15
Ich bin nicht Tilly Krah.
Um herauszukriegen, wer man ist, ist Lauterstetten ein guter Ort. Paolo sieht das anders. Seit meiner Beendigung seiner senkrechtstartenden Karriere als Dealer und dem damit erlittenen Autoritätsverlust bei seinen haarlosen Freunden betreibt er verbissen Krafttraining. Er tänzelt herum, als wäre er stets in Bereitschaft, einem die Fresse zu polieren. Und während Kolja und ich über seine blöden Hanteln stolpern, entwickelt er einen wahren Brust-Geschenkkorb.
Selbstredend hab ich dem Chef nichts von Paolos Drogenverhandlung im Stall erzählt. Kolja auch nicht. Bei uns ist es seither merkbar stiller geworden. Mit mir spricht Paolo nämlich gar nicht mehr, er ignoriert mich total. Macht mir aber nichts. Auf seine Sprüche bin ich eh nicht scharf. Ich komm allein klar. Meinen Geburtstag hab ich im Kurbad in Bad Stockbach gefeiert und anschließend das Tagblatt besucht. Obwohl sie nicht wusste, dass es mein Geburtstag ist, hat sie einen Apfelkuchen gebacken. Einfach so, weil sie sich freut, wenn ich sie besuche. Das Tagblatt hält viel von mündlicher Überlieferung. Ich weiß, wann wer hergezogen ist. Ich kenne die alteingesessenen Familien und weiß, wer von denen überzeugte Nazis waren oder noch sind. Alle unehelich Geborenen samt den Umständen ihrer Herkunft und Geburt sind mir bekannt. Vom Tagblatt erfahre ich, mit welchem oder welchen Mädchen Kolja aktuell um die Häuser zieht.
»D’ Hanna hot er gern. Aber wenn’s Nacht wird, druckt er sich mit der Mia rum und noch später mit der Lea hinter der Schulmauer. Ein Herzensbrecher isch des.«
Am liebsten höre ich ihren besorgten Lobeshymnen bezüglich meines fast täglich praktizierten Trainings zu. Meine Laufklamotten sind immer im Rucksack. Nur, wenn ich für sie was aus der Stadt mitbringen soll, ziehe ich mich nicht im Rastkircher Bahnhof um, sondern fahr mit dem Bus zurück. Dafür kontrolliert sie die Oberstraße, die sie fast der ganzen Länge nach von ihrem Fenster aus im Blick hat. Maria Kindler ist meine zweiundachtzigjährige Freundin.
»Es isch viel zu warm, Tilly.« Noch nie war’s im Januar so warm. Besorgtes Kopfschütteln: »Glimakataschtrof.«
Ich ziehe mich zweimal um und dann noch ein drittes Mal, weil ich nicht wie zweimal umgezogen aussehen will, wenn gleich zum vierten Mal das Sonntagsessen beim Chef stattfindet.
»Was gibt’s?«, frage ich munter.
»Gulasch, Spätzle, Salat«, sagt der Chef kurz angebunden.
»Kann ich was helfen?«
»Kolja macht das schon.«
Er fragt nie, wie’s beim Vorbereitungskurs läuft oder wieso Paolo nicht mit mir spricht. Für ihn ist selbstverständlich, dass wir uns selbst um unseren Kram kümmern. Aber als ich ihn nach Büchern gefragt habe, stand am nächsten Tag oben auf dem Flur ein Regal voller Bücher neben meiner Zimmertür. Krimis, Biografien, Klassiker, Reisereportagen …
Hinter mir poltert es. Mit einem Bündel Feuerholz auf dem Arm steht Paolo hinter mir und starrt mich kalt an. Ich geh zur Seite und stehe prompt Kolja, der aufdeckt, im Weg.
Beklommen setze ich mich an den Tisch. Im Camp war unser Miteinander vergleichsweise einfach, obwohl wir viel weniger Platz hatten.
Kolja füllt die Gläser, der Chef die Teller. Wir essen.
Nach zwei schweigsamen Minuten sagt der Chef: »Voito Riski hat heute angerufen.«
»Die Biathlon-Meisterschaft ist doch erst in drei Wochen«, sage ich. »Was hat er denn erzählt?«
»Ingo Feist ist nicht tot.«
»Was?«
Ich bin aufgesprungen, merke es aber erst daran, dass mich Kolja an der Hand zurückzieht.
»Kommissar Mieto hat Voito gebeten, es uns zu sagen.«
Ich starre mein Gulasch an und verstehe gar nichts mehr.
»Sandras Mörder lebt noch?«, fragt Kolja ungläubig.
Und Paolo: »Gibt’s doch nicht! Der ist tagelang unterm Eis abgetrieben worden! Das soll der überlebt haben?«
»Es ist anders. Der Mörder von Sandra ist tot …«, sagt der Chef.
Doch Kolja fällt ihm ins Wort: »Und wer hat dann auf Tilly geschossen?«
»Der Mörder von Sandra hat auf Tilly geschossen. Das steht fest. Und auch, dass er tot ist, steht fest. Aber es ist nicht Ingo Feist.«
Tod, tot, Mörder, geschossen … Mir wird schwindelig.
»Wer denn dann?« Paolo brüllt fast.
»Das wissen sie nicht.«
»Und woher wissen sie dann, dass es nicht Ingo Feist ist?«, flüstere ich.
»Weil Ingo Feist in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main einsitzt. Er ist im Gefängnis«, seufzt der Chef. »Wir sollten essen. Es wird kalt.«
Keiner macht Anstalten. Ich kann gar nicht, ich zittere zu sehr. Paolo sieht es. Er nimmt meine linke Hand und hält sie fest. »Kippst du um?«
»Nein, nie wieder«, sage ich. Ich hab so eine Wut, dass ich fast keine Luft krieg, und schreie los: »Ich werde nie wieder in Ohnmacht fallen!« Ich mach mich von ihm los und renne raus, nach oben, in mein Zimmer. Was ist das bloß für eine Scheiße, diese Sache mit Frankfurt? Was soll denn das?
Ich liege auf meinem Bett und starre aufs Fenster. Dahinter ist es schwarz. Schwarz, lauernd und unheimlich. Es geht wieder los. Ich weiß es. Die merkwürdige Ruhe, wenn man zu dem Unfrieden in unsrer WG überhaupt Ruhe sagen kann, ist vorbei.
»Tilly, komm runter.« Paolo lehnt am Türrahmen.
Ich steh auf, blicke ihm in die Augen und sag: »Tut mir leid, dass ich dir dein … Geschäft vermasselt hab.«
»Schon gut.« Und auf dem Flur sagt er: »Ich hab das beschissene Gefühl, dass es wieder losgeht. Wir müssen zusammenhalten.«
Ich habe einen extrem riesigen Frosch im Hals, deshalb nicke ich nur.
»Hört euch das an«, sagt Kolja, als wir uns wieder an den Tisch setzen. »Die Identitätspapiere von Ingo Feist, also sein Personalausweis und Führerschein, sind aus der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt verschwunden. Verschwunden, entwendet, geklaut worden, einfach weg. Der Personalausweis von Ingo Feist, der im Knast sitzt, also sein echter Perso, ist im Rucksack von Sandras Mörder, der auf dich geschossen hat, gefunden worden.« Kolja lässt diese Information auf unsere Gehirne einwirken.
»Nicht jeder kann in die Generalstaatsanwaltschaft latschen und sich einen Satz Papiere von einem Häftling rausholen«, fährt der Chef fort. »Kommissar Mieto vermutet einflussreiche Kreise hinter der Art und Weise der Papierbeschaffung.«
»Und damit auch hinter dem Mord an Sandra und dem Anschlag auf Tilly«, ergänzt Paolo.
Von mir aus hätte er das nicht aussprechen müssen. Meine Panik blüht auch so in den schrillsten Farben. Fieberhaft überlege ich, ob die GDS, die Gesamtdeutsche Security, Zugang zur Staatsanwaltschaft haben könnte. Und wenn ja, wie kann ich das herausbekommen?
»Voito sagt, die finnische Justiz kocht den Skandal hoch. Alle Zeitungen sind voll davon. Eetu Mieto war mehrfach im Fernsehen.«
»Warum sind wir nicht von der Frankfurter Polizei informiert worden?«, will Paolo wissen.
Der Chef zuckt mit den Achseln. »Zwei deutsche Beamte sollen sich mit Kommissar Mieto in Ivalo getroffen haben. Voito hat gesagt, die hätten nur versucht, den Skandal wieder runterzukochen.«
Nach dem Sonntagsessen sitzen wir oben in unsrer Küche beieinander. Etwas Gutes hat der Scheiß nämlich, Druck von außen schweißt uns zusammen. Blöd bloß, denke ich, dass es dafür Druck braucht. Aber weil es so ist, werde ich ab jetzt auch mit Druck arbeiten, ihn gezielt einsetzen.
»Wenn wir jemals aus unserem Betreuungszustand rauswollen, brauchen wir eine vorzeigbare Schulbilanz«, sage ich und beachte die ungläubigen Blicke der Jungs nicht.
»Was hat denn das jetzt mit Pseudo-Ingo Feist zu tun?«, fragt Kolja und lässt sich aufs Sofa fallen.
»In Lauterstetten gibt es sechsundzwanzig richtig gute Stellen für Heckenschützen. Rastkirch und Bad Stockbach nicht mitgerechnet. Ich geh nicht mehr allein zum Kurs.«
»Immer verwechselst du alles mit allem, Tilly! Ob du es glaubst oder nicht, es ist wirklich kein Anreiz für Kolja und mich, uns für dich oder mit dir abknallen zu lassen«, sagt Paolo.
»Dann sag du mir mal, wieso du zu Beck und nicht ins Heim gegangen bist?«
»Wegen meinen Brüdern. Ich will nicht da sein, wenn sie aus dem Knast kommen.«
»Dauert das nicht noch drei, vier Jahre?«
»Wer weiß?«, fragt er zurück. »Gute Führung?«
»Ach so! Plötzlich leuchtet das alles so ein! Wenn die rauskommen, willst du rein in den Knast. Daran arbeitest du«, sage ich zynisch. »Wär’s nicht besser, du wärst dann richtig weg?«
»Die sind anhänglich, sehr anhänglich. Da gibt’s kein richtig weg. Du hast keine Ahnung von meiner Familie!«
Recht hat er. Ich weiß nie, wovon er eigentlich spricht. Meint er Familie im Sinne von Mama, Papa, Brüder? Oder meint er die Mafia? So oder so, Familie ist sein wunder Punkt. Der wunde Punkt von uns allen. Der wunde Punkt an sich.
Ausgestreckt liegt Kolja auf dem Sofa, seine Augen sind zu. »Ich hab’s schon mal gesagt, Tilly, du besorgst das Unterrichtsmaterial, ich die Prüfungsunterlagen.«
Jetzt werde ich aber sauer. »Was soll das, Kolja? Ich bin doch nicht dein Hiwi!« Arrogantes Arschloch, denke ich.
Kolja richtet sich auf. »Wenn hier jemand den Hiwi macht, dann ich! Ich beschaffe uns die Prüfungsfragen vor der Prüfung. Kannst du das verstehen, du dummes Mädchen? Damit wir uns vor der Prüfung gezielt auf die Prüfung vorbereiten können und gute Prüfungsergebnisse haben werden, damit wir dann ein sehr gutes Zeugnis kriegen! Das ist es doch, was du willst!«
»Und wie, bitte schön?«, frage ich ungläubig, weil ich ihn so in der Tat nicht verstanden habe.
»Das ist meine Sache. Aber du und Paolo, ihr geht mit mir dafür den Schulstoff durch, den ich versäume, weil ich uns in der Zeit die Prüfungsaufgaben besorge.«
Paolo, empört: »Was? Ich soll mitten in der Nacht als Tillys Bodyguard nach Bad Stockbach fahren und freiwillig stundenlang den langweiligsten Schulstoff aller Zeiten durchgehen, während du auf mysteriöse Meisterdiebweise die Prüfungsunterlagen klaust?«
»Lassen wir doch einfach für die Zukunft gerechte und demokratische Möglichkeiten offen«, schlage ich vor. »Wir werden das ja nicht bis in alle Ewigkeit so handhaben.«
Paolo reißt Maul und Augen auf. Kolja kichert. »Gut gesprochen, Tilly.«
»Okay, aber wir brauchen Computer«, sagt Paolo, und es klingt, als ob er mitmachen und verhandeln wolle. »Hab keinen Bock, immer Beck zu fragen, wenn ich ins Internet will.«
»Wir brauchen alle einen. Also drei«, sagt Kolja.
»Und ich brauch einen Roller«, sagt Paolo.
»Wir brauchen zwei. Ich kann auch den Schein machen. Nur Tilly braucht keinen, die kann laufen oder hinten mitfahren.«
»Okay«, sag ich. »Ist das der Plan?«
Kolja gähnt und nickt, aber Paolo schränkt ein: »Teilweise. Morgen fahren wir zu dritt zur Schule, weil ich während des Unterrichts unseren persönlichen Lehrplan für die nächsten anderthalb Jahre ausarbeite. Immerhin bin ich der Älteste von euch.«
»Das klingt übel«, stöhnt Kolja. »Mach mal halblang, Alter.«
Ich geh ins Bett und wundere mich darüber, wie einfach es ist, die Jungs dazu zu kriegen, das zu machen, was ich will. Trotz der schlechten Neuigkeiten schlafe ich darüber ein.
Ich bin in einem riesigen Haus. Liege auf dem Rücken in einem riesigen Bett. Da ist noch jemand.
Ich falle durch die Matratze in einen Abgrund.
Endlos.
Wache mit Herzrasen auf.
Am Stehtisch beim Stadtbäcker im Bahnhof von Bad Stockbach stellt uns Paolo nach der Schule sein brutales Programm vor: zuerst den externen Hauptschulabschluss, danach einen Französisch-Sprachkurs und dann, so bald wie möglich, den Sekundarabschluss I. Während wir die Mathe-Übungen durchgegangen sind, hat er sich ausführlich von Frau Huber beraten lassen.
»Ziel ist der vorgezogene Realschulabschluss mit Zugangsberechtigung zur gymnasialen Oberstufe. Kapiert? Man kann ihn machen, wenn der Hauptschulabschluss besser als 2 wird.«
Alles klar. Nach unseren einschlägigen Erfahrungen zieht die Schule als Disziplinierungsanstalt für alle Zeiten nicht mehr. Kolja und ich stimmen Paolos Plan zu, weil wir wissen, dass unsere Lernmethoden nicht nur sauber sein werden. Das stellt einen Anreiz dar.
»Aber wie sieht es mit unserer Anwesenheit aus?«, will ich wissen. »Wenn wir nie da sind, ist ein gutes Abschneiden bei der Prüfung nicht glaubwürdig.«
»Dann werden wir halt hin und wieder am Kurs teilnehmen und bei den Zwischenprüfungen gut abschneiden«, sagt Paolo.
Paolo, gnädig: »Bitte.«
»Was soll der Scheiß mit der gymnasialen Oberstufe? Das will keiner.« Unterstützungsheischend sieht er mich an.
»Doch, ich«, widerspricht Paolo. »Wenn meine Brüder aus dem Knast kommen, bin ich an der Uni.«
Kolja lacht: »Jaja, Dicker, alles klar.«
Der Chef hat recht. Paolo schießt übers Ziel hinaus und übertreibt maßlos. Ich sag nichts, lass ihn seine Träume haben und träume meine.
Für Kolja sind ALLE Türen IMMER zum Aufmachen und Reingehen da. Schultüren inklusive. Wo er die Aufgaben für den Test her hat, frage ich nicht, weil ich fürchte, er hat sie aus Frau Hubers Wohnung geklaut. Wir bereiten uns effizient und zielgerichtet auf die Englisch-, Deutsch-, Bio- und Mathe-Zwischentests vor, und mit Erfolgsgarantie macht mir das Lernen zum ersten Mal richtig Spaß. Unsere Ergebnisse fallen mehr als vorzeigbar aus. Frau Huber hat keine Zweifel, dass wir die Prüfung bestehen, und teilt es auch dem Chef mit.
Der reagiert mit Vergünstigungen auf unsere Erfolge und wir kriegen eigene PCs. Er glaubt, es sei seine gute Idee, und wir lassen ihn in dem Glauben. Anschließend händigt er uns bei einer staatsaktmäßigen Show die Schlüssel für die Bibliothek aus.
»Kein Buch verlässt die Bibliothek. Es wird an seinen Platz zurückgestellt. Wo die Bücher stehen, das hat einen Sinn und eine Ordnung, die ihr nicht durcheinanderbringen werdet. Ihr schließt die Tür immer hinter euch ab. Keine Eselsohren, keine Seiten rausreißen, nichts anstreichen oder reinkritzeln. Ist das klar? Sonst …« Drohungen folgen auf die Warnungen, aber er vertraut uns den Schlüssel zum Heiligtum an.
Mitte Februar wird’s richtig eiskalt. Alle, denen es vorher zu warm war, klagen, dass Tiere und Pflanzen, die sich auf die moderaten Temperaturen eingestellt haben, jämmerlich erfrieren werden. In der Bibliothek ist es gemütlich und warm. Paolo bleibt trotzdem lieber in seiner Bude vorm Computer sitzen, doch Kolja wird zum Lyrikkenner, nur um Weiber rumzukriegen. Er lernt Gedichte auswendig und flüstert sie ihnen ins Ohr. Jeder Widerstand schmilzt dahin, keine kann ihm widerstehen, wenn er sie mit Gedichten überhäuft, behauptet er.
Und wenn ich frage: »Was willst du denn mit denen allen?«
»Rummachen«, sagt er dann. »Was ist mit dir?«
»Ich? Mit dir? Rummachen? Niemals!«
»Doch nicht mit mir!« Tut empört. »Mit irgendeinem?«
»Ich interessiere mich nicht für irgendwen. Danke, kein Bedarf.«
Ich mutiere stattdessen zur Leseratte. Spannender als alle gesammelten Klassiker zusammen lesen sich nämlich die Arbeitsunterlagen von Dr. Beck. Obwohl ich manchmal den Eindruck habe, dass das Tagblatt recht hat. Ich muss es ihr lassen: Im Haus spukt’s. Die ruhelose Seele vom alten Beck geht um. Sein Geist wandert in der Bibliothek hin und her und bläst mir seinen kalten Hauch ins Genick.
Aaah! Huhuuu!
Dauernd knarrt etwas, fällt runter, quietscht, ächzt.
Natürlich geht’s in seinen Arbeitsunterlagen ausschließlich um Leichen, Tote, unfreiwillig Gestorbene, Getötete Todesursachen und so weiter. Logisch, ich habe nichts anderes erwartet. Doch ich stoße trotzdem vollkommen unvorbereitet auf unglaubliches Zeug und lese atemlos.
Meine Nackenhaare sträuben sich. Ich kann nicht glauben, was ich in Dr. Becks Liste, IV. Nicht identifizierte Leichenfunde 2000–2010, lese:
Nr. 79-W-6-091019: weibl., 6 J., Todeszeitpunkt: ca. 02-05 2004, Datum des Fundes: 19. 10. 2009, Fundort: Gemarkungsgrenze Buchstädt und Eichwitz …
»Hör auf, den Kopf zu schütteln, der fällt sonst runter«, sagt Kolja beim Rausgehen.
Ich kriege nicht mit, dass er was sagt, was er sagt, dass er geht. In meinem Kopf zucken Blitze, und im grellen Licht sehe ich Zusammenhänge aufblitzen, die bisher im Dunkeln lagen. Und mit einem Mal, wie bei einem Blitzeinschlag, verstehe ich etwas. Mir wird heiß und kalt. Mein Herz schlägt wild und ich kann den Gedanken nicht mehr wegschieben.
Ich bin nicht Tilly Krah.