23

»Vor geraumer Zeit hast du dein Interesse für die Mutationen unserer Rasse und die der Asix bekundet«, stellte die Ärztin fest. »Hättest du Lust, dich an den Forschungen zu beteiligen?«

Suvaïdar versuchte, eine gleichgültige Miene zu wahren, während sie rasch überlegte. Natürlich hatte sie Lust und Interesse. Trotzdem: Das Labor war die Domäne Marias, und dort zu arbeiten hieße, jeden Tag Seite an Seite mit der Person arbeiten zu müssen, die nicht bereit gewesen war, sie, Suvaïdar, zu empfangen, als es darum ging, Saïda das zweite Gesundheitszentrum zu ersparen. Es würde überdies bedeuten, dass sie mit Maria die Ergebnisse der Forschungsarbeit besprechen musste und täglich Diskussionen mit ihr zu führen hatte.

Suvaïdar antwortete: »Ich werde deinen Weisungen gehorchen, ehrwürdige Frau Doktor, wenn du es für angebracht hältst, dass ich mich der Forschung widme. Wenn nicht, werde ich weiter operieren.«

Maria blickte sie stumm an. Wahrscheinlich fragte sie sich, woher Suvaïdar diese außergewöhnliche Selbstbeherrschung nahm, wo doch kaum eine der Ärztinnen aus dem Lebenshaus, denen man dieses Angebot unterbreiten würde, ihre Begeisterung hätte zurückhalten können.

»Jede andere würde sich geehrt fühlen und sich glücklich schätzen, am Forschungsprogramm teilnehmen zu können.«

»Ich fühle mich ja auch geehrt, aber ich möchte die Chirurgie ungern ganz aufgeben.«

»Du könntest vormittags operieren und am Nachmittag im Labor arbeiten.«

»Ay, Jestak Adaï. Wann soll ich anfangen?«

»Wenn du alle Eingriffe gemacht hast, die jetzt bereits vorgemerkt sind, wirst du dich nur noch für die Vormittage eintragen. Dann wirst du ins Labor kommen und nach Sevrin Jestak oder Yoriko Sobieski fragen, das sind meine beiden Assistenten.«

Suvaïdar verbeugte sich tief vor der Jestak und zog sich zurück.

Eine Sache war immer noch in der Schwebe. Sie hatte versucht, aus Oda herauszukriegen, ob Kilara den Anfängerkurs, den Tarr ihr auferlegt hatte, bis zum Ende durchgezogen hatte. Doch sie hatte einen der seltenen Momente erwischt, in denen Oda schlechte Laune hatte. Wenn seine Schwester wissen wolle, was sich in der Akademie des Inneren Friedens zugetragen habe, sagte er, müsse sie nur dorthin gehen und wieder trainieren.

In die Akademie des Inneren Friedens zurückzukehren, nachdem sie seinen Meister Hals über Kopf aus ihrem Zimmer geworfen hatte? Das stand nicht zur Debatte. Suvaïdar beschloss, erst einmal einen Asix zu fragen. Nach einem Vormittag im Krankenhaus – sie wusch sich gerade im Beisein der Hilfskräfte die Hände – ließ sie die Bemerkung fallen, dass Kilara jetzt wohl sehr glücklich sei, wo sie nicht mehr in der Akademie des Inneren Friedens trainieren müsse.

»Ja, das stimmt«, antwortete einer der Hilfskräfte. »Das hat sie erst vorgestern gesagt. Sie zieht es vor, im Fechtsaal ihres Clan-Hauses zu trainieren, weil ihr dort erwachsene Partner gegenüberstehen.«

*

»Jestak Adaï.« Suvaïdar sprach Kilara an, als diese ihr später begegnete. »Es scheint, als wärst du glücklich darüber gewesen, dich wieder im Fechtsaal deines Clans einfinden zu können. Ich würde ihn gern besuchen, jetzt, wo du wieder die Erlaubnis hast, dort zu trainieren. Erinnerst du dich, dass du mir versprochen hast, mit mir zu trainieren?«

Sie verabredeten sich für den nächsten Abend, und Suvaïdar hütete sich, mit Oda darüber zu sprechen. Am nächsten Tag ging sie nach der Arbeit gar nicht erst nach Hause, sondern aß schnell etwas in der Küche des Hospitals. Dann bat sie eine Asix, sie in den Fechtsaal des Jestak-Hauses zu führen. Kilara wartete bereits, und zwei Jugendliche waren schon damit beschäftigt, das Kampffeld zu markieren.

»Könnte mir jemand einen Kampfsäbel leihen?«, fragte Suvaïdar. »Ich habe keinen.«

Kilara runzelte die Stirn und zögerte kurz, ehe sie sagte: »Ich rufe den Meister.«

Ein Shiro kam zu ihnen. Er besaß eine Adlernase und hohe Wangenknochen. »Was ist?«, fragte er.

»Die Shiro Adaï«, Kilara deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Gegnerin, »fordert die Blutklinge. Ich möchte Widerspruch einlegen.«

»Welchen Einwand hast du denn?«, fragte der Meister ein wenig verächtlich. »Es ist ihr gutes Recht. Wenn du Angst hast, dich zu schlagen, solltest du niemanden herausfordern.«

»Ich habe keine Angst, Herr – allenfalls davor, meine Gegnerin zu verletzen, denn das ist schon einmal geschehen. Ich habe die Prüfung für den sechsten Grad abgelegt und bestanden. Sie aber hat viele Jahre in der Außenwelt gelebt, sodass man sie als Anfängerin bezeichnen muss.«

Der Meister war perplex. »Willst du damit sagen, dass du sie schon einmal verletzt hast? Um was geht es denn hier? Um eine Blutrache zwischen Clans oder um Rufschädigung?«

»Weder das eine noch das andere, Meister. Das erste Mal war ich es, die das Duell gefordert hat, weil ich mich beleidigt fühlte, doch meine Herausforderung wurde als Unverschämtheit betrachtet. Dieses Mal ist sie es, die mich herausgefordert hat.«

Der Mann stand ein paar Minuten schweigend da; dann stimmte er zu. »Der Einwand erscheint mir akzeptabel. Ihr werdet mit Übungswaffen kämpfen.«

Suvaïdar stand Kilara mit ihren ausdruckslosen Augen unter der Gesichtsmaske aus Stoff gegenüber. Dieses Mal war sie nicht angetrieben von solch verwirrenden Gefühlen wie sechs Monate zuvor. Damals hatte sie sich durch die Unverschämtheit, als halbe Sitabeh bezeichnet zu werden, vor den Kopf gestoßen gefühlt. Hinzu kam die Enttäuschung darüber, dass diejenige, die sie als Freundin betrachtet hatte, sie dafür verachtete, dass sie sechs Jahre fern von Ta-Shima bei den Fremden gelebt hatte. Außerdem hatte ihr die Angst vor der Stahlklinge zu schaffen gemacht.

Dieses Mal jedoch wurde Suvaïdar von einer kalten, ohnmächtigen Wut gegen den Jestak-Clan angetrieben. Dieser Clan hatte Saïdas Leben wegen eines dummen, sexistischen Vorurteils gegen die Traditionen ihres Planeten in große Gefahr gebracht. Es gelang Suvaïdar nicht, dies mit jener Gleichgültigkeit zu akzeptieren, wie ihre Shiro-Artgenossen es getan hätten. Vor allem war sie auf Maria Jestak wütend, die sie von Kindheit an bewundert, ja verehrt hatte und die mittlerweile zu einer Karikatur aller Shiro-Charakterfehler geworden war.

Unter der ausdruckslosen Maske Suvaïdars kochte die Wut – bis sie unvermittelt an die Oberfläche kam, mit der verheerenden Kraft eines Vulkanausbruchs. Diesmal gab Suvaïdar sich nicht damit zufrieden, auf die Angriffe ihrer Gegnerin zu warten, stattdessen attackierte sie selbst. Es gelang ihr sogar, Kilara mehrmals in die Defensive zu bringen. Doch der Unterschied zwischen ihnen beiden war nach wie vor riesig, und die Paraden Kilaras waren so wild und präzise, dass es sich beinahe um Attacken handelte.

Suvaïdar fing sich einen wuchtigen Stoß in den Bauch ein, sodass sie vor Schmerz aufschrie. Sie taumelte, fing sich aber wieder. Als ihre Gegnerin, die nun ständig angriff, sich auf sie zu bewegte, gelang es Suvaïdar, Kilaras Abwehr zu durchbrechen und ihren Brustkorb mit einem peitschenden, halbkreisförmigen Schlag zu treffen. Er fiel jedoch zu schwach aus, weil Kilara ihn rechtzeitig abschirmen konnte. In einer fließenden Bewegung, eine von ihren Spezialitäten, parierte Kilara. Ihre Klinge berührte Suvaïdar am Augenbrauenbogen. Die Wunde begann sofort zu bluten. Die Verletzung war nicht schwerwiegend, aber hinderlich, weil das Blut ihr in die Augen lief, sodass sie nichts mehr sehen konnte. Sie wich ein paar Schritte zurück und behielt ihre Garde mit der rechten Hand bei, um sich mit der linken das Blut vom Gesicht zu wischen.

Der Meister nahm seinen Säbel und stellte ihn zwischen die beiden Kämpferinnen.

»Es ist Blut geflossen. Erklärt sich die Beleidigte damit zufrieden?«

»Nein, Herr.«

»Möchtest du eine kurze Pause haben, um die Wunde versorgen zu können?«

»Nein, Herr.«

Der Meister senkte seinen Säbel. Als dessen Spitze den Boden berührte, stieß er das rituelle »Los!« hervor.

Von diesem Moment an war es kein Kampf mehr, sondern ein Massaker. Mit ihrem linken Auge, das halb geschlossen war, und den blutigen Wimpern war Suvaïdar nicht mehr imstande, sich richtig zu verteidigen, und kassierte einen Schlag nach dem anderen: auf den Brustkorb, auf die Beine, dann wieder ins Gesicht. Sie hörte aus der Ferne die Stimme des Meisters:

»Erklärt sich die Beleidigte damit zufrieden?«

»Nein, Herr.«

Die Antwort hatte zweifelsfrei sie selbst gegeben, doch ihre eigene Stimme hörte sich an, als käme sie aus weiter Ferne. Dann kochte ihre Wut von Neuem hoch: Saïda, Maria Jestak, die Saz Adaï, die Außenweltler, der Kapitän, der zu den Spezialkräften gehörte und der für den Tod so vieler Asix verantwortlich war ...

Suvaïdar fühlte keinen Schmerz mehr und griff weiter an, ohne dass es ihr gelang, einen wirkungsvollen Stoß zu landen. Dennoch setzte sie ihre Gegnerin unter Druck. Mit einem Schrei, in dem aller Schmerz und alle Verbitterung der vergangenen Monate ihren Ausdruck fanden, hob Suvaïdar ihren Säbel. Kilara erwiderte mit ebensolcher Heftigkeit, allerdings weitaus präziser. Suvaïdar gelang es nicht, den Säbel aus Holz abzuwehren. Sie kassierte einen Schlag auf die Wange.

»Die Begegnung ist zu Ende«, stellte der Meister fest.

»Ich bin noch nicht zufriedengestellt«, sagte Suvaïdar keuchend.

»Ich habe gesagt, die Begegnung ist zu Ende.«

»Ay, Meister.«

Sie verbeugte sich in seine Richtung, dann in Richtung ihrer Gegnerin, ehe sie zu den Umkleideräumen ging. Mit ungeschickten Fingern wickelte sie die schweiß- und blutdurchtränkte Maske, deren Knoten ein wirres, verklebtes Durcheinander waren, vom Gesicht, zog sich aus und ging unter die Dusche. Als der Strahl eiskalten Wassers ihr Gesicht traf, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Vorsichtig betastete sie ihre rechte Wange und fühlte dort eine lange Kerbe, die sich vom Wangenknochen bis zum Mund hinzog. Sie senkte den Blick und sah, dass Bauch und Oberschenkel von roten Linien gestreift waren, und auf dem Brustkorb waren zwei große Hämatome zu sehen.

Suvaïdars Adrenalinspiegel sank allmählich. Jetzt erst fühlte sie den Schmerz. Es war nicht so sehr das Gesicht – obwohl der Hieb zu den schlimmsten ihres Lebens gehörte –, viel heftiger waren die Schmerzen im Bauch und in der Brust. Sie blieb unter dem kalten Wasserstrahl stehen, bis die Kälte sie gefühllos machte. Dann verließ sie die Dusche, drehte den Hahn zu und tastete sich auf der Suche nach einem Handtuch mit geschlossenen Augen voran. Irgendjemand drückte ihr eines in die Hand und murmelte:

»Mit deiner Erlaubnis, Shiro Adaï.«

Sie neigte den Kopf zum Zeichen des Dankes; dann trocknete sie sich das Gesicht ab, um zu sehen, wer zu ihr gesprochen hatte, und sich zu bedanken. Sie stellte fest, dass es sich um eine Jugendliche mit langen Haaren handelte; die Geste mit dem Kopf reichte deshalb als Dank.

Suvaïdar trocknete sich gründlich ab und zog sich an, ohne weiter auf das junge Mädchen zu achten. Doch sie spürte, dass das Mädchen geblieben war und sie beobachtete, wobei sie die ganze Zeit von einem Fuß auf den anderen trat.

»Was gibt es noch?«, fragte Suvaïdar ungeduldig.

»Du blutest. Erlaubst du, dass ich ein Desinfektionsmittel auf deine Wunde sprühe und dir einen Verband anlege? Reomer hat mir gezeigt, wie das geht.«

Suvaïdar schaute das Mädchen jetzt aufmerksamer an. Ja, das war Rico, eine der beiden Töchter Saïdas. Dann konnte Lara nicht sehr weit sein. Suvaïdar drehte den Kopf. Tatsächlich, da stand sie in einigem Abstand und beobachtete sie ebenfalls.

»Habe ich auch Wunden auf dem Rücken?«, fragte sie Rico.

»Nein, Shiro Adaï, nur die Wunden im Gesicht bluten sehr stark.«

»Ich werde mich selbst behandeln. Bitte hol mir, was ich benötige.«

Lara kam schüchtern aus ihrem Versteck. In der Hand hatte sie bereits ein Fläschchen und ein Paket mit sterilen Kompressen. Suvaïdar desinfizierte die beiden Wunden und versuchte, nicht zu zittern, wenn sie mit der Flüssigkeit in Kontakt kamen. Offensichtlich benutzte man im Fechtsaal ein Desinfektionsmittel, das wie Feuer brannte. Dabei gab es mittlerweile eine Vielzahl von Produkten, die nicht schmerzten und ebenso wirksam waren.

Auf der Suche nach Kilara blickte Suvaïdar sich um. Sie sah, dass Kilara gerade mit dem Duschen fertig geworden war. Ihr schlanker Körper wies nur zwei leichte Hämatome auf, die zudem wohl auch schon älteren Datums waren.

»Jestak Adaï«, sagte Suvaïdar, »ich glaube, dass zwei meiner Wunden am Augenbrauenbogen genäht werden müssten. Könntest du das bitte machen?«

Kilara stimmte zu. Nachdem sie sich die Hose angezogen hatte, setzte Suvaïdar sich auf die Steinbank, die an der Wand stand und auf der man die Kleidung und die Handtücher ablegte, wenn man duschen ging. Dann hob sie das Gesicht an. »Nadel und Faden«, befahl sie. Rico kam innerhalb von Sekunden wie ein Pfeil angeschossen, um der Ärztin ein Paket Nadeln und zwei Schachteln mit Fäden zu reichen.

»Die Nummer zwei für das Gesicht«, sagte Kilara, die sich in der Zwischenzeit fertig angezogen hatte.

Rico versuchte mehrmals den Faden einzufädeln, jedoch erfolglos. Kilara riss ihr beides mit einer ungeduldigen Geste aus der Hand und stieß sie zur Seite. Suvaïdar hatte diese kurze Zeit genutzt, um sich die Shu-Technik in Erinnerung zu rufen, eine Art Meditation, mit der man den Schmerz beherrschen konnte. Sie glaubte, es geschafft zu haben – bis zu dem Moment, als die Nadel durch die Haut stach. Doch es gelang ihr, das Zittern zu unterdrücken. In stoischer Haltung wartete sie, bis die Wunden endlich vernäht waren.

»Ich glaube nicht, dass die andere Wunde genäht werden muss«, bemerkte Kilara, »es reicht, einen Tropfen organische Gelatine aufzutragen.«

»Nadel und Faden, Jestak Adaï«, sagte Suvaïdar höflich, aber bestimmt. Kilara machte erbost zwei weitere Stiche.

Genauso muss auch ich aussehen, dachte Suvaïdar, wenn ein dummer Shiro ein Analgetikum oder ein organisches Pflaster ablehnt.

Das Duell hatte wenigstens bewirkt, das der Zorn, der in ihr gekocht hatte, weil Saïda in das zweite Gesundheitszentrum versetzt worden war, langsam nachließ. Seit ihrer Rückkehr hatte sie sich mit großer Mühe hinter einer höflichen Fassade versteckt. Sie bedankte sich bei Kilara für das Training und die Behandlung, wusch ihr Handtuch aus, das von ihrem Blut getränkt war, und hängte es zum Trocknen auf. Dann schlüpfte sie in ihre Stiefel und zog ihre Tunika über. Schließlich verließ sie das Haus der Jestaks, um zum Haus der Huangs zu gehen.

Sie hörte das Getrappel eiliger Schritte hinter sich. »Suvaïdar Shiro Adaï?«

Lara lief zu ihr, gefolgt von Rico.

»Was gibt es denn noch?«, fragte Suvaïdar unwirsch.

»Entschuldige bitte, könntest du uns sagen, ob du etwas Neues über Reomer weißt?«

Ihr Unmut verflog, und sie antwortete den beiden auf so freundliche Art, wie man es Kindern gegenüber im Allgemeinen nicht tat. »Er ist noch immer im zweiten Gesundheitszentrum, aber ich denke, alles wird gut gehen. Hat man euch erlaubt, das Haus zu verlassen?«

»Nein, wir hätten um Erlaubnis fragen müssen. Aber weil man uns noch keinen neuen Tutor genannt hat ...« Lara hielt sich die Hand vor dem Mund, als würde sie ihre Worte bereuen.

»Wie kann das sein?«, fragte Suvaïdar.

»Vielleicht hat man uns vergessen. Ist es erlaubt, ein Bittgesuch zu stellen, meine Dame?«, murmelte die mutigere Rico, während Lara flüsterte: »Pssst! Du machst die Sache nur noch schlimmer. Entschuldige dich, und dann lass uns gehen.«

»Wenn ich eine Strafe verdiene, werde ich sie annehmen, aber ich wollte wenigstens fragen.«

»Sprich«, forderte Suvaïdar sie auf.

»Es ist Lara so herausgerutscht, dass wir im Augenblick keinen Tutor haben. Du sprichst doch nicht mit der Saz Adaï darüber?«

»Hoffst du, dich vor deinen Pflichten drücken zu können, Kleine?«, fragte Suvaïdar mit strenger Stimme.

»Nein, ganz und gar nicht. Wir gehen weiter zur Schule und machen die Arbeiten im Haus, die man uns zuweist. Es ist nur ... wir befürchten, unterschiedliche Tutoren zu bekommen, vielleicht sogar aus verschiedenen Clans, und dass dies unsere Trennung bedeutet.«

Und?, wollte Suvaïdar antworten. Doch dann betrachtete sie die beiden kleinen Mädchen, die enger verbunden waren, als die Etikette der Shiro es eigentlich erlaubt hätte. Sie warf Rico einen Blick zu. Das Mädchen schaute sie mutig an, hatte den Kopf aber eingezogen, als erwartete sie einen Schlag auf die Schultern.

»Ach!«, rief Suvaïdar verächtlich. »Warum sollte ich meine Zeit vergeuden und der Sadaï etwas über zwei unwichtige Gören erzählen?«

Lara konnte ein befreites Lachen nicht unterdrücken. Rico dagegen entschuldigte sich: »Ay, Shiro Adaï, ich bedaure, dich belästigt zu haben, es wird nicht wieder vorkommen.«

»Das hoffe ich. Und statt die Erwachsenen mit euren dummen Fragen zu nerven, solltet ihr lieber einen Blick auf die Tafel im Lebenshaus werfen. D2 ist die Abkürzung für das zweite Gesundheitszentrum, und solange dort kein freier Posten angeschlagen ist, bedeutet es, dass Reomer sich noch dort befindet.«

Die beiden kleinen Mädchen verbeugten sich tief. Suvaïdar antwortete mit einem kurzen Kopfnicken und ging dann geradewegs zum Haus. Sie überprüfte ihr Äußeres, indem sie ihr Spiegelbild in einem Fenster betrachtete. Ihr Gesicht war rot und geschwollen und es zeigte große Punkte vom Nähen mit der Nadel sowie Spuren von Blut, das über ihre Wange gelaufen war.

Suvaïdar machte sich auf den Nachhauseweg. Dabei überquerte sie eine der kleinen Kanalbrücken. Diese beschrieb einen Halbkreis rund um das Anwesen, in dem sich die Wassergruben befanden, die in der Trockenzeit das Wasser für die Obst- und Gemüseplantagen lieferten.

Suvaïdar seufzte tief, als sie daran dachte, dass sie Rasser einen Besuch zugesagt hatte. Schon in drei Tagen war der Termin. Außerdem hatte sie keine Lust, an diesem Abend noch auf ein Mitglied aus dem Huang-Clan zu treffen, geschweige denn, irgendeinen Shiro zu treffen, der meinte, einen besonders intelligenten Kommentar abgeben und sie von oben herab betrachten zu müssen. Und Oda hatte mittlerweile angefangen, ihr gegenüber den Beschützer zu spielen; er würde ihr ganz sicher in ihr Zimmer folgen, um ihr einen Haufen Fragen zu stellen. Auch darauf hatte sie jetzt keine Lust. Deshalb hielt sie in den Schatten, was nicht weiter schwer war, weil die wenigen Lampen meist die Fenster beleuchteten.

Es gelang ihr, das Haus der Huangs zu erreichen, ohne dass jemand sie gesehen hatte, und unbemerkt in den Schlaftrakt des Clan-Hauses zu schleichen. Sie hatte Hunger und Durst, doch um an eine Tasse Tee oder ein Glas Wein und eine warme Mahlzeit zu kommen, hätte sie zu den Küchen gemusst. Dort wäre sie mit Sicherheit ein paar Dutzend Huangs jeden Alters begegnet, die wie sie in die Küchen gegangen waren, weil sie etwas zu essen und zu trinken haben wollten.

Suvaïdar zögerte kurz. Dann öffnete sie das Fenster und schaute nach, ob jemand sich in Nähe aufhielt, der sie sehen könnte. Sollte jemand sie beobachten, würde er wahrscheinlich denken, sie sei eine Heranwachsende, die vor ihrem Tutor ausreißen wollte.

Suvaïdar setzte sich auf die Fensterbank, schwang die Beine auf die andere Seite und sprang ins Freie. Die Höhe war gering, dann das Haus lag ebenerdig zu den Gärten.

Ruhigen Schrittes ging sie durch den Obstgarten, der sich zwischen diesem Flügel und dem Bau an der Nordseite des Gebäudes erstreckte. Hier standen die provisorischen Hütten, in denen Asix lebten, die auf der Durchreise waren. Außerdem hielten sich hier die Jungen auf, die es vorzogen, ihre Abende in einer weniger formellen Umgebung als im Gemeinschaftssaal des Clan-Hauses zu verbringen. Viele aus dem Huang-Clan zogen diese Hütten vor, denn die traditionsbewusste Odavaïdar ließ in ihrem Haus eine eisige, erstickende Etikette walten. Wenn die Jahreszeiten wechselten, wurden diese provisorischen Hütten jedes Jahr aufs Neue von den schweren Stürmen beschädigt oder niedergerissen, doch man baute sie je nach Bedarf wieder auf.

Jetzt, im zehnten Monat der Regenzeit, standen hier an die fünfzig Hütten. Sie bildeten beinahe schon ein kleines Dorf, bewohnt von einer wechselnden Zahl an Leuten, die ständig unterwegs waren.

Suvaïdar ging auf die Hütten zu, die gegenüber der Mauer des Obstgartens standen, und schärfte im Halbdunkel ihren Blick. Das einzige Licht fiel durch ein paar Zweige der Ölpflanzen, aus denen man das Öl für die Lampen gewann. Sie wurden auch in Töpfe gepflanzt, die man dann an Wegkreuzungen aufstellte. Die Pflanze besaß ein ölhaltiges Holz, das mehr Rauch als Licht abgab, doch für die Augen der Asix reichte das vollkommen.

Seitdem sie die DNA-Hologramme in den Laboren von Maria Jestak gesehen hatte, hatte Suvaïdar keine Nacht mehr mit einem Asix verbracht. Der Gedanke, sich einzig und allein unter dem Einfluss einer Konditionierung ihrer Gene so zu verhalten, hatte sie beunruhigt. Sie war erleichtert, dass wenigstens in den Häusern der Asix eine entspannte Atmosphäre herrschte, die so ganz anders war als die Stimmung im Gemeinschaftssaal des Clan-Hauses.

Aus den Hütten erklangen Stimmen, Lachen und das Klirren von lackierten Holzschalen. Ab und zu begrüßte sie jemand, und Suvaïdar grüßte zurück, selbst wenn sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wem sie da gerade begegnet war.

Sie erreichte schließlich die Hütte von Saïkin, ein junger Mann, mit dem sie bereits ihre Matte geteilt hatte. Sie rief seinen Namen.

»Komm herein, meine Dame, komm. Warte, ich zünde eine Lampe an.«

Ein Schatten verließ die primitive Behausung und bewegte sich auf die nahe Fackel zu, von der er dann einen Ölbaumzweig nahm. Eine kleine Flamme loderte auf. Saïkin stellte die Fackel in eine mit Sand gefüllte Schale, bevor er sich seiner Besucherin zuwandte.

»Was ist denn vorgefallen, Suvaïdar Adaï?«, fragte er sie mit der typischen, friedvollen Spontaneität der Asix.

»Ein Training in der Akademie«, antwortete sie. »Es war sehr lehrreich. Ich wollte dich um etwas bitten. Hast du schon gegessen?«

»Nein, ich bin gerade aus dem Bad zurück und stehe dir gern zur Verfügung, wenn du möchtest.«

Er war nur mit einer Hose bekleidet, und seine Haare und das Fell auf seiner Brust waren noch mit winzig kleinen Wassertröpfchen bedeckt. Er holte die Matte, die ihm als Bett diente, und rollte sie schnell aus.

»Möchtest du dich setzen?«

Suvaïdar bedankte sich. Als sie eine zweite Matte entdeckte, die an der Wand lehnte, fragte sie: »Du hast jetzt eine feste Freundin?«

»Nein, die Matte gehört Edar Sarod, ein Bruder von demselben Vater. Er ist Viehzüchter und ist heute angekommen, um hier ein paar Tage Ferien zu machen. Er wird hier wohnen. Was kann ich für dich tun?«

»Wenn du dir etwas zu essen holst, könntest du mir dann was mitbringen? Mit diesem Kopf möchte ich mich im Gemeinschaftssaal des Clans nicht sehen lassen.«

»Natürlich, das mache ich gern«, antwortete er mit einem breiten Lächeln. Dann zog er sich Sandalen an, streifte die Tunika über und ging hinaus.

Suvaïdar setzte sich ganz vorsichtig, denn die Blutergüsse an ihren Beinen taten sehr weh. Vergeblich suchte sie eine Position, die Schmerzfreiheit bot. Ihr rechter Oberschenkel pulsierte heftig, sobald sie sich in den Schneidersitz setzte. Und das linke Bein bereitete Schwierigkeiten, wenn sie knien wollte. Schließlich rollte sie sich auf der Matte zusammen, den Rücken zur Tür und zu der kleinen Fackel, die dichten Rauch und einen unangenehmen Geruch verströmte.

Sie hatte gerade eine Haltung eingenommen, die nicht allzu sehr schmerzte, als ihr plötzlich ein voller Eimer eiskaltes Wasser über Kopf und Rücken geschüttet wurde. Eine wütende Stimme rief: »Du genetischer Irrtum, das wirst du mir büßen!«

Mit einem Satz war sie auf den Beinen, die Hand am Schaft ihres Messers. Vor ihr stand ein Asix, splitternackt und tropfnass. Mit einer drohenden Geste kam er auf sie zu, um dann plötzlich innezuhalten und den Mund wie ein Fisch zu öffnen und zu schließen.

»Asix, hast du völlig den Verstand verloren?«, rief sie wütend.

Wahrscheinlich lief der junge Mann Amok; eine andere Erklärung hatte Suvaïdar nicht. Dann legte er verzweifelt die Hände vor das Gesicht, was in einer anderen Situation durchaus komisch hätte wirken können, und stammelte:

»Shiro Adai ... bitte verzeih. Ich bin Edgar. Ich glaubte, hier Saïkin vorzufinden, meinen Bruder. Der Dummkopf hat sich einen Scherz erlaubt, als ich gerade ein Bad genommen habe. Er ist mit meinem Handtuch und meinen Kleidungsstücken auf und davon. Ich bin bestimmt zehn Minuten herumgelaufen, bevor ich seine Hütte gefunden habe. Bitte, meine Dame, lass Barmherzigkeit walten. Ich verdiene die Peitsche, du bist ganz nass!«

»Ich habe schon bemerkt, dass ich ganz nass bin«, erwiderte sie in säuerlichem Tonfall, »such mir ein Handtuch.«

Suvaïdar zog Jacke und Hose aus. Dann sah sie, dass auch ihr Schlüpfer nass war, und zog auch diesen aus.

Der völlig zerknirschte Asix näherte sich ihr, um ihr ein Handtuch zu reichen. Trotz des schwachen Lichts, das die Fackel spendete, war seine Erektion nicht zu übersehen.

Gütiger Himmel, sagte sich Suvaïdar, was passiert hier? Mein Gesicht sieht wie aus Mus, ganz zu schweigen von den roten Striemen auf dem Körper. Selbst ein Mox hätte mehr Sexappeal als ich.

Sie griff nach dem Handtuch und berührte dabei leicht die Hand des jungen Mannes. Eine Wolke seines Duftes streichelte ihre Nasenlöcher. Er roch nach Zimt und Muskatnuss – nicht so stark wie gewöhnlich, weil er gerade gebadet hatte, aber immer noch stark genug. Sofort waren die Schmerzen im Gesicht wie weggeblasen, und auch die unangenehme Erfahrung, mit eiskaltem Wasser begossen worden zu sein, löste sich in Luft auf. Der Junge wartete eine Einladung ihrerseits nicht ab, sondern machte einen Schritt auf sie zu und starrte sie an wie in Trance. Einen Augenblick lang vergaß Suvaïdar die Zeit und fühlte, wie eine unerwartete Woge des Verlangens über sie kam – so heftig, dass es beinahe schmerzte. Sie hob die Hand, um seine Schulter zu berühren, ließ die Finger dann aber über seinen dicht behaarten Brustkorb, seinen flachen Bauch und sein Geschlecht gleiten, das sie ergriff und leicht drückte.

»Sei vorsichtig«, sagte sie zu ihm, »ich habe mehr blaue Flecken als heile Haut.«

»Ay, meine Dame, ich werde mich nicht auf dich legen.«

Er kniete sich vor sie auf die Matte und half ihr, sich rittlings auf seine kurzen und muskulösen Oberschenkel zu setzen. Dann begann er, sie sanft und vorsichtig zu liebkosen, ohne die Hämatome zu berühren.

Als Saïkin, Edgars Bruder, in die Hütte kam, bewegte sich Suvaïdar, die Hände auf Edgars Po, langsam auf und ab. Saïkin sah die beiden und blieb zögernd auf der Schwelle stehen.

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich woanders schlafe«, sagte er dann verlegen.

»Aber warum?«, fragte Suvaïdar und warf ihm einen Blick zu. »Das ist doch deine Matte, oder?«

Saïkin lachte und stellte die beiden Teller, die er in den Händen hielt, in eine Ecke. Dann streifte er schnell die Sandalen von den Füßen und zog seine Jacke aus.

*

Wie Marionetten am Faden, überlegte Suvaïdar später, als ihr Kopf auf Saïkins Seite lag und Edgar leicht die rote Stelle berührte, die Folge eines Hiebes in den Bauch war. Wie können sie das Verlangen verspüren, mit einer Frau zusammen zu sein, die so aussieht wie ich?

Trotzdem murmelte Edgar verzückt: »Du bist wunderschön. Ich hatte nie zuvor mit einer Shiro-Dame ... ich meine, ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass es so schön ist ...«

Suvaïdar warf ihm einen schrägen Blick zu. Wollte er sich über sie lustig machen? Nein, das konnte nicht sein. Aber wer würde eine Frau mit geschwollenem Gesicht und Striemen am ganzen Körper schön finden? Niemand. Nur ein Asix, wie es schien. Vor allem, wenn es sich um eine Shiro-Frau handelte wie sie. Und sie hatte ja auch sofort reagiert, als Edgar sich ihr näherte, obwohl sie wenige Minuten zuvor nur noch etwas essen und dann schlafen gehen wollte.

Die Pheromone?, fragte sie sich. Und ein spezifischer Rezeptor auf unterschwelligem Niveau? Ja, sie würde an dem Forschungsprogramm Maria Jestaks teilnehmen. Sie wollte den Mechanismus entdecken, der die Interaktion der beiden Rassen auf Ta-Shima steuerte.

Was immer sie dazu gebracht hatte, so zu reagieren, Suvaïdar versprach sich, zukünftig nicht mehr das Opfer zu bringen, auf die Asix als Sexualpartner zu verzichten. Was würde außer der Arbeit und den unterkühlten, förmlichen Beziehungen mit den anderen Shiro dann bleiben? Der Versuch, eine persönlichere Beziehung zu ihren Artgenossen aufzubauen, würde früher oder später unter den strengen Blicken stiller, unbeweglicher Shiro, die nur darauf warteten, wessen Blut zuerst fließt, in einer Begegnung im Fechtsaal enden.

Als Suvaïdar vom Lärm des Tages geweckt wurde – fließendes Wasser, Schritte, Stimmen, Geschirrgeklapper –, hatte sie nur wenige Stunden geschlafen. Sie machte ein Auge auf und gleich wieder zu. Wimmernd zog sie das Laken über ihren Kopf. Ihr fiel wieder ein, dass sie an diesem Nachmittag ihre Arbeit mit Maria aufnehmen musste. Ungefähr zwanzig Stunden – einige davon nicht besonders erfreulich –, trennten sie von dem glücklichen Augenblick, an dem sie erneut Besitz von ihrer Matte ergreifen konnte.

Und dieses Mal allein, das schwor sie sich.

Die beiden Asix waren bereits aufgestanden, frisch und ausgeruht wie nach einer langen Nacht. Sie hatten offensichtlich darauf gewartet, sie in die Bäder begleiten zu dürfen. Die beiden wollten sicher sein, dass auch jeder Nachbar mitbekam, dass sie, die Shiro, die Nacht bei ihnen verbracht hatte. Suvaïdar tat den beiden den Gefallen und marschierte ostentativ zwischen ihnen zu den Duschen. In aller Eile wusch sie sich, nahm das trockene Handtuch, das Saïkin ihr reichte – der ihr versicherte, es mache ihm nichts aus, das andere Handtuch mit seinem Bruder zu teilen –, trocknete sich ab und beauftragte die beiden: »Bleibt beim Frühstück bitte bei mir, ich werde mich zwischen euch setzen.«

»Ay«, antworteten sie höflich, ohne nach dem Grund zu fragen.

Doch sollte Suvaïdar gehofft haben, nicht auf Oda zu treffen, wurde sie enttäuscht. Obgleich er seinen Imbiss, der nur aus einer Tasse Tee bestand, rasch beendet hatte, blieb er am Gemeinschaftstisch sitzen und ließ den Blick schweifen, als suchte er ein ganz bestimmtes Augenpaar. Suvaïdar schwante, zu wem es gehören könnte. Und als der Blick ihres Bruders auf ihr angeschwollenes Gesicht traf, ohne dass er sie auf Anhieb erkannte, musste selbst sie lächeln. Dann aber stieß er hervor: »O Hedaï! Was ist ...«

Beinahe hätte Oda sie in aller Öffentlichkeit kompromittiert und danach gefragt, was passiert sei, doch er hielt gerade noch rechtzeitig inne. Dann ging er auf sie zu und befahl: »Räumt den Platz, Asix!«

Die beiden sprangen sofort auf, um ihn respektvoll zu grüßen und die Plätze neben Suvaïdar frei zu machen. Diese wiederum rächte sich, indem sie an ihrer Tasse Tee und ihrem Stück Honigbrot dreimal so lange trank und aß, wie es nötig gewesen wäre. Dabei schaute sie Oda die ganze Zeit von unten an. Der wiederum – darauf wartend, dass sie endlich allein waren – setzte sich und legte ein Knie auf das andere.

»Ich möchte dich allein sprechen«, sagte er, als ihm allmählich der Geduldsfaden riss.

»Ich habe jetzt keine Zeit. Heute Abend in deinem Zimmer?«

»Einverstanden«, antwortete er bereits versöhnt, da er wusste, wie so eine Einladung gewöhnlich endete. »In meinem Zimmer nach dem Abendessen.«

Suvaïdar zog sich in aller Eile um, wusch ihre Hose und hängte sie zum Trocknen auf, denn sie war voller Blut gewesen und nach der Dusche, die Edgar ihr verpasst hatte, völlig zerknautscht. Es gelang ihr, mit nur ein paar Minuten Verspätung das Hospital zu erreichen. Trotzdem musste sie sich eine spitze Bemerkung von Marias Assistentin, Silma Jestak, anhören.

Der Vormittag verging mit normalen Arbeiten in der Chirurgie. Anschließend ging Suvaïdar ins Labor für Genetik, um ihren neuen Posten anzutreten. Yoriko Sobieski wusste bereits Bescheid und erwartete sie. Sie war eine der wenigen Ärztinnen aus einem anderen Clan. Suvaïdar war froh, mit einer Frau arbeiten zu können, die keine Jestak war.

Yoriko war eine Frau mittleren Alters und von unscheinbarem Aussehen. Sie tat so, als würde sie den Zustand des Gesichts und die Steifheit der Bewegungen ihrer neuen Assistentin nicht bemerken. Rasch zeigte sie ihr die Labore, die sowohl Comp-Systeme als auch Reagenzgläser enthielten. In einem kleinen Zimmer thronte eine künstliche Intelligenz neueren Datums; sie erinnerte Suvaïdar an das, was sie auf Wahie besessen hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Bild kein stupides, buntes »überflüssiges Zeug« zeigte wie den türkisen Adler, den Revann für sie programmiert hatte, sondern einen Shiro mit ernstem Gesichtsausdruck.

»Bevor du anfängst, sieh dir das hier an«, schlug Yoriko ihr vor. Sie trug ein gutes Dutzend Holo-Cubes und Videobänder auf dem Arm. »Schaue sie schnell durch, um dein Gedächtnis aufzufrischen. Man wird dich sicher nicht damit beauftragen, eine DNA-Sequenz durchzuführen, denn für die Untersuchungen, die wir hier machen, wurde diese Arbeit bereits vor Jahrhunderten getan.«

Suvaïdar verbrachte den Nachmittag und die ersten Abendstunden in einem dunklen Zimmer. Sie scrollte die Bilder schnell durch und überprüfte ihr Grundwissen in der Genetik, ein Fach, mit dem sie sich an der Universität ohne große Begeisterung beschäftigt hatte. Das meiste hatte sie in der Zwischenzeit vergessen. Sie schlug sich mit den vierunddreißig identifizierten menschlichen Genen herum und fragte sich dabei, warum Maria ihr vorgeschlagen hatte, an den Forschungen teilzunehmen – ausgerechnet sie, die in der Genetik genauso unwissend war wie eine junge Studentin. Was erwartete man von ihr?

Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, als sie endlich zu Hause ankam. Ohne sich zu waschen oder etwas zu essen, legte sie sich auf ihre Matte und vergaß völlig, dass sie sich mit ihrem Bruder verabredet hatte. Nach sechs Stunden Schlaf – ein Luxus – erwachte sie in guter Verfassung. Selbst Oda schaffte es nicht, ihr die gute Laune zu vergällen, als er sich schweigend neben sie an den Frühstückstisch setzte. Man sah ihm an, dass er sich zusammenriss, um nicht zu sagen, was er dachte. Er befürchtete wohl, eine Dummheit zu begehen, die nicht mehr gutzumachen war.

»Ich bin gestern Abend sofort eingeschlafen, kaum dass ich hier angekommen bin«, sagte Suvaïdar. »Und ich bin erst heute Morgen wieder aufgewacht. Ich war völlig am Ende. Ich hoffe, du hast nicht zu lange auf mich gewartet.«

»Man sagt, dass deine Tage sehr ausgefüllt sind. Du hast dich duelliert. Und spare dir die Mühe, mich vom Gegenteil überzeugen zu wollen.«

»Wer bist du? Mein Tutor? Glaubst du, ich hätte immer noch langes Haar? Ich habe mich duelliert, na und?«

»Ich möchte mit dir darüber sprechen, wenn es dich nicht stört.« Mit leiser Stimme fügte er hinzu: »Könntest du mir für heute Abend ein Treffen einräumen?«

»Natürlich«, erwiderte sie gereizt. »Letzte Nacht war nicht viel los, ich werde schon durchhalten.«

Im Hospital wartete sie ungeduldig auf den Moment, in dem sie sich wieder mit den Holo-Verzeichnissen und Videobändern beschäftigen konnte. Als sie Yoriko Sobieski das ganze Material wieder aushändigte, fragte diese: »Hat die ehrwürdige Ärztin dir gesagt, welche Aufgaben sie dir anvertrauen will?«

»Ich weiß nur«, antwortete Suvaïdar, »dass wir die genetischen Modifikationen unserer beiden Rassen im Hinblick auf gewisse Auswirkungen untersuchen, die mir noch nicht erklärt wurden. Die ehrwürdige Ärztin sagte mir, ich solle mich an dich und Sevrin Jestak wenden, falls ich irgendwelche Erklärungen benötige.«

»Bist du auf dem Laufenden über die Mutationen bei den nicht einheimischen Pflanzen- und Tierarten?«

»Ich weiß, dass es notwendig gewesen ist, die Pflanzen zu adaptieren, aber wenn ich mich nicht irre, handelte es sich lediglich um sporadische Eingriffe. Nichts Kompliziertes, aber ich muss zugeben, dass ich diese Frage nie vertieft habe.«

»Ich glaube, das hat niemand getan, abgesehen von denen, die mit dieser Arbeit beauftragt wurden. All die Bücher der Jestaks sind in den Bibliotheken nachzulesen, doch man muss gestehen, dass nur ein Spezialist sie begreifen kann. Die ehrwürdige Ärztin hat mich damit beauftragt, dir die nötigen Informationen zu geben, damit du die Arbeiten fortzusetzen kannst, mit denen wir uns auseinandersetzen. Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Sag mir Bescheid, wenn ich etwas sage, das du schon weißt. Und frag mich, wenn dir etwas nicht klar ist.«

»Gut«, sagte Suvaïdar.

»Wir alle sind genetisch modifizierte Organismen. In der Pflanzenwelt sind die Modifikationen von untergeordnetem Interesse. In der Praxis geht es nur darum, dass sie die Trockenheit überstehen und größere und schmackhaftere Früchte und Gemüse produzieren. Die Mutationen bei den meisten zahmen Tieren sind ebenfalls nicht besonders interessant: Resistenz gegen Krankheiten, Lebensverlängerung, die Eliminierung des Gens, das für die Verhinderung der Selbstheilung der Zellen verantwortlich ist, die Proportion der Männchen, die fünfhundert Mal kleiner ist als die der Weibchen, Verhinderung eines aggressiven Verhaltens, höhere Milchproduktion bei Kühen und Ziegen, die Färbung des Fells in Rot, um die Tiere, die sich während der Transhumanz von der Herde entfernen, unverzüglich ausfindig machen zu können. Nichts Besonderes, wie du siehst.

Darüber hinaus aber gibt es zwei transgenetisch komplexe Organismen. Sie sind das Ergebnis zahlreicher Arbeitsjahre und vieler Experimente, vergleichbar denen, die man auf Estia ›Schimären‹ nannte, bevor der Name zum Synonym für Abscheulichkeit wurde und die Universität von den Plasmabomben Landsends getroffen wurde.« Yoriko murmelte mit leiser Stimme einen Befehl, und in der Luft bildete sich das Holo-Bild eines Hundes oder eines hundeähnlichen Wesens. Die Proportionen und die Farben stimmten, aber das Tier war irgendwie beunruhigend. Es bewegte sich auf eine verstohlene, verhaltene Art und nicht mit der Überschwänglichkeit eines normalen Hundes.

»Weißt du, was das ist?«

»Sicher ein Hund.«

»Nein, er wird Felis tigris genannt. Das ist sein wissenschaftlicher Name. Ich weiß nicht, ob er so richtig ausgesprochen ist. Ich weiß nicht einmal, um welche Sprache es sich handelt. Auf jeden Fall stammt der Name nicht aus der klassischen Sprache Estias. Und was seinen Gemeinnamen anbetrifft, glaube ich, dass niemand ihn kennt. Dieses Wesen ist vor rund dreitausend Jahren verschwunden. Es wurde in einem sehr alten Holo-Cube als ein wildes Raubtier beschrieben, ein guter Läufer und Schwimmer, agil und schnell, ausgestattet mit erstaunlicher Kraft.« Yoriko hielt inne und zog die Stirn in Falten. »Aber das alles ist bedeutungslos. Ich wollte nur sagen, dass dieses Tier glücklicherweise in der DNA-Bank vorhanden war, die unsere Vorfahren seit Estia mit sich herumtrugen. Es hat als Phänotyp für unsere Hirtenhunde seine Aufgabe erfüllt. Das betraf nicht nur das Aussehen, sondern auch seine Kraft und Lebendigkeit. Der Charakter jedoch, die Fügsamkeit und Anhänglichkeit, ist mit dem eines traditionellen Hundes vergleichbar. Bevor die Hochebene terraformiert wurde und man sich der einheimischen Fauna entledigt hatte, waren unsere Vorfahren auf ein Wachtier angewiesen, das kräftiger und gefährlicher war als die Hunde aus der Vergangenheit. Zudem dienten sie damals nicht nur dazu, die Herden zu leiten, sie beschützten das Vieh auch vor den Angriffen der großen Raubtiere. Es gab eine Menge wilder Tiere, und niemand hätte das Risiko auf sich genommen und sich ohne Begleitung eines Hundes außerhalb der bewohnten Gebiete bewegt.«

»In der Außenwelt habe ich drollige Hunde gesehen, die sehr viel kleiner sind«, sagte Suvaïdar. »Sie haben alle Größen und Farben, aber nicht das Gelb und das Schwarz wie hier.«

»Unsere Tiere sind das Ergebnis gezielt herbeigeführter Mutationen«, erklärte ihr ihre neue Kollegin wie eine Gelehrte. »Um genauer zu sein, sie wurden aus den Zellen zweier unterschiedlicher Organismen geschaffen. Das war nicht sonderlich schwierig, da es sich um Organismen handelte, die nicht von Beginn an von zwei Arten abstammten – ein einfacher Eingriff in den ersten Stadien embryonaler Entwicklung, um die Zellen der beiden Ausgangsorganismen zu trennen und wieder zusammenzusetzen und sie interagieren zu lassen. Nach diversen Versuchen und einigen Irrtümern, was die exakte Positionierung gewisser Gene anging, hat man ein Ergebnis erzielt, das so befriedigend war, dass man im Lauf der nächsten Jahrhunderte nur noch ein paar kleine Eingriffe machen musste, um das eine oder andere Problem von sekundärer Bedeutung aus dem Weg zu räumen und die Intelligenz zu steigern. Möchtest du das Thema vertiefen, oder sollen wir gleich bei den Asix weitermachen?«

»Gibt es noch etwas Besonderes, was ich über die Hunde wissen müsste?«, fragte Suvaïdar.

»Nein, aber es könnte nützlich sein, damit du verstehst, wie unsere Vorfahren zu den Asix gekommen sind. Das war ein analoger Prozess, aber außerordentlich komplex.«

»Ich glaube nicht, dass es nützlich wäre, dieses Thema zu vertiefen – auf jeden Fall nicht, bevor ich nicht eine konkrete Aufgabe zugewiesen bekommen habe. Ihr seid alle Spezialisten in Sachen Genetik, und mein Beitrag wird nicht allzu bedeutend sein. Ich muss also nicht sämtliche Details kennen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie verstehen würde. Kannst du mir die Hypothesen deiner jetzigen Arbeit nennen? Gibt es eine neue Entdeckung?«

»Einige Fakten sind bereits bekannt, aber wir untersuchen sie unter einem anderen Gesichtspunkt. Ein Holo-Dokument hat die Forschungen in Gang gesetzt. Es war in Vergessenheit geraten, und man hat es nur zufällig wiederentdeckt.« Yoriko verzog das Gesicht, als würde sie einen schlechten Geruch wahrnehmen. Genauso hatte Maria ausgesehen, als sie auf das Dokument angespielt hatte.

»Wie kann ein Holo-Cube verlorengehen?«, fragte Suvaïdar.

»Er ging ja nicht wirklich verloren. Über Jahrhunderte hinweg hat er in der Bibliothek gelegen. Als dann jemand hineinschaute, fiel ihm etwas auf. Man hatte eine lange Sequenz entdeckt, die auf raffinierte Weise kaschiert worden war. Wir haben uns mit einem Experten für Informatik in Verbindung gesetzt, um die kryptischen Systeme verstehen zu können, die den Zugriff auf diese Fakten unterbunden haben.«

»Das macht keinen großen Sinn, oder? Warum sollten unsere Vorfahren das kaschiert haben, wenn sie gewollt hätten, dass jemand es findet? Und wenn sie es nicht wollten, hätte es doch ausgereicht, den Holo-Cube zu zerstören.«

»Ja. Aber du wirst schon begreifen, wenn du es dir ansiehst. Und es gibt noch ein anderes Projekt. Jeder Schüler weiß, wie viele unserer Vorfahren nach einem Jahr auf Ta-Shima noch lebten. Es waren 2149 – ein ausreichend großer genetischer Pool, um die Siedlung fortbestehen zu lassen. Das wäre genug gewesen, hätte es sich um Paare im reproduktionsfähigen Alter gehandelt. Doch die Hälfte der Frauen war zu alt, um noch Kinder bekommen zu können, und die Zahl der Männer lag viel höher als die der Frauen. Es waren also sehr viele Frauen nötig, um die Zahl der Geburten erhöhen zu können. Im Prinzip hätten zwei oder drei Männer gereicht, um sämtliche Frauen zu befruchten.

In den ersten Jahren hatten sie Erfolg mit künstlichen Gebärmuttern, doch das waren sehr anfällige Geräte, die den Transport auf terrestrischen Wegen bis in die Hochebene kaum überlebten. Deshalb war die erste Aufgabe, der sich Maria Jestak widmete, nachdem ihr Labor aufgebaut worden war, nach alternativen Lösungen zu suchen. Ihr haben wir es zu verdanken, dass es fünfzehn Jahre später nahezu viertausend Babys gab. Ein Großteil von ihnen hat ihr Leben den ersten Pflegemüttern zu verdanken.«

Yoriko machte ein Handzeichen, und auf halber Höhe erschien das Bild einer äußerst fremdartigen Frau, die Suvaïdar nie zuvor gesehen hatte. Sie war dermaßen behaart, dass man beinahe schon von einem Fell sprechen konnte, wie bei einer Kuh oder einer Ziege. Ihre Stirn war tief, die Arme lang und unproportioniert. Ihre Beine waren wie die der Asix kurz und leicht gebogen, doch statt aufrecht zu gehen, war sie nach vorn gebeugt.

»Ich habe noch nie so eine missgestaltete Frau gesehen«, rief Suvaïdar aus und verzog vor Ekel das Gesicht. »Hat sie eine Krankheit der Außenwelt, von der ich bisher nichts gehört habe, oder leidet sie an einer schweren genetischen Entstellung?«

»Das ist keine Frau, das ist eine unserer ersten Pflegemütter. Sie waren keine Menschen, haben ihre Aufgabe aber außergewöhnlich gut erfüllt. Man hat ihnen befruchtete Eier oder DNA-Klone implantiert. Sie haben auf eine bemerkenswerte Weise dazu beigetragen, dass unsere Art sich ausbreiten konnte.« Yoriko hielt inne und runzelte die Stirn. »Aber ich habe mich vom eigentlichen Thema entfernt. Ich wollte dir einfach nur vermitteln, dass die Reproduktion von Beginn an programmiert gewesen ist und die Pflegemütter immer mehr oder weniger die gleiche Zahl von Shiro und Asix auf die Welt gebracht haben. Nichtsdestotrotz sind wir heute weniger. Auf sechs Asix kommt ein Shiro.«

»Du hast recht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Über das, was man von Geburt an kennt, macht man sich keine Gedanken. Eigentlich müsste es anders herum sein, da unser Leben länger dauert.«

»Auf jeden Fall könnte es so sein, würden nicht so viele junge Shiro im Duell sterben. Ich kenne die genauen Zahlen nicht, aber Sevrin Jestak ist gerade damit beschäftigt, Statistiken zu erstellen.«

»Aber selbst die, die gestorben sind, haben ihre Pflicht der Art gegenüber erfüllt«, sagte Suvaïdar.

Yoriko, die die Angewohnheit hatte, von einem Thema zum nächsten zu springen und bei den vielen Windungen und Exkursen das eigentliche Thema aus dem Auge zu verlieren, reichte ihr ein altes Buch aus Papier.

»Das ist das Protokoll, das die erste Maria Jestak von ihren Forschungen über die Asix angelegt hat. Es ist nur eine Kopie, nicht das Original, keine Angst, aber darin lesen musst du hier. Die Sache ist zu delikat, als dass sie in Umlauf gebracht werden dürfte.«

Suvaïdar versuchte, ihren Zorn zu unterdrücken. Offensichtlich hielt man sie nicht für vertrauenswürdig genug. Wovor hatten sie Angst? Dass sie den Außenweltlern erzählte, wer die Asix in Wirklichkeit waren?

Sie nahm das Buch und zog sich in den kleinen Verschlag zurück, den man ihr zugewiesen hatte, um zu lesen. Anfangs fiel es ihr schwer, sich in den Forschungsberichten, die sehr technisch waren, zurechtzufinden. Doch nachdem sie die Methode erst einmal verstanden hatte, nach der die Berichte abgefasst waren, konnte sie die detaillierten Beschreibungen überspringen und sich ganz auf die jeweilige Arbeitshypothese und das Resultat konzentrieren. So betrachtet hatte der Inhalt Ähnlichkeit mit einem Kapitel über die Geschichte der Kolonisation, die Suvaïdar – wie alle anderen Kinder – gelesen hatte, als sie noch zur Schule gegangen war.

Fasziniert blätterte sie weiter in dem Buch, ohne zu merken, wie viel Zeit bereits vergangen war. Erst als es völlig still um sie herum geworden war, wurde ihr bewusst, dass sich kein Mensch mehr in den Laboren aufhielt. Suvaïdar machte das elektrische Licht aus – für sie eine absolute Extravaganz. Denn im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, die niemals den Planeten verlassen hatten, hatte sie sich schnell daran gewöhnt. Die Beleuchtung in den Fluren wurde von einem zentralen Regler gesteuert, den jemand ausgeschaltet haben musste. In völliger Dunkelheit tappte Suvaïdar in Richtung Treppe, die zu den oberen Etagen führte.

In der Eingangshalle hielt sich nur noch ein wachhabender Asix für Notfälle auf. Suvaïdar warf wie gewöhnlich einen Blick auf die Tafel mit dem Dienstplan. Plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals: In der Spalte des zweiten Gesundheitszentrums standen keine Namen mehr. Natürlich hatte niemand sie auf dem Laufenden gehalten, und warum auch? Sie war nur eine von mehr als hundert Ärztinnen in Gaia, und die Tatsache, dass Reomer Jestak ihr Sei-Hey war, interessierte keinen Shiro. Persönliche Beziehungen spielten keine Rolle.

»Ist etwas nicht in Ordnung, meine Dame?«, fragte der wachhabende Asix.

Erst jetzt wurde Suvaïdar bewusst, dass sie vor der Tafel stehen geblieben war, ohne ihn gesehen zu haben.

»Nein, nein, kein Problem«, begann sie, verbesserte sich dann aber: »Die Asix sind immer bestens informiert. Weißt du zufällig, was sich im zweiten Gesundheitszentrum ereignet hat? Es müssten hier eigentlich drei Namen stehen, aber die Spalte ist leer.«

»Das Gesundheitszentrum antwortet nicht, Frau Doktor, ich bedaure. Reomer Jestak war einer von deinen Sei-Hey, oder?«

Suvaïdar nickte nur, denn die Angst schnürte ihr den Hals zu. Der Mann hatte von Saïda in der Vergangenheitsform gesprochen; er musste also davon überzeugt sein, dass Saïda tot war.

»Ist jemand dorthin gereist?«, fragte Suvaïdar.

»Im Morgengrauen startet ein Modul. Es wird das Gesundheitszentrum überfliegen und an Land gehen oder nicht. Das hängt von der Situation ab.«

»Wer reist dorthin?«

Der Mann nannte vier Namen, die von Avia und Rovin Jestak – zwei Ärztinnen, die Suvaïdar nicht sehr gut kannte –, sowie die zweier männlicher Asix. Rovin war streng und hielt sich an die Vorschriften, doch Avia war anpassungsfähig. Zudem war sie mittendrin in einer Schwangerschaft, die umstritten war: Sie hatte sich entschieden, ihr Kind, ein Mädchen, persönlich auszutragen, statt das befruchtete Ei einer Asix-Pflegemutter einsetzen zu lassen.

Suvaïdar sagte sich, dass man die Situation in gewisser Weise als medizinischen Notfall betrachten könne. Sie wählte den persönlichen Code Avias auf ihrem Kommunikator und sagte: »Ich möchte dich sprechen.«

Jeder konnte die Gespräche im Netz der Jestaks mithören; man war also gut beraten, den Kommunikator nicht für private Gespräche zu verwenden.

»In meinem Zimmer«, war die ebenso einsilbige Antwort.

Suvaïdar beeilte sich, zum Schlafsaal des Jestak-Hauses zu kommen. Avia wartete bereits im Gang auf sie. Als Suvaïdar sie dort stehen sah, erkannte sie, dass die Schwangerschaft schon weit fortgeschritten war. Sie fragte sich, was Saz Adaï Jestak sich dabei gedacht hatte, für diese unbequeme und gefährliche Mission eine Frau in diesem Zustand auszusuchen.

»Im wievielten Monat?«, fragte sie.

»Siebeneinhalb«, antwortete Avia und verzog das Gesicht. »Hätte ich gewusst, dass es so anstrengend ist, hätte ich nicht so hartnäckig darauf bestanden, meine Tochter selbst auszutragen. Ich habe einen Bauch wie eine Kuh vor der Transhumanz.«

»Ich habe gelesen, dass du morgen zum zweiten Gesundheitszentrum Corosaï-no-goï fliegst.«

»Ich werde wohl auf einer Trage liegend reisen müssen. Mit meinem riesigen Bauch passe ich jedenfalls in keinen Sitz. Und wenn es einen Verletzten gibt, den wir transportieren müssen, frage ich mich jetzt schon, wie das gehen soll.«

»Wie kommt es, dass ausgerechnet du dorthin geschickt wirst?«, fragte Suvaïdar. »Mir scheint, du bist im Augenblick eher ungeeignet.«

»Oh, die Saz Adaï war strikt dagegen, dass ich mein Kind persönlich zur Welt bringe. Sie sagte mir, dass der Clan mein Studium nicht bezahlt habe, damit ich die Zeit damit vergeude, mein Kind auszutragen, was eine Asix mit wesentlich geringerem Intelligenzquotienten sehr viel besser erledigen könne. Ich habe ihr mein Wort geben müssen, bis zum Schluss zu arbeiten und keine Privilegien in Anspruch zu nehmen.«

»Ich kann morgen für dich einspringen, wenn du möchtest«, sagte Suvaïdar.

»Ich danke dir«, antwortete Avia erstaunt. »Ich stehe in deiner Schuld.«

Suvaïdar schüttelte den Kopf.

»Ich bin es, die in deiner Schuld steht. Reomer ist einer meiner Sei-Heys. Nur muss ich jetzt jemanden finden, der mich morgen im Operationssaal vertritt.«

»Steht denn eine spezielle Operation an?«

»Nein, nur ganz Banales: Eizellenentnahme zum Klonen und das Einsetzen von kontrazeptiven Implantaten. Natürlich kann es immer einen Notfall geben.«

»Ich bin keine Chirurgin, aber ich könnte Gaia Tsukimoto fragen. Sie hat manchmal Mühe, einen OP zu bekommen. Sie ist keine Jestak und hat auch nicht in der Außenwelt gearbeitet wie du. Ich werde gleich zu ihr gehen. Kannst du warten, bis ich mit ihr gesprochen habe?«

»Leider nicht. Aber wenn ich rechtzeitig fertig bin, komme ich wieder. Ansonsten könntest du mir die Antwort morgen früh geben.«

Oda wartete bereits vor ihrer Zimmertür auf sie. Als sie ihn sah, stieg Gereiztheit in ihr auf. Sie fühlte sich schmutzig, und ihr Magen knurrte vor Hunger, aber vor allem machte sie sich große Sorgen, wenn sie daran dachte, was passiert sein könnte.

Oder noch schlimmer, wenn sie daran dachte, was Saïda vielleicht gerade jetzt, in diesem Moment, angetan wurde. Sie fühlte sich absolut nicht in der Lage, sich jetzt den Vorwürfen ihres Bruders zu stellen.

Es wird der Tag kommen, dachte sie voller Bitterkeit, da wird es im Duell ein Ende finden. Wie sollte es auch anders sein bei zwei Shiro? Im Grunde wäre es vielleicht das Beste, es sofort hinter sich zu bringen, um davon befreit zu sein, doch sie wollte den nächsten Morgen noch erleben. Es konnte doch sein, dass Saïda sie brauchte.

»Komm rein, Shiro Adaï«, forderte sie Oda förmlich und höflich auf. »Wenn ich mich nicht irre, wolltest du mich sprechen.«

Oda sagte kein Wort, nickte nur zustimmend. Suvaïdar bereitete sich mental auf die Konfrontation vor, doch nachdem sie ihre Zimmertür geschlossen hatte, nahm ihr Bruder sie in einer unerwartet freundlichen Geste in die Arme. »Ich habe das von Reomer Adaï gehört. Es tut mir sehr leid. Ich weiß, dass du an ihm hängst, und einen Sei-Hey zu verlieren, ist eine sehr traurige Sache.«

»Wie hast du es erfahren?«

»Ich kenne eine Gruppe von Asix, mit denen ich an einem miniaturisierten Kommunikator ohne terrestrisches Relais arbeite. Sie haben die Botschaften empfangen, und da sie wussten, dass Reomer und ich deine einzigen Shiro-Partner sind, haben sie mir Bescheid gegeben.«

»Ich werde morgen dorthin fliegen. Vielleicht ist nur der Kommunikator defekt. Oder sie sind verletzt. Oder haben sich verirrt ...«

»Kleine Schwester, es hat eine zweite Nachricht gegeben. Die beiden Asix, die sich retten konnten, sind auf die Plattform mit den Vorräten geflüchtet. Es tut mir sehr leid, aber die Wilden haben Saïda geköpft ...«

Suvaïdar stieß einen schrillen Schrei aus und drückte den Mund fest gegen Odas Schulter. Dann atmete sie tief durch und ging einen Schritt zurück.

»Ich danke dir. Es ist gut, es von dir zu erfahren und nicht morgen im Lebenshaus vor all den anderen. Ich glaube nicht, dass ich mich hätte beherrschen können. Es ist besser, wenn du mich jetzt allein lässt – es sei denn, du willst mit mir noch etwas anderes besprechen. Du hast mich doch vorgestern um eine Unterredung gebeten.«

Sie war stolz darauf, sich so gefasst ausgedrückt zu haben. Dabei hatte sie das Gefühl, als würden in ihrem Kopf in schwindelerregender Schnelle eine Serie von Holo-Bildern ablaufen: Saïda bei der Volljährigkeitsprüfung, dann bei der Zeremonie, die Lippen fest aufeinandergepresst, dann als Shiro, die Ärmel bis zum Ellbogen hochgekrempelt, während ihm auf der linken Schulter das Emblem seines Clans eintätowiert wird, und schließlich beim ersten Mal, als sie mit ihm die Matte geteilt hatte, als sie beide noch jung gewesen waren und sich aus Schmerz über den Verlust Ricos aneinandergeklammert hatten.

»Es war nichts Wichtiges. Ich gehe in den Gemeinschaftsraum, kommst du mit?«, antwortete Oda und war schon auf dem Sprung. Er wollte möglichst schnell das Zimmer verlassen, um nicht miterleben zu müssen, was für ihn als Shiro inakzeptabel war: zu sehen, wie jemand die Kontrolle über seine Gefühle verliert.

»Ich komme gleich nach«, antwortete sie mit ruhiger Stimme.

Nachdem Oda gegangen war, streckte sie sich auf ihrer Matte aus und vergrub das Gesicht in den Händen. Manchmal hasste sie Oda, der so streng und aufgesetzt war, dass es fast unmenschlich wirkte.

Sie hörte ein Klopfen an der Tür und sagte: »Komm herein.«

Ihr Geruchssinn verriet ihr, dass ein Asix in ihr Zimmer gekommen war.

»Meine Dame«, sagte er, »ein Jestak-Asix hat mir gesagt ...«

Er ging neben ihrer Matte in die Hocke und nahm sie ungeschickt in den Arm.

Suvaïdar lehnte sich an ihn und fragte: »Wer bist du?«

»Edar, meine Dame.«

Er strich mit der Hand über ihren Rücken, zärtlich und sanft, als wäre es die Hand einer Pflegemutter oder als wollte er eine der Kühe beruhigen, die ihm anvertraut waren. Suvaïdar ließ sich gehen, wie sie es vor Außenstehenden nicht mehr getan hatte, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war und sich an Dols Hosenbein geklammert hatte. Sie weinte still und versuchte gar nicht erst, sich zusammenzureißen. Sie empfand auch keine Scham, als der Asix versuchte, mit dem Ärmel ihr Gesicht abzuwischen.

»Kannst du heute Nacht hierbleiben?«, fragte sie ihn. »Kannst du bleiben, auch wenn wir keinen Sex miteinander haben?«

Lange Zeit lag sie mit ihren großen, offenen Augen wach und starrte in die Dunkelheit, selbst nachdem Edar neben ihr eingeschlafen war. Die warme, stille Anwesenheit des Asix gab ihr Halt, und trotz des Kummers, der wie eine brennende Klinge schmerzte und sie vom Schlaf abhielt, dachte die Wissenschaftlerin in ihr unablässig nach. Sie brachte unterschiedliche Dinge in Verbindung – Kleinigkeiten, die sie schon lange kannte, die sich jetzt aber wie Teile eines Geduldspiels neu zusammenfügten. Es ließ ihr keine Ruhe, dass ihr Bruder, der zukünftig ihr einziger Freund auf dieser Welt sein würde, weggegangen war und sie allein gelassen hatte mit diesem Schmerz, der sie zerfraß wie Säure. Oda war nicht fähig, dieses Gefühl zu verstehen. Deshalb hatte sie erleichtert den jungen Asix empfangen, obwohl sie nichts mit ihm gemein hatte, sah man von den paar Stunden unter dem Bettlaken einmal ab.

Er hatte nichts weiter gesagt, aber er hatte genau den richtigen Ton getroffen, um sie zu trösten. Und das, obwohl er nur ein ungebildeter Viehhüter war.

Den richtigen Ton?, fragte sie sich, nachdem sie kurz nachgedacht hatte. Er hat ja kaum etwas gesagt. Die bloß Anwesenheit eines Asix reicht aus, um mich zu beruhigen. So geht es uns allen: Ist ein Asix zugegen, neigen wir dazu, unsere Aggressivität zu zügeln und sind weniger reizbar. Wir vermeiden ganz von selbst, uns in ihrer Nähe gehen zu lassen.

Irgendwann fiel sie für ein paar Stunden in einen gnädigen Schlaf. Als sie erwachte, verspürte sie einen kurzen Moment des Wohlgefühls, als sie die vertrauten Geräusche des Clans hörte, der um sie herum erwachte, und die Wärme des Asix spürte.

Dann erinnerte sie sich, was passiert war, und ein Block aus Eis rutschte in ihren Magen. Sie brauchte einen Augenblick, um mit Hilfe der Shu-Techniken ihre Selbstbeherrschung wiederzufinden. Sie waren ursprünglich entwickelt worden, um physische Schmerzen besser aushalten zu können, doch Suvaïdar hatte herausgefunden, dass die Übungen auch hilfreich waren, wenn es im Innern wehtat.

Nachdem sie diese Übungen mehrmals wiederholt hatte und der innere Schmerz nicht mehr zu ihr gehörte, als wäre sie in einen anderen Körper geschlüpft, gelang es ihr, die Erinnerungen an Saïda in einem stillen Winkel ihres Geistes abzulegen. Sie vergaß ihn nicht, doch sie isolierte die Erinnerung an ihn und legte sie zur Seite, und zwar so, dass sie in einsamen Nächten auf die Suche nach ihm gehen könnte. Ohne die Blicke Fremder ertragen zu müssen, würde sie in aller Ruhe, den Kopf unter dem Laken, um ihn weinen können.

Sie schob den Jungen, der im Schlaf den Kopf auf ihre Schulter gelegt hatte, vorsichtig zur Seite. Wie hieß er noch? Ach ja, Edar. Es war schon merkwürdig, wie er hier ohne eine Einladung ihrerseits hereingekommen war. Es stimmte schon, dass es ganz angenehm war, nicht ständig die Initiative ergreifen zu müssen. Doch Männer, vor allem die Asix, waren niemals direkt. Wenn sie sich eine Einladung erhofften, begnügten sie sich damit, lächelnd um die Frau herumzuscharwenzeln, ihr irgendwelche unnützen Dienste anzubieten oder etwas zu suchen, womit sie in den Bädern die Aufmerksamkeit gewinnen konnten. Denn dort ging es weniger streng zu, was die Etikette betraf. In den Bädern konnten sie sich unter dem Vorwand, herumzutollen, mit Wasser bespritzen oder einen Wettstreit anzetteln, wer länger mit dem Kopf unter Wasser bleiben konnte und dergleichen. Und dort konnten sie auch, ohne einen triftigen Grund zu haben, eine Shiro ansprechen.

Suvaïdar schlug die Betttücher zurück, um aufstehen zu können. Edar, der im Halbschlaf lag, stieß mit seinem runden Kopf sanft gegen ihre Schulter, wie es die jungen Kälber bei ihren Müttern taten. Mit verschlafener Stimme seufzte er:

»Guten Morgen, meine Dame.«

»Danke, dass du bei mir geblieben bist. Ich befürchte, für dich war es keine sehr angenehme Nacht. Aber ich war nicht in der Stimmung für irgendwelche Spielchen.«

»Ich bin es, der sich bedanken muss.« Der Asix war mit einem Mal hellwach. »Auf dem Bauernhof, auf dem ich arbeite, gibt es siebenundzwanzig Frauen und sechs Männer. Es sind also nicht die Gespielinnen, die mir fehlen, sondern die fünf Monate, in denen ich keine Shiro sehe. Hier schlafen zu dürfen, in deinem Zimmer, und deinen Duft riechen zu dürfen ...« Er verstummte und schüttelte seufzend den Kopf.

»Meinen Duft?« Suvaïdar schnüffelte an ihrem Arm und fragte sich, ob ihre Haut plötzlich anders duftete, aber sie konnte nichts riechen. Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Ich rieche nichts«, sagte sie.

Diesmal schaute Edar sie mit seinen runden Augen an.

»Aber das ist doch nicht möglich! Es ist sehr intensiv!«

Suvaïdar roch erneut an ihrem Arm, diesmal mit geschlossenen Augen, um sich besser konzentrieren zu können, doch wieder roch sie nichts.

»Wonach riecht denn meine Haut? Rieche nur ich so, oder haben alle Shiro dieses Parfum?«

»Alle Shiro, doch der Geruch der Frauen ist sehr viel intensiver und angenehmer.« Er überlegte kurz, um dann hinzuzufügen: »So wirkt es jedenfalls auf mich, denn ich habe gehört, wie die Mädchen sagten, der Duft der Männer sei durchdringender und wesentlich erregender.«

Das war ein Thema, dem man nachgehen musste, allerdings später. Jetzt musste sie sich rasch anziehen und sich auf die Prüfung vorbereiten, die auf sie wartete. Sie würde zum zweiten Gesundheitszentrum fliegen, um die Asix abzuholen und sich von ihnen erzählen zu lassen, auf welche Weise Saïda gestorben war. Es gelang ihr, an den Tod ihres Sei-Hey zu denken, ohne dass ihre Kehle sich zuschnürte. Doch ihr Gesicht musste eine völlig andere Sprache sprechen, denn Edar fragte:

»Habe ich etwas gesagt, das dich beleidigt hat, Shiro Adaï?«

»Ich bin wütend, aber nicht auf dich«, erwiderte sie und streichelte ihn flüchtig. Denn sie dachte bereits an die Prüfungen, die der Tag ihr bescheren würde.

Suvaïdar stieg aus dem Bett; sie wollte bereit sein, wenn Avia kam, um ihr Bescheid zu geben. Sie war sicher, dass ihre junge Kollegin eine Ärztin gefunden hatte, die nicht aus dem Jestak-Clan stammte und die für sie einspringen würde.

Bald darauf saß sie mit Rovin und zwei Asix im Modul. Maria war vor dem Abflug gekommen und hatte ihnen – völlig unbeteiligt, wie es schien – die Nachricht überbracht, die sie am Abend zuvor aus dem Gesundheitszentrum erhalten hatte.

Die beiden Asix stießen gedämpfte Schreie aus, Rovin jedoch reagierte völlig gleichgültig. War sie bereits vorher informiert worden, oder ließ die Neuigkeit sie tatsächlich kalt?

Unter dem inquisitorischen Blick Marias achtete Suvaïdar darauf, einen neutralen Eindruck zu machen. Wenn die ehrwürdige Ärztin gehofft hatte, dass Suvaïdar in Tränen oder Klagen ausbrach, war sie enttäuscht worden, denn Suvaïdar neigte nur den Kopf und sagte:

»Das ist keine gute Neuigkeit. Der Jestak-Clan verliert einen außergewöhnlichen Mediziner, selbst wenn er seinen wahren Wert nicht zu schätzen gelernt hat.«