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Ich wusste, dass Gott eine Frau ist

Zweimal im Leben habe ich bisher geliebt, aber nie bin ich dazu gekommen, es auch auszusprechen. Beim ersten Mann war ich zu spät dran, weil Bens Zeit auf Erden abgelaufen war. Beim zweiten Mann wurde ich ausgebremst, weil Georg gerade dabei war, eine andere Frau zu küssen.

Rebecca war siebzehn, als Georg sie kennengelernt hat, also zwei Jahre älter als ich war, als Ben in mein Leben getreten ist. Und genau wie wir waren die beiden gleich beste Freunde. Aber dann landeten sie vier Jahre später doch zusammen im Bett und weitere zwei Jahre danach vor dem Standesamt. Rebecca war damals dreiundzwanzig und Georg fünfundzwanzig Jahre alt, als sie geheiratet haben. Neun Jahre später hat sie Georg verlassen, ohne ihm je einen Grund dafür genannt zu haben. Rebecca hat einfach ihre Sachen gepackt mit dem Kommentar, sie könne nicht mehr mit ihm leben, und ist nach Italien gezogen. Zwei Jahre hat sie sich nicht mehr gemeldet und sich nicht für Georg interessiert, aber kaum erscheine ich auf der Bildfläche, taucht sie wieder auf.

Wahrscheinlich hat Georg nie aufgehört, sie zu lieben. Rebecca ist ja auch bildschön, genau wie Bens Nathalie.

Wehmütig seufze ich auf, dann genehmige ich mir einen großen Schluck Guinness. Kalt schmeckt das Zeug gar nicht so schlecht, zumindest kann man sich daran gewöhnen.

Im Himmel feiert man genauso wie unten auf der Erde. Die Party zu meinen Ehren ist schon voll im Gange. Ich sitze an der Bar und proste Ben hinter dem Tresen zu. Er hat eine ganze Menge zu tun, möchte aber nicht, dass ich ihm helfe. Ich bin sein Gast und soll mich amüsieren. Dass hier alle mit dieser unwahrscheinlich guten Laune herumlaufen, geht mir gewaltig auf die Nerven. Dabei müsste ich mich doch freuen, dass ich noch einmal mit meinem besten Freund eine schöne Zeit verbringen darf. Aber in meinem Kopf spuken in erster Linie zwei Gedanken herum, gegen die ich einfach nicht ankomme. Wie ein giftiger Stachel bohren sie sich in mein Herz: Wenn ich wieder zurück auf der Erde bin, ist Ben immer noch hier, und ich werde ihn wahrscheinlich noch mehr vermissen. Was mir aber noch mehr den Abend versaut, ist das Gefühl, dass mich keiner liebt. Auch Ben nicht, von seiner freundschaftlichen Zuneigung einmal abgesehen.

Dass ich mich deswegen im Himmel betrinke, ist eine Sache, über die ich momentan nicht nachdenken möchte. Denn das würde bedeuten, dass ich nun wirklich komplett durchdrehe. Tief in meinem Innersten bin ich nämlich immer noch davon überzeugt, schlafend und träumend im Flugzeug zu sitzen. Allerdings scheint sich der Traum dann ganz schön in die Länge zu ziehen, was wiederum dafür spräche, dass ich längst gelandet sein muss. Und das bringt mich wieder zurück an den Tresen und zu dem Gefühl, dass mir momentan nur eins helfen kann: Guinness! Aber nicht das heiße mit den Gewürzen, sondern das ganz normal gekühlte, das man in jedem vernünftigen Pub zu trinken bekommt.

Nach nur einem Glas habe ich schon einen sitzen. Endlich empfinde ich das, was ich eigentlich aufgrund der Tatsache empfinden sollte, dass ich im Himmel bin: Leichtigkeit.

»Hast du schon mal Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins gelesen?«, frage ich den Kerl, der sich gerade neben mir niedergelassen hat.

»Nein.«

»Schade, ist ein tolles Buch«, sage ich und mustere den Typ. Er sieht aus wie ein erwachsener Harry Potter, allerdings trägt er einen schwarzen Kilt und dazu knallrote Kniestrümpfe. »Bist du Schutzengel, Begleitengel oder einer von denen mit besonderen Aufgaben?« Wie ich erfahren habe, sind das Engel, die unten auf der Erde zur Stelle sind, wenn die Schutzengel nicht helfen konnten. Begleitengel führen die Seelen nach oben, das muss echt auch ein harter Job sein.

»Nichts davon, ich bin ein irdischer Besucher«, sagt er und prostet mir zu. »Darf ich mich vorstellen: Steven Graham von den Red Hot Chilli Pipers. Wir haben gleich einen Auftritt.«

»Eins muss man denen lassen, Humor haben die hier …« Erheitert schüttle ich den Kopf.

Da erscheint Ben plötzlich auf der Bühne und schaut in meine Richtung. Sofort kehrt Ruhe ein, als er zu sprechen anfängt:

»Marly, als wir uns treffen wollten und nicht wussten, dass es dieses letzte Mal nicht mehr geben sollte, hatte ich zwei Eintrittskarten für ein Konzert dabei, das ich gerne mit dir besuchen wollte. Da das auf Erden nun leider nicht mehr möglich ist, habe ich ein himmlisches hier oben für dich organisiert. Und da ist auch schon die erste Band, die Red Hot Chilli Pipers, die extra aus Glasgow angereist sind.«

Gerührt wische ich mir eine Träne aus dem Gesicht und überlege, was ich darauf antworten soll, aber ich komme gar nicht mehr dazu. Der Kerl von vorhin steht schon mit etlichen anderen Kiltträgern auf der Bühne. Dass man mit Dudelsack, Gitarre, Keyboard und Schlagzeug solch eine coole Musik auf die Beine stellen kann, hätte ich nicht für möglich gehalten. Bisher kannte ich Dudelsack nur als leierndes Instrument, das fürchterlich schief klingt. Aber das hier ist der Hammer. Die Jungs spielen Songs von Queen und Deep Purple. Bei Coldplay reißt es mich von meinem Hocker. Ich lasse mich anstecken von der guten Stimmung und klatsche und tanze im Takt mit.

Als die Band sich nach einer Stunde verabschiedet, sage ich gut gelaunt zu Ben: »Das war irre gut, vielen Dank.«

»Hab ich mir gedacht, dass dir das gefällt«, antwortet Ben und deutet mit dem Kopf zur Tür. »Guck mal, da kommt ja auch dein Koffer.«

Ruby! Ich schnappe mir ein neues Glas Guinness, das bereits gezapft auf dem Tresen steht, und gehe auf ihn zu.

»Hallo Marly, tut mir leid, dass dein Koffer erst jetzt kommt.«

»Nicht so schlimm. Hast du einen Moment Zeit für mich?«

Er nickt, und nur kurz darauf sitze ich mit Ruby in einer ruhigen Ecke des Pubs. Ich trinke in großen Schlucken das Guinness, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen.

»Das Zeug haut gut rein, an deiner Stelle würde ich aufpassen, sonst hast du morgen einen dicken Schädel.«

»Ich betrinke mich ganz bewusst, weil ich meinen Zustand nicht mehr ertragen kann! Und genau darüber müssen wir beide uns jetzt mal ernsthaft unterhalten.«

»Wieso, was ist denn passiert?«

»Ich weiß, wo ich dich schon mal gesehen habe: Du bist in einem Spiegel vor mir aufgetaucht. Und ich weiß auch, dass du in Caruso steckst und versuchst, mir zu helfen. Aber genau das ist das Problem: Ich komme ganz gut alleine klar.«

»Du hast mich also echt gesehen?«, fragt Ruby mit großen Augen. Es ist ihm sichtlich unangenehm.

»Ja, aber darum geht es jetzt nicht. Warum hast du mich ins offene Messer laufen lassen und mich ausgerechnet mit Georg zusammengebracht? Hättest du nicht jemand anderen für mich aussuchen können? Du hast doch gesehen, wohin es geführt hat.«

»Das war ich nicht.«

»Dann hat Caruso von sich aus beschlossen, Jagd auf seine Riesendogge zu machen?«

»In der Regel hat bei so etwas ein anderer Engel seine Finger im Spiel. Es könnte Amor gewesen sein – oder einer seiner Schüler.«

»Amor? Hast du auch was getrunken, oder warum erzählst du mir solch einen Blödsinn?«

»Nein, ich habe noch keinen Tropfen zu mir genommen. Aber wenn du darauf bestehst, hol ich mir was.«

Nachdenklich sehe ich Ruby hinterher, als er sich auf den Weg zur Bar macht. Ich glaube nicht, dass er mich anlügt. Aber Amor hat mich ganz sicher nicht mit Georg beglückt, bestimmt war es einer seiner Schüler. Und der sollte erst mal Nachhilfe nehmen, bevor er wieder auf die Menschheit losgelassen wird!

Ruby setzt sich lächelnd wieder zu mir an den Tisch. »Marly, manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie auf den ersten Blick aussehen.«

»Jedenfalls brauche ich keinen Schutzengel mehr. Seitdem Caruso in mein Leben getreten ist, läuft es drunter und drüber.«

»Du glaubst, ich sei dein Schutzengel? Wie kommst du denn darauf?«

»Bist du es nicht? Ben hat mir das erzählt.«

»Nein, das bin ich nicht, ganz ehrlich. Wäre ich dein Schutzengel, dürfte ich jetzt gar nicht mit dir sprechen.«

»Aber …«

»Ich gehöre zu Hilde, Marly.«

»Zu Hilde? Und wer ist dann mein Schutzengel? Oder hab ich gar keinen?«

»Doch, hast du. Mehr darf ich dir leider nicht sagen.«

»Vielleicht ganz gut, dass du es nicht bist, denn so wie es aussieht, hast du ja richtig Bockmist gebaut! Immerhin liegt Hilde im Krankenhaus und wird so schnell nicht wieder aufwachen. Wie ist sie überhaupt an die Blutvergiftung gekommen?«

»Sie hat sich an einer Glasscherbe geschnitten, als sie im Garten gearbeitet hat. Die Wunde hat sich entzündet, aber Hilde hat es nicht ernst genommen.«

»Dann bin ich schuld! Ich hätte Hilde niemals dazu überreden dürfen, mir zu helfen.«

»Nein, Marly, dafür kannst du nichts. Du hast es doch gar nicht gewusst.«

»Und du? Hättest du mich nicht irgendwie darauf aufmerksam machen können, dass es ihr nicht gut geht? Ich bin zu spät gekommen! Und überhaupt, was machst du denn hier? Solltest du als ihr Schutzengel nicht wenigstens jetzt bei ihr sein?«

»Ich habe dich geweckt, Marly. Und es war gar nicht so einfach, den Glaskrug herunterzufegen. Mein Gemaunze und Gekratze an deiner Schlafzimmertür hast du nicht mitbekommen, weil du geschlafen hast wie ein Stein.«

»Dann bin ich doch dran schuld, weil ich zu Georg gefahren bin, anstatt nach Hilde zu schauen …«

»Nein, Marly, ganz bestimmt nicht. Du bist genau zum richtigen Zeitpunkt zurückgekommen.«

»Wie meinst du das?«

Ruby greift nach meiner Hand und drückt sie sanft. »Du hast ihre Hand gehalten und ihr dabei gesagt, dass sie bloß keinen Blödsinn machen soll. Und das wird sie auch nicht – deinetwegen

»Heißt das … sie wird es schaffen?«

»Ja, sie wacht wieder auf. Mach dir keine Sorgen.«

»Dann war es letztendlich gut, dass ich Hals über Kopf zurückgekommen bin, nachdem ich Georg mit Rebecca gesehen habe. Sonst hätte ich Hilde verpasst …«

»Sieht ganz danach aus.«

Immerhin hat die Sache wenigstens in Bezug auf Hilde eine positive Wendung genommen. Es hat eben doch alles seinen Sinn, zumindest sieht es momentan ganz danach aus.

»Zuerst habe ich ja gedacht, dass Ben mir Caruso geschickt hat, um auf mich aufzupassen. Dann habe ich vermutet, der Himmel hat mir Hilde geschickt. Und jetzt stellt sich heraus, dass es genau andersrum ist. Der Himmel hat mich dazu bestimmt, auf Hilde aufzupassen.«

»Nicht aufzupassen, nur ein wenig zu helfen. Wir Schutzengel stoßen schnell an unsere Grenzen, weil wir körperlos sind. Außerdem brauchte Hilde eine Freundin – und eine Aufgabe. Sie hat keine Kinder, wie du weißt. Und dann warst plötzlich du da. Das hat ihren Lebenswillen gestärkt. Weißt du was? Lorenzo ist dir sehr dankbar deswegen. Ich soll dir von ihm Grüße bestellen. Außerdem lässt er fragen, ob du ihn mal besuchen möchtest. Er hat seinen Himmel auf Erden übrigens in Neuss. Du solltest dir mal ansehen, was er aus deinem Garten gemacht hat.«

»Oh ja, unheimlich gerne. Wann denn?«

»Ich kläre das ab, okay? Vielleicht kannst du mich ja mal besuchen, und wir fahren gemeinsam zu Lorenzo.«

»Klingt gut.«

»Und Marly, du solltest nicht trinken, wenn es dir schlecht geht und du in einer derartigen Stimmung bist.«

»Na dann … Übrigens geht es mir seit ungefähr zehn Minuten gut. Stoßen wir darauf an?«

Da Ben weiter beschäftigt ist, bleibe ich den ganzen Abend bei Ruby sitzen. Ich höre ihm gerne zu, und er liebt es, Geschichten zu erzählen. Besonders die Anekdoten über seine Erlebnisse als Schutzengel finde ich sehr spannend und manchmal richtig rührend. Nur eine Sache verstehe ich nicht.

»Ben hat mir erzählt, seine Zeit auf Erden sei abgelaufen gewesen. Aber wenn alles sowieso schon vorherbestimmt ist, wozu braucht man dann noch einen Schutzengel?«

»Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon häufig gestellt habe. Meistens dann, wenn ich alles in meiner Macht Stehende versuche, meinen Schützling zu retten – und dann passiert es doch.«

»Kennst du als Schutzengel denn das genaue Datum? Also den Tag, an dem dein Schützling stirbt, oder besser gesagt, in den Himmel kommt?« Die Sache mit dem Himmel gefällt mir.

»Nein, das kenne ich nicht. Außerdem habe ich schon häufiger gehört, dass es noch im letzten Moment geändert werden kann. Aber nur dann, wenn die betreffende Person darum kämpft. Manchmal passieren eben Wunder. Und außerdem: Hätte dein Schutzengel nicht so gut aufgepasst, als die Riesendogge dich umgerannt hat, hättest du weitaus mehr als nur einen Kratzer auf der Stirn abbekommen. Wir helfen auch bei den kleinen Ungeschicklichkeiten.«

»Mein Schutzengel war bei mir? Ist es ein Mann oder eine Frau? Wenigstens das kannst du mir doch sagen, oder?«

»Nein, kann ich nicht.«

»Schade.« Aus Ruby bekomme ich diesbezüglich nichts heraus. »Bestimmt ist es ein Kerl. Eine Frau hätte ganz sicher besser auf mich aufgepasst. Es war nämlich nicht einfach nur ein Kratzer, sondern eine richtige Schürfwunde«, stelle ich klar und halte mir den Pony hoch. »Guck mal, ich habe sogar eine kleine Narbe davon.«

»Guten Abend.« Eine rauchige, sehr wohlklingende Frauenstimme erklingt über unseren Köpfen. Neugierig schaue ich auf und sehe in ein ebenmäßig geschnittenes, sehr feines Gesicht, das von blonden langen Haaren umrahmt wird.

»Hallo Liane, schön, dass du es noch geschafft hast«, begrüßt Ruby sie.

Unauffällig mustere ich die perfekt aussehende Frau in kurzem schwarzen Rock und körperbetonter weißer Bluse, deren endlos lange Beine in knalligen lilafarbenen High Heels mit mörderischen Absätzen stecken, in denen ich nie im Leben laufen könnte. Sie setzt sich mit einem Bier in der Hand zu uns.

Ben hat immer schon behauptet, dass ich Unsinn rede, wenn ich zu viel getrunken habe, aber wenigstens bin ich ehrlich dabei. »Ich wusste, dass Gott eine Frau ist«, sage ich und sorge damit für lautes Gelächter.

»Danke für das Kompliment, aber ich bin hier oben lediglich für das Glück verantwortlich«, sagt Liane und schüttelt ihre lange Mähne.

»Ach, dann bist du ja die Lottofee!«

»So nennen sie mich gerne, ja. Ich bin für die Himmelslotterie zuständig. Früher war ich als Schutzengel unterwegs, aber nachdem mein letzter Kandidat wieder viel zu früh das Zeitliche gesegnet hat, habe ich den Job geschmissen. Jetzt verwalte ich das Glück, da habe ich die Fäden in der Hand.«

»Das Glück ist ein Schurke. Zumindest verhält es sich mir gegenüber gerade so«, bemerke ich trocken.

Als Liane laut auflacht, entschuldige ich mich schuldbewusst bei ihr. »Ich wollte dich nicht beleidigen«, sage ich. »Klingt ganz so, als würde ich in Selbstmitleid ertrinken, nicht wahr?«

»Ein bisschen schon, ja, aber das ist okay. Immerhin hast du eine Menge unguter Sachen erlebt in letzter Zeit. Vielleicht solltest du dich einfach mal wieder mehr auf die schönen und wichtigen Dinge im Leben konzentrieren. Du bist gesund, hast Familie, gute Freunde, einen Job. Außerdem sind es vielfach auch Kleinigkeiten, die das Leben lebenswert machen, oder nicht?«

Liane hat recht. Ich muss lernen, mit dem zufrieden zu sein, was ich habe. Und das ist mehr, als viele andere haben. Es ist zum Beispiel wunderbar, dass ich jetzt hier sein darf. Und daran waren Ruby und Liane maßgeblich beteiligt.

»Danke übrigens«, sage ich zu den beiden.

»Wofür?«, möchte Liane wissen.

»Zum Beispiel dafür, dass Ruby mich abgeholt hat.«

»Das habe ich sehr gerne gemacht.« Ruby strahlt mich an.

»Und natürlich dafür, dass ich die Einladung in den Himmel von dir bekommen habe, Liane. Ben hat mir erzählt, dass du ein bisschen dabei geholfen hast. Ich verstehe zwar nicht, was du an diesem heißem Guinness so toll findest, aber …«

»Ben glaubt nicht wirklich, dass ich mich mit ein paar Gläsern Bier bestechen lasse?«

»Doch, genau das hat er mir vorhin erzählt. Du bekommst für immer und ewig Freibier.«

»Hast du gesehen, dass hier irgendjemand für sein Guinness bezahlen muss?«

Ich überlege kurz und sage dann: »Nein.«

»Du musst mir etwas versprechen, Marly.«

»Was denn?«

»Sag ihm bloß nicht, dass das nicht stimmt. Der Himmel ist nicht bestechlich, aber das soll Ben schön selbst herausfinden.«

Als ich etwas darauf sagen will, zeigt sie mit ihrem lila Fingernagel zur Bühne. »Schau mal, ich glaube, Ben hat noch eine Überraschung für dich.«

Ein Mann mit blondem, leicht schütterem Haar betritt die Bühne. Ich kann es nicht fassen …

»Es tut mir leid, dass es etwas später geworden ist, doch das Konzert in Locarno hat etwas länger gedauert. Aber jetzt bin ich hier. Und ich singe heute Abend für … Marly. Marly, wo bist du?«

»Hier … hier!«, winke ich ihm zu.

»Ein ganz besonderer Freund von dir hat sich ein ganz besonderes Lied für dich gewünscht.«

Gerührt stehe ich auf und gehe auf Ben zu, der schräg vor der Bühne steht. In dem Moment fängt Herbert Grönemeyer an zu singen.

»Danke«, flüstere ich ihm tief bewegt zu, und er nimmt mich strahlend in den Arm.

Als ich beim Refrain anfange, laut mitzusingen, setzt auch Ben mit ein: Und der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt …

Es ist uns egal, ob es schief klingt. Wir halten uns an den Händen und singen laut im Chor einen Herbert-Grönemeyer-Song, vorgetragen vom Meister selbst.

Und vor wenigen Minuten bin ich noch in Selbstmitleid zerflossen, weil ich wirklich geglaubt habe, dass mich niemand liebt.