Kapitel 23

 

Damit waren alle anderen Themen natürlich schlagartig erledigt.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Iris. Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht sicher, aber ich sage euch, ich habe ein ganz seltsames Flackern in seiner Aura gesehen. Sein Energiefeld war gewaltig, und ein paar der Spitzen habe ich als Feenenergie erkannt.«

»Das kapiere ich nicht«, sagte Chase. »Kannst du mir eine kurze Zusammenfassung geben?«

»Moment«, sagte ich und schaufelte mir Obstsalat in den Mund. »Verdammt, habe ich einen Hunger.« Mein Kopf tat so weh, dass ich ihn am liebsten auf den Boden geschlagen hätte.

»Iss. Ich setze schon mal Wasser für den Tee auf und hole den Nachtisch.« Iris füllte den Kessel, packte die Schokotorte aus, die ich gekauft hatte, und schnitt sie in dicke, sahnige Stücke.

Ich tupfte mir die Lippen mit der Serviette ab. »Okay, vielleicht hilft dir das. Stell dir Benjamin als Himmelskörper vor -die Sonne zum Beispiel. Ich kann die Korona, die ihn umgibt, immer sehen. Jetzt stell dir vor, es gäbe verschiedene Arten von Sonnen.

Menschensonnen, Feensonnen, Dämonensonnen, alle haben einen Hof, und jeder Hof hat ein anderes Muster, abhängig davon, zu welcher Art er gehört.«

»So weit kann ich dir folgen«, sagte Chase.

»Also, ich habe Benjamin angeschaut, der eine menschliche Sonne sein sollte, zum Beispiel mit einem Karomuster. Stattdessen habe ich aber eine Aura gesehen, bei der - ach, sagen wir Pünktchen - in das Karomuster mit hineingemischt waren. Und da Pünktchenmuster zu den Feensonnen gehören, bedeutet das, dass er Feenenergie in sich hat.«

Menolly kicherte hämisch. »Pünktchen? Was hat dann meine Aura, Blutflecken?«

Ich streckte ihr die Zunge heraus und wandte mich wieder Chase zu. »Natürlich ist das nur ein Beispiel, aber verstehst du, worauf es hinausläuft? Ich kann erkennen, dass Benjamin kein VBM ist. Er trägt einen Feenanteil in sich, weil seine Aura einen Teil Feenenergie ausstrahlt.«

Chase nickte langsam. »Ich verstehe. Wenn man seine DNS unter dem Mikroskop betrachten würde, dann hätte sie auch ein anderes Muster als meine. Okay, und du meinst, er hat keine Ahnung, dass er teilweise eine Fee ist?«

»Ich glaube nicht. Vermutlich ist das Feenerbe rezessiv. Irgendwo in seiner Ahnenreihe gab es eine Hochzeit oder Affäre mit einer Fee. Sie liegt lange zurück, denn die Feenkräfte sind so verdünnt, dass sie schon fast ausgestorben sind. Aber irgendetwas hat sie aufflammen lassen, und ich vermute, dass es passiert ist, als er diese Höhle betreten hat. Die Energie dort drin hat vermutlich das Feenblut in seinen Adern geweckt, und er hatte keine Ahnung, was mit ihm geschah.«

Auf einmal tat mir Benjamin entsetzlich leid. Er war eingeschlossen wegen etwas, wofür er überhaupt nichts konnte, er stellte keine Gefahr für andere dar, und doch hatte man ihn einfach abgeschoben, damit seine reiche Familie sich nicht für ihn schämen musste.

Delilah starrte auf ihren Teller hinab. »Wie können wir ihm helfen? Du hast gesagt, er will von dort fliehen.«

»Ja, aber ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen, wenn wir es erst geschafft haben, ihn da rauszuholen. Wo sollen wir ihn denn hinbringen? Wir können uns auf keinen Fall um ihn kümmern, und seine Familie fällt ebenfalls aus.« Stirnrunzelnd betrachtete ich den Tisch.

»Wie wäre es mit Smoky? Er kümmert sich um Georgio. Könnte dieser Benjamin vielleicht da draußen bei ihnen bleiben?« Menolly nippte an ihrem Blut. Sie starrte das Hähnchen mit unverhohlener Gier an, und mir wurde klar, wie sehr sie oft nach dem lechzen musste, was sie zwangsläufig hinter sich gelassen hatte.

»Ich glaube nicht, dass Smoky davon begeistert wäre«, sagte ich, als Chases Handy klingelte.

»Bin gleich wieder da«, sagte Chase und ging hinaus in den Flur.

»Selbst wenn Smoky einverstanden wäre, würde Benjamins Familie ihn irgendwann aufspüren. Sie haben Geld. Und obwohl sie ihn in einer hübschen, diskreten Gummizelle eingeschlossen haben, würden sie alles in Bewegung setzen, um ihn wiederzufinden und unter Kontrolle zu bringen. Ich kenne solche Leute. Nein, wenn wir Ben da herausholen wollen, müssen wir ihn irgendwo hinbringen, wo seine Familie ihn nicht aufspüren kann.«

Morio fing meinen Blick auf und sah mich vielsagend an. »Wir kennen einen Ort, wohin sie ihm nicht folgen können.«

»Du meinst die Anderwelt?« Ich legte die Gabel weg, denn auf einmal hatte ich keinen Appetit mehr. Die Vorstellung, Benjamin in der Anderwelt einfach sich selbst zu überlassen, war beängstigend. Er würde ziemlich schnell umkommen. Auf keinen Fall war er in der Lage, sich an eine völlig neue Welt anzupassen. Er kam ja nicht mal mit der Welt klar, zu der er schon gehörte.

»Ich glaube ...« Ich verstummte, als Chase mit gequälter Miene die Küche betrat.

»Was ist passiert? Noch mehr Kryptos, die Amok laufen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Obwohl das schwer zu sagen ist. Ich habe gerade erfahren, dass dieses Teppichgeschäft ... der Laden, den ihr neulich wegen der Dämonen überprüfen wolltet? Also, das Geschäft ist ausgebrannt, mitsamt dem daneben. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Kennt ihr jemanden, der den Laden eines Dämons anzünden würde?«

Delilah schob langsam ihren Stuhl zurück. »Du glaubst doch nicht, dass wir das getan haben? Chase, wie kannst du so etwas denken! Wir würden doch nie unschuldige Menschen derart in Gefahr bringen!«

Chase hob empört die Hand. »Habe ich denn ein Wort davon gesagt, dass ihr das getan haben könntet? Die Feuerpolizei und ein Brandermittler sind vor Ort und sprechen mit Mr. Karvanak. Anscheinend spielt er den völlig harmlosen Menschen.

Aber mein Gedanke war folgender: Wenn dieser Dämon so verschlagen ist, wie ihr sagt, wird er dann nicht erwähnen, dass ihr ihn nicht leiden könnt? Er weiß, dass ihr der Polizei kaum von Schattenschwinges Plänen erzählen könnt, die Erde zu un-terjochen, also braucht er nicht zu befürchten, ihr könntet ihn enttarnen.«

Verflucht. Auf den Gedanken, dass er VBM benutzen könnte, um uns Schwierigkeiten zu machen, war ich noch gar nicht gekommen. »Wir haben alle ein Alibi. Ich war mit Morio draußen im Mountain Aspen Retreat, das können die bezeugen ...«

»Nein, können sie nicht«, unterbrach mich Morio. »Du hast die Schwester betört und ihr eingepflanzt, dass sie unseren Besuch nicht erwähnen soll, damit Benjamins Eltern keine unangenehmen Fragen stellen.«

»Nein, ich habe ihr gesagt, dass sie uns Benjamins Eltern gegenüber nicht erwähnen soll. Also, weiter ... Delilah und Menolly haben auch ein Alibi. Iris, du ebenfalls.« Ich kniff die Augen zusammen und starrte den Tisch an.

Die Hähnchenreste fielen mir ins Auge. Mein Magen knurrte.

»Wir können also beweisen, wo ihr alle zur Tatzeit wart. Gut. Was ist mit dem Einhorn und dem Pixie?« Chase machte sich hastig Notizen. »Hätten die das tun können?«

Das brachte uns alle zum Schweigen. Feddrah-Dahns war immer noch verschwunden, wir wussten nicht, wo er war und wie es ihm ging. Das wollte ich gerade sagen, als es an der Tür klingelte. Ich entschuldigte mich und sah nach, wer draußen stand.

Es war Smoky. Ich blickte zu ihm auf, und ehe mir bewusst wurde, was ich da tat, schmiegte ich mich an seine Brust, und er schlang die Arme um mich. Seine Lippen fanden die meinen, und seine Zunge liebkoste sie gerade fest genug, um mich anzu-heizen. Der Stress des vergangenen Tages ließ mich zittern, und er strich mit dem Daumen kräftig an meiner Wirbelsäule entlang.

»Siehst du, dein Körper weiß, wo es dir guttut«, flüsterte er.

Mit einem letzten Zittern ließ ich ihn los und versuchte, meinen Atem wieder zwischen meinen Beinen hervorzuheben, wo er irgendwie hingesackt war. »Wir haben ein Problem. Eigentlich mehrere.« Ich winkte ihn herein.

»Ich glaube, bei einem davon kann ich Entwarnung geben«, sagte er und folgte mir in die Küche. »Feddrah-Dahns ist draußen auf meinem Land, zusammen mit seinem Pixie. Das Einhorn ist verletzt, wird es aber überleben.«

Alle fingen gleichzeitig an zu reden, doch Smoky ließ ruhig den Blick durch den Raum schweifen und hob dann die Hand. »Das reicht.«

Ich wartete, bis Schweigen eingekehrt war. »Wer hat ihn verletzt? Dämonen?«

Smoky nickte. »Das hat er mir gesagt. Der Räksasa hat ihn ein paarmal erwischt, ehe Feddrah-Dahns und der Pixie entkommen konnten. Anscheinend sind Einhörner schnell genug, um Dämonen davonzulaufen. Er hatte den Räksasa gerade abgehängt, als ich den Pfad zum Teich entlangging, um mit ihm zu sprechen. Ich habe ihn und seinen Pixie sofort in Sicherheit gebracht, hatte aber keine Zeit mehr, Iris Bescheid zu sagen.«

»Und Mistelzweig ist nichts passiert?«

Smoky blinzelte. »Wie bitte? Ich habe keine Misteln bei mir draußen, soweit ich weiß.

Moos, ja. Flechten reichlich. Aber Misteln? Nein.«

Delilah seufzte tief. »Nein, nicht Misteln wie die Pflanze. Mistelzweig - der Pixie.«

»Ach so, ich verstehe.« Smoky zog eine Augenbraue hoch und lächelte ein wenig schrullig. »Nein, Mistelzweig geht es gut. Feddrah-Dahns hat ein paar blutige Hiebe an der Seite abbekommen. Sind scheußliche Wunden, aber ich hatte noch ein paar Puder und Tinkturen, die Titania mir vor einer Weile gebracht hat, und damit habe ich ihn zusammengeflickt. Offenbar ist die Blutung bereits gestillt, und der Schmerz hat nachgelassen. Aber eines ist merkwürdig.«

Nicht noch ein rätselhaftes Puzzleteilchen, das wir nicht zuordnen konnten. »Was denn?«

Smoky starrte das Essen auf dem Tisch an. »Der Traumjäger, der den Räksasa begleitet...«

»Traumjäger?« Ich runzelte die Stirn. »Von denen habe ich noch nie gehört.«

»Vanzir heißt er. Traumjäger sind Dämonen, die sich von menschlicher Energie ernähren, während der Mensch schläft -Energie aus seinen Träumen. Also, jedenfalls ist Vanzir offenbar gestolpert und zwischen den Räksasa und Feddrah-Dahns geraten, als der Dämon den entscheidenden Schlag anbringen wollte. Er wurde nicht getroffen, hat aber den letzten Versuch des Dämons vereitelt, das Einhorn zu töten. Feddrah-Dahns sagt, mit diesem Stolpern hätte Vanzir ihm genug Zeit verschafft, so dass er entkommen konnte.«

Ich bedeutete Delilah, mir und Iris beim Abräumen zu helfen. »Jemand hat gerade das Teppichgeschäft abgebrannt, das den Dämonen gehört. Du kannst doch bezeugen, dass Feddrah-Dahns den ganzen Nachmittag lang bei dir draußen war, oder?«

Smoky schnappte sich ein Stück Hähnchen, ehe Delilah ihm den Teller wegzog. »Ja.

Er ist schon seit Stunden da draußen. Wir müssen über dieses Portal in der Innenstadt sprechen. Ich bin schnell durchgesprungen, um nachzusehen, wo es hinführt.«

»Delilah hat uns schon davon erzählt. Und du bist sicher, dass es nach Guilyoton führt?«

Er nickte und biss in das Hühnerbein. Ich sah zu, wie er den Knochen in nicht einmal einer Minute säuberlich abnagte, aber anscheinend ohne zu kauen, geschweige denn seinen leuchtend weißen Trenchcoat zu bekleckern. Unter dem Mantel trug er den üblichen grauen Rollkragenpulli und die hautenge weiße Jeans, die auf wundersame Weise meine Gedanken von dem ablenkte, womit sie sich eigentlich befassen sollten.

Smoky bemerkte meinen Blick, zwinkerte verschwörerisch, spitzte die Lippen und schmatzte einen Kuss in die Luft. Ich ließ mich schwach auf meinen Stuhl sinken.

Als er fertig war, brachte er den Knochen zum Mülleimer, drehte sich dann einen Stuhl herum, setzte sich breitbeinig darauf und stützte die Ellbogen auf die Rückenlehne. »Die Goblingebiete drüben in der Anderwelt sind mir leider ein Begriff.

Die Biester sind in den Nordlanden immer noch sehr zahlreich, und auf einigen höheren Berggipfeln erdseits ebenfalls. Sie vermehren sich wie Ungeziefer und schmecken auch etwa so gut. Ich hatte schon den Verdacht, dass das Portal dort hinführen könnte, und als ich durchgesprungen bin, habe ich sofort gesehen, dass ich recht hatte. Die Sümpfe stinken nach Goblin, und das Land fühlt sich an wie verdorben von ihrer Magie.«

»Das klingt nach Guilyoton, allerdings.« Ich zwang mich zur Konzentration und holte mir Notizblock und Stift. »Also, worum müssen wir uns kümmern? Wir haben das Krypto-Problem, das immer schlimmer wird. Ich bin sicher, dass dieses Goblin-Portal nicht das einzige ist, das derzeit fleißig genutzt wird.«

»Die Dämonen sind im Augenblick unsere größte Sorge. Vor allem, da sie offenbar genau wissen, wer wir sind und wo wir wohnen. Und sie glauben, wir hätten das Geistsiegel oder wüssten, wo es ist.« Delilah holte ihren Laptop und fuhr ihn hoch.

»Wir wissen es doch. Jetzt jedenfalls. Ein weiteres Problem - Morgana und Titania.

Sie suchen nach derselben Höhle, die Benjamin gefunden hat. Ich weiß es einfach.

Und wenn sie sie vor uns finden, werden sie sich das Geistsiegel nehmen.« Ich kritzelte eine weitere Notiz nieder. »Außerdem habe ich das Einhorn-Horn, und sowohl Morgana als auch die Dämonen würden dieses hübsche Spielzeug nur zu gern in die Finger bekommen.«

»Vergiss nicht, dass der Laden des Dämons abgebrannt ist. Was meinst du, wem sie die Schuld dafür geben werden?« Menolly beugte sich vor. »Selbst wenn wir beweisen können, dass wir nicht dort waren, werden sie eine Möglichkeit finden, uns das in die Schuhe zu schieben.«

»Und Benjamin dürfen wir nicht vergessen«, fügte Morio hinzu. »Wenn wir dahintergekommen sind, dass er von dem Geistsiegel weiß, dann fürchte ich, dass die Dämonen nicht lange brauchen werden, das ebenfalls auszuschnüffeln. Was, wenn sie uns dort hinaus gefolgt sind? Sie würden ihn in Stücke reißen, um an die Information über die Höhle zu kommen.«

»Scheiße«, sagte Menolly. »Der Knackpunkt sind die Dämonen. Wenn wir das Geistsiegel zuerst finden und es Königin Asteria übergeben, hätten sie keinen Grund mehr, Benjamin zu Leibe zu rücken. Aber hinter uns wären sie dann immer noch her, also müssen wir sie ausschalten. Diese Dschinniya auch. Wenn sie mit denen herumläuft, wissen wir ja, auf wessen Seite sie steht.«

»Wenn nur Trillian und Roz hier wären«, sagte ich. »Zach und seine Leute müssen das Portal bewachen und fallen für den Kampf aus.

Und Karvanak wird schwer zu töten sein. Verflucht - das habe ich ganz vergessen!

Smoky hat uns Informationen über den Raksäsa beschafft, aber bei dem ganzen Durcheinander heute sind wir noch gar nicht dazu gekommen, einen Blick in seine Notizen zu werfen.« Ich eilte ins Wohnzimmer und fand meine Tasche da, wo ich sie hatte fallen lassen. Ich zerrte die Unterlagen aus der Seitentasche, eilte in die Küche zurück und setzte mich.

Smoky griff nach seinen Notizen, und ich reichte sie ihm. »Da du ja hier bist, kannst du uns vielleicht selbst sagen, was wir wissen müssen.«

Er schürzte die Lippen. »Sie sind Meister der Illusion. Wenn ihr auch nur ein paar Minuten voneinander getrennt wart, müsst ihr euch ab sofort vergewissern, dass ihr nicht mit einem Doppelgänger sprecht. Mit anderen Worten, Desillusionierungszauber wären im Moment wirklich praktisch. Wer außer Morio beherrscht so etwas? Ich kann eine Barriere aufbauen, die keine Illusionen durchlässt, aber ich kann keinen Zauber auf eine bestimmte Person legen.«

Iris räusperte sich. »Ich kann Illusionen auflösen, vor allem, wenn ein nichtmenschliches Wesen versucht, sich als Mensch auszugeben.«

»Mich braucht ihr gar nicht so anzuschauen«, sagte Chase. »Ich kann nicht mal mit den Ohren wackeln.«

Delilah schnaubte. »Nein, aber du hast andere Vorzüge.« Sie grinste ihn anzüglich an, und ich lachte leise. Dämonen hin oder her, es war schön, sie glücklich zu sehen.

»Tja, keiner meiner Sprüche taugt für so etwas, also bleiben nur Iris, Morio und in gewissem Maße Smoky. Wir dürfen uns ab sofort höchstens in zwei Gruppen aufteilen, und Iris und Morio, es muss je einer von euch bei der einen und der andere bei der zweiten Gruppe sein.« Ich starrte auf das Blatt hinab. »Dann steht unsere erste Aufgabe wohl fest. Wir müssen die Höhle finden und das Geistsiegel in Sicherheit bringen. Ich bin müde - wir sind alle erschöpft. Aber wir haben schon mit weniger Schlaf ganze Arbeit geleistet, also lasst uns jetzt gleich da hinausfahren. Dann kann auch Menolly mitkommen.«

Morio meldete sich zu Wort. »Was wetten wir, dass irgendein Mitglied der Freiheitsengel herausgefunden hat, dass der Teppichhändler kein Mensch ist, und ihm den Laden angezündet hat? Der Täter wusste vielleicht gar nicht, dass er ein Dämon ist - vielleicht hat er ihn einfach für ein ÜW gehalten.«

Chase tippte mit dem Stift auf die Tischplatte. »Das ist ein guter Gedanke, Morio. Ich habe schon beschlossen, heute Nacht mit euch zu dieser Höhle zu fahren und dann morgen eine Doppelschicht im Büro zu schieben. Ich habe da ein Feldbett, auf dem ich ein paar Stunden schlafen kann. Zurzeit leite ich ja zwei Abteilungen.« Er seufzte, stopfte sein Notizbuch in die Tasche und streckte sich gähnend.

»Also gut, Süßer«, sagte Delilah, schlang die Arme um ihn und küsste ihn ausgiebig.

»Aber sei ja vorsichtig. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, und wir bekommen es mit ziemlich mächtigen Gegnern zu tun.«

Das Telefon klingelte. Ich riss den Hörer aus der Halterung in der Hoffnung, dieses eine Mal möge es irgendein blöder Werbeanruf sein. Aber so viel Glück hatten wir nicht. Es war Schwester Richards.

»Miss Welter? Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten, und da Benjamins Eltern im Ausland sind und keinerlei Nummern hinterlegt haben, unter denen wir sie erreichen könnten, dachte ich mir, ich rufe am besten Sie an.« Sie klang verzweifelt.

Verdammt. Was war jetzt wieder? »Was ist passiert? Ist Benjamin etwas zugestoßen?«

»Das ist ja das Problem. Wir wissen es nicht. Anscheinend ist er ... verschwunden.«

Ich starrte den Hörer an. »Verschwunden? Was zum Teufel soll das heißen? Wo ist er denn hin?« Noch während ich diese Worte hervorstieß, wurde mir bewusst, wie dumm sie klangen.

»Wir haben keine Ahnung. Wir kämmen das gesamte Gelände gerade zum dritten Mal durch. Heute Abend sind zwei Männer und eine Frau hier aufgetaucht und haben sich nach ihm erkundigt. Sie sind keine Angehörigen, das haben sie selbst gesagt, aber sie haben darauf bestanden, mit ihm zu sprechen. Ich habe den Arzt geholt, und der hat strikt abgelehnt. Sie sind wieder gegangen, aber sie waren sehr übellaunig, weil wir sie abgewiesen hatten.«

Die Dämonen und die Dschinniya. Das mussten sie gewesen sein! Oder ... Morgana, Mordred und Arturo.

»Das haben Sie ganz richtig gemacht«, sagte ich. »Vermutlich waren sie von der Presse, die Medien suchen ständig eine Möglichkeit, unsere familiären Probleme auszuschlachten. Also, wann genau ist Benjamin verschwunden?«

Sie räusperte sich, und ich konnte förmlich hören, wie ihre Gedanken ratterten.

Vermutlich hatte sie schreckliche Angst davor, dass die Welters die Anstalt verklagen würden.

»Als wir Benjamin seine abendliche Dosis Medikamente bringen wollten, war er nicht in seinem Zimmer. Wir haben den Wohntrakt abgesucht und das ganze Gelände, aber ohne Erfolg. Im Moment hoffen wir, dass er sich verlaufen und in einem der leerstehenden Räume versteckt hat oder irgendwo eingeschlafen ist. Aber ich wollte Ihnen trotzdem Bescheid sagen. Sie haben mich ja gebeten, Sie anzurufen, falls sich irgendetwas Ungewöhnliches ereignen sollte.«

Den Göttern sei Dank für den Feen-Glamour. Ich bedankte mich bei ihr und versprach, so schnell wie möglich rauszukommen, dann legte ich auf. »Wir müssen diese Höhle finden. Benjamin wird vermisst, und ich glaube, die Dämonen waren vorhin in der Anstalt und haben nach ihm gesucht.«

»Scheiße«, sagte Menolly. »Also los. Iris, du bleibst hier bei Maggie. Schließ alles ab und versteck dich in meinem Unterschlupf. Du kennst ja den geheimen Ausgang, für den Fall, dass hier im Haus etwas passieren sollte.«

Iris nickte, doch sie war blass und sah entsetzlich besorgt aus. Sie beeilte sich, Maggie zu holen, während wir uns fertig machten. Ich befestigte den Silberdolch in der Scheide an meinem Gürtel und vergewisserte mich, dass das Einhorn-Horn sicher in der Innentasche des Umhangs verstaut war, den Eriskel mir gegeben hatte. Um der schnellen Beweglichkeit willen tauschte ich meine Stilettos gegen Omastiefel mit Blockabsatz.

Delilah trug schon warme Jeans und einen Pulli mit V-Ausschnitt; sie schlüpfte nur noch in ihre Lederjacke und befestigte das Futteral für ihr silbernes Kurzschwert an einem Bein. Menolly zog eine blaue Jeansjacke über ihren schwarzen Rolli und tauschte die hohen Absätze ebenfalls gegen ein Paar Doc Martens. Sobald Morio sich vergewissert hatte, dass seine Tasche mit dem Schädel sicher verschlossen war, marschierten wir zur Haustür.

»Morio, am besten fahren wir mit deinem SUV. Da passen wir alle ...«, sagte ich, doch ein Geräusch unterbrach mich, und ich wirbelte herum, sog Energie ein und machte mich bereit, den Eindringling, wer immer es sein mochte, zur Hölle zu schicken.

»Nicht schießen«, rief eine vertraute Stimme.

Langsam ließ ich die Hände sinken. Als wir klappernd die Stufen vor dem Haus hinuntereilten, traten Trenyth und Großmutter Kojote aus der Dunkelheit hervor. Sie sahen nicht so aus, als hätten sie gute Neuigkeiten für uns.