6

Außenwelt

Suvaïdar beobachtete Oda heimlich und machte sich Gedanken darüber, warum die Politik des Clans sich systematisch den Wünschen und Hoffnungen der Jungen in den Weg stellte. Es musste doch viele andere geben, die so dachten wie sie, und die ebenfalls neugierig waren auf alles Unbekannte. Warum hatte man gerade Oda, der von Kopf bis Fuß ein echter Ta-Shimoda war, in die Außenwelt geschickt?

Suvaïdar glaubte zu wissen, was der eigentliche Grund dafür gewesen war: Oda studierte alles, was er studieren musste, aber er war nicht anfällig gegenüber irgendwelchen fremden Ideen. Der Arme! Wie unglücklich musste er an der Universität von Neudachren gewesen sein! Und was war mit ihr selbst? Seitdem sie ihren Bruder wieder getroffen hatte, wagte sie die Charakterzüge der Shiro, die auch die Persönlichkeit Odas ausmachten, kaum mehr zu kritisieren.

Sanft berührte sie Odas Hand. Er schreckte auf und war dermaßen überrascht, dass er sich rasch nach allen Seiten umschaute.

»Keine Sorge, Shiro Adaï«, sagte sie leise zu ihm, »niemand hat diese ungehörige Geste extremer körperlicher Nähe gesehen. Aber es macht mir Spaß. Du bist doch mein Bruder, und ich bin froh, dass ich dich habe. Ich habe die Regeln des Sh’ro-enlei stets verachtet, aber wenn er jemanden wie dich hervorgebracht hat, kann er nicht durch und durch schlecht sein.«

Zum ersten Mal sah sie Oda herzhaft lachen. Zuvor hatte er immer nur die kurze, protokollarische Lippenbewegung gemacht, die üblich war.

»Ich brauche deine Hilfe«, fuhr Suvaïdar fort. »Ich habe mit der Zeit vergessen, wie eine Ta-Shimoda sich zu verhalten hat. Du musste mir wieder Manieren beibringen, und zwar schnell, bevor wir ankommen. Ich habe keine Lust, von Bord zu gehen und mich in einem stumpfsinnigen Duell wiederzufinden. Obwohl ich deine ältere Schwester bin, erteile ich dir die Erlaubnis, mich so zu behandeln, als wärst du die Saz Adaï und ich eine junge Frau ohne Erfahrung. Und jetzt gib mir eine Ohrfeige, bitte!«

»Was? Ich soll dir eine Ohrfeige geben? Das könnte ich nie ...«

Oda war geschockt. Suvaïdar seufzte tief und erinnerte sich daran, dass auf ihrem Planeten die Asix das Monopol in Sachen Sinn für Humor besaßen.

Oda schaute sie mit seiner gewohnten Ernsthaftigkeit aufmerksam an.

»Dein Haar«, sagte er.

»Ich weiß«, entgegnete sie mit Bedauern. Sie hatte ihr Haar aus Protest gegen die Tradition wachsen lassen und sich schließlich daran gewöhnt. »Du hast doch dein kurzes Messer dabei, oder?« Sie zeigte auf das in den Falten seiner Tunika versteckte Futteral.

Oda nickte, und Suvaïdar löste ihr Haar, das ihr wie ein Wasserfall über den Rücken fiel. Oda ergriff die Haare seiner Schwester und wand sie um sein Handgelenk; dann schnitt er sie sauber und ordentlich mit dem kurzen Messer ab – eines jener scharfen Messer, ohne die ein Ta-Shimoda niemals das Haus verlässt. Er warf einen Blick auf den schwarzen, leuchtenden Haarstrang, der in seinen Händen lag und meinte: »Es ist schon merkwürdig, einen Erwachsenen mit langem Haar zu sehen.« Dann warf er die Haare in den Desintegrator.

Danach versuchte er, den Schnitt noch ein wenig zu begradigen. Zum Schluss prüfte er kritisch sein Werk. Als er seine Schwester anständig auf den Knien sitzen sah, mit geradem Rücken, die Hände auf den Oberschenkeln, war er zufrieden. Man hätte sie ohne Weiteres für eine traditionelle Shiro-Dame halten können. Ihr Blick jedoch verriet sie.

»Dein Ausdruck ist unpassend. Er ist viel zu lebhaft. Du musst versuchen, dich innerlich leer zu machen.«

»Wie soll das denn gehen?«

»Stell dir einfach vor, du hättest die alte Huang vor dir«, schlug Oda vor und sah, wie die Augen seiner Schwester mit einem Mal undurchdringlich und ausdruckslos wurden.

»Perfekt«, sagte er zufrieden. »Man könnte glauben, du verachtest sie.«

»Natürlich verachte ich sie! Sie ist eine kleingeistige, engstirnige Autokratin! Würde sie selbst die Regeln respektieren, die sie anderen auferlegt, wäre sie die längste Zeit an der Macht gewesen. Dann müsste sie den Platz räumen für jemanden, der kompetenter ist als sie. Aber das ist ihr Problem, nicht meines. Jedenfalls hat sie mich praktisch genötigt, Ta-Shima zu verlassen. Ich bin immer noch der Ansicht, dass es von ihrer Seite mehr als überzogen war, mir mit dem Ausschluss aus dem Clan zu drohen. Und das Ganze wegen einer Eskapade, die vier Tage gedauert hat.«

Oda wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Wie anderen jungen Huang war es auch ihm mehr als einmal passiert, dass er eine Entscheidung der alten Dame ungerecht fand. Manchmal hatten sie es sogar gewagt, untereinander eine schüchterne Kritik an der Alten zu äußern, und insgeheim hatten sie sich über sie lustig gemacht: »Saz Adaï« hatten sie sie genannt, »alter Drache«. Nichtsdestotrotz hatte nur seine Schwester gegen sie zu rebellieren gewagt. Auf der einen Seite verstieß ein solches Verhalten zwar gegen Odas gesamte Erziehung, auf der anderen Seite aber hegte er einen Hauch von Bewunderung für jemanden, der imstande war, die alten Traditionen über Bord zu werfen. Genauso, hieß es, hätte es ihre Mutter gemacht.

»O Hedaï«, sagte Oda freundlich, »ich gehöre ganz sicher nicht zu denen, die die alte Huang bewundern, aber in deinem Fall war es nicht bloß eine Eskapade. Du bist ohne Erlaubnis davongegangen, als sie gerade ein Treffen mit dem Clan Jestak to Gonzalo organisiert hatte, um ein berufliches und reproduktives Band für dich zu schnüren. Als alle Welt auf dich gewartet hat, hattest du nichts Besseres zu tun, als mit deinem schrecklich behaarten Asix in den Bergen zu verschwinden.«

»Er war weder schrecklich noch behaart!«, protestierte Suvaïdar heftig, dachte kurz nach und fügte dann leiser hinzu: »Behaart vielleicht. Aber es war die Nacht der Vier Monde, Oda. Auf wie viele solcher Nächte kann man im Leben hoffen? Es gibt gerade einmal drei oder vier in einem Jahrhundert. Und wir hatten so wenige Freiheiten! Immer waren da nur die Pflicht und das ewigen ›Denk daran, du bist eine Shiro‹. Ich wollte das Fest mit jemandem verbringen, den ich kenne und in dessen Gesellschaft ich mich wohl fühle. Ich wollte mit jemandem zusammen sein, bei dem ich mich gehen lassen konnte. Ich wollte keinen fremden Jestak, der womöglich verklemmt und förmlich gewesen wäre. Bestimmt hätte die alte Huang dieses Treffen zu jedem anderen Zeitpunkt arrangieren können, aber sie hat ganz bewusst dieses Ereignis ausgesucht, um mir wieder einmal ihre absurde Shiro-Disziplin abzuverlangen.«

»Shiro Adaï!«, sagte Oda mit vorwurfsvollem Beiklang.

»Du hast recht. Es ist nicht richtig, dass ich so rede. Damit gehe ich das Risiko ein, die gestrengen Traditionalisten zu beleidigen, die bekanntlich am wenigsten zu Kompromissen bereit sind, und die immer als Erste den Dolch zücken. Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein. Aber es ist wichtig, dass ich ich selbst sein kann. Und das kann ich nur mit jemandem, der auf mich eingeht. Und jetzt, wo Mich’l tot ist und ich selbst nicht mehr weiß, wo meine Sei-Hey sind ... könnten wir nicht Freunde sein, du und ich? Allerdings musst du mir zugestehen, dass ich mich von Zeit zu Zeit gehen lasse, denn ich besitze keine so untadelige Selbstbeherrschung wie du.«

»Einverstanden, lass uns Freunde sein«, erwiderte er von ganzem Herzen.

»Und könntest du dich auch ein kleines bisschen gehen lassen?«

»Ich bin, wie ich bin, O Hedaï. Wie kann ich da lockerer werden?«

»Ich weiß es nicht. Versuch doch einfach, mich bei meinem Vornamen zu nennen. Oder du könntest lachen oder deinen Arm um meinen Hals legen ... Nein, ich glaube nicht, dass du das kannst«, fügte sie hinzu, nachdem sie versucht hatte, es sich vorzustellen.

Schweigend blieben sie nebeneinander sitzen und nippten an ihrem Getränk. Es schmeckte nicht besonders gut, aber es war auf angenehme Weise erfrischend.

Einer der Soldaten der Botschaftereskorte steckte den Kopf durch die Tür. Die beiden Ta-Shimoda musterten ihn unwirsch. Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass das Militär systematisch die Regeln der Höflichkeit verletzte. Die Soldaten traten ein, ohne anzuklopfen, oder sie rempelten die anderen im Flur mit einem Ausdruck der Verachtung und Arroganz an, als hätten sie nur auf die erstbeste Gelegenheit gewartet, einen Streit vom Zaun zu brechen.

»Wer von Ihnen beiden ist der Passagier, der sich mit Frau Rasser in der Universalsprache unterhalten hat?«, fragte der Soldat, wobei er von einem zum anderen schaute.

»Das war ich«, entgegnete Oda.

»Seine Exzellenz wünscht Sie zu sprechen.«

»Gern. Dann soll er kommen.«

»Halten Sie es nicht für unangebracht, dass er hierherkommt? Sie müssen sich in die Kabine des Botschafters begeben.«

»Wieso? Ist er krank?«

»Du lieber Himmel, nein. Warum fragen Sie?«

»Wenn er nicht zu krank zum Gehen ist und mich sehen möchte, muss er schon hierherkommen«, erklärte Oda. Dann wandte er dem Mann den Rücken zu, ohne weiteres Interesse an dem Gespräch zu signalisieren.

Der Soldat machte drohend einen Schritt nach vorn. Aber da die ängstliche Reaktion ausblieb, mit der er gerechnet hatte, blieb er zögernd stehen. Dann drehte er sich auf der Stelle um und verschwand.

»Ist es wirklich nötig, dass man ihm eine solch schnodderige Nachricht überbringt?«, fragte Suvaïdar.

»Was willst du damit sagen? Er will mich sprechen. Da ist nur recht und billig, wenn ich von ihm erwarte, dass er sich in Bewegung setzt.«

»Die Fremden aus der Außenwelt denken nicht so, das solltest du wissen. Der Botschafter ist eine wichtige Person. Er erwartet, dass alle ihm gehorchen.«

»Vielleicht ist er auf seinem Planeten von Bedeutung, aber ich bin ein Shiro und betrachte ihn als Untergebenen. Wenn er auf Ta-Shima leben möchte, sollte er sich beizeiten an unsere Betrachtungsweise gewöhnen. Der alte Botschafter hat das getan.«

Auf dem Gang herrschte ein wildes Durcheinander. Plötzlich betrat eine Gruppe aus der Außenwelt den Raum: Der Botschafter, begleitet vom Kapitän und zwei Soldaten, gefolgt von Professor Li. Kurze Zeit später kam auch der Kommandant im Laufschritt herbei. Irgendjemand hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sein Anwesenheit opportun sei.

Suvaïdar und Oda standen nicht auf, wie es nach der Tradition ihrer Besucher erforderlich gewesen wäre. Sie verbeugten sich auch nicht, wie sie es bei Landsleuten taten. Suvaïdar begnügte sich damit, die Anwesenheit der Fremden schlichtweg zu ignorieren. Oda hingegen fixierte sie mit aller Arroganz, die er aufzubringen vermochte – und er konnte sehr arrogant sein.

Einen Augenblick später folgte ein Mann aus der Besatzung, klein und mit breiten Schultern. Suvaïdar erkannte in ihm den Fechtlehrer. Der Mann verbeugte sich vor ihr und fragte:

»Shiro Adaï, kann ich Ihnen auf irgendeine Weise nützlich sein?«

Beide beantworteten seinen Gruß; dann sagte Suvaïdar ruhig: »Ich glaube nicht, dass deine Anwesenheit erforderlich ist. Ich danke dir trotzdem. Bleib einfach bei uns.«

Sie wies auf ein Kissen an ihrer Seite, aber der Mann kniete sich auf die Matte; dann setzte er sich auf die Fersen und fügte respektvoll hinzu: »Danke sehr, meine Dame.«

Spannung lag in der Luft. Das spürte auch Li Hao, der jetzt das Wort ergriff.

»Meine Damen, meine Herren. Frau Rasser hat uns erzählt, dass einer von Ihnen die Universalsprache spricht. Übrigens hatte auch ich das Vergnügen ...«

Oda schüttelte den Kopf.

»Wenn ich mich nicht täusche, hatte ich Sie gebeten, in meine Kabine zu kommen«, mischte der Botschafter sich ein.

»Niemand lädt einen Shiro vor«, konterte Oda herablassend.

»Aber ich bin der Botschafter der Föderation!« Aziz Rasser zog irritiert die Augenbrauen hoch. »Wer mich beleidigt, beleidigt auch die Regierung, deren Repräsentant ich bin.«

Er geißelte Oda mit seinem Blick, aber verglichen mit dem der alten Huang oder dem der Lehrer an der Akademie war der Botschafter ein jämmerlicher Amateur. Sein Gesprächspartner jedenfalls blieb völlig unbeeindruckt. Wäre Rasser ein Ta-Shimoda gewesen, hätte Oda ihn in die nächstgelegene Fechtakademie eingeladen, um sich mit ihm »im Training zu messen«.

Schließlich blickte Suvaïdar auf. »Wir wollten niemanden beleidigen«, sagt sie. »Die Sache ist ganz einfach. Wir sind Shiro und akzeptieren keine Weisungen, es sei denn, unsere Vorgesetzten erteilen sie uns. Wenn Sie, Herr Botschafter, uns den Respekt erweisen, auf den wir auf Ta-Shima Anspruch haben, werden wir auch Ihnen den Respekt entgegenbringen, den Sie verdienen.«

Nach diesem Satz, dessen Mehrdeutigkeit nur Kommandant N’Tari verstanden hatte, stand Suvaïdar auf und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen. Oda folgte ihr.

»Was genau bedeutet ›Shiro‹?«, fragte der Botschafter. Noch immer war er von der Überheblichkeit der beiden wie vor den Kopf geschlagen.

Der Asix antwortete ihm: »Das sind die Herrscher über Ta-Shima.«

»Und ihr? Wer seid ihr?«

»Wir sind Asix.«

»Ihr dient den Shiro?«

»Wir? Ihnen dienen? Nein, ganz sicher nicht.«

»Und was sollte die Bemerkung, ›Wenn Sie uns den Respekt erweisen, auf den wir auf Ta-Shima Anspruch haben‹? Was bedeutet das? Warum haben sie den Anspruch auf eine besondere Respektbezeugung?«

»Sie sind Shiro«, erklärte der Asix geduldig. Überzeugt, dass nun alles gesagt sei, stand er auf und öffnete ihnen die Tür mit den Worten: »Dieser Raum ist für die Besatzung reserviert. Das war der Wunsch Ihrer Exzellenz.«

Einer der beiden Soldaten zog die Stirn kraus und machte einen Schritt nach vorn, aber Rasser erteilte ihm rasch eine Anweisung und verließ den Raum, fest entschlossen, so zu tun, als hätte er die Unverschämtheit des Asix nicht gehört. Der Professor dachte bei sich, dass er den Oberst vielleicht ein wenig vorschnell abgeurteilt hätte. Der Mann schien fähig, feine Nuancen wahrzunehmen, sofern er denn wollte.

In Wirklichkeit war Aziz Rasser perplex, was ihm nicht allzu oft passierte. Es war ihm unbegreiflich, dass jemand es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Ihm, der hinter sich die Macht eines gigantischen Imperiums von galaktischen Ausmaßen wusste! Und das alles wegen einer Frage des Prinzips.

Er grübelte darüber nach, wer der Mann gewesen sein könnte, der ihn mit einer solchen Überheblichkeit herausgefordert hatte, und was es mit der zweiten Person auf sich hatte. Der Stimme nach handelte es sich um eine Frau. Doch so geschmacklos gekleidet, wie beide waren, und mit ein und demselben schlichten, ja schäbigen Haarschnitt, erinnerten sie ihn eher an zwei Wassertropfen. Jedenfalls gab die Frau sowohl ihrem Begleiter als auch dem Asix Anweisungen. Aber dass es sich bei ihnen um die Herrscher von Ta-Shima handeln sollte, wie der Mann aus der Besatzung bestätigt hatte, kam Rasser sehr merkwürdig vor: Sie trugen überhaupt keinen Schmuck, und ihre Kleidung – aus einem hässlichen, derben, dicken Stoff – war so schlecht und asketisch geschnitten, dass in Neudachren allenfalls ein Bettler bereit wäre, sie zu tragen.

Ganz gegen seine Gewohnheit führte Rasser an diesem Tag bei Tisch heftige Diskussionen, obwohl er gemeinsam mit seinen beiden Ehefrauen, seiner Tochter und dem Militärattaché speiste, in deren Anwesenheit er normalerweise hochgeistige Konversation zu machen pflegte.

»Eine Sache jedenfalls liegt klar auf der Hand«, stellte Kapitän Aber, der Militärattaché, fest. »Es handelt sich um eine Gesellschaft, die auf einem System aus festen Kasten basiert und die sich zudem auf unterschiedliche Rassen gründet. Und die Ideologie steht im Widerspruch zu den demokratischen Prinzipien, auf die sich die Verfassung der Föderation beruft. Außerdem widerspricht sie den Prinzipien der unitaristischen Religion. Wir dürfen auf keinen Fall dulden, dass in unserem bürgerlichen Universum etwas derart Barbarisches und Sklavisches existiert. Es muss unsere Mission sein, diese Menschen zu befreien!«

Er unterstrich seine Worte, indem er in die Richtung der Asix zeigte, die bei Tisch servierten. Über die Köpfe der Gäste hinweg plauderten sie untereinander weiter auf Gorin.

»Ich habe da so meine Zweifel ...«, begann Li Hao, aber der Kapitän war Feuer und Flamme und fiel ihm ins Wort.

»Was würde denn mit der Föderation passieren, würden ihre Bürger nicht die Ehre und Verantwortung akzeptieren, die ihnen von der Geschichte auferlegt wird? Aber das Problem ließe sich ganz einfach lösen. Es würde schon reichen, Waffen zu liefern, und die Unterdrückten würden auf eigene Faust einen Staatsstreich organisieren. Danach müsste die Föderation nur noch im passenden Augenblick eingreifen und den Planeten wie eine reife Frucht pflücken, ohne selbst militärisch in Aktion treten zu müssen. Die Förderation wurde den Planeten befrieden, wie sie es stets getan hat. Sie würde die wahren Werte unserer Zivilisation verteidigen. Und die neue, vom Bürgerkrieg geschwächte Regierung wäre glücklich, einen Beitritt aushandeln zu können. Im Gegenzug würde sie von der Föderation Mittel für den Wiederaufbau erhalten.«

Abgesehen von dem letzten Satz hätte man das Ganze für Regierungspropaganda halten können, aber als der Professor den begeisterten Ausdruck von Kapitän Aber sah, war ihm klar, dass der Mann jedes Wort von dem glaubte, was er von sich gab. Doch welches Interesse könnte die Föderation daran haben, eine arme, unterentwickelte Welt in ihren Verbund aufzunehmen? Das wusste nur Aber. Auf jeden Fall war es für ihn eine Frage des Prinzips: Neudachren, das war weithin bekannt, hielt treu an großen Prinzipien fest.

Die erste Ehefrau Rassers interessierte sich kein bisschen für Politik; das war Männersache, wie sie ihrer jüngeren Co-Ehefrau immer wieder sagte, denn diese neigte dazu, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen. Aber nun wollte Frau Rasser mehr über die für sie fremden Menschen in Erfahrung bringen und fragte:

»Was meinen Sie denn dazu, Professor?«

»Meiner Ansicht nach ist es zu einfach, Begriffe wie ›Sklaven‹ und ›Herrscher‹ zu benutzen. Sicher, es liegt auf der Hand, dass die Shiro eine unbestrittene Autorität innehaben. Aber wie es scheint, wird diese Situation von allen anderen akzeptiert, und sie leben zufrieden damit. Die Besatzung hat das Recht, an Land zu gehen, wenn das Raumschiff auf einem Planeten Zwischenstopp macht. Wären sie Sklaven, würden sie die Gelegenheit zur Flucht nutzen. Außerdem habe ich den Eindruck ...« Er zögerte, weil er nicht genau wusste, wie er seinen Gedanken in Anwesenheit dreier Frauen ausdrücken sollte, die die typische Erziehung hoher Damen genossen hatten und deshalb so taten, als existierten bestimmte Dinge in der Gesellschaft einfach nicht. »Ich will damit sagen«, fuhr er schließlich fort, »die Mitglieder der Besatzung, mit denen ich häufig zusammenkomme, um von ihnen ihre Sprache zu lernen, haben mir erzählt, es gäbe Situationen, in denen sehr große Freiheiten herrschen, was Beziehungen inniger Natur zwischen den beiden Rassen angeht ...«

Er hoffte, sich klar genug ausgedrückt zu haben, um von allen verstanden zu werden. Zugleich hoffte er, sich in Anwesenheit der Frauen zweideutig genug geäußert zu haben.

Die Damen schienen seine Worte tatsächlich nicht verstanden zu haben.

»Darf ich mir die Frage erlauben, ob die Berichte des vorherigen Botschafters etwas Interessantes hergeben?«, wollte der Professor wissen.

»Darüber auf jeden Fall nichts«, sagte Oberst Rasser. »Coont hat sich über die Ökonomie und Meteorologie des Planeten geäußert, und das eine war so katastrophal wie das andere. Außerdem hat er die Probleme mit der Energieversorgung und dem Fieber von Gaia angesprochen. Kein einziges Mal aber wurde das Problem der beiden Rassen Ta-Shimas behandelt, als wäre es nicht erwähnenswert, dass es zwei ethnische Gruppen mit klar definierten äußeren Merkmalen gibt.«

»Warum fragt ihr nicht den Kommandanten N’Tari? Er war bereits mehrere Male in dieser Welt. Ich glaube sogar gehört zu haben, dass man ihn eingeladen hat, ein paar Tage bei der Familie eines Besatzungsmitglieds zu verbringen.«

»Was für ein Leichtsinn!«, warf völlig unpassend die erste Ehefrau Rassers ein. »Wenn man bedenkt, in welch erbärmlichen hygienischen Verhältnissen diese Leute leben. Bei diesen Menschen von den peripheren Planeten weiß man doch nie.«

Der Professor, der von solch einem peripheren Planeten kam, fühlte sich ein wenig beleidigt, reagierte aber nicht darauf. Er wusste genau, dass die beiden Mädchen und die anderen Raumfahrtbegleiter, die er kennengelernt hatte, so reinlich waren, wie es auf einem Raumschiff, auf dem Wasser rationiert wurde, nur möglich war.

Der Botschafter rief sofort den Kommandanten herbei, der äußerst schlecht gelaunt eintraf, denn er hatte frei und hatte sich gerade zum Schlafen hingelegt.

»Eure Exzellenz wünschen?«, fragte er.

Aziz Rasser bewies ein weiteres Mal, dass er fähig war, sich diplomatisch zu verhalten. Er bat den Kommandanten, Platz zu nehmen und bot ihm ein Glas Weißwein – perlend und ein wenig säuerlich – aus seinem persönlichen Vorrat an. Von diesem Wein hatte er gleich mehrere Kisten mit an Bord genommen. Dem Kommandanten, der an die berauschenden Weine von Ta-Shima gewöhnt war – die Reben konnten sich vier Monate lang an fulminanten Sonnenstrahlen erfreuen – schmeckte dieser Wein nicht besonders, aber er achtete die Geste und hörte zu.

»Geschätzter Kommandant N’Tari, bitte entschuldigen Sie, dass wir Sie gestört haben, aber man hat mir erzählt«, Rasser zeigte auf Professor Li, »dass Sie in gewisser Hinsicht ein Experte sind, was unseren Zielplaneten betrifft.«

N’Tari schaute düster auf den Professor, der rasch erklärte: »Ich habe angedeutet, dass Sie sich gut mit Ihrer Besatzung verstehen, und dass Sie sogar eingeladen wurden, ein paar Tage im Haus eines Besatzungsmitglieds zu verbringen. Und nun fragen wir uns, ob Sie vielleicht wissen, was das Verhältnis der beiden ethnischen Gruppen ausmacht, aus denen sich die Gesellschaft des Planeten zusammensetzt. In der Dokumentation der ersten Expedition findet sich leider kein Bezug darauf.«

»Ehrlich gesagt«, antwortete Kommandant N’Tari, »weiß ich es auch nicht. Alle Mitglieder der Besatzung sind Asix, und ich hatte niemals Kontakt zu den Shiro. Ich kann nur bestätigen, dass die Asix ihnen gegenüber einen Respekt aufbringen, den man schon als zwanghaft bezeichnen könnte.«

»Hält man sie als Sklaven?«, hakte Kapitän Aber nach, noch immer verbohrt von seiner Idee.

»Nie im Leben! Es stimmt, dass die gesamte Besatzung sich überschlägt, den Shiro Respekt zu bezeugen, aber sie hat keine Angst vor ihnen. Und mir scheint, ein Diener würde seinen Herrn fürchten und ihm so oft wie möglich aus dem Weg gehen. Außerdem geschieht diese Art der Ehrbezeugung den Shiro gegenüber freiwillig und ohne besonderen Grund. Eine Technikerin aus dem Maschinenraum zum Beispiel ist nur deshalb zu den Shiro gegangen ist, um ihnen zu erzählen, dass sie ein Kind erwartet.«

»Oh! Sie kriegt ein Baby?« Die erste Ehefrau Rassers schien zufrieden zu sein, dass die Unterhaltung sich jetzt endlich um Dinge drehte, bei denen sie ein Wörtchen mitreden konnte, ohne dass ihre Weiblichkeit Schaden nahm. »Ist ihr Mann auch an Bord?«

Der Kommandant dankte seinen Göttern, dass sie ihm eine Gesichtsfarbe wie Ebenholz geschenkt hatten, sodass man ihm nicht ansah, wenn er errötete. Er fingerte nervös an seinem Ohrring herum, den er an diesem Tag links trug, und antwortete:

»Nein, meine Dame. Sie ist nicht verheiratet«, sagte er. »Es kommt äußerst selten vor, dass Asix-Frauen einen festen Gefährten haben oder dass Mann und Frau sich zusammenschließen, um eheliche Gemeinschaften zu bilden, wenn ich es mangels eines adäquaten Begriffs so nennen darf. Und wenn sie es doch tun, dann erst, wenn sie mindestens ein Kind haben.«

»Das würde ja bedeuten, dass die unehelichen Geburten nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht sind!«, stieß Frau Rasser entsetzt hervor.

»Ich bin nicht sicher, ob es zweckmäßig ist, von ›ehelichen‹ und ›unehelichen‹ Geburten zu sprechen.« Der Kommandant hatte sich am liebsten geohrfeigt, das Thema angeschnitten zu haben. »Kurz gesagt: Einige von ihnen wollen ihr erstes Kind unbedingt von einem Shiro.«

Beinahe hätte er gesagt »von jemandem, der einer anderen Rasse angehört«, aber er konnte sich gerade noch bremsen.

»Welch abstoßende Gewohnheiten!«, rief der Botschafter angeekelt, und seine erste Ehefrau pflichtete ihm energisch bei. »Ich bin sicher, das wird sich rasch ändern, wenn wir diese Kreaturen erst zivilisiert haben.«

Der Kommandant sah das natürlich ganz anders. Er hoffte insgeheim, dass sich nichts daran änderte. Schließlich hatte er bereits einen Sohn von Nim, und seine jetzige Reisebegleiterin, eine Asix, erwartete ebenfalls ein Kind von ihm. Sie hatte ihm auch erzählt, dass sie noch vier Schwestern und eine ihr nicht bekannte Zahl an Cousinen und Tanten habe. Er hatte zuerst nicht recht begriffen, warum sie das erwähnte, bis sie ihm eröffnete, dass sie alle inständig darauf hofften, ein Kind mit einer dunklen Gesichtshaut zu bekommen – ein Schönheitskriterium für die Asix, die eine sehr viel hellere Haut hatten als die Shiro.

»Warum verbringen die Mitglieder der Besatzung eigentlich so viel Zeit mit den Shiro?«, wagte schüchtern die zweite Ehefrau Rassers zu fragen. Ihr Gatte schleuderte ihr ein kurzes »Störe bitte nicht!« entgegen.

Der Kommandant aber lächelte sie freundlich an und antwortete: »Ich weiß es nicht. Aber mir scheint, sie möchten die Shiro um Rat fragen, ihre Probleme mit ihnen besprechen oder ganz einfach nur mit ihnen plaudern. Inzwischen sehen die Männer der Besatzung schon morgens wie aus dem Ei gepellt aus, und wenn sie eine freie Minute haben, gehen sie zu den Shiro-Frauen und fragen sie, ob sie etwas für sie tun können. Zum Leidwesen der Besatzungsmitglieder antworten die Shiro-Frauen meist mit ›Nein, danke‹. Sie lassen sich nicht gern von anderen bedienen.

Was die Mädchen betrifft: Jedes Mal, wenn ihnen dieser junge Mann begegnet, mit dem wir vor ein paar Stunden gesprochen haben, bleiben sie stehen und gaffen ihn aus Augen an, so groß wie Scheunentore. Es wird Ihnen sicher auch aufgefallen sein, dass plötzlich dieser Muskelprotz von Chefmechaniker ins Gespräch platzte, nachdem Seine Exzellenz schroffe Worte an den jungen Shiro gerichtet hatte. Du meine Güte, seine Schultern sind so breit, dass er seitlich durch die Luken gehen muss! Er hat sich an die Seite der Shiro-Dame gesetzt. Hätte jemand auch nur die leiseste Andeutung einer aggressiven Geste ihr gegenüber gemacht, hätte der Betreffende eine schlimme Viertelstunde erlebt, das können Sie mir glauben.

Deshalb muss ich Sie mit aller Deutlichkeit auf etwas hinweisen – als Kommandant dieses Raumschiffes und als Verantwortlicher für seine Ladung: Solange Sie an Bord sind, sollten Sie Reibereien vermeiden. Was Sie tun, wenn Sie erst wieder an Land gegangen sind, geht mich nichts mehr an. Trotzdem rate ich Ihnen, es sich nicht mit den Shiro zu verderben. Ich würde sogar sagen: Je weniger Sie mit ihnen zusammentreffen, umso besser. Die Shiro halten sich strikt an einen Kodex, den sie Sh’ro-enlei nennen. Man könnte es mit ›Ehrenkodex der Shiro‹ übersetzen. Lieber sterben sie, als gegen die Regeln dieses Kodex zu verstoßen. Das ist nicht bloß so dahergesagt – die Shiro meinen es bitterernst. Das Problem dabei ist: Für Fremde ist nicht leicht einzuschätzen, was für die Shiro eine Kränkung oder Beleidigung darstellt. Und ein Shiro, der sich verunglimpft fühlt, fordert seinen Beleidiger zu einem blutigen Duell heraus. Sollten Sie das Duell akzeptieren, wären Sie binnen weniger Sekunden tot. Und wenn Sie sich dem Kampf entziehen, wird man Sie mit Verachtung strafen und für dermaßen unwürdig halten, dass man Ihnen nicht mehr die geringste Beachtung schenkt.

Es gibt noch ein weiteres Risiko, das Sie nicht aus den Augen verlieren sollten. Sie haben danach gefragt, wie das Verhältnis zwischen den beiden ethnischen Gruppen ist. Nun, die Shiro haben es abgelehnt, Kabinen in der ersten Klasse zu beziehen. Sie bleiben lieber auf der Brücke C, die für die Besatzung reserviert ist und wo sich die Unterkünfte der wenigen Raumfahrtbegleiter befinden ...«

»Es gibt da etwas, das ich nicht verstehe«, unterbrach Arsel, die Tochter Seiner Exzellenz. »Dieser junge Mann, der sich Papa gegenüber so hochmütig verhalten hat, schien einer Frau zu gehorchen. Wie ist das möglich?«

»Ta-Shima ist eine matriarchalische Gesellschaft«, antwortete der Kommandant. »Sie hatten eine Art Königin, die vor ein paar Wochen gestorben ist. Und in dem Haus, in das man mich eingeladen hat, lebte eine alte Frau, die alle Entscheidungen getroffen hat. Ich bin leider nicht imstande, Ihnen weitere Erklärungen zu geben.«

»Könnten wir denn nicht Ihre Männer dazu befragen?«

»Ich weiß nicht, ob die Männer Sie verstehen würden. Sie sprechen zwar ausreichend Galaktisch, um die nötigen Aufgaben an Bord erledigen zu können, aber ein Gespräch über solche Dinge ... ich fürchte, das ist ein ganz anderes Paar Schuhe. Möglich, dass sie einzelne Worte erfassen, aber ein allgemeiner Diskurs würde nur zu einer Reihe von Missverständnissen führen, da bin ich sicher.«

Die Zuhörer waren ratlos. Li Hao nutzte die Gunst der Stunde und kam wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen:

»Wenn der kulturelle Kontext unterschiedlich ist, könnte dasselbe Wort mit derselben wörtlichen Bedeutung womöglich ganz anders verstanden werden. Nehmen wir das Beispiel, dass es üblich ist, Kinder vor der Ehe zu haben – wir haben gerade erst darüber gesprochen. In der Universalsprache würde man für solche Kinder den Begriff ›Bastard‹ verwenden, ein negativer Begriff, der ›dreckiger Bastard‹ lautet, wird er als Verunglimpfung verwendet. Doch in einer Gesellschaft, die diesem Phänomen gegenüber positiv eingestellt ist, hätte der Begriff eine neutrale Bedeutung, oder er würde wie die Titel ›älterer Sohn‹ oder ›älterer Bruder‹ verwendet. Kurzum: Der negative Begriff könnte möglicherweise einen positiven Wert bekommen und zu einem ›freundlichen‹ Wort werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Ich verstehe nicht, wie ›Bastard‹ ein freundliches Wort sein könnte«, murrte Aziz Rasser, »aber diese Shiro beschäftigen mich wirklich. Dieser junge Mann ... gut, ich war in dem Moment wütend, aber ich muss gestehen, dass schon Mumm dazugehört, mir auf diese Weise gegenüberzutreten. Schließlich hatte ich eine militärische Eskorte dabei, und er war auf sich allein gestellt.«

Der Kommandant hielt »Er war auf sich allein gestellt« nicht für die richtige Wortwahl. Die Besatzung hätte zweifellos scharenweise eingegriffen, hätte jemand die Hand gegen einen der drei Passagiere erhoben, die, so schien es, von den Asix als etwas Besonderes betrachtet wurden.

»Außerdem ist er schön«, warf Arsel zur Unzeit ein.

Die beiden Ehefrauen Rassers waren sich ausnahmsweise einmal einig, wandten sich der Tochter zu und geißelten sie mit Blicken.

»Schön?«, fragte Kapitän Aber erheitert und mit herablassender Miene. »Aber meine Liebe, in den Elendsvierteln von Neudachren habe ich sehr viel feinere Personen gesehen als diesen provinziellen, selbstgefälligen Menschen. Das andere Individuum scheint eine Frau zu sein. Verglichen mit den Damen«, er neigte höflich den Kopf in ihre Richtung, »könnte dieses Individuum gewiss keinen Schönheitspreis gewinnen. Und da diese Leute sich nicht verheiraten, muss diese Frau wohl seine Konkubine sein, wenn nicht etwas anderes.«

Beim Wort »Konkubine« drückte seine Miene tiefste Verachtung aus. Jeder sollte sehen, dass er es den anwesenden Damen gegenüber nicht an Achtung fehlen ließ, indem er einen Begriff verwendete, der in der Universalsprache äußerst drastisch war. Andererseits war es der einzige Begriff, der diese schlichten, ja primitiven Gebräuche der bürgerlichen Gesellschaft umschreiben konnte.

Der Kommandant rief einem der Besatzungsmitglieder in einer Mischung aus Galaktisch und Gorin etwas zu, und der Mann antwortete in derselben Sprache. Es gab einen kurzer Wortwechsel; dann wandte der Kommandant sich wieder den anderen zu und sagte: »Hier haben Sie ein schönes Beispiel für linguistisches Unverständnis: Mein Crewmitglied sagt, dass es sich bei der Frau um die Schwester des Mannes handelt. Aber er benutzte das Wort ›Oedaï‹, ein Begriff, den ich nicht kenne, der aber deutlich macht, dass man einer Oedaï gegenüber Respekt bezeugen müsse. Ich habe ihn gefragt, warum das so sei, und er hat geantwortet, man müsse sie respektieren, eben weil sie ›Oedaï‹ genannt wird. Das Ganze war mir immer noch nicht klar, und ich habe nachgehakt. Aber alles, was ich erfahren habe, ist Folgendes: Wenn ein Shiro sich dafür entscheidet, jemanden zu respektieren, ist das seine Sache und geht keinen anderen etwas an.«

In Wahrheit hatte der Raumfahrtbegleiter gesagt: »Es steht Fremden nicht zu, sich in die Angelegenheiten der Shiro-Herrscher einzumischen«, aber Kommandant N’Tari hatte es für opportun gehalten, seine Übersetzung ein wenig zu verklären.

Kurze Zeit später trafen die drei Damen auf Oda, der für seine Begleiter Tee holen wollte.

Die erste Gemahlin des Botschafters richtete das Wort an ihn. »Erlauben Sie mir eine Frage?«

»Ja«, erwiderte Oda, leicht verwirrt angesichts dieser Formulierung, die eine wortwörtliche Übersetzung der formellen Wendung »Ist es erlaubt, eine Frage zu stellen?« zu sein schien. Die formelle Wendung aus der Hochsprache war allerdings nur üblich zwischen Untergebenen und ihren Vorgesetzten.

»Man hat uns erzählt, dass es auf Ihrem Planeten eine Königin gab. Stimmt das?«

»Eine Königin? Ja, man könnte sie so nennen.«

»Dann hat eine Frau regiert?«

»So ist es.«

»Aber wie ist es möglich, dass Männer die Weisungen von jemandem akzeptieren, der schwächer ist als sie und unfähig, ein Kommando innezuhaben?«

Oda blickte auf und musterte die Frau, die ihn um ein paar Zentimeter überragte und etliche Pfunde mehr wog als er.

Die Frauen, schwach und unfähig?, fragte er sich. Sicher, diese drei Gelbhaarigen, die nun vor ihm standen, hatten nichts Zartes an sich; sie waren größer und dicker als er. Aber das galt auch für Odavaïdar Huang, den alten Drachen, und für Haridar und Tichaeris, die sich in allen Kampfstilen schlugen. Doch auch Suvaïdar, so zierlich und weich sie auch gewirkt hatte, als er sie in ihrer lächerlichen fremden Kleidung sah. Tatsächlich war sie stahlhart wie die Klinge seines Kampfsäbels (in seinen Augen war das wohl das schönste Kompliment, das man jemandem machen konnte). Noch in jungen Jahren hatte sie es gewagt, den Clan zum Teufel zu jagen und ganz allein in die Außenwelt zu gehen.

Und nun hatte sie innerhalb weniger Stunden alles verloren, wofür sie die letzten sechs Trockenzeiten hart geschuftet hatte. Sie hatte ihrem Leben den Rücken gekehrt und war gegangen – ohne Klagen oder Proteste. Wie konnte man ein menschliches Wesen als schwach bezeichnen, das so tugendhaft war?

Odas Antwort fiel knapp aus: »Meine Mutter war nicht das, was man als ›schwach‹ bezeichnen könnte.«

»Ich habe keine Anspielung auf Ihre Mutter gemacht, denn ich hatte noch nie das Vergnügen. Ich sprach von der Ex-Königin von Ta-Shima.«

»Ja, ganz recht. Von meiner biologischen Mutter.«

Die Dame war vom ersten Teil der Antwort dermaßen überrascht, dass ihr der zweite Teil entging.

»Ihre Mutter? Sie sind der Sohn der Königin?«

»Aber dann sind Sie ja der Erbe des Throns!«, warf Arsel mit weit aufgerissenen Augen ein.

»Was habe ich unter einem Thron zu verstehen?«, erkundigte er sich. (Seine Schwester hatte ihm bereits erklärt, dass es so viel wie »erben« bedeutet.)

Sie waren wieder am Ausgangspunkt des Gesprächs angekommen. Und nachdem die Damen erneut bestrebt waren, Oda davon zu überzeugen, dass Frauen von Natur aus unterwürfig seien, riss ihm der Geduldsfaden, und er antwortete:

»In Neudachren mögen Frauen ja unterwürfig sein, aber mein Mutter? Du liebe Zeit, ich will mir gar vorstellen, was mit mir passiert wäre, hätte ich einer ihrer Anordnung nicht Folge geleistet. Nicht, dass sie mich persönlich großgezogen hätte, ich habe sie nur dreimal gesehen ...«

»Wie bitte? Sie haben nicht mit Ihrer Mutter zusammen gelebt?«

»Ganz offensichtlich nicht«, erwiderte Oda gekränkt. »Sie hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit einer Rasselbande zu beschäftigen. Ich habe bei einer Pflegemutter gelebt, bis ich ...«. Er rechnete rasch die Trockenzeiten um. »Ich bin ungefähr fünf Jahre bei ihr geblieben.«

»Und Ihr Vater war damit einverstanden? Er hat zugelassen, dass seine Gemahlin arbeitet und sich nicht selbst um die Kinder kümmert?«, fragte die junge Frau Rasser neugierig.

Seine Gemahlin? Zugelassen? Was genau wollte die Frau damit sagen? Für einen Moment bedauerte Oda, die Einheimischen nicht schon früher besucht zu haben – damals, als er in Neudachren studiert hatte.

»Nun denn«, sagte er in das erwartungsvolle Schweigen der Damen hinein, »ich muss jetzt gehen. Meine Schwester wartet auf mich.«

Und er ging mit seinem Tablett auf und davon und ließ die drei Frauen noch verwirrter zurück, als sie es vor seinen Erklärungen ohnehin schon waren.