23 Uhr, Carrickfergus

Ich klopfte bei Laura an, aber sie öffnete nicht. Dann fuhr ich in die Coronation Road zurück. Die Blagen hatten den ganzen Tag damit verbracht, die Bordsteine rot, weiß und blau zu streichen.

»Sie sehen so aus, als hätten Sie einen schlimmen Tag hinter sich«, meinte Mrs Campbell mitleidig und stellte die Milchflaschen raus.

»Mit wem redest du?«, rief ein Mann aus dem Haus.

»Mit unserem Nachbarn«, antwortete sie und flüsterte mir zu: »Er ist zurück.«

»Kenn ich nicht. Lass ihn rein«, sagte die Stimme.

»Nein, danke, ich geh besser«, erwiderte ich.

»Was hat er gesagt?«, fragte Mr Campbell.

»Er möchte nach Hause. Er hat noch nicht gegessen«, sagte Mrs Campbell und lächelte.

»Blödsinn! Er isst mit uns. Ich setz mich doch selber erst gerade zum Essen hin«, brüllte Mr Campbell.

Mrs C schüttelte den Kopf. »Er lässt sich nicht umstimmen«, flüsterte sie.

Ein sehr, sehr spätes Abendessen mit den Campbells: Würstchen, Spiegeleier, Fritten, Bohnen, gebratenes Sodabrot.

Mr Campbell sah aus wie ein unberechenbarer Onkel, der nur kurz von den Hügeln heruntergekommen ist, um rumzuhuren, zu saufen und Rache für irgendwelche Kränkungen zu üben. Er hatte einen buschigen Schopf schwarzer Haare, einen schwarzen Bart und einen malmenden Händedruck. Locker zwei Meter, hundertzehn Kilo.

Ich aß, und die Kinder starrten ihren Vater, den sie seit Monaten nicht gesehen hatten, in einer Mischung aus Ehrfurcht, Aufregung und Schrecken an. In diesem Haushalt war das Abendessen, vor allem um elf Uhr nachts, eine Zeit des Essens, nicht der Worte. Als wir fast aufgegessen hatten, fragte mich Mr Campbell nach meiner Lieblingsfußballmannschaft. Liverpool, antwortete ich. Das schien ihm zu gefallen. Eines der Kinder fragte mich nach meiner Lieblingsfarbe. Ich sagte, rot oder blau, ich sei mir da nicht sicher. Auch das kam an.

Ich aß auf, bedankte mich bei den Campbells, ging nach nebenan und schaltete die Nachrichten um Mitternacht an. Die Unruhen gingen noch immer weiter. Die Polizei hatte die Kontrolle verloren, man hatte die Armee zu Hilfe rufen müssen worden. Achtzehn Beamte waren von Molotowcocktails verletzt, fünfzig Fahrzeuge waren gestohlen und angezündet worden. Man hatte achtundachtzig Hartgummigeschosse abgefeuert. Ein Hubschrauber hatte nach mehreren Schüssen notlanden müssen. Eine Farbenfabrik war in Brand gesteckt worden.

Die weiteren Nachrichten: Mrs Thatcher hatte am Vormittag dem City Hospital in Belfast einen Besuch abgestattet; Courtaulds schloss die letzten Fabrikationsstätten in Nordirland, was fünfhundert Arbeitsplätze kostete; Harland and Wolff schickten zwölfhundert Schweißer für unbestimmte Zeit nach Hause; in Larne war eine »Schwulenbar« überfallen worden …