20
WER ERMORDETE LUCY MOORE?

Träume. Labyrinthe. Ein Labyrinth ist kein Irrgarten. Es gibt keine Sackgassen. Alle Wege führen unausweichlich zum Zentrum. Alle Wege führen von außen nach innen. Von innen nach außen. Dädalus war kein Genie. Nur ein Schreiner. Nur ein Zimmermann.

Labyrinthe sehen aus wie Schlingen.

Lucy Moores Finger steckte in der Schlinge. Sie wollte ihr Kind wiedersehen. Sie wollte leben. Der Mann wünschte ihr den Tod. Mutterloses Kind, du hast keinen Beschützer. Ich bin deine Stimme. Ich bin dein Rächer.

Dunkelheit.

Fallen, taumeln, in das schwarze Loch.

Der Fall endet nie. Eine Ziffer nach der anderen, bis zum Ende aller Zeit. Die ganzen Zahlen sind unendlich. Der Raum dazwischen ist unendlich. Ich erzähl dir von den Bäumen, Lucy. Wir sind von den Bäumen gestiegen. Wir haben die Bäume hinter uns gelassen. Bäume sind ein Rückschritt.

Mein Name ist Lucia. Man ruft mich Mimi, ich weiß nicht, warum.

Straid.

Der Wald. Woodburn Forest.

Der Buchstabe S.

Das Labyrinth.

Er hat sie umgebracht.

Er war es.

Ich riss die Augen auf. Die Gullys waren überflutet. Das Wasser presste sich an die Scheiben, als flehte es darum, hereingelassen zu werden.

Ich sprang aus dem Bett.

Laura war verschreckt.

»Was ist denn los?«, fragte sie.

»Wo sagst du, ziehst du hin?«

»Straid.«

»Was hast du über den Wald gesagt?«

»Wovon redest du?«

»Du hast irgendwas davon gesagt, dass das Haus deiner Großtante nach hinten auf den Wald hinausgeht!«, sagte ich und packte sie bei den Schultern.

»Du machst mir Angst, Sean.«

Ich ließ sie los. »Du hast davon gesprochen, dass hinter dem Haus der Wald anfängt.«

»Oh … ja. Ich hab gesagt, das Haus ist hübsch, weil dahinter gleich Woodburn Forest anfängt.«

Ich schnappte meine Jeans, doch als ich den Fuß hineinstecken wollte, fiel ich hin. Mein Handgelenk war so dick wie ein Kürbis.

»Hilf mir, mich anzuziehen!«

»Was ist denn los?«

»Bitte!«, schrie ich sie an.

»Schon gut, schon gut, immer mit der Ruhe.«

Sie zog mir die Jeans hoch, knöpfte sie zu. Ich schnappte mir einen schwarzen Pullover und ging nach unten. Die Küchenuhr zeigte 8 Uhr 45. Ich wartete bis neun und rief das Sinn-Fein-Pressebüro im Bradbury House an.

»Hi, hier spricht Mike Smith von der New York Times, ich möchte gern mit Freddie Scavanni sprechen,«, sagte ich.

»Einen Augenblick, bitte«, erwiderte seine Sekretärin.

»Hallo?«, sagte Freddie.

Er war bei der Arbeit. Gut für ihn. Ich legte auf. Dann rief ich Jack Pougher von Special Branch an. »Hi, hier spricht Duffy von der Carrickfergus RUC. Kannst du mir einen Gefallen tun und mir die Adresse von Freddie Scavanni geben, bitte? Sie steht nirgendwo in unseren Akten, aber ich schätze mal, ihr Jungs habt die, ihr wisst ja eh alles.«

Jack durchschaute meinen Sarkasmus nicht und war nach einer Minute wieder in der Leitung. »Eine komische Akte, Sean. Jede Menge leerer Seiten, und ich darf niemandem unter dem Rang eines Superintendent die Adresse rausrücken.«

»Schon in Ordnung, Jack, dann besorge ich sie mir eben von einem Kumpel bei der Spionageabwehr der Armee. Die Jungs sind ja eh einen Tick schneller, einen mit Informationen zu versorgen.«

Natürlich hatte ich keinen Kumpel bei der Spionageabwehr, und selbst wenn, würde der mir einen Dreck verraten. Aber das wusste Jack ja nicht. »Immer mit der Ruhe, Sean. Ich hab was bei dir gut, in Ordnung?«

»Du hast was bei mir gut.«

»Also gut. 19 Siskin Road, und von mir hast du das nicht.«

Ich legte auf, zog die Schublade unter dem Telefon auf, schnappte mir den Straßenplan von East Antrim und suchte nach Straid. Als ich es gefunden hatte, suchte ich nach der Siskin Road. Sie verlief am Rand des Woodburn Forest entlang.

Ich zog meinen Regenmantel an und überprüfte, ob die .38er noch in der Tasche steckte. Dann zog ich meine Converse an und suchte nach den Autoschlüsseln.

»Oh nein, mit dem Handgelenk fährst du nirgendwo hin«, ging Laura dazwischen und schnappte sich die Schlüssel.

»Gib sie mir!«

»Nein. Du fährst nicht. Anweisung des Arztes«, beharrte sie. Ihr Blick war fest.

»Ich brauche den Wagen«, sagte ich leise.

»Hol dir einen deiner Constables, der dich fährt.«

»Unmöglich, die kann ich da nicht mit reinziehen. Ich darf mir diese Fälle gar nicht mehr anschauen. Die stecken sonst zusammen mit mir in der Scheiße.«

»Wo willst du hin?«

»Siskin Road, Straid, in der Nähe von Woodburn Forest.«

»Und was gibt es da?«

»Antworten, verdammt!«

»Beruhige dich, Sean.«

Beruhigen? Wir sollten auf die Straße rennen und schreien: Der Tod ist nah. Für immer und ewig. Und wir können nichts dagegen unternehmen.

Nichts, außer seine Gefolgsleute einzukassieren.

»Sean, was …«

»Er hat Lucy Moore umgebracht, ich weiß nicht, warum, aber er war es, und ich werde ihn dafür einbuchten.«

»Wen?«

»Freddie Scavanni.«

»Was?«

Ich schnappte mir die Autoschlüssel.

»Wo willst du hin?«

»Zu seinem Haus am Woodburn Forest.«

Sie hatte die Autopsie vorgenommen. Sie war nie wirklich sonderlich glücklich mit ihrem Bericht gewesen.

»Ich fahre dich«, erklärte sie.

»Niemals!«

»Ich fahre dich, oder du bleibst hier. Ich binde dir die Schuhe zu, in der Zeit kannst du darüber nachdenken.«

»Du tust genau, was ich dir sage. Wenn es irgendwie gefährlich aussieht, bleibst du in dem verdammten Wagen sitzen.«

»Du bist ja so stark! Das imponiert mir«, sagte sie, um mich zu ärgern.

Wir stiegen in den Wagen und waren auf der Coronation Road fast schon an der Taylor’s Avenue, als ich schrie: »Bremsen!«

Der Wagen kam quietschend zum Stehen.

Ich stieg aus und suchte unter dem Wagen nach einer Bombe, fand aber keine.

»Okay, weiter geht’s.«

Wir fuhren die Prospect Road zur New Line und über die Councillor’s Road zur Siskin Road. Die letzte halbe Meile unserer Fahrt zog sich der Wald an der Straße entlang dahin, der vertraute, dichte Fichtenwald außen und der ältere Bestand dahinter.

»Wo liegt Straid von hier aus?«, fragte ich,

»Noch ein paar Meilen die Straße entlang.«

»Ich hab schon von Straid gehört, aber ich wusste nicht, dass es so nahe bei Carrickfergus liegt und so nah am Woodburn Forest.«

Wir kamen an einem Schild vorbei: 19 Siskin Road.

»Hier!«, sagte ich.

Laura hielt an, ich stieg aus und begutachtete das Tor. Ein elektronisches Schloss, das man mit einer Fernbedienung öffnete. Freddie konnte aufschließen, ohne aussteigen zu müssen, und genau so wollte man es als hochrangiger IRA-Offizier haben. Ein Zielobjekt, das ausstieg, am frühen Morgen oder späten Abend mit seinen Schlüsseln herumfuchtelte, war der Traum eines jeden Heckenschützen.

Das Tor war aus massivem Schiffsstahl und lief auf Rollen über die Einfahrt. Das ganze Grundstück war von einer hohen Steinmauer umgeben, die Mauer war mit Speerspitzen besetzt. Übel.

»Willst du hier etwa einbrechen? Brauchst du nicht einen Durchsuchungsbefehl oder so was?«, fragte Laura.

»Nein, alles bestens.«

»Alles bestens, sagt er. Und wie willst du da reinkommen?«

»Für so einen findigen Burschen wie mich kein Problem«, sagte ich.

Ich nahm mein Einbruchswerkzeug heraus und schraubte den Deckel des Empfangskastens für die Fernbedienung ab. Dann schloss ich die losen Drähte kurz, und das Tor glitt auf.

»Schnell, rein ins Auto, bevor das Tor wieder zugeht«, sagte ich.

Laura runzelte missbilligend die Stirn. »Ich bin mir da nicht sicher. Wenn er kommt und uns findet …«

»Wenn er kommt, werden wir mit der halben RUC hier warten und ihn verhaften.«

Wir fuhren eine kurze, baumgesäumte Schotterauffahrt entlang bis vor Freddies Haus.

Ein großes Turmhaus mit vier, fünf Zimmern – eines dieser befestigten Farmhäuser, die im 17. Jahrhundert während der irischen und englischen Bürgerkriege errichtet worden waren. Dicke, weiß getünchte Steinmauern, eine der Ecken erhob sich zu einem dreistöckigen Rundturm.

Die massive Grundstücksmauer umgab eine Weide, ein badhun – die ganze Anlage war mal in Zeiten der Zwangsansiedlung englischer Farmer ein Schutz für die Viehherden gewesen. Kein schlechter Rückzugsort für einen der großen Player.

Das Dach bestand aus dicken Schieferschindeln, die Fenster waren mit gusseisernen Gittern gesichert. Die Haustür war eine massive Eichenplatte mit Eisenschloss. Aus dem Geschichtsunterricht wusste ich noch, dass die badhuns große Keller zur Vorratslagerung besaßen und dass viele von ihnen über Brunnen oder Quellen errichtet worden waren. Einen Angriff mit Maschinengewehren oder Granatwerfern konnte man locker aussitzen, und auch einer Zombieattacke, dem Einschlag eines Kometen oder der Apokalypse konnte man gelassen entgegensehen.

Ein solcher Ort kostete Geld. Natürlich bezog Scavanni das Gehalt eines Presseoffiziers, aber was bezog er sonst noch? Beteiligung an den Geschäften? Drogengelder?

»Und wie willst du da rein? Das sind fast achtzehn Zentimeter irische Eiche«, sagte Laura und besah sich die Tür.

»Ich knacke einfach das Schloss.«

Laura lächelte mich an. Ihre Nasenflügel bebten, ihre Wangen glühten. Sie hatte Spaß daran. Es machte sie an.

Also nichts wie rein mit uns. Alte Schlösser sind schwierig, alte Schlösser aus dem 17. Jahrhundert vielleicht unmöglich, mal sehen.

Ich nahm einen Dietrich. Es ging. Einen Spanner würde ich nicht brauchen, ich musste nur den Dietrich in den unteren Teil des Schlüssellochs schieben und sicherstellen, dass er unter den Schlossriegel glitt und als Unterteil des Schlüssels fungierte. Ich schob einen zweiten Dietrich über den ersten und platzierte ihn unter dem Riegel. Ich suchte, bis ich auf Widerstand stieß, diesmal in Form einer Reihe hängender Stifte. Ich schob die Stifte nach oben und imitierte so den oberen Teil eines sich im Schloss drehenden Schlüssels.

Das Schloss war entriegelt.

Ich zog Latexhandschuhe an und machte die Tür auf.

»Wonach suchen wir eigentlich genau?«

»Ich suche. Du wartest im Wagen.«

»Ganz bestimmt nicht, nach all dem Spaß.«

Ich wusste, sie würde nicht hören, also konnte sie genauso gut helfen. Ich reichte ihr ein zweites Paar Handschuhe. »Also gut. Wir suchen nach Beweisen, dass Lucy Moore hier gewohnt hat. Egal was. Frauenkleidung, Babykleidung, irgendeine Art Ausweis. Alles Mögliche! Und eine mechanische Schreibmaschine. Eine Imperial 55. Wenn du irgendetwas anrührst, leg es ganz genau so wieder zurück. Er wird nicht mal wissen, dass jemand hier war«, sagte ich.

»He, wenn wir drei Schüsseln Brei finden, kann ich dann die für den kleinsten Bären haben?«, fragte sie.

Wir gingen hinein.

Holztragwerk. Weiß getünchte, steinerne Innenwände. Kleine Fenster. Nicht viel Licht, aber es hatte einen gewissen rustikalen Charme. Aquarelle an den Wänden, und als ich mir eins genauer ansah, handelte es sich um ein winziges, aber wertvolles Bild von Jack B. Yeats.

Ein riesiges Wohnzimmer mit Piano, zwei Sofas, einem großen Fernseher.

Ich ging zum Klavier. Keine Noten, wie merkwürdig. Wenn man spielt, dann hat man doch immer ein, zwei Notenbücher herumliegen, oder nicht? Ich sah im Bücherregal nach, aber auch dort fanden sich keine Noten und auch sonst nichts Interessantes. Jede Menge Leon Uris.

Ich ging nach oben und durchsuchte die Zimmer. Nichts ausgefallenes. Einfach, irisch, fast minimalistisch. Holzmöbel, weiße Wände.

Sauber. Keine Frauenkleidung, keine Babykleidung.

Im Arbeitszimmer gab es einen verschlossenen Rollschreibtisch. Ich knackte das Schloss und ging die öden Rechnungen und Finanzunterlagen durch. Nichts Ungewöhnliches.

Dann ging ich in den Keller, fand dort aber nur ein paar Flaschen Wein. Wahrscheinlich teuer, aber wer wusste das schon? Keine alten Schreibmaschinen.

Meine letzte Anlaufstation war die Plattensammlung im Wohnzimmer.

Scavanni war ein Kenner.

Locker tausend Platten. Dreihundert davon Klassik, alphabetisch sortiert.

»Schau mal!«, sagte ich und zog La Bohème aus dem Regal, die Einspielung von Sir Thomas Beecham 1956.

»Was beweist das?«, fragte Laura.

»Keine Ahnung«, sagte ich und schob die Platte in das übervolle Regal zurück. »Was hast du gefunden?«

»Nichts.«

Ich war deprimiert. »Das reinste Pfadfinderhaus.«

»Vielleicht ist er unschuldig.«

»Das kann nicht sein. Das wäre ein zu großer Zufall. Lucy Moores Leiche wurde im Woodburn Forest gefunden. Sie starb in derselben Nacht wie Tommy Little. Die Noten. Wie eiskalt ist dies Händchen. Mein Name ist Lucia. Man ruft mich Mimi, ich weiß nicht, warum. Das ist doch ein Hinweis. Er war gehetzt und merkte es nicht. Und Eurydike, weißt du noch? Eurydike schafft es nicht zurück! Lucy schaffte es nicht zurück! Apollo brachte Orpheus das Lyraspiel bei. Apollo ist der Gott des Lichts. Lucia heißt Licht. Siehst du das denn nicht? Der Ariadnefaden. Das Labyrinth führt uns genau hierher!«

Laura verschränkte die Arme und seufzte. »Himmel, machst du so deine Polizeiarbeit? In der Pathologie würdest du damit nicht durchkommen.«

Ich plapperte einfach nur vor mich hin und wusste es, verdammt. Und sie hatte recht: Das war keine Polizeiarbeit, das war Intuition, Eingebung. Mager.

Ich ging wieder nach oben, sah unter den Betten nach, hinten in den Schränken, im Bad …

Als ich nach unten kam, saß Laura auf dem Sofa.

»Fahren wir?« Sie war enttäuscht und von meinen detektivischen Fähigkeiten nicht sonderlich beeindruckt. Willkommen im Club, Schwester.

»Er hat sie umgebracht. Er war das S, das sich mit Lucy getroffen hat«, beharrte ich und setzte mich neben sie auf das Ledersofa.

»Und wo sind die Beweise, dass Lucy hier gewesen ist?«

»Er hat sie alle beseitigt.«

»Und warum wollte er sie umbringen? Was für ein mögliches Motiv könnte er gehabt haben?«

»Sie war die Frau eines Hungerstreikenden. Er hat die Frau eines Hungerstreikenden geschwängert.«

»Ex-Frau. Na und?«

»Das würde einen schlechten Eindruck machen. Es würde seiner Karriere schaden.«

»Na komm schon. Mord schadet ihr erheblich mehr.«

»Vielleicht haben sie sich gestritten.«

Laura drückte meine Hand. »Hier ist nichts, Sean. Er wohnt am Woodburn Forest? Sein Name fängt mit ›S‹ an?«

»Und Tommy Little wollte zu ihm. Und er hört Puccini.«

»Lass uns verschwinden, bevor er auftaucht. Du verlierst noch deinen Job, Sean.«

»Nein! Das muss alles mit Tommy zu tun haben! Anders geht’s nicht. Tommy Little war hier. Tommy Little war hier in diesem Zimmer.«

»Er hat Lucy umgebracht und Tommy?«

»Ja! Das hängt zusammen. Da hat es schon immer einen Zusammenhang gegeben!«

»Vielleicht kannst du ja alle ungeklärten Morde in Nordirland Freddie Scavanni anhängen«, sagte sie noch immer recht freundlich, aber ich nahm sie kaum wahr.

»Er ist es. Es geht nicht anders«, sagte ich mit leichter Panik in der Stimme.

»Warum? Damit du den Fall lösen kannst und als Held dastehst? Na, komm schon, Sean, gehen wir.«

»Noch fünf Minuten. Wir finden etwas.«

»Gestern hast du gesagt, es sei Shane Davidson gewesen. Er hätte eine Affäre mit Tommy Little gehabt und ihn umgebracht, um das zu vertuschen. Er sei es gewesen, der die falsche Fährte gelegt hätte …«

»Da habe ich mich geirrt! Die hatten nichts mit dem Mord an Tommy zu tun. Shane ist Billy Whites lieber Junge, und Shane hatte tatsächlich was mit Tommy Little, aber er hat ihn nicht umgebracht.«

»Das wird Shane sicherlich freuen zu hören.«

Die Standuhr tickte.

Krähen krächzten im Wald.

Laura stand auf und zog mich mit beiden Händen hoch.

»Lass uns gehen«, flüsterte sie.

Ich stand noch eine Minute lang da und dachte verzweifelt nach. Doch schließlich musste ich meine Niederlage eingestehen.

»Ich war mir so sicher«, sagte ich.

»Ich weiß«, erwiderte sie und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Jeder hofft darauf, erlöst zu werden.«

Wir gingen hinaus und schlossen die Tür hinter uns.

»Na komm. Lass uns irgendwo was essen gehen«, meinte Laura.

Ich zögerte. »Lass mich nur noch kurz in den Wald schauen, dann verschwinden wir.«

Dass wir zumindest schon mal aus dem Haus waren, machte sie viel glücklicher. Sie nahm meine Hand.

»Sagen wir mal, er hat beide umgelegt. Er muss Tommys Leiche so weit wie möglich fortschaffen. Und sie auch. Sie kann er über der Schulter tragen und im Wald aufhängen«, sagte ich.

»Und warum verbuddelt er die beiden nicht einfach?«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Zeit ist ein Faktor. Er hat höchstens ein paar Stunden, bevor Tommys Verschwinden die Alarmglocken schrillen lässt. Ein paar Stunden, einen Plan auszuhecken …«

»Aber wozu tut er das alles, Sean? Brauchst du denn kein Motiv?«

Wir gingen zum schmiedeeisernen Hintertor des badhun, öffneten es und traten hinaus in den Wald. Er war feucht und dunkel. Komische weiße Pilze schoben sich aus der klammen Erde. Riesenfarne wuchsen aus den Hüllen umgestürzter Bäume. Es roch nach Humus, verrottenden Blättern, Herbst, Friedhof.

»Nur ein paar Schritte, und wir sind in Woodburn Forest«, sagte ich.

»Aber Lucy wurde nicht hier in der Nähe gefunden, sondern auf der anderen Seite von dem Hügel dort, oder?«, sagte Laura.

»Na, er kann sie ja auch nicht gleich neben seinem Haus aufhängen.«

»Und wie will er sie tragen?«

»Über der Schulter. Feuerwehrgriff. So kann man jemanden eine Meile weit tragen.«

Laura war skeptisch.

»Ich zeig’s dir.«

»Okay.«

Ich legte sie mir mit dem guten Arm über die rechte Schulter und gab ihr einen Klaps auf den Po.

»He!«, schrie sie auf.

Ich ging etwa fünfzehn Meter und blieb stehen.

»Siehst du? Du bist schon außer Atem und …«

Ich setzte sie ab.

»Himmel! Schau! Da!«, sagte ich und zeigte durch die Bäume. Knapp dreißig Meter entfernt von der Straße in einer breiten Senke zwischen zwei riesigen Kastanien stand ein ausgebrannter Ford Granada.

Ich lief darauf zu. Das Glas war geschmolzen und verworfen, das Innere war ein Gewirr aus schwarzem Schrott und geschwärztem Plastikschaum, aber es gab keinen Rost, keine Erosion. Das war erst kürzlich passiert. Innerhalb des letzten Monats. Ich öffnete eine Tür und sah hinein.

Der Wagen war mit Benzin übergossen und in Brand gesetzt, dann aber mit Schaum gelöscht worden. Die Kennzeichen waren abgeschraubt, und als ich die Motorhaube öffnete, sah ich, dass die Seriennummer mit einem Schweißbrenner weggebrannt worden war.

»Heilige Mutter Gottes!«

»Was ist denn, Sean?«

»Das ist Tommys Wagen. Das muss er sein.«

»Er hat einen Ford Granada gefahren?«, fragte sie, aber ich hörte gar nicht zu.

»Aus irgendeinem Grund kommt Tommy her, und Freddie legt ihn um. Das Mädchen ist Zeugin, also muss er sie erhängen. Er schneidet Tommy die Hand ab und stopft ihm ein Stück Notenblatt in den Hintern. Er fährt zum Haus des einzigen anderen Schwulen, den er kennt, und erschießt ihn. Er schneidet ihm ebenfalls eine Hand ab. Tommys Hand lässt er dort.«

»Bist du sicher, dass das Tommys Wagen ist?«

»Ja. Freddie darf sich nicht mit dem Wagen erwischen lassen, und er kann nicht zulassen, dass die IRA ihn bei seinem Haus findet, also schiebt er ihn von der Straße und steckt ihn an.«

»Kapier ich nicht. Er bringt Tommy Little um und kutschiert ihn dann nach Carrick?«

»Er tötet ihn und steckt ihn in den Kofferraum seines Wagens. Er fährt vorsichtig durch all die Polizei- und Armeestraßensperren. Er kommt weit, bis zum Barn Field in Carrickfergus, und er legt Tommys Leiche so ab, dass sie möglichst bald gefunden wird, zusammen mit Andrew Youngs Hand. Dann eilt er zurück. Er fährt Tommys Wagen in den Wald und steckt ihn in Brand. Aber er lässt den Wagen nicht die ganze Nacht brennen, damit er keine Aufmerksamkeit erregt. Er wartet, bis Tommys Leiche gefunden wird, dann ruft er die Polizei und findet meinen Namen heraus, schreibt einen Haufen dummes Zeug auf eine Postkarte und schickt sie mir. Dann ruft er anonym an und kommt mit Drohungen und falschen Hinweisen rüber. Er ruft die Sunday World an. Er spielt uns allen zu einem hübschen Tänzchen im Labyrinth auf. Seine Bosse bei der IRA wissen, dass Tommy zu ihm wollte, aber er erklärt, Tommy sei nie bei ihm aufgetaucht. Die IRA ist argwöhnisch, skeptisch, doch dann hören sie, dass Tommy einem schäbigen Schwulenmörder zum Opfer gefallen ist, und kehren die ganze Angelegenheit unter den Teppich. Der Plan geht auf.«

»Aber warum, Sean? Warum hat er Lucy umgebracht? Und warum Tommy?«

»Keine Ahnung. Aber das finde ich schon heraus. Ich werde ihn verhaften, ihn terroristischer Machenschaften beschuldigen, ihn vernehmen und knacken. Na los! Gehen wir zum Haus zurück und rufen die Carrickfergus RUC. Ist mir egal, ob die mich suspendieren, ich krieg den Kerl dran.«

»Ich verstehe immer noch nicht …«, sagte sie, wurde aber von einem lauten Knall und herumfliegender Rinde von der Kastanie hinter ihr unterbrochen.

»Was war das …«

»Runter«, brüllte ich. »Und bleib unten!«

Sie tauchte in das dichte Blätterbeet auf dem Waldboden. Ich zog meine Dienstwaffe und sah mich um.

Niemand zu sehen.

Wieder ein Schuss, doch diesmal verfehlte die Kugel meinen Kopf nur um ein paar Zentimeter.

Woher kam der Schuss?

Von irgendwo weiter weg aus Richtung des Hauses.

Ich warf meinen Regenmantel beiseite, glitt durchs Unterholz, kauerte mich wieder hin und rannte in einem weiten Halbkreis nach rechts durch die Bäume.

Ich behielt Laura und den Wagen im Auge und hielt Ausschau nach dem Schützen.

Er hatte mein Manöver vorausgesehen und wartete hinter einer vom Blitz getroffenen Eiche. Ich sah ihn noch aus dem Augenwinkel, kurz bevor er abdrückte. Ich warf mich zu Boden und hörte drei weitere Schüsse, 9-mm, dann rollte ich mich hinter den nächsten Baum, eine schlanke Waldkiefer, und weiter einen kleinen Hang hinunter. Ich lag wieder auf dem Bauch, bewegte mich leise, vorsichtig seitwärts und hielt den Atem an.

»Wo bist du?«, brüllte er. Ich konnte ihn knapp zehn Meter zu meiner Rechten sehen. Er trug noch immer seinen Büroanzug, hielt die Waffe mit beiden Händen und sah in die Richtung, aus der ich gekommen war.

Diesmal hatte ich ihn erfolgreich ausgetrickst. Ich stand auf.

Ein Fuß vor den anderen, langsam, erst Zehenspitzen, dann Ferse, alles mit meinen weichen Converse. Vorsichtig auf die Blätter, auf die Zweige, ganz vorsichtig bis direkt hinter den Mistkerl.

Ich legte ihm den Lauf der .38er in den Nacken.

»Waffe fallen lassen und langsam die Hände auf den Kopf.«

Er gehorchte.

Ich tat einen Schritt zurück. »Laura! Alles in Ordnung! Ich hab ihn.«

»Bist du sicher?«, rief sie zurück.

»Schau mal, ob du meinen Regenmantel findest, da stecken meine Handschellen drin.«

Scavanni drehte sich um und sah mich grinsend an. Am liebsten hätte ich ihm das Grinsen mit einem Schlag mit der Pistole aus der Visage gewischt.

Laura gab mir den Regenmantel. Ihr Gesicht war ganz heiß. Ihre Brust hob und senkte sich. Eine irre Sekunde lang wollte ich dem Kerl das Hirn wegpusten, sie auf den Boden legen und sie richtig durchvögeln.

»Hände nach vorn!«, befahl ich Scavanni. »Laura, greif mal in die Manteltasche, nimm meine Handschellen und leg sie ihm um.«

Sie zögerte.

»Keine Sorge, wenn er auch nur mit der Wimper zuckt, verpass ich ihm eine Kugel ins linke Ohr.«

»Nein, das ist es nicht. Wie funktionieren diese Dinger?«, wollte sie wissen.

»Leg seine Handgelenke rein und drück sie fest zu«, erklärte ich.

»Ah, ich verstehe.«

»Und was nun, Sergeant Duffy?«, fragte er.

»Nun, Mr Scavanni, gehen wir zum Haus zurück, ich rufe Chief Inspector Todd an, und er kreuzt mit ein paar Männern auf, die alle ganz begierig sind, sich ein wenig mit Ihnen zu unterhalten. Sie werden eingebuchtet, ich kriege einen bescheuerten Orden und vielleicht eine Beförderung, und Sie landen lebenslänglich im Knast. Wahrscheinlich in Einzelhaft – schätze, die werden ein Exempel an Ihnen statuieren wollen, richtig?«

Scavanni schien das alles nicht sonderlich zu erschüttern oder zu beunruhigen.

»Das Telefon steht in meinem Wohnzimmer«, sagte er.

»Na, dann mal los.«

Wir gingen durch das Tor in der Mauer hinein. Sein Wagen stand in der Einfahrt, die Haustür war offen. Der Anruf in seinem Büro hatte ihn offensichtlich aufgescheucht, und er war nach Hause gefahren, um nachzusehen, ob irgendwas war. Umso besser für mich.

»Warum haben Sie sie umgebracht?«, fragte Laura.

»Meine Liebe, ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden«, erwiderte Scavanni.

»Dr Laura Cathcart, Pathologin.«

»Sehr erfreut. Freddie Scavanni. Sinn-Fein-Presseoffizier.«

»Warum haben Sie sie umgebracht?«, wiederholte Laura ihre Frage.

»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich habe niemanden umgebracht. Ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden umgebracht.«

»Und auf wen haben Sie im Wald geschossen?«

»Ich dachte, das sei schon wieder dieser fürchterliche Fuchs. Er richtet in meinem Vogelhaus einen Riesenschaden an. Ich hätte wohl die Schrotflinte nehmen sollen.«

»Fuchs am Arsch. Sie haben uns beim Auto gesehen. Sie wussten, das Spiel ist aus. Hat doch keinen Zweck mehr, uns Ihren Bullshit aufzutischen, Freddie.«

Wir kamen ins Wohnzimmer, Freddie sollte sich in den Beanbag setzen. Laura setzte sich aufs Sofa, ich hockte mich auf den Stuhl neben dem Telefon.

»Bevor Sie bei der Carrickfergus RUC anrufen, würden Sie mir wohl einen Anruf gestatten?«, fragte Freddie.

»Auf gar keinen Fall.«

»Ich schätze, der würde alles erklären.«

»Ja, direkt zu einem IRA-Einsatzkommando, die herkommen und Sie retten, bevor die Bullen eintreffen.«

»Nein, nein«, widersprach Freddie. »Nichts dergleichen. Eine Londoner Nummer. 017939000. Wenn Sie durchkommen und man Sie nach dem Namen fragt, sagen Sie, Stakeknife sei dran. Und wenn sie nach der Referenznummer fragen, sagen Sie 1146.«

»Wie bitte?«

»017939000. Wenn Sie durchkommen und gefragt werden, wer dran sei, sagen Sie Stakeknife. Und wenn die nach der Nummer fragen, sagen Sie 1146.«

»Was für ein Spielchen ist das, Scavanni?«

»Rufen Sie an. Sie werden schon sehen. Wenn nicht, geht Ihre ganze Karriere das Klo runter.«

»Sie sollten mir besser nicht drohen, Mann!«

»Das ist keine Drohung, glauben Sie mir. Rufen Sie an. Und wenn Sie zu irgendeinem Zeitpunkt nicht vollkommen zufrieden sind, legen Sie einfach auf und rufen Carrickfergus RUC. Was haben Sie zu verlieren?«

»Jetzt bin ich aber mal neugierig«, meinte Laura, die von alldem noch immer rote Wangen hatte.

»Also gut, einverstanden. Sehen Sie das als Ihren Anruf an. Und wenn mir das nicht gefällt, lege ich auf.«

»Abgemacht.«

Ich wählte 017939000.

»Hallo? Wer spricht da?«, fragte eine junge, weibliche englische Stimme.

»Stakeknife.«

»Und Ihre Nummer bitte, Stakeknife?«

»1146.«

»Danke, Stakeknife, ich verbinde Sie mit Mr. Allen.«

Nach einer kurzen Pause war ein Mann in der Leitung. Ein älterer Engländer.

»Was gibt’s, Stakeknife?«

»Wer ist da?«

»Und wer sind Sie? Wie kommen Sie an diese Telefonnummer?«, wollte Allen wissen.

»Ich bin Detective Sergeant Duffy, Carrickfergus RUC.«

»Wo ist Stakeknife?«

»Dem geht’s gut. Ich habe ihn gerade verhaftet.«

»Wo ist er? Auf dem Revier?«, bellte Allen.

»Wer zum Henker sind Sie?«

»Lassen Sie mich mit Stakeknife sprechen. Woher wissen wir, dass er noch lebt? Wer sind Sie?«

»Wie ich Ihnen schon gesagt habe, ich bin Polizist und …«

»Nennen Sie mir Ihre Dienstnummer!«

»Lassen Sie mich mit ihm sprechen«, bot Freddie an. »Schätze, ich kann diesen nervigen Sumpf des Misstrauens trockenlegen.«

»Stakeknife?«, fragte Allen.

Ich sah Scavanni an. »Ich hab die Schnauze voll davon. Ich lege auf.«

Freddie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, lassen Sie mich einen Augenblick mit denen reden.«

Ich warf Laura einen Blick zu. Sie zuckte mit den Schultern.

»Also gut. Zwei Sekunden. Wenn mir was nicht passt, sind Sie erledigt.«

Ich trug das Telefon zu ihm rüber und hielt die Muschel so, dass wir beide hören konnten

»Ach, hallo, Mr. Allen, hier Stakeknife. Tut mir leid, ich bin von einem Angehörigen der Polizei Carrickfergus verhaftet worden. Er will mich aufs Revier bringen. Wir sind noch in meinem Haus.«

»Hat er noch jemandem was erzählt?«

»Er hat eine Freundin bei sich. Eine Pathologin.«

»Mist.«

»Mr Allen, er ist nicht leicht zu überzeugen. Ich fürchte, er wird Ihnen nicht glauben. Sie werden den Minister holen müssen.«

»Sagen Sie ihm, er soll dranbleiben«, sagte Allen. »Und geben Sie ihm das Telefon zurück.«

»Er möchte, dass Sie dranbleiben«, gab Freddie weiter.

»Ich habe ihn verstanden.«

»Können Sie bitte in der Leitung bleiben, Sergeant Duffy?«, bat Allen.

»Ja.«

Ich setzte mich wieder aufs Sofa, stellte fest, dass mir die Hände zitterten. Eine Minute verging. Neunzig Sekunden.

»Hallo«, sagte eine Stimme im Telefon.

»Ja?«, erwiderte ich.

»Hallo, Sergeant Duffy, erkennen Sie meine Stimme?«

Es handelte sich um William Whitelaw, den Innenminister und Margaret Thatchers Stellvertreter.

»Ja, Sir, ich erkenne Ihre Stimme.«

»Sergeant Duffy, würde es Ihnen was ausmachen, wenn Sie dort ein paar Minuten warten? Wir schicken ein paar Leute vorbei, die Ihnen das alles sehr viel besser erklären können als ich.«

»Ja, Sir.«

»Danke, Sergeant Duffy. Guter Mann.«

Ich legte auf und sah Laura an.

»Was ist denn?«, fragte sie.

»Scavanni ist vom MI5. Er arbeitet verdeckt für MI5 in der IRA. Ein verdammter Spion.«

Eine halbe Stunde später hielten zwei Mann in einem silbernen Jaguar vor dem Haus.

Ich schickte Laura nach oben, ließ Freddie in Handschellen und hielt ihm die Waffe an den Kopf, bis ich ihre Ausweise gesehen hatte.

Beide Mitte vierzig. Ex-Militär. Agentenbetreuer der alten Schule. Nachdem ich Freddie die Handschellen abgenommen hatte, bekam ich es mit der Angst.

Die einfachste Lösung wäre, mich auf der Stelle zu erschießen. Mich und Laura. Dann wären wir aus dem Weg.

Aber das taten sie nicht. Sie verfrachteten uns hinten in den Jaguar und brachten uns in die Thiepval-Kaserne in Lisburn. Hauptquartier der britischen Armee in Nordirland. Sie brachten uns in einen umzäunten Hochsicherheitsbereich, dann in einen noch stärker kontrollierten inneren Bereich. Sie setzten uns in getrennte Zimmer und befragten uns eingehend.

Ich berichtete ihnen von den Beweisen, die ich gegen Scavanni hatte. Sie fanden die Beweislage ziemlich dünn. Stakeknife sei ein wertvoller Mann, meinten sie. Sehr wertvoll. Er sei nun Kopf der FRU, ein wirklich wichtiger Mann.

»Er könnte die Schlüsselfigur zur Beendigung der Hungerstreiks sein. Er könnte die Schlüsselfigur sein, um die Unruhen zu beenden.«

Ich hörte zu. Ich verstand. Ich musste ein Dokument unterzeichnen, das ich nicht lesen durfte. Ich musste eine Verpflichtung zur Geheimhaltung unterschreiben. Dann kamen neue Leute, und ich bekam das Ganze noch mal von vorn erklärt.

Ich unterschrieb weitere Dokumente. Dann kam ein drittes Team. So ging das bis zehn Uhr nachts, dann waren sie endlich zufrieden. Ich würde nichts sagen. Ich würde Freddie nicht weiter verfolgen. Ich würde zu meinem Fahrraddiebstahl zurückkehren und nie wieder von dieser Sache anfangen.

Sie fragten mich, ob ich das im Großen und Ganzen verstünde. Ja, antwortete ich ihnen. Dann tauchte eine Frau mittleren Alters in grauem Rock und weißer Bluse auf.

»In diesem Fall«, sagte sie, so als würde sie eine Unterhaltung wieder aufnehmen, »können wir Sie gehen lassen, Sergeant Duffy.«

Ich stand auf und sah ihr in die braunen Augen. »Unter einer Bedingung«, sagte ich.

Ihr Mund öffnete und schloss sich wie bei einer Plötze aus dem Lough Neagh, die sich fragt, ob man sie wieder reinwirft oder nicht. »Sie sind nicht in der Position, um …«

»Sagen Sie Freddie, das Morden muss aufhören. Er hat schon genug auf dem Kerbholz. Das Morden muss aufhören!«

»Ich werde es ihm ausrichten.«

Sie setzten Laura und mich am Hafenparkplatz in Carrickfergus neben meinem BMW ab, den sie schon hergeschafft hatten.

Laura zitterte. »Kalt?«, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Musstest du auch all die Formulare unterschreiben?«, fragte sie.

Ich nickte.

»Was, wenn wir trotzdem auspacken?«

»Keine Ahnung.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.

»Keine Ahnung.«

»Lass uns was trinken gehen«, schlug sie vor.

Wir schafften es gerade noch zur letzten Runde ins Dobbins. Ich holte zwei dreifache Whiskey und zwei doppelte Gin Tonic. Wir setzten uns ans Feuer. Draußen nahm der Regen zu.

»Und was wird aus Scavanni?«, fragte Laura.

»Nichts.«

Sie stürzte einen Gin Tonic hinunter.

»Trinkt aus, Leute!«, rief Derek.

»Ich bring dich nach Hause«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Gehen wir zu dir. Ich möchte heute Nacht bei dir bleiben.«

Ich war nicht mehr nüchtern genug, um zu fahren, deshalb ließ ich den Wagen stehen.

»Das war’s also, er wird nicht belangt?«, fragte sie sich.

»Am besten, wir denken nicht darüber nach«, sagte ich, und meine Stimme klang, als käme sie aus der tiefsten Tiefe eines Brunnenschachts.

Wir gingen die Taylor’s Avenue entlang, dann Barn Road und Coronation Road. Wir betraten das Haus. Ich zündete den Petroleumofen an. Dann gingen wir nach oben, nahmen uns unter der Decke in die Arme, schlossen die Augen und schliefen vielleicht sogar ein wenig, bevor die Männer mit Skimasken den Weg entlangkamen, die Tür einschlugen und das Haus stürmten.