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Bestimmt ist Tilda eifersüchtig

Schon von Weitem sehe ich die große Dogge Tilda, die brav vor dem Bäcker auf ihr Herrchen wartet. Ich bin also nicht die Einzige, die heute Morgen in aller Früh schon auf die Idee gekommen ist, Brötchen zu kaufen.

»Mist«, denke ich und schaue an mir herunter. Ich trage meine blauweiß gestreifte Pyjamahose, dazu ein altes, weißes T-Shirt, und alles ist feuchtnass. In meinem Schmuddellook sehe ich so aus, als wäre ich gerade schweißgebadet aus dem Bett gefallen. Aber da lag ich ja gar nicht lange drin. Ich habe maximal eine Stunde geschlafen, trotzdem bin ich kein bisschen müde.

Ich überlege kurz, ob ich schnell umdrehe und mir was anderes anziehe, gehe dann aber weiter.

»Na, du Schissbuxe«, begrüße ich die Hundedame, die sich daraufhin erhebt und mit dem Schwanz wedelt. »Heute schon Caruso getroffen?« Unvorstellbar, dass so ein großer Hund Angst vor einem Kater hat, selbst im Sitzen ist ihr Auftreten imposant. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus und lasse Tilda daran schnuppern. Als sie mit ihrer rauen Zunge über mein Handgelenk leckt, ziehe ich die Hand schnell zurück. In dem Moment geht die Tür auf und der Duft frisch gebackener Brötchen findet den Weg direkt in meine Nase.

»Hallo, guten Morgen!«

Vor mir steht der blonde Mann, der mich gestern so vorbildlich in die stabile Seitenlage gebracht hat. Er trägt seine schlabberige graue Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt, sieht also auch nicht schicker aus als ich.

»Wie geht es Ihnen? Alles wieder in Ordnung?« Dass er mich siezt, fühlt sich irgendwie komisch an. Er ist bestimmt gut zehn Jahre älter als ich, aber wir sind hier schließlich nicht beruflich unterwegs.

»Mir geht’s ganz gut. Mein Kopf brummt zwar noch ein kleines bisschen, aber sonst ist alles okay.« Dass der dicke Kopf ganz sicher vom Grappa brummt, verschweige ich. Soll er ruhig ein schlechtes Gewissen haben.

»Und wie geht es Ihrem Kater? Er ist doch wieder aufgetaucht, oder?«

»Ja, der war sogar vor mir zu Hause und hat so getan, als wäre nix geschehen. Ihm geht’s gut. Ich hatte gestern wirklich kein Glück. Erst der Zusammenprall mit Tilda, und dann ist die Heizung sozusagen einfach von der Wand gefallen, und wir hatten mitten in der Nacht einen Wasserschaden. War echt kein toller Tag«, sage ich und seufze theatralisch. Es klingt fast ein wenig wehleidig, obwohl ich ja selbst schuld bin an dem nächtlichen Dilemma. Genau genommen habe ich das Ding von der Wand getreten. Auf der anderen Seite hätte der blöde Heizkörper nicht sofort abfallen dürfen, auch wenn er alt und verrostet ist. Dafür muss doch der Vermieter sorgen. Dieser Gedanke mildert meine Schuld ein kleines bisschen, finde ich.

»Meine Freundin und ich«, beende ich meine Ausführungen, »haben bis eben das Wasser aufgewischt. Zum Glück wusste Frau Schuster, wo man den Haupthahn zudreht, sonst hätte ich wahrscheinlich die ganze Straße unter Wasser gesetzt.«

»Soll ich mir das mal ansehen? Sozusagen als Wiedergutmachung für den Zusammenprall mit Tilda? Mein Vater hatte einen Betrieb für Heizungs- und Sanitärtechnik, da habe ich früher oft ausgeholfen. Ich kenn mich damit also ganz gut aus.«

»Ja, gerne. Jetzt gleich?« Aber Moment, der Kerl hat gerade Brötchen gekauft. Es stecken mindestens sechs Stück in der prall gefüllten Tüte. Bestimmt warten seine Frau und die Kinder zu Hause auf ihn – und das Frühstück. »Es geht natürlich auch später. Ich bin den ganzen Tag da«, räume ich also ein.

»Nein, jetzt gleich ist schon in Ordnung. Die große Runde mit Tilda habe ich schon hinter mir, und ich muss erst um neun in der Praxis sein.«

Wie hieß er noch gleich? Hatte er mir gestern nicht seine Visitenkarte in die Hand gedrückt und gesagt, sie sei für alle Fälle, falls es mir schlechter gehen sollte und ich vorhätte, doch noch zum Arzt zu gehen? In der Praxis, sagte er, ob er vielleicht selbst Arzt ist? Das Ding mit der stabilen Seitenlage hatte er ja ganz gut drauf. Es hilft nichts, ich muss ihn fragen.

»Es tut mir leid, aber ich war gestern etwas benommen, deswegen habe ich gar nicht mitbekommen, wie Sie heißen. Oder besser gesagt, ich habe es gleich wieder vergessen«, füge ich entschuldigend hinzu.

»Georg Sander, und Sie sind Frau Mazur.«

»Ja, daran erinnere ich mich noch! Mein Vorname ist übrigens Marlene.«

»Also gut, Marlene. Was machen wir so lange mit Tilda? Soll ich sie vorher zu mir nach Hause bringen?«

»Nein, die können wir ruhig mitnehmen. Wenn ich das Fenster zulasse, kann Caruso nicht rein.« Wahrscheinlich wird er wie eine Furie durch den Garten toben, wenn er mitbekommt, dass die Dogge in meiner Wohnung ist. Oder er wird sich, clever, wie er ist, wieder unter einem Auto verstecken und einfach so lange warten, bis die beiden vorbeikommen. Bei dem Gedanken muss ich grinsen.

Mit 1,72 Meter bin ich nicht gerade klein, aber dieser Eindruck ändert sich, als ich neben Georg die Straße entlang zurückgehe. Tilda reicht mir ungefähr bis an die Hüfte. Gehorsam trottet sie zwischen Georg und mir. Irgendwie fühle ich mich verunsichert, weiß aber gar nicht so recht warum. Auf jeden Fall bin ich froh, dass Rici und Hilde auf mich warten und ich jetzt nicht alleine mit dem großen, breitschultrigen Kerl und seiner riesigen Dogge in meiner Wohnung bin. Georg passt optisch gesehen sehr gut zu Tilda. Er ist mit Sicherheit über einen Meter neunzig groß.

»Ich habe Besuch mitgebracht«, rufe ich, nachdem ich die Haustüre aufgeschlossen habe. »Nicht erschrecken, es ist ein Mann!« Tilda erwähne ich nicht. Mit ihr möchte ich Rici überraschen. Sie wollte schon immer gerne eine Dogge haben.

»Ein Mann? Immer rein damit«, flachst Hilde. »Sieht er gut aus?«

»Wenn er gut aussieht, muss es meiner sein!«, ruft Rici. »Du bist zu früh, Christoph, wir haben noch gar nicht gefrühstückt.«

»Nein, es ist …«, möchte ich die Sache klarstellen, aber Hilde kommt mir zuvor. Als sie uns sieht, lächelt sie und sagt: »Hallo, Georg. Du kommst ja wie gerufen. Aber jetzt wird erst mal gefrühstückt.«

Irritiert sehe ich von Hilde zu Georg, bis er mir die Tüte mit den Brötchen vor die Nase hält. »Ja, wir sind sozusagen miteinander verwandt.«

Verlegen greife ich zu. Ich habe in der Aufregung tatsächlich vergessen, dass ich auch welche kaufen wollte. Ich verschwinde kurz im Bad, um mich umzuziehen.

Rici ist wie erwartet entzückt von Georgs Dogge und streichelt sie ausgiebig. Als ich in die Küche zurückkomme, sehe ich ihn. Caruso sitzt reglos oben auf dem Buffetschrank und fixiert uns unablässig. Bestimmt hat Hilde ihn hereingelassen. Tilda liegt im Flur vor der Küche, also genau in Carusos Blickfeld, aber sowohl Herrchen als auch Hund scheinen ihn noch nicht bemerkt zu haben.

»Mist!«, sage ich und deute mit den Augen nach oben. Dann gehe ich langsam zum Fenster und öffne es. Sofort springt Caruso vom Schrank und nimmt auf der Fensterbank Platz. Er verabschiedet sich mit einem leisen Maunzer und sitzt nur wenige Sekunden später im Apfelbaum. Tilda, die mitbekommen hat, was sich vor ihren Augen in der Küche abgespielt, bleibt jedoch träge liegen, so als würde sie das alles gar nicht angehen. Was ist nur mit den beiden los? Wie lässt sich diese augenfällige Eintracht zwischen Hund und Katze auf einmal erklären?

Da ich dem Braten nicht traue, schließe ich schnell das Fenster. Georg sieht genauso überrascht aus wie ich.

»Na dann …«, bemerke ich trocken, hole noch eine Tasse und einen Teller samt Besteck aus dem Schrank und biete ihm einen Stuhl an.

Rici und Hilde haben sich in meiner Abwesenheit angezogen, den Frühstückstisch gedeckt und Kaffee gekocht. Neben dem Glas Holunderblütengelee steht sogar ein kleines Sträußchen Blumen in einer Glasvase. Bestimmt hat Hilde sie aus ihrer Wohnung geholt. Richtig nett und einladend sieht es hier aus.

Georg wollte sich gleich der Heizung widmen, aber Hilde hat ihn gezwungen, erst einmal etwas zu essen und eine Tasse Kaffee zu trinken. Gemeinsam futtern wir Georgs Brötchen auf. Wir sitzen noch gemütlich am Tisch, bis Georg es nicht mehr aushält und aufsteht, um sich das Desaster anzusehen.

»Draufgesetzt?«, fragt er.

Kommentarlos zeigt Rici auf mich.

»Nein, ich hab mich nicht draufgesetzt«, verteidige ich mich, »sondern mich nur mit dem Fuß ein bisschen abgestützt.«

»Von ganz alleine ist das gute Stück auf jeden Fall nicht abgefallen.«

Besserwisser, denke ich. Doch da bemerke ich, dass Rici anfängt zu kichern.

»Wäre das gute Stück besser in Schuss gewesen, würde es jetzt mit Sicherheit noch dranhängen«, sagt sie mit unschuldigem Gesichtsausdruck.

Ich werfe meiner Freundin einen strafenden Blick zu. Immerhin will Georg mir helfen, da sollten wir ihn nicht verärgern. Aber er reagiert gar nicht auf Ricis anzügliche Bemerkung. Entweder hat Georg sie gar nicht als solche empfunden oder er ignoriert sie einfach. Also widmet sich Rici nun wieder Tilda, die genüsslich alle viere von sich streckt und das unerwartete Verwöhnprogramm in vollen Zügen genießt.

Ich bin auf jeden Fall froh, als Georg mir erklärt, es sei kein Problem, die Heizung wieder an die Wand zu schrauben. Dafür brauche er nur ein bisschen Werkzeug. So gegen neunzehn Uhr könne er wieder da sein und das erledigen.

Erleichtert begleite ich Georg zur Tür. Im Türrahmen dreht er sich noch einmal um. »Vielleicht solltest du lernen, ein bisschen vorsichtiger mit alten Dingen umzugehen. Sie sind sehr empfindlich und fallen schnell mal ab.« Dann ist er verschwunden.

Hat Georg etwa gerade versucht, einen Scherz zu machen? Zumindest hat er bis über beide Ohren gegrinst. Oder hat er wirklich nur die Heizung gemeint? Nachdenklich gehe ich zurück in die Küche.

Ich erwische Rici dabei, wie sie gerade Holunderblütengelee pur aus dem Glas löffelt.

»Schmeckt fast besser als Nutella«, nuschelt sie, und ich werfe ihr einen strafenden Blick zu. Sie sieht mich forschend an. »Was ist passiert? Warum guckst du so?«

»Ach nix.« Georg sieht eigentlich richtig nett und sehr charmant aus, wenn er lächelt.

Rici scheint meine Gedanken zu erraten. »Sieht gut aus, der Typ, breitschultrig und groß gewachsen. Ein richtiges Leckerchen! Wär das nicht was für dich?«

»Nein, glaube ich nicht. Der ist bestimmt zehn Jahre älter als ich!«

»Neun«, mischt sich Hilde nun ins Gespräch ein. »Georg ist sechsunddreißig – und Single.«

»Wenn er in dem Alter noch Single ist, hat das bestimmt seine Gründe. Vielleicht vertreibt seine Riesendogge alle Frauen, die ihm zu nahe kommen. Bestimmt ist Tilda eifersüchtig.«

»Die Dogge ist von seiner Exfrau. Rebecca hat sie bei ihm gelassen, nachdem sie ihn von einem Tag auf den anderen verlassen hat. Das war vor ziemlich genau zwei Jahren.«

»Ach so, dann ist er wieder Single. Hätte mich auch gewundert, wenn er noch nie eine Beziehung gehabt hätte. Und inwieweit seid ihr miteinander verwandt?«

»Er war mit meiner Nichte verheiratet.«

Die Sache mit den Verwandtschaftsgraden war noch nie so mein Ding. Zumindest muss ich immer erst überlegen, bevor ich solche Familienkonstellationen verstehe. Aber das hier scheint ganz offensichtlich zu sein.

»Mit der Tochter deiner Schwester?«, frage ich nach.

»Nein, mit der Tochter von Lorenzos Schwester.«

Jetzt muss ich wirklich nachdenken. »Dann war Georg also mit einer Italienerin verheiratet?«

»Mit einer Halbitalienerin.«

»Dein Schwager ist Deutscher?

»Ja, du kennst Manfred. Ihm gehört das Haus. Mit ihm hast du wahrscheinlich deinen Vertrag gemacht. Oder mit Antonio, seinem Sohn.«

Ich brauche eine ganze Weile, bis ich durchblicke. Irgendwie scheinen hier alle irgendwie miteinander verwandt zu sein. Rici hat die ganze Zeit am Tisch gesessen, zugehört und in aller Ruhe ihren Kaffee geschlürft. Jetzt mischt sie sich grinsend in unser Gespräch ein.

»Hör mal zu, das ist doch ganz einfach: Hilde ist die angeheiratete Tante von Georgs Exfrau. Somit ist oder war sie auch Georgs Tante. Außerdem ist sie die Schwägerin deines Vermieters und somit auch die Tante von diesem Antonio, dem Sohn deines Vermieters, also dem Bruder von Rebecca.«

»Schon klar«, sage ich und beschließe, später ganz in Ruhe noch mal darüber nachzudenken. Aber dann fällt mir doch noch etwas ein.

»Hat Georg Kinder?«

»Nein, keine Kinder.«

Dass Hilde auch keine Kinder hat, weiß ich schon. Das hat sie mir mal erzählt. Sie und Lorenzo wollten zwar, aber es hat einfach nicht geklappt. Irgendwie ungerecht, bei anderen funktioniert es anscheinend auf Anhieb, so wie bei meinem Vater. Und der war schon sechsundfünfzig, als er noch einmal ein Kind gezeugt hat.

»Das Beste weißt du ja noch gar nicht«, sage ich zu meiner Nachbarin und neuen Vertrauten. »Ich habe einen kleinen Halbbruder, von dem ich bisher noch nichts wusste …«

»Oh, das ist aber schön«, sagt Hilde gerührt. »Und, hast du ihn schon kennengelernt?«

»Nein, ich weiß es doch erst seit gestern. Er ist gerade mal drei Jahre alt.«

»Vielleicht versteht er sich mit Emma. Also, wenn du vorhast, dir den Kleinen mal anzugucken«, schlägt Rici vor, »sind wir gerne dabei. Die beiden könnten gemeinsam spielen.«

Eigentlich habe ich mir immer vorgestellt, dass meine Kinder mal mit Ricis zusammen spielen würden, aber meine Freundin war mit ihrer Familienplanung eindeutig zu schnell für mich. Jetzt bin ich eigentlich im besten Alter, um Kinder zu bekommen, aber ich trete gerade erst mal meine erste Stelle an und verdiene endlich Geld. Davon mal ganz abgesehen, gehören dazu ja bekanntlich zwei, und momentan ist weit und breit kein Mann für mich in Sicht.