18

Die Trockenzeit stand unmittelbar bevor. Von heute auf morgen war Niasau praktisch wie leergefegt. In der Erinnerung der Geschäftsleute war es jedes Jahr so gewesen. Eines Morgens blies die leichte Meeresbrise, die jeden Tag im Morgengrauen auffrischte, ohne wirklich etwas an der drückenden Luft zu ändern, sehr viel kräftiger, statt wie üblich nach einigen Stunden wieder abzuflauen. Aber statt eine angenehme Frische mitzubringen, fühlte die Luft sich an, als käme sie direkt aus einem Hochofen.

»Das kommt aus dem Westen«, sagte ein Asix. Das Gesicht gen Himmel, schnupperte er wie ein Hund.

Die Brise würde sich in ein paar Stunden, spätestens in ein paar Tagen in einen heftigen Wind verwandeln, der die dicken Wolken vom Himmel fegte und der Sonne des Planeten – sie hatte keinen Namen, nur eine Katalognummer im galaktischen Register – den Weg ebnen, ihre blendenden, gefährlichen Strahlen auf Ta-Shima abzuschießen.

Die Trockenzeit kündigte sich an, und die Asix verließen Niasau. Die Wagenlenker warteten bereits am Ufer. Sie ritten ohne Sattel, und die Pferde bewegten unruhig die Köpfe. Als der Wasserstand schließlich fiel – viel schneller, als ein terrestrisches Modul mit Höchstgeschwindigkeit in die Höhe schießen konnte –, passierten sie die Landenge, die aus dem Wasser ragte. Ihre friedfertigen, kräftigen Zugpferde, ermuntert von den Rufen der Lenker und vom Knallen ihrer Peitschen, setzten sich in Bewegung. Als alle die Landenge passiert hatten, ging es einen steilen Pfad hinauf, während das Meer sprudelnd und Gift und Galle spuckend wieder anstieg, um innerhalb weniger Minuten die Landenge zu überfluten.

Sie gingen alle – Bedienstete, die Lebensgefährten der Händler, Müllmänner, Beamte des Astroports, Raumfahrtbegleiter, die auf eine Beschäftigung warteten. Auch die Obst- und Käseverkäufer verschwanden mit ihren einfachen Bauchläden von heute auf morgen. Die Jestak-Ärztinnen gingen mit ihren Asix zurück nach Gaia, und das graue Steinhaus des Clans Bur to Sevastak leerte sich.

Einige Geschäftsleute, die seit Jahren auf Ta-Shima lebten, hatten ihre Lebensgefährtinnen und ihre Kinder bis zur Brücke begleitet. Sie wussten, dass im Allgemeinen zu Beginn der neuen Regenzeit dieselben Asix zurückkamen. Doch manchmal kam es vor, dass sich andere einfanden: ein anderer Asix, der sich um den Gemüsegarten kümmerte, eine andere Asix für das Bett des Händlers. Diejenigen, die ihre Lebensgefährtin liebgewonnen hatten und jetzt zusehen mussten, wie diese sich mit den kleinen Kindern an der Hand entfernten, konnten nicht umhin, sich zu fragen, ob sie ihre Familie jemals wiedersehen würden.

Unter denen, die ihre Frauen und Kinder zur Brücke begleitet hatten, war auch Osmad Tani, ein brauner, massiger Mann mit langem schwarzem Bart und langem Haar. Er lebte seit vielen Jahren auf Ta-Shima, und man munkelte, er hätte von den Einheimischen mehr Kinder als alle anderen Bewohner zusammen. Er trug die Hose der Einheimischen, dazu eine Jacke, die vor zwanzig Jahren in Neudachren in Mode war. Fröhlich rief er:

»Wehe euch, ihr kommt nächstes Jahr nicht wieder! Ich schwöre, ich werde nach Gaia kommen und euch an den Ohren zurückziehen!«

Einige Frauen, die eine ganze Rasselbande bei sich hatten, drehten sich lachend um und antworteten in ihrer Sprache.

»Was haben sie gesagt?«, fragte neugierig Tanis junger Teilhaber, der vor ein paar Monaten an Land gegangen war. »Ich kenne einige Wörter ihres Dialekts, aber das habe ich nicht verstanden.«

»Sie haben mir geantwortet, dass ...« Tani schaute seinen Teilhaber an; dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass es dir gefallen wird. Sie haben einen ziemlich deftigen Sinn für Humor.«

*

Als die erste Ehefrau Rasser an diesem Morgen in den Speisesaal hinunterging, um zu frühstücken, musste sie feststellen, dass der Tisch nicht gedeckt war. Sie machte sich auf die Suche nach den Bediensteten, aber es war kein einziger mehr im Haus. In den Küchen war das Feuer unter dem Vordach auch noch nicht angezündet.

Ida Soener stöhnte, während sie sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte.

»Fühlen Sie auch, wie schwer die Luft ist?«, sagte sie. »Die Trockenzeit beginnt. In ungefähr zehn Tagen werden die Orkanstürme losbrechen, und das Personal ist heute schon weg. Das ist jedes Jahr so, und wir können nichts tun. Ich habe versucht, ihren Lohn für diese Zeit zu verdoppeln, aber es nützt nichts. Am nächsten Tag ist keiner mehr da. Sie sind stur wie Maulesel, und es gibt keine Möglichkeit, mit ihnen zu diskutieren. In ein paar Monaten kehren sie zurück – hoffe ich zumindest. Nun, jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir die Roboter reaktivieren müssen.«

»Ich bin froh, dass der Sommer endlich beginnt«, sagte die erste Frau Rasser. »Dieser ewige Bleihimmel hat mich deprimiert. Die trockene Hitze wird weniger unangenehm sein als diese unerträgliche Feuchtigkeit.«

»Dass der Sommer vor der Tür steht, ist keine gute Neuigkeit, glauben Sie mir«, sagte Sekretär Kader, der zu ihnen gestoßen war. »Die Orkane, die die neue Jahreszeit ankündigen, stellen das System auf eine harte Probe. Wenn die Stürme sich verzogen haben, ist der wolkenlose Himmel alles andere als ein Vergnügen. Wie Sie wissen, handelt es sich bei der Sonne von Ta-Shima um einen Stern vom Typ F.«

Als er merkte, dass seine Worte Frau Rasser nicht beeindruckt hatten, fügte er hinzu:

»Alle menschlichen Planeten kreisen um Sterne vom Typ G, wie auch die Sonne des Ursprungsplaneten. Die Sterne des Typs F aber strahlen nicht nur Licht und Wärme aus, auch Radioaktivität, und das ist sehr gefährlich. In der Regenzeit bieten die Wolken ein wenig Schutz, aber selbst dann setzt man sich dem Risiko einer Verbrennung aus, wenn man zu lange draußen bleibt. Doch im Sommer sollte man es absolut vermeiden, Haut und Augen mehr als einige Minuten der Sonnenstrahlung auszusetzen.«

»Ich weiß«, sagte Frau Rasser. »Man hat uns vor der Abreise darüber informiert. Man hat uns aber auch gesagt, dass die Botschaft über Spezialglas verfügt, das Schutz bietet. Und wenn man sich im Haus aufhalten würde, gäbe es keinerlei Risiko.«

»Das stimmt, aber selbst jemand wie Sie, die nicht oft das Haus verlässt, bekommt irgendwann klaustrophobische Anwandlungen vom ständigen Eingesperrtsein. Hinzu kommt, dass in den nächsten hundertzwanzig Tagen selbst der Astroport nur in Notfällen seine Tätigkeit aufnimmt und nicht einmal die Besuche der Raumfahrtbegleiter oder die Ankunft eines Versorgungsfrachters Zerstreuung bringen. Erst im Sommer wird einem so richtig bewusst, wie klein und isoliert Schreiberstadt ist. Damit wir unter dem Freiheitsentzug nicht so sehr leiden, hatte Botschafter Coont beschlossen, es den Einheimischen nachzumachen: am Tag schlafen und in der Nacht alles andere erledigen. Dann kann man das Haus auch verlassen. Die Mehrzahl der Alteingesessenen verfährt genauso. Ich habe Ihrem Mann geraten, es ebenfalls so zu handhaben.«

In der Regenzeit war Ta-Shima unwirtlich und trist, aber in der Trockenzeit zeigte der Planet seine wohl unangenehmste Seite. Obwohl man von »Trockenzeit« sprach, begann der Sommer in diesem Jahr mit vier Tagen sintflutartigem Regen, der alle Straßen in reißende Sturzbäche verwandelte.

Gerade in dieser Zeit hatte es die meisten Sonnenbrände gegeben, denn auch wenn die Sonne unsichtbar war, so war doch die Wolkenschicht dünner und ließ eine große Menge aktinischer Strahlen hindurch, die ausreichten, um schmerzhafte Verbrennungen zu verursachen. Jeder Schüler in der ersten Klasse am Institut für Astronautik wusste darüber Bescheid, zumindest in der Theorie, und die alteingesessenen Bewohner hatten dieses Wissen schon vor langer Zeit verinnerlicht. Doch unter den neu Hinzugezogenen gab es viele, die nicht begreifen wollten, dass man sich auch bei strömendem Regen schwere Verbrennungen zuziehen konnte. Ein Händler, der gerade auf den Planeten gekommen war, war bei offenem Fenster eingeschlafen und hinterher praktisch blind.

Jai Singh, der Nachfolger von Doktor Duncan, eilte von einem Patienten zum nächsten, um ständig dieselben Empfehlungen zu wiederholen. Er war weitaus interessierter an seinen Patienten als sein Vorgänger, der sich eher für den hiesigen oder importierten Alkohol interessiert hatte. Jai Singh brauchte nur zwei Tage, um herauszufinden, dass die Cormarou-Pflanze verantwortlich für die Ekzem-Epidemie war, die sich plötzlich rasant ausbreitete.

Deshalb waren die Bewohner von Schreiberstadt nun zwischen zwei Platzregen damit beschäftigt, die Cormarou-Pflanze auszureißen. Dabei verfluchten sie alle, die auf die Idee gekommen waren, diese Pflanzen zu pikieren, vor allem die Asix, die ihnen das alles eingebrockt hatten. Der Einzige, der sich bei der Arbeit zu amüsieren schien, war ein Händler, die seit mehr als zehn Jahren auf Ta-Shima lebte. Rasser war erstaunt, dass der Mann nicht vor Wut schäumte wie alle anderen, doch Tani erklärte ihm, dass es sich um Osmad handle, einen großen Gewürzhändler, der steinreich geworden sei. Der Mann habe sich entschlossen, aus persönlichen Gründen an diesem gottverlassenen Ort zu bleiben, obwohl er sich auf den schönsten Planeten der Föderation eine Luxusresidenz hätte leisten können.

*

Osmad legte eine Pause ein und stützte sich auf den Spaten, den er mit mehr Energie als Geschick handhabte.

»Elende Schufterei«, sagte er, während er sich den Schweiß vom Gesicht wischte. »Hätte ich eine meiner Frauen gefragt, ob es eine gute Idee sei, die ganze Hauptstraße mit diesen verdammten Sträuchern zu bepflanzen, hätte sie mir ganz bestimmt die Wahrheit gesagt. Aber mir ist gar nicht in den Sinn gekommen, diese Frage zu stellen. Und wisst ihr was? Wenn ich meine Frauen bei ihrer Rückkehr frage, warum sie mich nicht vor den Unannehmlichkeiten gewarnt haben, die diese Pflanze in der Trockenzeit verbreitet, werden sie große Augen machen und antworten: ›Aber Osmad, du hast uns nicht gefragt!‹ Und ich werde lachen, statt mich zu ärgern.«

Nach den heftigen Regenfällen erschien mit einem Mal die funkelnde Sonne an einem kristallklaren Himmel. Und der Westwind, der bereits seit einigen Tagen in immer stärkeren Böen wehte, warf sich mit voller Kraft gegen die Mauern der Häuser und jagte brüllend durch die Straßen von Schreiberstadt. Auf der Hochebene bildeten sich Wirbelstürme. Innerhalb weniger Stunden formierten sich Gewitterwolken, die sich um sich selbst drehten, doch als der erste Tornado vor der Stadt erschien, sah man, dass er nur aus Sand und Staub bestand, ohne einen einzigen Regentropfen darin.

Die Windhose begrub viele provisorische Hütten im Asix-Viertel unter sich und trug die Dächer der höchsten Gebäude ab. Dachziegel, die nicht richtig befestigt waren, verwandelten sich in Wurfgeschosse, die der Wind gegen die Mauern der Häuser warf. Dort zerschellten sie mit dem Lärm einer antiken Feuerwaffe oder prasselten auf die Unvorsichtigen, die im Freien vom Unwetter überrascht worden waren. Bevor die Windhose endgültig schlappmachte, traf sie auf zwei andere, die in der Ferne ihr Unwesen trieben, und zumindest eine von ihnen nahm Kurs Richtung Astroport.

Rasser konnte bei dem ständigen Geheule, zu dem sich noch andere beunruhigende Geräusche gesellten, einfach nicht schlafen. Er fragte sich, ob die Gebäude dem Orkan standhielten; während er grübelte, kaute er an seinen Fingernägeln. Er hatte gehört, wie die Bewohner Ta-Shimas über die Orkane sprachen, aber etwas so Schlimmes hätte er sich nicht einmal in seinen bösesten Albträumen vorstellen können.

Man hatte Rasser vorgewarnt und darüber informiert, dass die Stürme sehr heftig werden könnten. In seiner Vorstellung hatte er einen Tornado, den er einmal in Nueva Vida erlebt hatte, einfach mit zwei multipliziert, aber die Stürme auf Ta-Shima waren noch viel heftiger. Auf Nueva Vida, das seit rund dreihundert Jahren kolonisiert war, hatte Rasser acht Standardmonate verbracht. Dort hatte er sich in einem robusten Haus aus massivem Plastacier und verbunden mit einem Wettersatelliten, der jede Minute die Situation und die wahrscheinliche Entwicklung übermittelte, sicher gefühlt.

Doch in den Steinbau der Botschaft auf Ta-Shima hatte er überhaupt kein Vertrauen. Im Grunde war der Bau aus einem natürlichen Material errichtet worden, das keinerlei Standardisierung unterlag und deshalb eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten und Schwachstellen aufweisen konnte. In Rassers Augen war es typisch für die Einwohner einer unterentwickelten Welt, Behausungen aus Stein zu bauen, die, glaubte man der Legende, an die Hütten der ersten Menschen erinnerten.

Die ganze Zeit hörte Rasser das Gejohle des Windes, das ihn eher an den Schrei eines wilden Tieres aus einem Horror-Holocube erinnerte. Dazwischen erklangen die Geräusche niederstürzender Mauern und Dächer und ein ohrenbetäubender Lärm, wenn wieder einmal irgendetwas von einer Böe weggerissen wurde und gegen die Mauern der Botschaft krachte. Rasser fragte sich, ob die Orkanstürme nicht mit dafür verantwortlich waren, dass die Shiro einen so gemeinen Charakter besaßen, schüttelte dann aber den Kopf. Auch die Asix hatten sich notgedrungen jedes Jahr aufs Neue einer feindlichen Natur gegenübergesehen; dennoch waren sie friedliebende Leute und nahezu harmlos, was auch immer seine erste Ehefrau und dieser »Satan« Aber dachten, wie er den Kapitän inzwischen nannte.

Seine junge Frau schlief tief und fest. Die Glückliche, dachte Rasser. Wenn man in die Jahre kommt, kann man nicht mehr so gut schlafen. Er stand auf, wobei er versuchte, das Bett nicht allzu heftig zu bewegen, um sie nicht zu wecken – auch wenn er den Verdacht hegte, sie würde nicht einmal aufwachen, wenn ihr das Dach auf den Kopf fiel.

Er ging aus dem Zimmer. Im Korridor hörte man den Wind immer noch. Rasser hatte den Eindruck, als würden die Außenwände leicht zittern. Er inspizierte schweigend und auf Zehenspitzen die gesamte erste Etage und blieb zögernd vor der Zimmertür seiner ersten Ehefrau stehen. Durch die Tür fiel ein Lichtstrahl. Er klopfte an und trat ein, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Seine Frau hockte mit sorgenvoller Miene auf dem Bett und hielt ihre Knie fest mit den Armen umschlungen.

»Ich habe das Gefühl, der Wind wird immer stärker«, flüsterte sie.

Das war auch sein Eindruck, aber er wollte seine Frau nicht noch mehr erschrecken und erwiderte: »Aber nein. Das kommt nur daher, dass sich der Lärm in der Stille der Nacht viel lauter anhört. Soener sagt, dass die Stürme fünf bis sechs Tage dauern. Es müsste also bald zu Ende sein.«

»Das ist der schrecklichste Ort, an dem wir bis jetzt gewesen sind. Trotzdem bin ich dir überallhin gefolgt, weil du jedes Mal eine Aufgabe zu erfüllen hattest. Ich werde nie begreifen, warum B’chir und seine Anhänger so darauf bestehen, diese Hölle hier zu annektieren. Sie sagen, es sei religiös begründet, aber das ist absurd, denn wozu sollte es gut sein? Will man die Menschen mit Gewalt bekehren?«

»Es hat sowohl politische als auch religiöse Gründe ...«, begann Rasser, verstummte dann aber, denn mit einem Vertreter der Spezialkräfte im Haus, der sich aufführte, wie er wollte, war es nicht ausgeschlossen, dass Abhörsysteme installiert waren, auch in den Schlafzimmern. Rasser fügte noch ein paar belanglose Sätze hinzu und verstummte dann. Von nun an würde er gar nichts mehr sagen, wenn sie sich im Haus aufhielten. Mehr und mehr hatte er den Eindruck, dass die Wände um ihn herum enger zusammenrückten, wie in einem Gefängnis. Ein Grund mehr, ungeduldig auf das Ende der Stürme zu warten, um wieder ins Freie gehen zu können.

Zu der Unannehmlichkeit, geradezu eingesperrt im Haus bleiben zu müssen, gesellte sich der Mangel an frischer Nahrung. Diejenigen, die bereits mehrere Jahre auf diesem ungastlichen Planeten zubrachten, hatten offensichtlich ausreichend Vorräte angelegt. Man aß Konserven und Tiefgekühltes, hydroponische Kulturen und gefriergetrocknete Raumfahrtgerichte. Und die Leichtsinnigen, die sich nicht rechtzeitig auf den Weg gemacht hatten, um sich mit Nahrungsmitteln einzudecken, übertrafen sich jetzt gegenseitig darin, die Geschäfte zu stürmen, in denen es importierte Waren gab, deren Preise innerhalb weniger Tage explodiert waren.

Im Botschaftsgebäude lief die Klimaanlage auf vollen Touren, und die Temperatur war angenehm.

»Ich bin gar nicht so unzufrieden, dass ich diese Bande dummer, fauler Einheimischer ein paar Monate nicht ertragen muss«, sagte Rassers erste Ehefrau. »Und sag mir jetzt ja nicht schon wieder, dass sie in Wirklichkeit harmlos sind. Mir machen sie Angst. Sie haben etwas Unmenschliches in ihren Augen. Auf keinem anderen Planeten habe ich Augen mit einer so großen dunklen Iris gesehen. Man weiß nicht mal, in welche Richtung sie gerade schauen, und man kann an den Augen nicht ablesen, was diese Kreaturen denken. Als ich versucht habe, mit ihnen über die heilige unitaristische Religion zu sprechen, hatte ich den Eindruck, es stünden Automaten oder Tiere vor mir. Es ist mir nicht gelungen, auch nur einen von ihnen zu bekehren. Mittlerweile glaube ich, sie haben von dem, was ich ihnen erzählt habe, überhaupt nichts begriffen. Meiner Meinung nach verstehen sie gar nichts, abgesehen von ein paar grundlegenden Anweisungen.«

»Also, ich finde sie nicht dumm«, meinte Elide Rasser, die zweite Ehefrau, die sich zu ihnen gesellt hatte. »Sie haben immerhin gelernt, Galaktisch zu sprechen, und sie können Essen zubereiten, das ganz anders ist als ihr eigenes. Außerdem können sie Apparate bedienen, die sie nie zuvor gesehen haben.«

»Um Himmels willen, diese Kreaturen verstehen rein gar nichts! Sie haben es nicht einmal geschafft, mir ein Frühstück mit der richtigen Temperatur zu servieren.«

Elide erwiderte nichts. Ihr Frühstück schmeckte gut, und sie wusste, woran das lag: Es hatte nicht lange gedauert, bis sie begriffen hatte, dass die Asix ihre Dienstherren ganz unterschiedlich behandelten. Entscheidend war, ob man ihnen Sympathie entgegenbrachte oder nicht. Wie man in den Wald hineinrief, so schallte es heraus. Aber so ein Gedanke würde Leuten von hohem sozialem Rang, zu denen die Rassers gehörten, nicht in den Sinn kommen.

Da das Dienstpersonal nun fehlte, programmierte man die Roboter und ließ sie die Arbeit tun. Wie Ida Soener gesagt hatte, funktionierte keiner von ihnen richtig, aber niemand war da, der die ganze Zeit ein Auge auf sie haben konnte. Die Feuchtigkeit hatte die Schaltkreise beschädigt, und man musste dem jeweiligen Roboter befehlen, die Arbeit einzustellen, wenn er sie beendet hatte. Tat man das nicht, würde er den Fußboden ein und desselben Zimmers jahrhundertelang weiterwischen, bis die Atombatterie ihren Geist aufgab.

»Frau Rasser, bei dem hier wäre es besser, wenn wir ihn deaktivieren und zum Hersteller zurückschicken würden«, bemerkte einer der neuen Rekruten, ein Junge, gerade volljährig, der als Programmierer tätig gewesen war, bevor er zur Raumfahrt ging.

»Weshalb? Ich habe nicht den Eindruck, als wäre er allzu schlimm beschädigt.«

»Wenn die Schaltungen so spinnen wie die hier, können Roboter ein ernsthaftes Risiko darstellen.«

»Inwiefern? Der Hersteller hat doch garantiert, dass sie ungefährlich sind!«

»Ja, aber nur, wenn sie regelmäßig gewartet werden. Sicher, bei der Programmierung wird das Verbot installiert, sich einem lebenden Wesen zu nähern, aber bei einem Roboter in so einem Zustand bin ich mir nicht sicher, dass die Infrarot-Sensoren besser funktionieren als der Rest. Er könnte auf den Gedanken kommen, Seine Exzellenz sei ein Haufen Müll, der beseitigt werden müsse, und entsprechend handeln. Wenn die Dienstboten zurückgekehrt sind, sollten Sie alle Roboter zur Wartung schicken, oder besser noch, sie zerstören und Roboter der neuen Serie kaufen. Diese Module sind mindestens vier Jahre alt und gehören eigentlich auf den Schrott.«

*

Glücklicherweise legten die Stürme sich allmählich. In ein oder zwei Tagen würde es endlich vorbei sein mit der lästigen Abgeschlossenheit hinter verbarrikadierten Fenstern. Im Moment schoss die Sonne ihr tödliches Licht auf die verwüsteten Straßen. Staub- und Sandwirbel wurden vom Sturm emporgeschleudert, jagten im Zickzack durch die Stadt und lösten sich dann langsam auf. Oder sie sackten plötzlich in sich zusammen und überzogen alles mit einer feinen grauen Schicht. Staub und Sand waren unglaublich penetrant; sie bahnten sich durch die kleinsten Spalten einen Weg in die Häuser und ließen sich auf Kleidung, Haar und Möbeln nieder. Die Außenweltler bissen sogar beim Essen auf Sand und fanden ihn zwischen den Laken, wenn sie sich zum Schlafen ins Bett legten. Der Sand ließ die Augen tränen und reizte die Nase, sodass man niesen musste.

Eines Morgens jedoch erwachten die Botschaftsbewohner in friedlicher Stille. Sie stießen einen Seufzer der Erleichterung aus, obwohl die Hitze schrecklich war und die Luft in den Lungen brannte wie kochendes Wasser auf dem Herd.

Das Thermometer unter dem Vordach der Küche zeigte mittags mehr als fünfzig Grad. Rasser nahm sich die Empfehlungen Tanis und Kaders zu Herzen und erklärte, dass die Bewohner der Botschaft, genau wie die Ta-Shimoda, den Vierundzwanzigstundenrhythmus auf den Kopf stellen sollten: tagsüber schlafen und in der Nacht wach sein.

Nach ein paar Tagen der Umstellung, an denen sie bei Tisch gähnten und vor sich hin dösten, hatten sie es geschafft, ihren biologischen Rhythmus umzustellen und sich an das nächtliche Leben zu gewöhnen. Die Haushaltsroboter machten von Grund auf sauber, und schließlich war es wieder möglich, eine Mahlzeit zu sich zu nehmen, ohne den Sand zwischen den Zähnen knirschen zu hören.

Abgesehen davon war das Leben noch langweiliger als in der Regenzeit. In diesen Monaten landete kein einziges Raumschiff, es sei denn, es hätte einen Notfall gegeben. Sämtliche Verladearbeiten mussten ohne die qualifizierten Asix erfolgen. Und alle Passagiere verbrachten die Zeit im Astroport in einer Art Verbannung, bis eine schlecht gelaunte Jestak das Quarantänezentrum provisorisch wieder öffnete.

In der Regenzeit hatte die Botschaft einige gesellschaftliche Ereignisse organisiert und die ansässigen Geschäftsleute sowie den einen oder anderen Raumfahrtbegleiter eingeladen. Trotzdem war das Ergebnis nicht gerade berauschend: Alle hatten Furcht vor Kapitän Aber, seitdem das Gerücht umging, dass er und seine Leute aus dem ersten Kontingent zu den Spezialkräften gehörten. Niemand konnte eruieren, woher dieses Gerücht stammte, doch mit einem Mal waren alle in Schreiberstadt lebenden Geschäftsleute darüber informiert, und jeder von ihnen bestätigte, er habe dieses Wissen von einem seiner Asix. Niemand kam auf den Gedanken, den Mann in der Botschaft zu verdächtigen – einen Asix, der ein wenig zurückgeblieben war und eine Stunde brauchte, um einen Fußboden zu wischen, bei dem zehn Minuten völlig ausgereicht hätten.

Die ersten Einladungen zu den Festen in der Botschaft wurden – wie es sich gehörte – angenommen, und man verbrachte den Abend stehend mit einem Glas in der Hand und plauderte über Belanglosigkeiten. Danach aber fanden die seriösen Händler mehr und mehr gute Gründe, die Einladungen auszuschlagen. Diejenigen hingegen, die immer wieder zusagten, waren genau jene, die Seine Exzellenz nur aus Pflichtgefühl eingeladen hatte. Er betrachtete sie zu Recht mehr als Abenteurer denn als ernsthafte Geschäftsleute. Es waren vulgäre Leute, die über keinerlei Bildung verfügten. Sie waren nicht imstande, eine geistreiche oder interessante Unterhaltung zu führen. Stattdessen verbrachten sie den Abend damit, große Mengen importierter alkoholischer Getränke zu konsumieren. Außerdem wagten es einige von ihnen, sich von einheimischen Frauen begleiten zu lassen, was die erste Ehefrau Rasser überhaupt nicht schätzte.

Mit der Ankunft des Sommers gingen wieder einige Einladungen zwischen der Botschaft und den Einheimischen hin und her. Allerdings handelte es sich ausschließlich um Besuche formeller Art. Die Händler hatten keine Lust mehr, ständig darauf aufzupassen, was sie sagten, denn sie hatten Angst, dass irgendetwas an die Ohren der Spezialkräfte drang. Sie hatten auch keine Lust mehr, sich die Äußerungen der ersten Ehefrau Rassers über die Unschicklichkeit des Zusammenlebens mit den Einheimischen anzuhören.

»Mit dem Licht der drei Monde ist dieser dreckige Planet beinahe schön«, sagte der Botschafter, der beschlossen hatte, seine junge Frau bei allen ihren Spaziergängen zu begleiten.

»Sollen wir bis zur Steilküste gehen?«

»Nein, die macht mir Angst.«

»Jetzt sag bloß nicht, dass du an Schwindel leidest. Du bist auf hohe Berge geklettert, als du bei uns warst.«

»Es geht nicht um mich. Ich sehe dich nicht gern so nah am Ufer.«

Elide wandte sich ihm zu, kurz davor, ihm die Ohrfeige zu verzeihen, die sie zwei Tage zuvor erhalten hatte, doch ihr Mann hatte die Stirn gerunzelt und zeigte jenen Ausdruck von Jähzorn, mit dem sie noch nicht umzugehen gelernt hatte. Sie wollte ihm vorschlagen, ein paar Meter vor der Steilwand stehen zu bleiben, um die letzten Wellen zu bewundern, die durch die böigen Winde extrem hoch waren. Die weißen Spitzen der Gischt sahen im Licht der drei Monde silbern aus. Doch Elide verwarf ihre Idee, und schließlich kehrten beide ins Haus zurück.

*

In Gaia war die Trockenzeit eine Art Ferienzeit.

Nach mehreren arbeitswütigen Tagen waren die Sturmschäden behoben. Anschließend stellten die Asix und die Jungen aus dem Clan die Matten und Tische wieder an Ort und Stelle. Die Bauern siedelten das Federvieh und die Bienen um: Man befreite sie aus ihren Gefängnissen im Keller, in denen sie trotz ihrer Unruhe die Stürme unbeschadet überstanden hatten, und brachte sie in ihre Sommerquartiere auf den Höfen, die dank Planen und Vordächern beschattet waren. Die Hühner kamen endlich zur Ruhe, nachdem sie im »Gefängnis« vor Angst und Schrecken wie die Wilden gegackert hatten. Sie waren zu dumm, um sich daran zu erinnern, dass das zweimal im Jahr passierte und immer ein glückliches Ende nahm. Auch die Bienen nahmen ihr normales Leben wieder auf, als wäre nichts gewesen.

Da im Sommer fast keine Arbeiten in der Landwirtschaft zu verrichten waren, hatten die Ta-Shimoda nur sehr wenige Pflichten. Suvaïdar, die im Sitz des Clans für die häuslichen Pflichten eingeteilt war, kümmerte sich zusammen mit Saïda um die Arbeit im Lebenshaus. Oda erteilte einer Gruppe junger Leute Unterricht im Fach Mechanik und lehrte sie, was er an der Universität von Neudachren studiert hatte.

Zum Fechten gingen beide in die Akademie des Clans. Dort unterrichtete immer noch die Meisterin Doran Huang. Jetzt, wo sie erwachsen war, war Suvaïdar in der Lage, ihr Niveau besser einzuschätzen. Obwohl Doran Huang jetzt schon sehr alt war, bewegte sie sich doch mit derselben tödlichen Grazie wie Tichaeris. Und ihre Kritik, die sie in einer Sprache anbrachte und die so scharf war wie ihre Binsenpeitsche, war stets gerechtfertigt.

Eines Nachts stellte Doran Huang während des Unterrichts ihre Peitsche an die Wand und wickelte die Binden vom Gesicht, die ihr als Schutzmaske gedient hatten. Damit wollte sie zeigen, dass sie wieder in die Rolle einer Schülerin geschlüpft war. Sie verbeugte sich tief vor einem Mann, der gerade durch die äußere Tür des Fechtsaals trat.

Es war Tarr, der Riodan Lal und die anderen Fechtmeister von Gaia besiegt hatte. Heute war der Hauptmeister der sieben Akademien gekommen, um eine seiner regelmäßigen Inspektionen durchzuführen. Begleitet wurde er von drei seiner besten Schüler.

Er grüßte und übernahm dann die Stunde. Er sprach wenig, wie gewöhnlich. Meist begnügte er sich damit, vor sich hin zu knurren oder mit der Übungswaffe leicht auf ein Bein zu schlagen, das nicht richtig gebeugt war oder auf einen Fuß, der nicht die ordnungsgemäße Position hatte. Suvaïdar betrachtete ihn aus den Augenwinkeln und stellte fest, dass die Wolle auf seinem Brustkorb bereits die ersten grauen Haare zeigte.

Es ist wahr, dass die Asix schneller altern als wir, dachte sie bei sich, aber wie viele Trockenzeiten hat Tarr bereits erlebt? Er ist doch nicht viel älter als ich.

Durch ihre Grübeleien war sie nicht konzentriert genug und kassierte einen peitschenden Schlag: Oda hatte Tarr ebenfalls herankommen sehen, aber nicht bemerkt, mit welcher Aufmerksamkeit seine Schwester sich diesem zugewandt hatte.

Ihr Gegenangriff war unbeholfen und wäre auch dann wirkungslos gewesen, hätte er sein Ziel getroffen.

»Nicht so!«, rief der Meister unzufrieden. »Man schlägt sich nicht, indem man nur Arm und Schulter einsetzt, und noch dazu mit aller Kraft. Nimm eine stabilere Position ein und suche die Erdenergie entlang des Beines und der Hüfte.«

Mit der freien Hand versetzte er ihr einen heftigen Schlag auf die Schulter, die wie immer verkrampft war. Suvaïdar geriet ins Taumeln. Der Asix zog seine Hand sofort zurück und entfernte sich ohne ein weiteres Wort.

Sie glaubte zuerst, er hätte sie nicht wiedererkannt. Doch im Dunkel der mondlosen Nacht kam er ohne Vorankündigung zur Badezeit ins Haus des Clans. Niemand hatte ihn kommen hören. Doch der Schatten verdichtete sich plötzlich am Becken, und dann murmelte er mit seiner rauen Stimme:

»Meine Dame? Erlaubst du, dass ich mich setze?«

»Das ist das Haus deines Clans, Meister. Es ist dein gutes Recht, dich hier zu bewegen, wie du möchtest.«

Sie lud ihn nicht ein, zu ihr ins Becken aus Stein zu steigen. Stattdessen stieg sie heraus, trocknete sich ab, zog sich rasch an und ging wieder zu ihm.

»Ich möchte dir etwas sagen«, eröffnete er ihr. »Aber es ist ein bisschen kompliziert, bitte hab ein wenig Geduld.«

Er wartete einen Augenblick. Als Suvaïdar nicht antwortete, fuhr er fort: »Du bist nicht oft bei den Kampfsportkursen gewesen, und wahrscheinlich ist dir gar nicht klar geworden, wie stark das Band zwischen den Mitgliedern der Akademie ist, egal ob Asix oder Shiro. Selbst wenn sie rivalisierenden Clans angehören, besteht dieses Band. Ich spreche allerdings nur von den jungen Leuten, die der Akademie anvertraut wurden und den Schülern, die ihr ganzes Leben weiter trainieren, sieben-, achtmal in der Dekade, wie ich es getan habe. Ich rede nicht von denen, die nur aus Pflichtgefühl gekommen sind. In meiner Eigenschaft als Meister bin ich das Herz dieses Netzwerks aus Verpflichtung und Loyalität. Ich weiß deshalb mehr als nur das, was in Gaia geschieht. Es kommt vor, dass Schüler von einer Akademie zur anderen wechseln, weil die Lebensumstände sie dazu zwingen, sich in einer anderen Stadt niederzulassen, oder weil sie sich von einem bestimmten Meister unterrichten lassen möchten.

»Wenn der Unterricht zu Ende ist, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück, aber ich lasse die Tür für diejenigen auf, die mich sprechen möchten. Man bittet mich oft um Rat. Als ich jung war, hielten die Leute mich für dumm, weil ich nicht viel geredet habe. Mittlerweile bin ich ein Meister geworden und alle Welt glaubt, dass mein Schweigen Zeichen von Weisheit sei, obwohl ich ein Asix bin, dessen Ordensband mit einem schwarzen Band endet.«

Oda war seiner Schwester gefolgt und kniete sich nun ganz in der Nähe der beiden ins Gras; dann ließ er sich im Schneidersitz nieder.

Obwohl es dunkel war, hatten die Augen des Asix jede dieser Bewegungen verfolgt. »Stört dich mein Stottern, junger Shiro?«, fragte er. »Oder liegt es daran, dass ich dich langweile? Du musst nicht bleiben, um mir zuzuhören. Es war die Dame, die ich um ein Gespräch gebeten hatte.«

Er wandte sich wieder Suvaïdar zu und fuhr fort:

»Entschuldige bitte, dass ich so redselig bin. Ich wollte dir erklären, wie es kommt, dass ich über viele Dinge informiert bin, die den Rat betreffen. Aber ich will zur Sache kommen. Vor ein paar Tagen kam einer meiner jungen Schüler zu mir, um mit mir zu sprechen. Er ist von meiner Rasse; deshalb fiel es ihm leichter, sich mir anzuvertrauen. Die Alte eines Clans hat nicht immer die Zeit dafür und auch nicht die Geduld. Jedenfalls hatte der Junge gehört, dass die Sadaï verboten hat, den Handel mit den Außenweltlern auf neue Produkte auszuweiten, und er wollte von mir wissen, ob das stimmt. Der Junge kannte eine Frau, die zwei Kinder von einem hiesigen Händler hat. Eines Tages kam dieser Händler mit einem Fläschchen nach Hause, das eine parfümierte Flüssigkeit enthielt. Er goss sie auf den Körper eines Mädchens, und ein wunderbarer Duft erfüllte die Luft. Der Duft war so berauschend, dass der Händler sich an diesem Abend mit dem Mädchen amüsiert hat, als hätte er die Kraft und Ausdauer eines jungen Asix.«

»War es der Saft der Daïbanblume?«

»Das hat das Mädchen gesagt, aber es steht in krassem Widerspruch zu den Weisungen des Rates, oder? Die Daïbanblume wäre auf den anderen Planeten wahrscheinlich sehr teuer.«

»Danke, dass du mich informiert hast. Glaubst du, dein Schüler könnte die Originalflasche finden?«

»Ich wäre nicht gekommen, wüsste ich nicht weitere Details. Das Fläschchen kam von Salman Bur, ein Bruder von Eronoda Bur to Sevastak. Er hatte in meiner Akademie ein Duell mit den Blutklingen und verlor dabei sein Leben.«

»Und wie heißt der Händler?«

»Wie hieß der Händler, müsstest du fragen. Es gab einen tragischen Unfall.«

Kurzes Schweigen. Dann ergriff Tarr wieder das Wort.

»Ich überlasse es dir, ob du den Rat benachrichtigst. Aber noch etwas anderes: Ich habe meinen Schülern aufgetragen, die Landenge bei Niedrigwasser zu bewachen. Es würde mich nicht verwundern, wenn einige das Verbot, wichtige Lebensmittel zu verkaufen, nicht richtig verstanden haben.«

Er stand auf und war binnen Sekunden verschwunden.

»Du lieber Gott«, sagte Oda nur, »und das ist ein Asix? Ich frage mich, warum man ihn nicht gleich nach seiner Geburt einer Akademie übergeben hat.«

*

Der Sommer auf Ta-Shima zog gemächlich dahin.

Es gab ein paar Duelle, doch sobald einer der Monde zu sehen war, erinnerte sein Licht an das Fest der drei Monde, und die Shiro zeigten sich heiterer, beinahe herzlich. Die Asix, die während der Regenzeit auf dem Feld gearbeitet hatten, kehrten ins Haus ihres Clans zurück. Doch einige von ihnen blieben auf den Bauernhöfen, auf denen weitergearbeitet wurde, um essbare heimische Pflanzen und genmodifizierte Nüsse zu kultivieren. Doch auf den anderen Bauernhöfen gab es nichts weiter zu tun als ein paar kleinere, turnusmäßige Wartungsarbeiten. Die meisten Bauern zogen es vor, in die Stadt zu gehen und sich im Hof des großen, grauen Steinhauses des Clans eine provisorische Hütte zu bauen, um an den turnusmäßigen Fecht- und Schachturnieren, den Gemeinschaftsbädern und den geselligen Abenden teilnehmen zu können, die eine Gelegenheit boten, einen Shiro zu treffen, der geneigt war, die Matte mit ihnen zu teilen.

Die Asix übernahmen die häuslichen Aufgaben, und hatten die Einwohner Gaias ihre Arbeit außerhalb des Hauses erst einmal erledigt, verfügten sie über sehr viel Zeit – für sie ein seltener Luxus. Sie gingen an den Kanälen spazieren oder schwammen im toten Nebenarm des Flusses, der kein Trinkwasser spendete, aber die Kanäle und die Badebecken aus Stein bewässerte. Sie erlaubten sich kostspielige Extravaganzen. So gingen sie in einem der Asix-Restaurants zu Abend essen, statt im Gemeinschaftsraum des Clans, oder sie kauften sich ein Stück köstliche Reispastete oder Trauben aus Gorival an einem der Marktstände. Sie organisierten im Freien Fechtturniere oder spielten Schach, Mah-Jong und Go. Sie schliefen unter freiem Himmel und genossen das seltene Vergnügen, Sterne beobachten zu können. Sie verabredeten sich für das nächste Fest, das in der Nacht der drei Monde die Hochebene in intensives Licht tauchen würde. Alle jungen Leute – und auch viele ältere – würden dann zu den großen Feuern am See und auf den Feldern gehen.

In der letzten Nacht der drei Monde beobachtete Oda, wie Suvaïdar das Haus ihres Clans verließ. Er begleitete sie zu den Feuern, deren Leuchten schon von Weitem zu sehen war. Am ersten Feuer trieben sich viele lautstarke Jugendliche herum. Suvaïdar und Oda warfen sich einen wissenden Blick zu und gingen weiter zum nächsten Feuer, das ein paar hundert Meter entfernt loderte. Dabei begegnete ihnen eine kleine Gruppe männlicher Asix. Alle drehten sich um und starrten Suvaïdar ganz offen an – mit einer Dreistigkeit, wie sie es in der Regenzeit niemals gewagt hätten.

Auch am zweiten Feuer ging es turbulent zu, aber nicht so wild wie beim ersten. Sie setzten sich, den Rücken an den Stamm eines hundertjährigen Nussbaumes gelehnt, und schauten sich um. Die meisten männlichen Asix hielten sich trotz der Hitze nahe am Feuer auf. Sie wollten ganz sichergehen, dass die Shiro-Frauen, die ja in der Dunkelheit nicht so gut sehen konnten wie sie, sie deutlich erkennen konnten. Oda deutete mit dem Kopf auf drei Jungen, die beim Schein der Flammen ihre Brustmuskulatur spielen ließen, das Hemd nachlässig geöffnet.

»Guck dir die drei da an«, sagte er mit einem ironischen Lächeln. »Wen wollen sie damit beeindrucken? Was glaubst du?«

»Irgendeine normale Shiro-Frau«, gab Suvaïdar zur Antwort. Dann stand sie plötzlich auf und ging.

»Du verbringst das Fest nicht mit mir?«, rief Oda enttäuscht.

»Warum sollen wir bis hierher gehen?«, erwiderte Suvaïdar. »Wir könnten doch einfach in dein Zimmer gehen.«

Als sie Odas Gesichtsausdruck sah, fügte sie hinzu: »Du möchtest doch die Matte mit mir teilen, oder? Warum hast du mich nie gefragt?«

»Dich fragen?« Oda zog gekränkt die Stirn in Falten. »Ich dachte, ich hätte mein Interesse an dir offen gezeigt. Seit unserer Reise auf dem Raumschiff verbringe ich viel Zeit mit dir.«

Suvaïdar musste ihm recht geben. Warum hatte sie nicht daran gedacht, ihn einzuladen?

»Wenn du möchtest, können wir es morgen tun, oder noch besser übermorgen. Einverstanden?«

Sie lächelte ihn strahlend an; dann drehte sie ihm den Rücken zu und näherte sich den drei jungen Asix. Er sah, wie sie anmutig in die Knie ging und die Hand zur nackten Schulter des kräftigsten Asix ausstreckte, der sich ihr zuwandte, einen Ellenbogen auf den Boden gestützt. Oda konnte nicht verstehen, worüber sie sprachen, aber er hörte die raue und gutturale Stimme des jungen Asix, die einen Kontrapunkt zur Stimme seiner Schwester bildete. Oda bezweifelt nicht, dass die beiden die Freiheiten der Nacht der drei Monde auskosten wollten.

Eine Gruppe Jugendlicher beider Rassen, die einen mit langen Haaren bis tief auf dem Rücken, die anderen mit kurzen, zerzausten Locken, versperrten ihm für einen Moment den Blick. Als sie weitergingen, war Suvaïdar mit zweien der Asix verschwunden. Oda war so sehr damit beschäftigt, sie in der Menge zu suchen, dass er nicht bemerkte, wie eine junge Asix sich ihm näherte, sich neben ihn hockte und fragte:

»Hast du schlechte Laune, Herr Shiro? Du hast niemanden, der mit dir das Fest feiert?«

»Du bist ganz schön respektlos!«, sagte er lachend und wollte ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange geben. Doch das Mädchen fing seine Hand ab und legte sie auf ihre Brust.

»Komm mit mir. Du siehst nicht so gut wie ich. In der Dunkelheit könntest du mich für eine schöne Shiro-Frau halten.«

Oda sah, dass sie sehr jung war. Es war zweifellos eines ihrer ersten Feste. Er vergegenwärtigte sich die Regeln der Höflichkeit und versuchte zu lächeln, als er ihr antwortete: »Du bist sehr süß. Ich brauche mir keine andere vorzustellen, wenn ich mit dir zusammen bin.«

Suvaïdar war unauffindbar, und alle andere Shiro schienen bereits jemanden gefunden zu haben, mit dem sie das Fest der drei Monde feierten. Es wäre besser, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wollte Oda nicht die Nacht wie ein Schwachsinniger am Nussbaum gelehnt alleine verbringen. Er stand auf und folgte dem Mädchen zu einer kleinen Sandmulde zwischen den Dünen, wo – Überraschung! – zwei weitere, weniger hübsche Asixmädchen warteten. Auch sie wollten so viel wie möglich vom Fest haben. Während Oda mit Hilfe der beiden Mädchen seine Tunika auszog, hörte man von der Nachbardüne den fröhlichen und spöttischen Klang einer Hirtenpfeife.