Kapitel 22

 

Unsere Auffahrt war lang und wand sich durch ein Wäldchen aus Erlen und Tannen.

Als ich über die Grundstücksgrenze fuhr, fühlte ich, wie die Banne Alarm kreischten. Sie waren gebrochen worden. Jemand war hier gewesen, den wir nicht eingeladen hatten und der vermutlich nichts Gutes im Schilde führte.

Ich schaltete auf Parken, ließ den Motor laufen und sprang aus dem Wagen, um nach den Bannkreisen zu sehen, die die Einfahrt auf das Grundstück bewachten.

Langsam näherte ich mich der Grenzlinie, die von zwei Baumstümpfen mit je einem Kreis aus Quarzspitzen markiert wurde.

Irgendeine gewaltige Macht war hier durchgebrochen. Das konnten nicht nur der Goblin und die Humberfee gewesen sein. Die wären nie stark genug dazu gewesen, selbst wenn einer von ihnen ein Schamane sein sollte. Nein, ein schwacher Geruch nach Dämon hing noch in der Luft.

Ich rannte zurück zum Auto und sprang hinein. »Die Banne sind gebrochen. Die Dämonen waren hier. Der Geruch ist schwach, also ist schon einige Zeit vergangen.

Ich hoffe nur, dass sie nicht erst gekommen sind, nachdem Iris uns angerufen Morios Miene verfinsterte sich, und seine Augen leuchteten. »Womöglich sind sie noch hier. Wir sollten uns lieber bereitmachen, nur für alle Fälle.

»O ihr Götter, Chase. Moment.« Wieder sprang ich heraus und lief zurück zu Chases Ford Taurus, seinem Undercover-hatte.«

Dienstwagen. Ich hämmerte ans Fenster, und er ließ es herunter.

»Was? Was ist los? Ich habe gesehen, wie du dir die Baumstümpfe da hinten angesehen hast. Was ist denn?«

»Dämonen waren auf unserem Land. Vielleicht sind sie noch da. Du musst vorsichtig sein. Wenn wir das Haus erreichen, bleib im Wagen und lass die Türen verriegelt, bis wir uns vergewissert haben, dass sie sich nicht drinnen verstecken.«

»Dämonen? Delilah und Maggie! Schnell!« Er schloss das Fenster, und ich lief wieder zu meinem Auto und sprang hinein. Es würde schwierig werden, dafür zu sorgen, dass er im Auto blieb, weil er sich um meine Schwester sorgte. Ich trat aufs Gaspedal und legte den Rest der Auffahrt mit zittrigen siebzig Sachen zurück - schneller wagte ich nicht zu fahren, wegen der Schlaglöcher und Kurven.

Als das Haus in Sicht kam, schaltete ich den Motor aus und sah mich um. Es war nirgends ein Anzeichen von Gewalt oder Zerstörung zu sehen. Alles wirkte so friedlich wie immer. Doch wenn das Einhorn Iris zufolge verschwunden war, konnte es gut sein, dass die Dämonen Feddrah-Dahns und den Pixie entführt hatten. Aber warum sollten sie sich dann nicht auch das Haus vornehmen?

Vorsichtig stieg ich aus dem Auto, hielt inne und lauschte. Chase sprang aus seinem Taurus, und ich fuhr zu ihm herum. »Setz dich sofort wieder in dieses Auto und verriegle die Türen. Ich kann es mir nicht leisten, auch noch deinen Arsch retten zu müssen, wenn die Dämonen wirklich da drin sind. Sieh es ein, Chase, im Moment wärst du nur eine Belastung. Gegen Goblins zu kämpfen ist eine Sache. Dämonen sind ein ganz anderes Kaliber.«

Er zog ein unwilliges Gesicht, doch er gehorchte. Morio und ich schlichen uns zum Küchenfenster, er stemmte mich hoch, und ich spähte nach drinnen. Iris und Delilah brüteten am Küchentisch über einer Landkarte. Maggie saß in ihrem Laufstall, und alles schien zum Besten zu stehen. Stirnrunzelnd bedeutete ich Morio, mich wieder herunterzulassen.

»Sieht gut aus«, flüsterte ich. »Ich gehe hinten rum. Bleib du hier.«

Ich schlich mich hinters Haus und stieg leise die Stufen zur hinteren Veranda hoch.

Als ich die Verandatür öffnete, quietschte sie, und sogleich steckte Iris den Kopf durch die Hintertür.

»Camille? Was schleichst du denn da hintenherum?« Sie sah mich erstaunt an.

Ich runzelte die Stirn. »Ist da drin alles in Ordnung? Nichts Ungewöhnliches ?«

»Alles bestens, bis auf die Tatsache, dass Feddrah-Dahns und Mistelzweig verschwunden sind. Was ist denn nur in dich gefahren, Mädchen? Du bist ja so bleich wie Menolly.« Iris wollte mich nach drinnen schieben, doch ich zögerte.

»Ich komme vorn rein. Schließ bitte die Hintertür und die Veranda ab, ehe du wieder in die Küche gehst. Ich erkläre dir gleich, warum.« Klappernd lief ich die Stufen hinunter und um das Haus herum. Morio wartete vorn auf mich. »Du musst sie mit einem Desillusionierungszauber belegen, damit wir sicher sein können, dass die beiden da drin nicht der Räksasa und sein Kumpel sind. Kannst du das von hier aus?«

Morio runzelte die Stirn. »Das wäre sehr schwierig. Gehen wir rein, und ich halte einen Spruch bereit. Wenn sie wirklich Dämonen sind ...«

»Dann sind wir am Arsch. Bereit?« Ich atmete tief ein und sammelte Energie aus der Luft und aus dem Himmel, um eine Barriere zu errichten. Dann holte ich das Einhorn-Horn hervor. »Herrin der Flammen«, flüsterte ich und fühlte sogleich, wie sie sich in dem Kristallstab regte. »Haltet Euch bereit, meine Barriere zu verstärken.« Und zu meiner Überraschung hörte ich eine leise Stimme flüstern: »Ich bin bereit, Lady Camille.«

»Gehen wir«, sagte ich und marschierte durch die Haustür.

Morio war mir dicht auf den Fersen, und in dem Moment, als wir in die Küche platzten, hob er beide Hände. »Zeig dich!« Ein Lichtblitz zuckte grell durch den Raum, und Delilah und Iris schrien auf und bedeckten ihre Augen. Als das flackernde Licht erstarb, spähten sie vorsichtig hinter den vorgehaltenen Händen zu uns herüber.

»Was zum Teufel soll denn das, verdammt?« Iris fluchte so gut wie nie, und solche Kraftausdrücke von ihr zu hören, war eine Überraschung - aber eine willkommene, denn immerhin hatte sie sich nicht in irgendeine Art Dämon verwandelt.

»Ihr seid es. Ihr seid es wirklich«, seufzte ich und ließ mich erleichtert auf einen Stuhl sinken. »Wir müssen das Haus durchsuchen. Sofort.«

»Wovon sprichst du eigentlich?«, fragte Delilah mit zusammengekniffenen Augen. Da sie zum Teil eine Katze war, brauchten ihre Augen länger, um sich von so etwas zu er-holen.

»Dämonen«, krächzte ich, ohne das Horn aus der Hand zu legen. »Dämonen haben die Banne durchbrochen - sie waren auf unserem Land. Wir dachten, der Raksäsa wäre vielleicht noch hier ... dass ihr beide ...«

»Dass wir eine seiner Illusionen sein könnten«, sagte Iris leise. »Jetzt verstehe ich. Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, die Banne zu überprüfen, als ich nach Feddrah-Dahns gesucht habe. Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Verdammt, wie konnte ich nur so dumm sein?«

»Ich auch«, sagte Delilah. »Ich konnte nur noch daran denken, wohin die beiden wohl verschwunden sein könnten. Und dann habe ich mich gefragt, ob sie vielleicht von einem Rudel verwilderter Hunde verjagt wurden oder so.«

»Viel schlimmer als verwilderte Hunde«, sagte ich. »Hast du unten am Birkensee Dämonenenergie gerochen?«

Delilah zuckte beschämt mit den Schultern. »Ich habe es nicht mal versucht.«

»Morio und ich gehen sofort dahin. Hol du Chase rein und das Abendessen aus meinem Kofferraum. Der Arme macht sich vor lauter Angst um dich vermutlich schon in die Hose. Iris, kommst du mit und zeigst uns, wo du das Blut gefunden hast?«

Während Delilah und Chase das Haus durchsuchten, führte Iris Morio und mich zum Birkensee. Der Pfad durch den Wald kam mir dunkler vor als sonst, aber die Vögel sangen, und wir sahen ein Eichhörnchen einen Baum hinaufhuschen. Ein gutes Zeichen. Wenn die Dämonen immer noch im Wald herumgeschlichen wären, hätten die Tiere sich still verhalten.

Unterwegs erzählte Iris mir, was passiert war. »Feddrah-Dahns und Mistelzweig waren hier unten am Teich. Feddrah-Dahns wird klaustrophobisch, wenn er sich zu lange in der Nähe von Gebäuden aufhält. Als die beiden zum Mittagessen nicht zurückgekommen sind, habe ich mir Sorgen gemacht. Dann ist Delilah nach Hause gekommen - sie und Chase sind übrigens sehr fit, wenn man bedenkt, dass sie heute vergiftet wurden. Delilah und ich sind zusammen hier heruntergegangen, um die beiden zu holen.«

»Na, immerhin. Ich wollte Chase vorhin schon fragen, wie es ihm geht, aber die Ereignisse überschlagen sich ja nur so, dass ich gar nicht mehr weiß, wo ich gerade bin.«

Ich war müde. Zu Tode erschöpft. Ich wollte nur noch ins Bett und eine Woche lang schlafen, aber ich hatte das Gefühl, dass es noch lange dauern würde, bis ich mir diesen Luxus würde erlauben können.

Wir gingen um die letzte Biegung des Pfads und kamen in der Nähe des Teichs heraus. Der Birkensee, mitten auf einer Lichtung im Wald, war von einem Kreis aus Zedern und Tannen umgeben. Er lag auf unserem Grundstück und war für uns zu einem Stückchen Heimat geworden, denn er erinnerte uns an den Y'Leveshan-See zu Hause in Y'Elestrial, obwohl er natürlich viel kleiner war. Blaubeeren und Farne wuchsen dicht am Ufer, und an der Seite war ein kleiner grasbewachsener Hügel, wo wir gern picknickten. Wir hatten uns angewöhnt, unsere Rituale hier abzuhalten, und wenn ich allein mit der Mondmutter sprechen wollte, wanderte ich in ihrem Licht den gewundenen Pfad entlang und setzte mich an das dunkle Wasser, das in einem ovalen Krater glitzerte.

Iris blickte zu mir auf. Sie sagte nichts, nahm aber meine Hand in ihre und drücke sie sacht. Ich lächelte ihr zu und fragte mich, wie wir je ohne sie zurechtgekommen waren. Sie gehörte ebenso sehr zur Familie wie unsere Tanten, sogar mehr noch als die meisten von ihnen.

»Hier«, sagte sie und blieb unter einem Ahorn stehen, der über der Lichtung aufragte.

Ich blickte zu den Zweigen mit ihren vielen Blattknospen auf. Hier war nichts Ungewöhnliches. Aber unterhalb des Baums, in der Nähe des Stamms, war das Moos auf dem Boden eingedrückt, als hätte hier ein schwerer Körper gelegen. Ein Pferd ...

oder ein Einhorn. Vorsichtig rückte ich dorthin vor, Morio dicht hinter mir.

Wir starrten auf den Boden, und nun fielen mir dunkle Flecken auf, die nach Blut aussahen. Ich atmete kräftig ein und hielt die Gerüche fest. Der Duft wilder Wiesen, frisch und voller Shagablumen, überwältigte mich beinahe. Feddrah-Dahns, der Kronprinz ... sein leicht moschusartiger Eigengeruch war mit Erinnerungen an unsere Heimat durchsetzt. Und Pixie-Pulver. Das Kribbeln von Pixie-Magie mischte sich in den Duft des Einhorns. Dann eine Kopfnote: der metallische Geruch von Blut. Als ich noch tiefer in die energetischen Gerüche vor-drang, roch ich es - schwach, aber deutlich. Orange, Jasmin und Vanillezucker, ekelhaft süßlich und überreif.

»Karvanak war hier«, sagte ich und richtete mich auf. »Der Räksasa war hier. Ich merke nichts von der Dschinniya oder dem anderen Dämon, was immer das für einer sein mag.«

»O nein. Nein, nein.« Iris wurde bleich und sank zu Boden, um sich das Blut näher anzusehen. »Glaubst du ...«

»Dass er Feddrah-Dahns getötet hat? Ich weiß es nicht, aber ich sehe keine Hinweise auf einen Kampf. Und Feddrah-Dahns kann kämpfen, glaube mir. Das habe ich selbst gesehen.« Ich starrte auf den Teich hinaus und wünschte, es würde sich eine Vision dessen entfalten, was hier passiert war. Aber ich besaß nicht die Gabe der Nachschau - die Fähigkeit zu sehen, was bereits geschehen war.

»Vielleicht konnten Feddrah-Dahns und Mistelzweig entkommen«, sagte Morio. »Wie du selbst sagst, gibt es keine Anzeichen eines Kampfs, und wir wissen, dass das Einhorn nicht freiwillig mit Dämonen davonspazieren würde.«

Iris stand auf. »Ich habe etwas gefunden«, sagte sie und streckte die offene Hand aus.

Auf ihrer zarten Haut lag ein kleines Stück Stoff. Es war weiß und von irgendeinem Gewand abgerissen worden.

Langsam griff ich danach und schloss die Augen. Dieser Stoff fühlte sich vertraut an, sowohl vom Gefühl auf meiner Haut als auch von der Energie her.

Es war schwer von Magie durchdrungen, wie in Macht getunkt. Ich lächelte. »Ich weiß, wo sie hin sind. Zumindest bin ich ziemlich sicher.«

»Wo?« Morio beugte sich vor und betrachtete den Stofffetzen.

»Bei Smoky. Das hier stammt von Smokys Kleidung. Ich wette mit dir, dass Feddrah-Dahns irgendwie Verbindung zu Smoky aufgenommen und ihn um Hilfe gebeten hat.

Ob Smoky die Dämonen abgewehrt oder Feddrah-Dahns und Mistelzweig in Sicherheit gebracht hat, ehe die Dämonen sie noch schwerer verletzen konnten, weiß ich nicht. Aber das hier stammt von Smokys Kleidung. Ich kenne die Energie meiner Liebhaber.«

Iris stieß den angehaltenen Atem aus. »Warum hat er dann nicht angerufen?«

»Weil Smoky kein Telefon hat. Weil Smoky tut, was er will und wann er es für richtig hält. Gehen wir zurück ins Haus. Wenn ich nicht sofort etwas esse, wird mir schlecht.

Dann fahre ich raus zu Smoky und finde heraus, was hier passiert ist.«

Morio legte mir den Arm um die Taille, als wir uns umdrehten und zum Haus zurückkehrten. »Wir müssen die Banne wieder aufbauen und sie zusätzlich verstärken.

Wir brauchen stärkere Banne und Zauber. Die Dämonen sind problemlos durchgebrochen.«

»Ja, das sind sie. Wir brauchen so vieles. Und die Zeit, all das zu besorgen, ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können.« Ich starrte in den Himmel, an dem sich die Abenddämmerung abzuzeichnen begann. Bald würden die Sterne erscheinen, und die Luft wurde feucht und kühl. Wolken nahten. Regen war auf dem Weg hierher.

Im Haus warteten Delilah und Chase nervös auf uns. Sie hatten alle Räume durchsucht und nichts gefunden, aber ich vermutete, dass keiner von uns sich so recht sicher fühlte.

Delilah hatte das Essen ausgepackt. Ich ließ mich auf einen Stuhl sinken, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Morio trat hinter mich und massierte mir die Schläfen.

»Danke«, flüsterte ich. Jeder Ruck, Schlag, Kratzer und alarmierte Nerv dieser höllischen letzten Tage hatte sich in meinen Muskeln festgesetzt, und ich konnte kaum mehr die Augen offen halten. Sogar die angenehmen Stunden - vor allem mit Smoky - hatten zu meiner Überlastung beigetragen.

»Du siehst fertig aus«, bemerkte Delilah.

Ich nickte und öffnete die Augen einen Spalt weit, um sie zu mustern. »Du scheinst mir auch nicht die Frischeste zu sein. Und du bist immer noch ein bisschen grün im Gesicht.«

»Das liegt an dem Tetsa-Gift. Es färbt die Haut für ein, zwei Tage, selbst dann, wenn das Gegengift wirkt.« Sie beugte sich vor und stützte das Kinn auf die Handflächen.

»Nicht zu fassen, dass auf einmal alles so durcheinandergeht. Übrigens, Zach und vier seiner Freunde sind inzwischen in den unterirdischen Gängen unterwegs. Smoky hat das Portal gefunden, und als er vorhin schnell hier vorbeigeschaut hat, meinte er, dass es direkt nach Guilyoton führt.«

»Mist.« Ich nahm die eiskalte Flasche Wasser, die Morio mir reichte, und trank sie halb leer. Guilyoton war die Goblinstadt im gleichnamigen Wald, der in den dunklen Gegenden um Finstrinwyrd lag. Die Goblins von Guilyoton waren viel unabhängiger als ihre schwachen Cousins, die auf Lethesanars Seite kämpften.

»Moment mal. Smoky war hier bei euch?« Das würde einiges erklären. »Hat er vielleicht erwähnt, dass er auch noch bei Feddrah-Dahns vorbeischauen wollte, ehe er geht?«

Iris nickte. »Ja, hat er. Und ... ich verstehe. Er hat Feddrah-Dahns vermutlich mitgenommen, nachdem er das Haus verlassen hatte.«

»Was? Er ist derjenige, der Feddrah-Dahns mitgenommen hat? Er hat ihm doch aber nichts getan, oder?« Delilah blickte verwirrt drein.

»Nein. Im Gegenteil, vermutlich hat er Feddrah-Dahns das Leben gerettet. Was hat Smoky denn sonst noch gesagt?«

»Dass er heute Abend vielleicht wiederkommen würde. Anscheinend hat er eine Art Barriere vor das Portal im Underground Seattle errichtet, aber er glaubt, sie würde nicht lange halten, wenn die Goblins erst ihre Schamanen holen, damit sie sie brechen.«

Sie sprang auf und half Morio, das Essen aufzutragen. Sie häuften alles in der Mitte des Tischs auf, während Iris Maggie mit ihrer Sahne-Salbei-Mischung fütterte.

Ich ließ mir das Essen schmecken, sobald es auf dem Tisch stand. Mein Magen verlangte energisch nach Nahrung, und ich schlug richtig zu und wünschte nur, ich hätte auch an Softdrinks und Obstsalat gedacht. Auch Delilah aß, als sei sie halb verhungert. Ja, es war offensichtlich, dass es morgen kein Resteessen geben würde.

Als die letzten Sonnenstrahlen über dem Haus erloschen, schob ich meinen Teller zurück und sprang auf. »Chase und Morio, ab ins Wohnzimmer - sofort.«

Chase warf einen Blick auf die Uhr. »Zeit, dass sie aufwacht, was? Weißt du, irgendwann werden wir den Eingang zu ihrem Unterschlupf ja doch sehen. Er muss irgendwo in der Küche sein. Vertraust du uns immer noch nicht genug, dass wir ihn sehen dürften?«

Ich schüttelte den Kopf. »Euretwegen machen wir uns keine Gedanken.« Als er mich verständnislos ansah, fügte ich sanft hinzu: »Denk nach, Chase. Stell dir vor, du fällst einem der Dämonen in die Hände. Oder jemandem vom Elwing-Blutclan. Vielleicht einem von den Vampiren, die nach dem Kampf gegen Dredge hier zurückgeblieben sind. Jemandem, der es vielleicht auf Menolly abgesehen hat. Was glaubst du, wie lange du schweigen kannst, wenn du gefoltert wirst...« Chase wurde blass und schauderte.

»Ja, das klingt übel, aber es könnte durchaus passieren, und das weißt du selbst.«

»Du hättest das wirklich taktvoller ...«, begann Delilah, doch ich schnitt ihr das Wort ab.

»Ich habe nicht die Absicht, unter uns weiterhin alles mit Zuckerguss zu garnieren.

Wir können es uns nicht mehr leisten, solche Möglichkeiten zu ignorieren. Wie gesagt, was glaubst du, wie lange Chase durchhalten würde, ehe er ihnen sagt, wo der Eingang zu ihrem Unterschlupf ist?«

Ich wandte mich ihm zu. »Du glaubst zu wissen, er sei in der Küche, aber da sind noch der Flur und einige Zimmer dahinter. Du weißt gar nicht so viel, wie du glaubst, und ich sage dir, darüber kannst du froh sein.«

Als mir die Worte ausgingen, merkte ich, dass alle mich anstarrten. »Was ist? Wir sind im Krieg, und es geht nicht nur um unser eigenes Leben, sondern um zwei ganze Welten. Und seht uns doch nur an! Morgana hatte völlig recht, als sie mir gesagt hat, dass wir mehr Verbündete brauchen. Ihr können wir vermutlich auch nicht trauen, aber zumindest hat sie offen die Wahrheit ausgesprochen. Wir müssen genauso schonungslos mit uns selbst sein. Wenn Sterbliche schon von Dämonen träumen, die die Welt zerstören, und Räksasas ganz unverhohlen hier mitten in der Stadt leben - dann ist das Problem noch viel größer, als wir befürchtet haben.«

Ich merkte, dass ich mich in Rage geredet hatte, und setzte mich abrupt wieder hin.

»Entschuldigt bitte ... tut mir leid ... Ich bin nur ... Chase und Morio - ins Wohnzimmer, bitte. Wir können gleich zu Ende essen.« Als die beiden Männer hinausgingen, legte ich die Stirn auf den Tisch.

Delilah trat hinter mich und schlang die Arme um meine Schultern. »Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Das geht uns allen so. Und du hast recht. Wir müssen aufrichtig zu uns selbst sein, sonst machen wir Fehler. Aber du bist müde. Du darfst nicht zulassen, dass unsere schlimme Lage dir sämtliche Hoffnung raubt...«

»Was raubt wem die Hoffnung?« Menolly schob das Regal vor, hinter dem der Eingang zu ihrem Keller versteckt war, schlüpfte heraus, schloss die Tür und ließ das Regal davor einrasten. »Ich dachte schon, die beiden Ochsen würden nie gehen. Ich stehe schon seit fünf Minuten da drin.«

Sie blies Delilah und mir eine Kusshand zu und blieb kurz stehen, um mit den Fingerspitzen leicht Iris' Schulter zu drücken. Menolly war keine von denen, die den Leuten um den Hals fielen. Die meisten Vampire hatten ein Problem damit, Gefühle körperlich auszudrücken.

Während Iris die Männer wieder an den Tisch holte, goss Menolly sich einen Kelch Lammblut ein. Wir hatten immer etwas Blut für sie im Haus, das von einem Biohof außerhalb von Seattle stammte. Sie hoben es für sie auf, wenn sie schlachteten, und wir hatten inzwischen eine Tiefkühltruhe voll davon. Es schmeckte nicht besonders gut, und Menolly beklagte sich oft, aber im Notfall genügte es. Morio arbeitete an einem Zauber, der den Geschmack so veränderte, dass er den Sachen ähnelte, die sie im Leben gern gegessen hatte, und es sah ganz vielversprechend aus.

Als wir alle wieder um den Tisch versammelt waren, bat Chase: »Könnt ihr Menolly die ganze Geschichte mit den Goblins und Dämonen erzählen, wenn ich weg bin? Ich will erst hören, was ihr heute in der Anstalt herausgefunden habt. Dann muss ich wieder ins Büro. Ich komme sowieso schon sicher nicht vor zwei, drei Uhr heute Nacht ins Bett.«

»Kein Problem«, sagte ich. »Um es kurz zu machen, wir wissen, wo wir nach dem dritten Geistsiegel suchen müssen. Aber das wird nicht leicht.«

Morio und ich berichteten, was Benjamin uns erzählt hatte. Als wir fertig waren, sprang Delilah auf, ein Hühnerbein in der einen, einen Keks in der anderen Hand, und ging auf und ab.

»Du glaubst also, die Frau in dem Kristall könnte tatsächlich Aeval sein, die Dunkle Königin? Was passiert denn, wenn jemand dieses Schwert benutzt? Meinst du, dann wacht sie auf? Und hat sie es dorthin gelegt oder jemand anders?«

Ich zuckte mit den Schultern und biss in einen Hähnchenschenkel. Ich hatte immer noch Hunger und wünschte nun, ich hätte einen noch größeren Eimer Hähnchenteile gekauft. Iris holte einen halben gekochten Schinken und eine Schüssel Obstsalat aus dem Kühlschrank und stellte beides auf den Tisch. Ich lächelte ihr dankbar zu.

»Du kannst wohl Gedanken lesen«, sagte ich und schnitt mir eine dicke Scheibe Schinken ab. Dann wandte ich mich wieder Delilah zu. »Ich habe keine Ahnung. Aber wir werden es herausfinden, das garantiere ich dir. Auf keinen Fall werde ich zulassen, dass irgendjemand anders das Geistsiegel zuerst in die Finger bekommt.

Aber da ist noch etwas. Ich habe etwas gespürt, als wir da draußen in der Klinik waren. Bisher habe ich nicht einmal Morio erzählt, was ich vermute, und ich würde wetten, dass Benjamin keine Ahnung davon hat.«

»Keine Ahnung wovon?« Morio löffelte Obstsalat in Schalen und schob mir eine über den Tisch zu.

Ich lächelte ihn an. »Ich glaube, Benjamin Welter hat Feenblut.«