sie würden mich ausschalten müssen, um es in die Finger zu bekommen. Ich war im Augenblick wohl nicht mehr in der Lage, irgendeinen Zauber zustande zu bringen - meine Energie war so erschöpft, wie ich es noch nie erlebt hatte. Aber ich hatte ein Schwert, und ich würde kämpfen bis zum Schluss.

»Glaubst du, Titania wird zurückkommen und uns helfen?«, fragte Chase mit bebender Hoffnung in der Stimme.

Ich hätte gern ja gesagt, um ihn zu beruhigen, aber im tiefsten Herzen wusste ich, dass dies unser Kampf war. Die Feenköniginnen würden uns in der Not nicht die Kavallerie machen. Ich schüttelte den Kopf. »Verlass dich lieber nicht darauf. Wir können nur hoffen, dass die anderen rechtzeitig zurückkommen. Geh du erst mal hinter mich. Ich kann mehr einstecken als du...«

»Nein. Ich lasse mich nicht jedes Mal wieder beiseite schieben, nur weil ich ein Mensch bin ...«, begann er zu protestieren, doch ich fiel förmlich über ihn her.

»Hör mir gut zu: Was nützt es uns, wenn sie dich einfach niedermähen, um an mich heranzukommen? Wenn ich falle, falle ich. Aber ich kann vorher wenigstens lang genug kämpfen, um uns allen ein wenig mehr Zeit zu verschaffen. Kapierst du das?

Wir haben beide eine bessere Chance, das hier zu überleben, wenn ich vorne stehe.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, wirbelte ich wieder zum Eingang herum. Draußen war hastiges Getrappel zu hören, und dann kamen Feddrah-Dahns und Mistelzweig hereingelaufen. Sie blickten sich kurz um und eilten dann an unsere Seite.

»Kommen sie?«

»Ja. Die Dämonen sind schneller als Eure Schwestern und Freunde. Wir haben versucht, sie von der Höhle fortzulocken, doch sie schienen zu spüren, dass hier etwas geschah. Was auch immer Ihr hier getan habt, hat eine Schockwelle durch die nicht-materiellen Reiche gesandt, die noch in der Anderwelt spürbar gewesen sein muss.«

Feddrah-Dahns scharrte mit einem Huf und wieherte.

»Verflucht, das bedeutet, dass wir sie irgendwie beschäftigen müssen, bis Delilah und die anderen da sind. Eine Warnung - ich habe keinerlei Magie mehr. Meine Kräfte sind vollkommen erschöpft. Wenn ich jetzt versuchen würde, einen Blitz von der Mondmutter herabzurufen, könnte ich ihn nicht kontrollieren. Ich würde verbrennen, genau wie alle, die sich in meiner Nähe befinden.« Ich holte tief Luft und behielt sie eine Weile in der Lunge, um mich zu erfrischen. Endlich strömte Adrenalin durch meinen Körper und hielt mich auf den Beinen.

»Zur Kenntnis genommen. Mistelzweig, beziehe Stellung bei dem Gendarmen. Hilf ihm, so gut du kannst.« Feddrah-Dahns warf mir einen Blick zu, und ich lächelte ihn dankbar an.

Während wir warteten, schössen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Die Kämpfe wurden härter, Freund und Feind immer schwieriger zu unterscheiden. Wir alle wurden zu Sklaven des Schwerts, aber die einzige Alternative war so grau-enerregend, dass uns keine andere Wahl blieb. Blutige Krieger, blutige Schwerter, blutige Zeiten.

Kein Wunder, dass es mir wie ein Traumurlaub vorkam, die Nächte draußen bei Smoky zu verbringen. Dort war ich sicher geborgen in einem Traum aus Rauch und Nebel, der aber auch Wirklichkeit war, der Zuflucht versprach.

Trillians Bild stand mir ständig vor Augen, doch ich hatte nicht einmal mehr eine Träne übrig. Ich war leer geweint. Er war dort drüben und stand Goblins gegenüber; ich war hier und wartete auf Dämonen. Vielleicht hatte er sogar die bessere Überlebenschance. Machte er sich Sorgen um mich? Vermutlich, aber Trillian würde sich seiner Angst stellen und tun, was nötig war. Und ich ebenfalls. Ich würde ihn nicht enttäuschen. Ich würde dafür sorgen, dass er und mein Vater stolz auf mich sein konnten.

Als ich die Schultern straffte, lenkte eine weitere Bewegung meine Aufmerksamkeit auf den Eingang. Der Duft von Jasmin und Orangen und Vanillezucker zog durch die Luft. Sie waren hier.

Karvanak betrat die Höhle, gefolgt von Vanzir und Jassamin. Ich schluckte gegen den Kloß der Angst an, der mir den Hals hochstieg. Sie sahen menschlich aus, doch das war bloße Illusion. Sie waren erbarmungslose Killer, die nach dem Geistsiegel gierten, und es war meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie es nicht bekamen.

Ich reckte das Schwert. »Kommt nicht näher. Ihr seid hier nicht willkommen.

Verschwindet von hier, und wir lassen euch am Leben.«

Karvanak schnaubte verächtlich. Er legte allmählich seine menschliche Gestalt ab, wie eine Schlange, die sich häutete, und ich starrte nun den nackten Körper eines Mannes mit einem Tigerkopf an. Er kniff die Augen zusammen, bleckte die Zähne und fauchte mich an.

»Wir haben dir genug Zeit gegeben«, sagte Jassamin. Die Dschinniya baute sich neben ihrem Herrn auf. »Du hast dich dafür entschieden, unsere Warnung zu ignorieren.«

Vanzir erschien an seiner anderen Seite. »Gib uns jetzt das Siegel, und wir machen es dir leichter.« Irgendetwas in seiner Stimme - ein Zögern, ein Stocken - brachte mich dazu, ihn mit einem langen Blick zu mustern. Er fing meinen Blick auf und hielt ihn fest, wie auf dem Parkplatz, und ich hatte das Gefühl, dass er mir damit etwas sagen wollte. Doch ich war zu müde, um ihn zu verstehen.

»Ihr wisst genau, dass ich es euch nicht geben kann. Ich werde nicht zulassen, dass ihr es bekommt. Schattenschwinge darf die Siegel nicht brechen.« Ich hielt ihnen stand, um uns möglichst viel Zeit zu verschaffen. Wenn ich die geringste Angst zeigte, würde es vorbei sein, ehe ich noch einmal Luft holen konnte.

Der Raksäsa stieß ein Knurren aus und gab Jassamin einen Wink. Sie nickte und rückte vor. Sie trug einen hautengen Lack-Catsuit und weit über kniehohe Stiefel, und ich schwor mir: Wenn sie starb und ich das hier überlebte, würde ich ihr diesen Anzug ausziehen. Sie warf den Kopf zurück und lachte.

»Dschinn gegen Mondhexe. Wie passend. Aber du siehst mir ziemlich schmuddelig und zerzaust aus. Müde, Süße?« Mit diesen Worten legte sie los und schleuderte mir einen Windstoß entgegen.

Ich wappnete mich und versuchte, einen Schutzschild heraufzubeschwören. Der Luftstoß traf mich frontal, doch statt mich durch die Luft zu wirbeln und mir sämtliche Knochen zu brechen, teilte er sich wenige Augenblicke bevor er mich berühren konnte und fauchte zu beiden Seiten an mir vorüber.

Was zum ... ?

»Ich bin hier. Wir alle werden unser Möglichstes tun, um Euch zu schützen, obgleich wir Euch keine Kraft mehr für Eure Zauber geben können.«

Der Herr der Winde! Die Elementare versuchten, mir zu helfen. Jassamin fuhr zurück und starrte mich verwundert an. Ich nutzte ihre Verwirrung, sprang sie an und hieb mit dem Schwert nach ihr. Das Silber ritzte ihre Haut, und sie heulte auf, als die Klinge bei der Berührung zischelte. Offenbar mochten Dschinniyas kein Silber. Jedenfalls diese hier.

»Miststück«, fauchte sie und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Dieser Schlag saß, und ich flog rückwärts und landete neben Feddrah-Dahns.

Das Einhorn stimmte einen Singsang an, in einer Sprache, die ich nicht erkannte.

Chase packte meine Hand und zog mich hoch. Kaum war ich wieder auf den Beinen, da griff Jassamin uns erneut an, und nun hatte sie einen rasiermesserscharfen Krummsäbel in der Hand. Sie ließ ihn durch die Luft sausen und verfehlte mich nur knapp, doch dafür fuhr die Klinge in Feddrah-Dahns' Schulter, ehe das Einhorn ausweichen konnte. Er stieß ein lautes Wiehern aus, und Blut spritzte aus der Wunde und befleckte sein milchweißes Fell. Mistelzweig kreischte und verstreute Pixie-Pulver auf dem Boden.

Ein Dunstschleier stieg zwischen uns und den Dämonen auf. Verzweifelt blickte ich mich in der Höhle um und suchte nach irgendetwas außer dem Schwert, das ich als zusätzliche Waffe benutzen könnte.

Jassamin brach durch den Schleier, obwohl ihre Augen tränten. Sie hatte den Säbel verloren, griff mich aber dennoch an. Ich stolperte und versuchte, ihr auszuweichen, doch von da, wo ich stand, konnte ich mich nirgendwohin flüchten. Statt über mich herzufallen, packte Jassamin mich am Handgelenk und zerrte mich zu sich heran. Ihre Kraft war ungeheuerlich; ich hatte keine Chance, mich ihr zu entwinden.

»Nein!« Ich versuchte trotz allem, die Kraft der Mondmutter durch mich zu kanalisieren, aber es war, als wollte ich einer leeren Leitung Wasser entlocken. Ich hatte einfach nicht mehr genug Energie, um Blitze herabzurufen. Nicht einmal ein Fünkchen.

»Gut, sehr gut«, lobte Karvanak, als Jassamin mich in seine Arme stieß. Er grinste mich unverschämt an. »Erst das Siegel ...«

»Bitte nicht... Überlegt doch einmal, was ihr damit anrichtet. Wollt ihr wirklich zwei Welten zerstören? Jeder, der bei klarem Verstand ist, muss doch ...« Seine Faust, die gegen meinen Kiefer krachte, ließ mich verstummen, und ich stöhnte und schmeckte Blut auf der Zunge.

Er lachte, schob die Hand in meinen Ausschnitt und fummelte in meinem BH herum.

Das Glitzern in seinen Augen, während er nach dem Siegel tastete, gefiel mir gar nicht. Ich erstarrte und betete um irgendein Wunder, doch seine Finger fanden es schließlich zwischen meinen Brüsten, und er schloss die Hand um das Geistsiegel.

»Wenn wir mehr Zeit hätten«, flüsterte er und presste mich an sich, »würde ich dich fressen, ja, das würde ich. In jeder Hinsicht, und dann auf den Opfertisch mit dir. Aber ich habe einen straffen Zeitplan ...«

Ich hörte Chase brüllen, wandte den Kopf und sah, dass er mit Jassamin rang. »Chase, nein! Lass sie. Sie wird dich töten!«

Karvanak lachte bellend und so primitiv, dass mir übel wurde. »Glaubst du wirklich, wir würden euch am Leben lassen? Dummes Mädchen. Du hattest deine Chance weiterzuleben, und du hast sie nicht genutzt. Wenn Schattenschwinge diese Welt überrennt, wenn wir die Macht übernehmen und die Herden menschlicher Schafe versklaven, dann wird deine Seele vielleicht aus den Tiefen der Hölle heraus zusehen in dem Wissen, dass du eine ganz besondere Rolle dabei gespielt hast, ihm zum Sieg zu verhelfen.«

Ich wehrte mich gegen seinen Griff. Er würde mich ohnehin töten. Da starb ich lieber im Kampf. »Du kannst mich töten. Du kannst meine Freunde töten. Aber es gibt noch andere, die bis zum Schluss gegen dich kämpfen werden. Es sind noch sechs Geistsiegel übrig. Du hast keine Chance, sie alle zu finden.«

Karvanak zuckte mit den Schultern. »Sollen sie doch kommen. Von mir aus in Scharen. Jassamin, Vanzir, tötet diese Narren. Ich gehe jetzt und überreiche Lord Schattenschwinge unser Geschenk.« Er polierte den Edelstein an seiner Brust und betrachtete ihn mit einem Glitzern in den Augen.

»Ach, und Vanzir«, fügte Karvanak an den anderen Dämon gewandt hinzu, »dies ist deine letzte Chance. Wenn du es wie der vermasselst, schicke ich dich rüber zum Rasierer. Und du weißt ja, was der mit dir machen wird.«

Damit schleuderte er mich dem Traumjäger entgegen und wandte sich dem Höhleneingang zu. Er war kaum zwei Schritte weit gekommen, als vom Eingang her Lärm erscholl. »Scheiße.« Binnen Sekunden hatte Karvanak sich verwandelt und glich nun Chase aufs Haar. Er rannte auf den Eingang zu.

»Sie sind da drin, die Dämonen sind hier, und sie töten Camille!« Seine Stimme klang genauso wie Chases, und er verschwand durch den Felsspalt nach draußen.

Ehe ich mich aufrappeln konnte, platzte Smoky herein, gefolgt von Delilah und Menolly. Morio erschien dicht hinter ihnen.

»Das war nicht Chase, das war Karvanak unter einem Illusionszauber.« Ich schwankte, schaffte es aber, mich auf den Beinen zu halten. »Er hat das Siegel. Haltet ihn auf!«

Smoky warf sich sofort herum und rannte hinaus, und Menolly, Feddrah-Dahns und Mistelzweig liefen ihm nach. Morio eilte an meine Seite, und dann entdeckte Delilah den echten Chase.

»Chase!« Sie raste über den Kristallboden der Höhle.

Ich drehte mich um und sah Chase, über und über mit Blut verschmiert. Und Jassamin beugte sich gerade hinab, um ihm übers Gesicht zu lecken. Ehe Delilah oder ich die beiden erreichen konnten, sprang Vanzir mit gezücktem, blinkendem Säbel vor. Doch statt uns anzugreifen oder auf Chase zu zielen, hieb er die Klinge in Jassamins Rücken. Sie kreischte und kippte vornüber.

Ich starrte ihn an und fragte mich, was zum Teufel hier vorging, als Morio dem Dämon drei Wurfsterne direkt in die Seite jagte. Vanzir stöhnte auf, doch statt den Angriff zu erwidern, wandte er sich nach Jassamin um und ließ den Säbel auf ihren Kopf herabsausen. Sie brüllte laut und versuchte, sich aufzurappeln und ihm entgegenzutreten. Doch es war zu spät, ein Strom von Energie entwich durch ihre gespaltene Schädeldecke, ihr Körper fiel in sich zusammen und verschwand. Binnen Sekunden wies nichts mehr darauf hin, dass sie hier gewesen war, bis auf Chases Wunden.

Delilah kam schlitternd neben Chase zum Stehen. Morio und ich griffen Vanzir an.

Was war hier los? Er machte keine Anstalten, sich zu verteidigen.

Er ließ seine Waffe fallen und hob die Hände. Er rührte sich nicht mehr und sprach kein Wort.

»Was soll das? Ist das irgendein Trick? Was ist hier los?« Wollte er seinem Herrn Zeit erkaufen, indem er sein Leben opferte ? Oder war er ... ? Nein ... das war unmöglich.

Aber Vanzir senkte den Kopf und sprach die Worte, von denen ich geglaubt hatte, ich würde sie niemals aus dem Mund eines Dämons hören: »Ich unterwerfe mich. Ich ergebe mich. Bitte tötet mich nicht.«

Morio und ich wechselten einen unsicheren Blick. Immerhin kämpften Dämonen bis zum Tod, und zwar immer. Oder?

»Warum? Warum willst du dich uns ergeben?« Vorsichtig schob ich seinen Säbel mit dem Fuß beiseite.

Er hob den Kopf, und sein Blick war klar, seine Miene gefasst. »Ich kann Schattenschwinge nicht länger folgen. Ich kann nicht zulassen, dass er diese Welt überfällt. Das ist ein Fehler -ein schwerer Fehler. Ich will die Seiten wechseln. Ich möchte euch helfen, ihn aufzuhalten.«

»Aber du bist ein Dämon ...«

»Ich bin ein Traumjäger. Ich kann euch eine unschätzbare Hilfe sein. Ich weiß viel über die Pläne eurer Feinde ... und ich kenne die Namen und Adressen anderer Spione in dieser Gegend.« Er lächelte.

Bis Smoky, Menolly und Feddrah-Dahns mit leeren Händen zurückkehrten, hatten wir Vanzir gefesselt und geknebelt, so gut es eben ging. Ob das reichen würde, wusste ich nicht, aber so spontan stand uns nichts Besseres zur Verfügung. Benjamin war aus seinem Versteck hinter einem großen Kristall hervorgekommen. Delilah hatte Chase zum Sitzen aufgerichtet und sein Hemd und ihres zerrissen, um provisorische Verbände daraus zu machen.

»Wir haben das Geistsiegel verloren.« Ich ging auf Smoky zu, und er zog mich an sich und küsste mich auf die Stirn.

»Du bist verletzt und todmüde«, murmelte er leise.

Feddrah-Dahns wandte sich an uns alle: »Ihr seid verwundet und völlig erschöpft. Ihr müsst euch ausruhen, etwas essen, und ihr braucht medizinische Versorgung.«

Während er sprach, fing die Höhle plötzlich an zu wackeln.

»Erdbeben - raus hier, schnell!« Smoky wirbelte herum, hob mich auf die Arme und rannte aus der Höhle. Als wir den Eingang ein paar Meter hinter uns gelassen hatten, legte er mich sacht auf den Boden. »Ich sorge dafür, dass die anderen rauskommen«, sagte er und rannte in die Höhle zurück.

Der Boden hob sich in "Wellen wie ein verrückter Ozean und zitterte unter meinen Händen und Knien. Ich hockte auf allen vieren da und versuchte, mich festzuhalten.

Menolly kam als Nächste heraus, Chase auf dem Arm, und Delilah war direkt hinter ihr. Dann kam Morio mit dem Schwert in der Hand, der Benjamin, das Einhorn und den Pixie hinter sich her führte. Zuletzt schoss Smoky heraus, unseren Gefangenen über der Schulter.

Während der Boden sich noch heftiger aufbäumte, betete ich darum, dass die Häuser in der Umgebung standhalten und der Berg nicht in die Luft gehen würde. Der Mount Rainier war eine Zeitbombe. Wenn er explodierte, wäre es gleichgültig, ob man Fee, Mensch oder Yokai war, wir würden alle sterben. Na ja, Smoky würde vielleicht eine Chance haben.

»Das Licht! Es erlischt!« Delilah zeigte auf die Höhle. Ich fuhr herum. Das Licht aus der Öffnung im Fels flackerte und erlosch vor unseren Augen.

»Die Höhle ist in die Nebel zurückgekehrt.« Ich blickte mich auf der Wiese um. Die Horde Irrlichter schien sich vorerst verzogen zu haben. »Wohin das auch führen mag, wir haben heute Abend ein neues Kapitel der Geschichte begonnen.«

»Ich verstehe das nicht. Ich verstehe gar nichts mehr.« Benjamin saß ein wenig abseits, die Arme fest um den Oberkörper geschlungen, und wiegte sich vor und zurück. Menolly seufzte, ging zu ihm hinüber und berührte ihn sacht an der Schulter.

»Was nun?«, fragte Morio. »Was machen wir jetzt?«

Ja, was nur? Das Siegel war dem Dämon in die Hände gefallen. Wir hatten einen übergelaufenen Traumjäger am Hals, der offenbar sehr erpicht darauf war, sich uns anzuschließen. Trillian wurde immer noch vermisst. Und wir waren müde. Wir waren alle so unendlich müde.

»Ich denke ... erst einmal gehen wir nach Hause.« Viel mehr gab es nicht zu sagen.