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THE ITALIAN JOB

Ich landete kurz vor Sonnenuntergang auf dem Flughafen von Linate. Ich wechselte zweihundert Pfund in Lire und kaufte mir im Geschenkladen am Flughafen ein Jagdmesser und eine Landkarte von der Gegend um Como. Ich trank einen Espresso und aß eine Art mit Fleisch gefüllter Teigtasche, bei der ich das Gefühl hatte, zum allersten Mal überhaupt etwas zu essen im Mund zu haben.

Ein Taxi brachte mich ohne viel Aufhebens zum Busbahnhof in Mailand. Es war Nebensaison, zu spät für die Sommergäste, zu früh für die Skifahrer. Der Bus nach Como ging um 18 Uhr. Eine Bombendrohung der Roten Brigaden verzögerte die Abfahrt bis 19 Uhr 30 – ich fühlte mich wie zu Hause.

In Como erwischte ich den Bus die Via Regina entlang. Als wir in Mezzagra eintrafen, landeten wir mitten in einem Straßenfest. Es war das Herbstfest, die Kinder hatten sich als Weintrauben oder Weizenähren verkleidet. Es war kalt, deshalb waren Kohlenpfannen aufgestellt worden, um die Feiernden zu wärmen. Noch mehr gutes Essen. Schöne Frauen. Die Leute hatten ihren Spaß.

Italien war trotz seiner chaotischen Politik und den mehr als zwanzig Ministerpräsidenten seit Kriegsende das genaue Gegenteil von Irland – ungeachtet der Bombendrohungen. So, dachte ich, sieht Normalität aus.

Ich entdeckte einen Stand, der Spielzeug verkaufte, überlegte mir das mit dem Messer anders und kaufte mir einen realistisch wirkenden Spielzeugcolt. In Irland mussten alle Spielzeugwaffen orange sein, damit die Kleinen nicht von Polizisten oder Soldaten auf Streife erschossen wurden. Aber diese hier sah aus der Entfernung vollkommen echt aus.

Ich musste lachen. Wäre doch lustig, wenn das funktionieren würde.

Ich schaute mir eine Marionettenvorführung an: Mussolini wird vom Widerstand gefangen gesetzt. Wenn ich das richtig verstand, hatte sich das an genau dieser Stelle abgespielt.

Um 21 Uhr erwischte ich den letzten Bus nach Campo. Der Lago di Como rechts von mir war eine schwarze leere Masse, der Bus klammerte sich an die Küste und kam an den Häusern der ganz Reichen vorbei. Schöne Dörfer, von Barock und Rokoko bis in die Neuzeit. Pater Paul hatte uns erzählt, dass Plinius der Jüngere zwei Villen am See besessen hatte, eine auf einem Hügel, eine andere am See. Das obere Haus hatte er Tragödie, das untere Komödie genannt.

Der Bus hielt in jedem einzelnen Dorf und umkurvte langsam den See. Gegen halb zwölf setzte er mich schließlich in Campo ab. Ein ruhiger, unirdischer kleiner Ort im Alpenvorland. Keine Menschen. Keine Autos. Ab und zu dröhnte ein Laster unter den riesigen gelben Bogenlampen hindurch die SS36 entlang. Der Rest war Schweigen.

Seit dem Vortag fiel Schnee, und der Parkplatz des Busbahnhofs war eine eisige Welt, ein Eisspiegel, der die Wintersternbilder reflektierte. Eine Landebahn für Zugvögel.

Ich klappte meine Landkarte auf, hängte mir den Rucksack über die Schultern und ging ostwärts. Das Haus lag am Ende eines langen Fußwegs abseits der Vicolo Spluga. Der Anstieg war steil, ein paar Mal musste ich anhalten und Luft holen.

Der Wind blies von der Schweizer Grenze, zwölf Kilometer nördlich, herüber. Das hier waren nicht die Hochalpen, trotzdem war es bitterkalt. Der Karte zufolge war ich 1400 Meter hoch. Ich trug eine Lederjacke, Jeans und Adidas – zu wenig. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es Anfang Oktober schon so kalt sein könnte.

Ich schöpfte noch einmal tief Atem, um meine Nerven zu beruhigen. Von hier oben aus konnte ich die Lichter der Flugzeuge sehen, die in Mailand landeten, und der Boote, die über das schwarze Wasser des Lago di Mezzola tuckerten.

Ich ging weiter, kam an einer alten, baufälligen Mühle vorbei, an ein paar kleinen Bauernhäusern und einer abgebrannten Scheune.

Freddies Haus war typisch Tirol: Holzbalken, eine Veranda, die nach Süden zeigte, ein steiles, holzgedecktes Dach. Es war nicht sonderlich groß, aber ich wusste, dass ihm auch ein Großteil des umgebenden Waldes gehörte. Er erzählte allen, er habe das von seinem Großvater geerbt, aber das stimmte nicht. Der ganze Klimbim war vom MI5 gekauft und bezahlt worden. Seit Juni und seinem Aufstieg in den Armeerat lief es richtig gut für ihn.

Gerry Adams war hier draußen gewesen. All die Top-Leute aus IRA und Sinn Fein. Sogar ein paar amerikanische Kongressabgeordnete. Ich ging davon aus, dass das Haus mit Wanzen bestückt war. Und da die Menschen außerhalb ihrer natürlichen Umgebung gesprächiger sind, dürften die Infos nur so hereingeströmt sein.

Unterhalb der Veranda stand ein nagelneuer silberner Mercedes SL.

Der Mond schien, und ich konnte meine Uhr lesen, ohne die Hintergrundbeleuchtung zu benutzen. Zwanzig Minuten nach Mitternacht. Spät. Ich ging um das Haus herum und suchte nach einem Eingang, aber im Erdgeschoss gab es keinen. Man musste die Treppe hinauf und den Eingang im ersten Stock nehmen.

Die Stufen waren frostbedeckt, also hielt ich mich am Geländer fest und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Glasschiebetüren führten auf die Terrasse, durch die großen Fenster hatte man einen Blick zum südwestlichen Ufer des Lago di Como und nach Norden auf den 4000 Meter hohen Piz Bernina, der zwischen zwei Bergen hindurch zu sehen war. Der Ausblick, die Berge, das Chalet, Freddie und seine Kumpane – das Ganze hatte was von Berchtesgaden um 1939.

Oben angekommen, nahm ich Messer und Spielzeugpistole in die Hand und wog die beiden Möglichkeiten ab. »Aye, bluffen wir mal, Freddie wird das gefallen«, sagte ich mir.

Ich zog Lederhandschuhe an und setzte den Rucksack wieder auf, schritt die Veranda ab, sah durch die Fenster und entdeckte Freddie, der vor einem großen Fernseher stand. Er hatte auf seinem Betamax ein Spiel von Inter Mailand aufgenommen und suchte im Schnelldurchlauf nach den Torszenen.

Ich wich zurück und entdeckte eine Tür. Ich drückte die Türklinke, sie war nicht verschlossen. Vorsichtig betrat ich das Haus.

Ich setzte den Rucksack ab und stellte ihn auf den gefliesten Boden. Dann nahm ich die Notiz heraus, die ich im Flugzeug verfasst hatte, und sah mir wieder die Pistole an. War sie überzeugend? Das würden wir gleich sehen.

Ich drückte die Küchentür auf und folgte auf Zehenspitzen dem Holzdielenflur, bis ich zum riesigen Wohnzimmer kam.

Freddie hatte sich hingesetzt und sah sich das wunderschöne Tor eines blonden Inter-Spielers an.

»Einfach Klasse«, sagte er immer wieder.

Ich schlich mich hinter seinen ledernen Fernsehsessel. Das Messer hätte es auch getan. Ich drückte Freddie die Waffe ans Ohr.

»Was zum …«, sagte er.

Ich legte einen Finger an die Lippen, drückte ihm weiter die Waffe ans Ohr und gab ihm die Notiz. »Alle Aufnahmegeräte aus, und zwar leise«, stand da.

Das beruhigte Freddie ein wenig. Der Zettel verriet ihm, dass ich ein vernünftiger junger Mann war, nicht irgendein Irrer auf Rachefeldzug.

Er nickte. Ich tat einen Schritt zurück, richtete die Waffe weiter auf ihn und ließ meinen Jackenärmel darüberrutschen, damit er sie nicht allzu gut erkennen konnte.

Freddie stand auf und wies auf eine Tür am anderen Ende des Wohnzimmers. Ich reckte einen Daumen hoch. Wir gingen in sein Büro, wo er das Licht einschaltete. Er hatte keinen zittrigen Gang, wirkte nicht im Mindesten erschrocken. Das gefiel mir nicht, weckte meinen Argwohn. Das Arbeitszimmer war klein, ein Schreibtisch und ein paar Aktenschränke aus Metall. An den Wänden hingen signierte Fotos: Freddie mit Vanessa Redgrave, Freddie mit Senator Ted Kennedy.

Er deutete auf den Schreibtisch und ging darauf zu. Ich drückte ihm die Waffe in den Rücken, er erstarrte. Ich drückte ihn zu Boden, trat über ihn und zog die Schreibtischschublade auf. Darin lag eine Beretta 9mm. Ich kontrollierte, ob sie geladen war, und steckte die Spielzeugpistole ein. Freddie seufzte.

»Können wir jetzt reden? Es läuft kein Band. Die Maschine ist nicht an. Wozu auch? Ich bin allein hier«, sagte Freddie.

»Das will ich sehen«, sagte ich.

Er stand auf und sah ernüchtert auf den Lauf der eigenen Waffe, die auf seine Brust gerichtet war. Er zog die oberste Schublade eines der Aktenschränke auf.

»Schauen Sie hinein«, sagte er. »Wenn die Maschine laufen würde, müssten sich ja die Spulen drehen, oder?«

Ich sah in den Aktenschrank. Zwei riesige Spulen auf einem teuer wirkenden Tonbandgerät. Die Maschine lief offenkundig nicht, die Spulen standen still.

»Gibt es noch eine Maschine? Die Wahrheit, Freddie«, flüsterte ich.

»Noch eine? Die Maschine da kostet zweitausend Pfund. Die Pfennigfuchser werden doch nicht noch eine davon installieren, oder?«, sagte er und bemühte sich um einen lockeren Ton.

Ich versuchte die Ernsthaftigkeit meiner Frage mit einer Bewegung der Beretta zu unterstreichen.

»Nein! Es gibt keine zweite. Das ist alles.«

Das nahm ich ihm ab. Wir kehrten ins Wohnzimmer zurück. Ich bedeutete ihm, sich in den Ledersessel zu setzen, und hockte mich auf den Glastisch ihm gegenüber.

»Reden Sie«, forderte ich ihn auf.

»Worüber denn?«

»Erzählen Sie mir alles.«