Kapitel 26

 

Titania winkte mich an ihre Seite. Dann sah sie die anderen an. »Ihr werdet euch nicht einmischen. Habt ihr das verstanden?«

Smoky hob die Hand. »Einen Augenblick. Morio, dein Zauber.«

Ich begriff, was er wollte. »Ja. Ich bin sicher, dass sie in Ordnung sind, aber ...«

Morgana blies sich empört auf, aber Titania blieb entspannt. »Bitte, nur zu, Fuchs.«

Morio nickte, trat zurück und streckte die Hände aus. Dann sagte er ein paar Worte auf Japanisch, und helles Licht erfüllte die Höhle. Um uns alle herum schimmerte etwas auf. Wo Delilah stand, wechselten sich drei Bilder in rascher Folge ab - sie selbst, ihre Tigerkätzchen-Gestalt und die des schwarzen Panthers. Smoky hingegen war auf einmal in einen Nebel gehüllt, so milchweiß wie er es als Drache war. Chase - also, Chase war wirklich interessant. Ein Leuchten in seiner Aura sagte mir, dass er er selbst war, und doch war da noch mehr. Ganz schwach - ein Versprechen zukünftiger Veränderungen.

Weder Morgana noch Titania verwandelten sich, und auch an der Gestalt im Kristall änderte sich nichts.

Morio entspannte sich und schüttelte den Kopf. »Sie sind keine Raksäsa-Illusionen.

Sie sind echt.«

»Dann beeilen wir uns am besten«, sagte ich und blickte mich in der Höhle um. Sie reichte tief in den Hügel, und zahllose Quarzspitzen ragten aus dem schimmernden schwarzen Gestein. Eine Kristallschicht, die an Gletschereis erinnerte, bedeckte den Boden und reflektierte das Licht, das aus den Wänden selbst zu dringen schien.

Ein Podest, ebenfalls aus Kristall, stand vor dem Stalagmiten, der Aeval gefangen hielt. Auf dem Podest stand ein Kelch aus vulkanischem Glas, in dem ein Gebräu vor sich hin dampfte; der aufsteigende Nebel floss über den Rand des Kelchs und kroch langsam durch die Luft.

Titania bedeutete mir weiterzugehen. Ich warf den anderen einen letzten Blick zu.

»Ich muss das tun. Großmutter Kojote hat es vorhergesagt. Ich habe keine Wahl. Das Schicksal ist zu stark.« Noch während ich sprach, schob die Energie der Höhle selbst mich hilflos vorwärts.

Ich gab meinen Widerstand auf und ging zu Titania und Morgana hinüber.

Titania bedeutete mir, meinen Platz zu ihrer Linken einzunehmen. Sie stand in der Mitte, Morgana zu ihrer Rechten. Die ehemalige Feenkönigin streckte die Hand aus, und instinktiv legte ich meine mit der Handfläche nach oben darauf. Sie sah mir in die Augen, und die Jahre rollten sich rückwärts auf. Jahrtausende glitten vorüber, während ihre Macht sich um sie zu versammeln begann. Ein Mantel wirbelnder Energie, ein Nimbus der Unsterblichkeit hüllte sie ein. Sie straffte die Schultern. Morgana schnappte nach Luft, als Titania sämtliche Masken sinken ließ und ihre strahlende Schönheit die unterirdische Kammer mit einem hörbaren Seufzen erfüllte.

Ich konnte nur voller Stolz zu ihr aufblicken. Hier stand die edle Titania der Mythen und Legenden, hier stand die Feenkönigin, die viele Dutzend Menschen gequält und verführt hatte. Dies war die Herrin, der unsere eigene Königin nacheifern sollte.

Titania verstand, was nötig war, um eine wahre Königin zu sein. Sie hatte sich nur eine Weile selbst vergessen, zu tief in Unglück und Alkohol getaucht. Aber jetzt war sie wieder da.

Sie hob das Kurzschwert mit dem Geistsiegel im Heft über meine Hand und schlitzte mir die Handfläche auf. Mein Blut quoll hervor, floss über und tröpfelte auf den Boden.

»Verbinde dich mit uns«, sagte Titania und deutete auf den Kelch. Ich hielt die Hand darüber, neigte sie zur Seite und sah zu, wie das Blut von meiner Handfläche in die Flüssigkeit rann. Der Nebel, der von dem Gebräu aufstieg, zischte und fauchte, und eine violette Flamme schoss daraus hervor.

Morgana griff nach meiner Hand, und ich überließ sie ihr. Sie führte sie an die Lippen und küsste die Wunde, und meine Haut begann sogleich zu heilen; die Wundränder fügten sich zusammen, als würden sie von einer unsichtbaren Schneiderin fest vernäht.

Titania drehte sich zu dem Podest um. »Nur die Vereinigung von Feenblut mit der Magie der Mondmutter in einer freien Person, die keiner dieser Seiten allein angehört, kann Aeval aus ihrem kristallenen Grab befreien und sie in die Welt der Lebenden zurückholen. Ich kann die Kristallsäule nicht zerschmettern, weil ich Aevals Gegenspielerin bin. Morgana kann es ebenso wenig, weil sie selbst nach der Krone strebt.«

Sie hielt kurz inne und sah mir in die Augen. »Aber du, Camille - du hast Feenblut, und du bist eine Tochter des Mondes. Auch begehrst du keine der Kronen für dich selbst. Du wirst Aeval befreien. Trinke das Elixier und zerschmettere den Kristall mit dem Schwert. Brich den Zauber, mit dem die Königin der Dunkelheit vor so langer Zeit von jenen gebannt wurde, die die Welten voneinander trennten und die Höfe vernichteten.«

Ihre Worte hallten in der Höhle wider. Brich den Zauber, mit dem die Königin der Dunkelheit vor so langer Zeit von jenen gebannt wurde, die die Welten voneinander trennten und die Höfe vernichteten. Aeval war also seit der Spaltung hier gefangen, und ich war im Begriff, einen unglaublich mächtigen Zauber zu brechen, den ... wer ...? Ich warf Titania einen ängstlichen Blick zu.

»Wessen Zauber ist das?«

Sie umfasste beinahe zärtlich mein Kinn mit den Fingern. »Vier Elementarfürsten haben sich zusammengetan, um diesen Zauber zu schmieden, während sie mir gleichzeitig fast meine gesamte Kraft entzogen. Mir ist es gelungen, mich aus ihrer magischen Falle zu befreien, aber was sie Aeval angetan haben, kann ich nicht ungeschehen machen.«

»Und Ihr glaubt, ich könnte es ...«

»Nun, da du das Horn des Schwarzen Einhorns besitzt, bist du stark genug, sie zu erwecken. Wir wissen, über welche Kräfte das Horn gebietet. Die Elementare darin stärken deine Magie so sehr, dass du die Macht jener überwinden kannst, die die Höfe verhext und in die Knie gezwungen haben.«

Die Feenhöfe in die Knie gezwungen? Diesen Teil der Geschichte hatte ich noch nie gehört. »Wollt Ihr damit sagen, dass die Spaltung in Wahrheit eine Schlacht war?«

Titania sah mich an. »Kind, weißt du denn gar nichts? Die Spaltung war die größte Schlacht, die wir Feen jemals untereinander ausgefochten haben. Jene, die die Dämonen fürchteten, kämpften darum, die Welten zu teilen, aber auf eine Art und Weise, die die gesamte Sphäre des Daseins aus dem Gleichgewicht brachte, und seither haben sich die Dinge nur immer weiter verzerrt. Oh, eine Zeitlang wurden die Dämonen tatsächlich aufgehalten, doch das System bricht allmählich zusammen.

Immer mehr Portale öffnen sich von selbst. Die Siegel sehnen sich danach, wiedervereinigt zu werden und die Welt ins Gleichgewicht zu bringen.«

Morgana ergriff das Wort. »Der Plan war von Anfang an fehlerhaft. Die Sieger kehrten ihrer eigenen Geschichte den Rücken, als sie in die Anderwelt übersiedelten.

Nachdem sie die Höfe dezimiert hatten. So viel ist seither in Vergessenheit geraten und verloren gegangen, doch jene von uns, die die Höfe in der Schlacht angeführt haben, erinnern sich nur zu gut daran, welche Zerstörung dieser Krieg mit sich brachte.«

»Indem ich tue, was Ihr verlangt, begehe ich also einen Verrat an meiner Familie, meiner Heimat, meiner Welt ...« Ich erstarrte vor Unsicherheit und fühlte mich wie ein Dreh- und Angelpunkt, gefangen zwischen zwei Welten, die auf meinen Schultern ausbalanciert wurden.

Dies war die Tagundnachtgleiche. Großmutter Kojote war eine der Ewigen Alten. Sie hatte mir gesagt, dass es mir bestimmt sei, dabei zu helfen, die Feenhöfe der Erdwelt wieder zu errichten. Aber welche Auswirkungen würde das in der Anderwelt haben?

Und würde es nicht zu noch mehr Kriegen führen?

Morgana packte mich ungeduldig am Arm und riss mich zu sich herum. »Deine Familie hat ihre Wurzeln hier auf der Erde. Du bist eine Feentochter, aber weißt du, wer deine Ahnen waren? Weißt du, wo die Wurzeln deines Vaters wirklich liegen?«

Ich schüttelte den Kopf und bekam es mit der Angst zu tun. Irgendetwas näherte sich - ich konnte es spüren. Morgana blickte zu Menolly und Delilah auf. Die waren wachsam, bereit, jederzeit loszuschlagen.

»Das betrifft euch beide genauso. Also hört gut zu. Ich hatte nicht die Absicht, euch das zu enthüllen, denn manche Dinge ruhen besser in der Vergangenheit. Aber wenn du das Gefühl hast, deine Familie zu verraten, solltest du es wohl erfahren. Was meinst du wohl, wohin dein Stammbaum zurückführt? Nun?«

»Ich weiß es nicht. Vater hat gesagt, viele Aufzeichnungen seien vor Urzeiten verloren gegangen.« Inzwischen klapperten mir die Zähne, und ich bekam kaum noch Luft. Ihre Finger gruben sich in meine Haut, und ich bekam schon blaue Flecken, wo sie meinen Arm schüttelte.

»Camille, sieh mich an. Was siehst du? Sieh mich an.«

Und ich sah hin. Sah tief in Morganas violette Augen, betrachtete ihr zartes Gesicht und ihr rabenschwarzes Haar. Und ich sah es. Ich sah, was sie uns zu sagen versuchte.

»Große Mutter ... Ihr ... Ihr ...«

»Ich gehöre zu deinen Ahnen, du dummes Kind. Du entstammst derselben Linie, die auch mich hervorgebracht hat. Wir gehören zu der Familie, die ursprünglich die Anbetung der Mondmutter ausprägte, lange vor der Spaltung. Ihr drei tragt dasselbe Blut in euch, das durch meine Adern fließt. Euer Vater ist in gewisser Weise mein Cousin. Ich mag nur zur Hälfte eine Fee sein, aber meine Arbeit mit dem Merlin hat meine Lebensspanne weit über das hinaus verlängert, was ein Sterblicher sich an Jahren erhoffen könnte. Ich werde ebenso lange leben wie eine reinblütige Fee. Euer Vater wurde erst nach der Trennung der Welten geboren, doch sein Großvater und mein Vater waren eng verwandt. Ich habe in der Vergangenheit geforscht, seit ich dich vor ein paar Monaten zum ersten Mal gesehen habe. Dein Blut hat meines angesprochen.«

Unvermittelt sank ich zu Boden. Ein Blick sagte mir, dass Delilah und Menolly sprachlos waren. »Wir sind verwandt?« Mein Urgroßvater war lange vor meiner Geburt ums Leben gekommen, im Kampf gegen irgendeine namenlose Bestie im Wald. Selbst mein Vater hatte ihn nicht mehr kennengelernt.

Die Spaltung war wie ein Pflug durch alles hindurchgefahren, hatte die Welten auseinandergerissen, Familien entwurzelt, Aufzeichnungen vernichtet, Clans und althergebrachte Gemeinschaften versprengt. Aber wir hatten stets daran geglaubt, dass dies eine notwendige Umwälzung gewesen sei, etwas, worauf sich alle Feen geeinigt hatten, um den Dämonen Einhalt zu gebieten. Jetzt senkte sich eine dunkle Wolke über jedes bisschen Geschichte, das man uns je gelehrt hatte.

»Du könntest mich ebenso gut Cousine nennen. Jetzt steh auf und überwinde deine Feigheit. Du weißt, was du tun musst - also tue es!« Mit schmalen Augen zerrte Morgana mich grob auf die Füße und schubste mich auf das Podest zu.

»Ihr habt eine lausige Art, Eure verwandtschaftliche Liebe zu bezeugen«, brummte ich, doch zumindest war es ihr gelungen, mich aus meiner Angst aufzurütteln. Auch wenn ich damit meinen Ruf in der Anderwelt auf ewig ruinierte, ich war sicher, dass ich dies tun musste. In dem neu erworbenen Wissen, dass die Spaltung den Feenhöfen aufgezwungen worden war, vertraute ich Großmutter Kojote im Augenblick wesentlich mehr als irgendjemandem zu Hause.

Die Kristalle, die aus der Decke und dem Boden ragten, begannen zu summen, als ich den Kelch von Morgana entgegennahm. Das Gebräu strudelte darin im Kreis herum, dunkel und kräftig und mit einem Duft, in dem ich mindestens ein Dutzend verschiedene Kräuter erkannte. Die Mischung blubberte sacht, und ich konnte mein eigenes Blut darin riechen, vermengt mit dem Lebenssaft aus Titanias und Morganas Adern. Ich warf Menolly einen raschen Blick zu, doch sie hielt sich sehr gut, obwohl sie das vergossene Blut riechen musste.

Ich holte tief Luft, hob den Kelch an die Lippen und hoffte, dass der Inhalt mich nicht umbringen würde. Ein Schluck, und der Geschmack von bittersüßem Met rann durch meine Kehle. Honig und gegorene Hefe und süßer Apfel. Blut und Beifuß und Cannabis. Und ... ein Hauch von Pilzen im Hintergrund.

Während mir die Flüssigkeit die Kehle hinabrann, begann ein eisiges Feuer in meinem Magen zu flackern, das rasch ausstrahlte - kleine Speere aus Schmerz und Genuss schössen durch meine Adern und leckten an meinen Zehen, bebten in meinem Herzen und verbreiteten sich durch meinen ganzen Körper wie ein Schmetterling, der zum ersten Mal die Flügel entfaltete.

Ich blickte auf und sah ein schimmerndes Netz zwischen Titania, Morgana und mir selbst. Es bestand aus Tausenden Tröpfchen Energie, und ich begriff, dass wir unsere eigene Version des Ionysischen Meeres geschaffen hatten, um die Schluchten zwischen unseren verschiedenen Kräften zu überbrücken. Ich konnte sie fühlen: Titania war erleichtert, endlich wieder sie selbst zu sein. Sie war wütend auf Morgana, würde aber im Interesse des großen Ganzen mit ihr zusammenarbeiten. Morgana war gierig, hungerte danach, ihre Macht zu mehren, doch ihre Absichten waren klar und deutlich, und ich fand keinerlei Sympathie mit den Dämonen in ihrer Seele.

Machtgierig mochte sie sein, aber sie würde uns nicht dem Feind ausliefern.

»Schau dir das an! Seht ihr das?« Chases Flüstern durchbrach die Stille, und wir alle drei drehten uns um und starrten ihn an - eine Warnung, still zu sein. Chases Augen weiteten sich, und er wich einen Schritt zurück, doch Smoky legte dem Detective eine Hand auf die Schulter, und er blieb stehen.

Ich blickte Smoky in die Augen, und sein Mundwinkel zuckte. Er sagte nichts, spitzte aber die Lippen und warf mir einen völlig respektlosen Kuss zu. Ein Halo reiner Energie umgab ihn. Nebel wallte vom Saum seines Trenchcoats auf, und in diesem Nebel konnte ich die Drachenenergie sehen, die sich rankte und wand und nur auf mich wartete.

Mein Blick glitt weiter, von Smoky über Morio zu meinen Schwestern, und ich sah bei jedem von ihnen, wie ihre Seelenkräfte ihre körperliche Gestalt einhüllten. Und ich erkannte, dass ich sie alle liebte. Jeden auf andere Art, aber ich liebte sogar Chase, der von einer kleinen, rosigen Aura umgeben war; sie sagte mir, dass er irgendeine besondere Kraft besaß, von der er selbst noch nichts wusste. Menschlich, ja, und doch - er war schlafendes Potenzial.

»Bist du bereit?«, fragte Titania.

Ich wandte mich wieder der Feenkönigin a.D. zu. »Lasst mich das Horn vorbereiten.«

Sie nickte.

Ich tastete in meinem Umhang nach dem Horn des Schwarzen Einhorns, und als ich es berührte, flammten plötzlich Angst und Schmerz in mir auf. Feddrah-Dahns! Ich fuhr zu den anderen herum. »Feddrah-Dahns ist da draußen, und er steckt in Schwierigkeiten. Geht und helft ihm, schnell! Ich muss hierbleiben, aber sucht nach ihm, bitte. Die Dämonen sind in der Nähe.«

Smoky ging mit wehendem weißem Trenchcoat voran, gefolgt von Menolly und Delilah. Morio warf mir einen Blick zu, hin- und hergerissen, und sagte dann zu Chase: »Du bleibst hier. Gegen die Dämonen und die Irrlichter da draußen im Dunkeln hast du keine Chance.«

»Er hat recht, Chase«, sagte ich. »Bleib, wo du bist, und halte dich bereit, falls jemand die Höhle zu stürmen versucht.«

Chase stieß einen tiefen Seufzer aus, nickte mir aber zu, während er den anderen nachsah, die in die Nacht hinausrannten. Er zückte sein Nunchaku und postierte sich kampfbereit am Eingang.

Ich ergriff das Horn. Uns blieb nicht mehr viel Zeit. Keine Zeit mehr zum Abwägen, für Sorgen oder Zweifel. Als meine Hand den Kristallstab umschloss, versetzte ich mich in sein Innerstes und suchte den Raum mit den Spiegeln. Eine Sekunde, zwei...

und ich stand in der Mitte, und alle vier Elementare warteten schon auf mich. Auch Eriskel war da und beobachtete mich aufmerksam.

»Ich brauche euch alle vier. Ihr müsst mir helfen und meine Kraft verstärken«, sagte ich. »Ich werde gleich einen unglaublich starken und uralten Zauber brechen, den Elementarfürsten gewirkt haben. Ich brauche die Macht, die Banne und Barrieren zu durchbrechen.«

Sie verneigten sich wortlos, und ich spürte, wie ihre Energie durch mich hindurchströmte. Es fühlte sich ungefähr so an, als wäre ich an vier verschiedene Steckdosen gleichzeitig angeschlossen.

Ich versetzte mich wieder aus dem Horn zurück in meinen Körper, und zu meiner Überraschung verdichteten nun zahlreiche farbige Perlen das Netz aus Energie, das mich mit Morgana und Titania verband. Erdmana, Wasserenergie, die Kraft der Luft, die Lanzen des Feuers - all diese Energie strömte direkt in mich hinein.

Stumm reichte Titania mir das Schwert. Ich starrte auf das Geistsiegel hinab.

Der Amethyst war in einen Anhänger gefasst, der wiederum an dem Heft befestigt war, und das Licht tanzte und glitzerte in dem Edelstein wie an einer durchtrennten Stromleitung. Das Siegel war lebendig, es wusste, dass ich hier war, und es war bereit zum Einsatz. Eine Sekunde lang war ich versucht, seine Kraft anzuzapfen und das Siegel meinem eigenen Willen zu unterwerfen, es mir ganz anzueignen. Dann siegte die Vernunft, und ich wandte meine Aufmerksamkeit der Kristallsäule zu, in der Aeval so viele Jahrtausende lang eingesperrt gewesen war.

Ich hob das Schwert und konzentrierte mich auf das kristallene Grab. Ein Schwung, und es krachte. »Erwache!«

Ein lautes Summen erfüllte die Luft. Ich holte aus und schlug noch einmal zu.

»Zerspringe!« Wieder prallten Silber und Stahl auf Kristall, und die Höhle begann zu beben, als ein lautes Klirren die Luft zerriss.

»Aller guten Dinge sind drei!« Wieder ließ ich das Schwert gegen den Kristall sausen.

Eine kurze Pause entstand, ein Augenblick gedämpfter Stille, und dann zersprang der Kristall. Quarzsplitter schössen durch die Gegend wie aus einem Maschinengewehr abgefeuert. Ich sah gebannt zu, wie sich ein Riss durch die riesige Quarznadel zog, sich spinnwebartig ausbreitete, und dann explodierte der restliche Kristall mit einem donnernden Krachen.

Plötzlich heulte ein scharfer Wind durch die Höhle. Ich ließ das Schwert los und fiel auf die Knie. Titania und Morgana riss es von den Füßen, als die Druckwelle zu uns zurückgeworfen wurde. Die Schockwellen hämmerten gegen meinen Körper wie eine Reihe harter Schläge. Ich hob den Kopf. Meine Rippen schmerzten fürchterlich.

Um Aeval herum bildete sich ein Strudel aus Atem, Leben und Magie. Neblige Finger berührten ihre Lippen, teilten sie und schoben sich in ihren Mund. Ihr Körper zuckte krampfhaft, als sie den Nebel in die Lunge einsog und ihn trank wie ein urtümliches Elixier. Und dann flatterten Aevals Lider, und sie öffnete die Augen - sie hatten die Farbe von Schnee und Eis. In einem Gewand so tiefblau wie der Nachthimmel entstieg sie den Überresten des Kristalls wie eine Ballerina beim Spitzentanz.

Groß war sie und gefährlich schön. Ihre Lippen verzogen sich zu einem leicht spöttischen Grinsen, während sie sich umschaute. Ihr Blick fiel auf Titania, und sie stieß ein leises, melodiöses Lachen aus.

»Nun, so bin ich also wieder frei. Und du ebenfalls. Ich nehme an, wir haben den Krieg nicht gewonnen.« Sie sah mich an. »Und wer bist du? Fee und doch ...« Sie rümpfte die Nase. »Ein Halbblut. Und von keiner Art der Feen, die mir je begegnet wäre.«

Titania war augenblicklich wieder auf den Füßen, und Morgana ebenfalls. »Aeval, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen die Höfe wiedererwecken. Das Gleichgewicht ist in Gefahr.«

Morgana sah aus, als sei ihr die Situation unbehaglich. »Und was wird aus mir? Ich war bereit ...«

»Psst ...« Aeval strich sich mit der Hand über die Lippen und sah dabei Morgana an, die prompt verstummte.

Ich betrachtete meine Cousine. Sie schwieg nicht deshalb, weil Aeval sie darum gebeten hatte. Nein, Aeval hatte sie mit einem Bann belegt, der Morgana augenblicklich zum Schweigen gebracht hatte. Während ich die Dunkle Königin beobachtete, erkannte ich, dass ihre Kräfte keineswegs vermindert waren - nur unverändert in der Zeit erstarrt. Sie war eine absolut tödliche Frau. Ich wich zurück, als sie den Blick auf mich richtete.

»Du hast mir mein Leben zurückgegeben. Ich schulde dir eine Gefälligkeit, Halbblut.

Es wäre klug von dir, sie dir für später aufzuheben. Eines Tages könnte sie dir das Leben retten.«

Mein Magen rebellierte.

Wenn ich Magentabletten dabeigehabt hätte, dann hätte ich die ganze Packung auf einmal geleert. Aeval war beängstigend und durchgeknallt.

Titania schob sich rasch zwischen uns beide. »Wir haben viel zu besprechen, meine Schwester. Und das schließt auch die Zauberin Morgana ein. Sie mag keine reinblütige Fee sein, aber sie hat mit der Arbeit begonnen, die Höfe wiederauferstehen zu lassen, und ich lasse nicht zu, dass du sie tötest. Während all der Zeit, da du eingesperrt warst und ich verschmachtete, hat sie die Erinnerung an uns lebendig gehalten.«

Aeval überdachte Titanias Worte und nickte. »Also schön. Gehen wir. Ich will endlich aus dieser verfluchten Höhle heraus.«

Titania wandte sich mir zu. Sie deutete auf das Schwert und befahl mir mit einem Blick, weiterhin zu schweigen. »Das kannst du haben - und das, was daran hängt. Tu damit, was du willst. Wir sehen uns bald wieder.« Damit legte sie Morgana einen Arm um die Schultern, und alle drei verschwammen in dem dichten Nebel, der sie schließlich verschluckte.

Ich starrte den geborstenen Kristall an, das Schwert und dann Chase, der sich hinter einen Felsen geduckt hatte. Jetzt sprang er auf und eilte zu mir herüber.

»Alles in Ordnung, Camille? Brauchst du Hilfe?« Er reichte mir die Hand, und ich stand langsam auf und überprüfte, ob ich irgendwo Schaden genommen hatte. Die Macht des Horns begann zu erlahmen; nach dieser Kraftanstrengung würde es sich erst wieder aufladen müssen. Und bis zum dunklen Mond würde es noch fast einen Monat dauern. Die Magie, die in meine Hände geströmt war, als ich den Kristall zerschmetterte, hatte mich innerlich verbrannt. Die Energie von vier Elementaren und zusätzlich jene einer Feenkönigin und einer mächtigen Zauberin durch meinen Körper zu leiten, hatte mich versengt, und jeder meiner Nerven lag blank und brannte.

Ich wollte ihm gerade antworten, als ein Geräusch vom Höhleneingang her uns erschreckte. Während ich mich bemühte, die letzten Kräfte zu sammeln, platzte eine Gestalt in die Höhle. Chase sprang mit erhobenem Nunchaku vor mich, ließ es aber sinken, als der Mann ins Licht trat.

Benjamin Welter stand vor uns, einen irren Ausdruck in den Augen. »Helft mir«, flehte er. »Die Dämonen sind hinter mir her. Und sie wollen den Edelstein!«