8

Außenwelt

Die zweite Woche des interstellaren Fluges nach Ta-Shima hatte gerade begonnen. Die Atmosphäre an Bord war von Tag zu Tag gespannter geworden, und Kommandant N’Tari zählte insgeheim die Tage, die ihn noch von der Ankunft auf Ta-Shima trennten. Mit dem Botschafter hatte es keine Probleme mehr gegeben. Oda und Suvaïdar hatten ihn sehr beeindruckt. Wenn es sich bei diesen beiden um Aristokraten handelte, wie er verstanden zu haben glaubte, war der Botschafter bereit, ihre unverschämten Manieren zu entschuldigen.

Auf jeden Fall fand er sie interessant. Jedes Mal, wenn er sie traf, unterhielt er sich mit ihnen und bat sie um Informationen über Ta-Shima, um die Berichte seines Vorgängers vervollständigen zu können. Coont war zwar sehr präzise gewesen, was die Ökonomie betraf, aber er hatte so gut wie nichts über Traditionen, Religion und Gesellschaft geschrieben.

Rasser konnte vor allem nicht begreifen, dass Coont der Präsidentin oder Königin – oder wie immer man sie nannte – nicht vorgeschlagen hatte, sich der Föderation anzuschließen. Das hätte für die Menschen Ta-Shimas, die zwar zurückgeblieben waren, aber doch von Bürgern unterschiedlicher Vereinigter Welten abstammten, viele Vorteile mit sich gebracht.

Reibungspunkte hatte es allerdings mit den Soldaten gegeben. Kommandant N’Tari hatte schon oft mit ihnen zu tun gehabt, aber er hatte sie nie so verabscheuungswürdig erlebt wie auf dieser Reise. Abgesehen davon, dass sie alle gleich gebaut waren – alle waren athletisch und blond, auch wenn einige mit Sicherheit der Natur ein bisschen nachgeholfen und die Haare gefärbt hatten –, verhielten sie sich grob und herablassend gegenüber den anderen Passagieren. Außerdem entpuppten sie sich als eifrige Anhänger der Leichtathletik und des Boxkampfes. Beide Sportarten praktizierten sie tagtäglich unter der Aufsicht ihres Kapitäns.

Ansonsten aber langweilten sie sich augenscheinlich an Bord. Dort gab es weder Bars noch Diskotheken oder Bordelle; es gab kein Spielkasino, keine Hundekämpfe, keine Wurfspiele oder interaktive Holo-Pornos, geschweige denn irgendwelche anderen Ablenkungen, an die sie gewöhnt waren.

Zu allem Überfluss hatten sie nun damit angefangen, die Raumfahrtbegleiterinnen sexuell zu belästigen, nachdem sie zwei Frauen der Besatzung dabei beobachtet hatten, wie sie in der Kabine des Kommandanten verschwunden waren.

Ivari, eine Asix und auf dieser Reise die Frau, die mit N’tari die Hängematte teilte, war es denn auch, die den Kommandanten darauf ansprach. Als sie ihn an einem der Reisetage wie gewöhnlich in seiner Freizeit aufsuchen wollte, kam sie nicht allein. Imi Tagaki begleitete sie.

»Welch angenehme Überraschung, Imi«, sagte Kommandant N’Tari, der die Höflichkeitsfloskeln der Ta-Shimoda übernommen hatte. »Aber ich glaube, es ist der Professor, der dich interessiert.«

»Deshalb bin ich nicht gekommen, Kommandant«, entgegnete Imi und zog ihre Uniformjacke aus. Darunter war sie völlig nackt. Zornig zeigte sie N’Tari die beiden großen blauen Flecken auf einer ihrer Brüste.

»Einer der Soldaten hat mich im Vorübergehen gekniffen.«

»Hat es wehgetan?«

»Du machst wohl Scherze, Kommandant«, fiel Ivari ihm empört ins Wort. »Wenn ich das nächste Mal mit dir in der Hängematte liege, kneife ich auf die gleiche Weise deine Hoden. Dann wirst du schon spüren, wie weh das tut.«

»Aber wie kam es dazu? Ich meine, hat der Soldat dich schon vorher belästigt?«

»Alle Soldaten nerven uns. Ständig sind sie um uns herum und reden in ihrer Sprache. Ich weiß nicht, was sie sich erzählen, aber es gefällt mir nicht. Auch nicht, wie sie untereinander tuscheln und lachen, wenn sie uns sehen. Und wenn wir mit vollen Händen an ihnen vorbeigehen, nutzen sie die Situation aus und versuchen, uns zu begrapschen.«

»Auf eine Einladung warten sie nicht«, fügte Ivari kämpferisch hinzu.

»Nun ja ... normalerweise sind Männer es gewohnt, den ersten Schritt zu tun«, stellte N’Tari fest.

»Was? So vielleicht?«, fragte Imi empört und zeigte noch einmal auf ihre blauen Flecken. »Da muss ich mich aber wundern, dass die Frauen das hinnehmen.«

»Wie hast du denn reagiert?«

»Vorher oder nachher?«

»Vorher und nachher.«

»Vorher war ich damit beschäftigt, neue Vorräte in Thermoboxen in die Kombüse zu bringen, danach habe ich dem Kerl einen Schlag auf den Kopf gegeben ... aber nur einen ganz leichten, Kommandant. Als er stöhnend am Boden lag, habe ich die Thermoboxen, die runtergefallen waren, wieder aufgesammelt und in die Kombüse gepackt. Als ich zurückkam, war der Mann nicht mehr da.«

»Hat jemand gesehen, was passiert ist?«

Imi machte eine heftige Bewegung mit dem Kopf, die ein Nein signalisierte.

Kommandant N’Tari, der gerade in seine Hängematte hatten steigen wollen, als die beiden Frauen in seine Kabine gekommen waren, kratzte sich beunruhigt an der Stirn.

»Ich werde mit dem Vorgesetzten der Männer reden«, versprach er, »aber erst, wenn ich geschlafen habe. Ich muss genau überlegen, was ich diesen Leuten aus der Hauptstadt sage.«

*

Nachdem N’Tari aufgestanden war, machte er sich auf die Suche nach Kapitän Aber und fand ihn im Gymnastiksaal, wo er gerade bei einem Boxkampf zwischen zweien seiner Männer assistierte.

»Mach schon, du Lusche, gib dir Mühe«, hörte er ihn sagen. »Zeig uns, wie du dich einem Mann gegenüber durchsetzt, nachdem du dich von einer Frau hast flachlegen lassen. Das nächste Mal bis du es, der sie flachlegen wird, aber mit gespreizten Beinen!«

Die anwesenden Soldaten grölten vor Lachen, und N’Tari presste die Lippen zusammen.

»Ich möchte Sie sprechen, Kapitän.«

»Nicht jetzt, ich bin beschäftigt.«

»Jetzt sofort. Ich bin der Kommandant dieses Raumschiffes. Ich möchte Sie sprechen, und zwar privat, wenn es Sie nicht stört.«

Kapitän Aber erhob sich mit einem tiefen, genervten Stöhnen. Dann verließ er den Gymnastiksaal und ging zum Kommandanten, der draußen auf dem Gang auf ihn wartete.

»Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte er gereizt.

»Ich glaube, das wissen Sie bereits. Einer Ihrer Männer hat eine Raumfahrtbegleiterin belästigt.«

»Wir wollen nicht übertreiben. Er hat sie nur ein bisschen gekniffen. Sie war es, die ihn angegriffen hat. Sie hat ihn mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen.«

»Sie hat ihm nur einen Schlag mit der Faust versetzt. Sie besitzt weder einen Hammer noch andere Werkzeuge. Und das ist auch nicht das erste Mal gewesen, dass Ihre Leute die Frauen der Besatzung belästigen. Ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.«

Kapitän Aber zuckte mit den Schultern.

»Nun mal halblang, Kommandant. Finden Sie nicht, dass Sie ein wenig übertreiben? Wir wissen doch alle, Männer sind Männer. Und ganz nebenbei: Ihre Raumfahrtbegleiterinnen sind derart hässlich, dass sie glücklich sein sollten, wenn jemand etwas von ihnen will, anstatt bei ihrem Anblick die Flucht zu ergreifen.«

Kapitän Aber schaute den Kommandanten mit herausforderndem Blick an. N’Tari war das Ganze mehr als unangenehm. Was sollte er tun? Er konnte sich schlecht an den Botschafter wenden, denn er hatte keinen Beweis, der die Aussage der Frau bestätigen könnte. Nur Imis blaue Flecken auf der Brust.

N’Tari ließ Kapitän Aber stehen und ging auf die Brücke des Kommandanten.

Lars Ivradian saß gelassen hinter einer Reihe grüner Lichter, eine Thermobox in der Hand. Der Kommandant erzählte ihm kurz, was passiert war.

Lars nickte wissend.

»Ich habe schon gemerkt, dass die Asix schlecht gelaunt sind«, sagte er. »Wir haben noch zwei Wochen bis zur Ankunft. Versprich ihnen einfach eine kleine Prämie, die diese Unannehmlichkeiten der Reise wettmacht, das erscheint mir gerechtfertigt. Ich glaube nicht, dass die Frauen in Gefahr schweben. Sie sind so stark wie Stiere. Wenn einer dieser Affen mit dem blassen Make-up à la Neudachren ihnen gegenüber aufdringlich werden sollte, könnten sie ihn mit einer einzigen Hand zu Boden werfen.«

Tatsächlich gab es in den nächsten Tagen nur kleine Zwischenfälle ohne große Folgen, abgesehen von ein paar blauen Augen bei den Soldaten. Die Asix jedoch blieben gereizt, die Soldaten wirkten nach wie vor angespannt. N’Tari wurde das Gefühl nicht los, dass eine Bedrohung in der Luft lag.

Du bist nervös wie eine der Jungfrauen aus Neudachren in ihrer Hochzeitsnacht, warf er sich vor.

Doch es gelang ihm trotzdem nicht, die unangenehme Vorahnung loszuwerden.

Es geschah, als die meisten Passagiere in tiefem Schlaf lagen: Fünf Männer von Kapitän Aber, die ihre Freizeit damit verbracht hatten, Bier zu trinken, sich Frauengeschichten zu erzählen und sich ansonsten zu langweilen, wollten gerade in ihre Kabinen gehen, als sie mit einer Asix zusammenstießen. Diese war gerade damit beschäftigt, eines der externen Module einzustellen, die von Brücke B aus geleitet wurde, als ein Meteorit, der zu groß war, um von den thermischen Schutzschilden aufgehalten zu werden, sie von ihrer Flugbahn ablenkte.

Während Keri, die Asix, konzentriert mit dieser heiklen Operation beschäftigt war, stand sie plötzlich einer kleinen Gruppe »Gelbhaariger« gegenüber, die wild gestikulierten und mit lauter Stimme auf sie einredeten. Ungeduldig gab sie den Männern ein Zeichen, sich zu entfernen, aber sie kreisten sie lachend ein und unterhielten sich weiter in ihrer eigenen Sprache. Einer von ihnen wedelte mit irgendwelchen Billets vor ihrem Gesicht herum, doch Keri verstand diese Anspielung nicht, denn bei den Asix war Prostitution unbekannt. Es gab bei ihnen dreimal so viele Frauen wie Männer, und diese machten ihnen den Hof und zeigten sich stets von ihrer freundlichsten Seite. Gelang es einer Frau, sich einen Mann zu angeln, war sie bereit, ihn mit ihren Schwestern zu teilen, ja sogar mit einer Freundin. Es kam auch vor, dass eine Asix versuchte, einen Mann zu erobern. Dann machte sie ihm kleine Geschenke. Aber dass Männer für die Gunst einer Frau etwas bezahlten, davon hatte Keri noch nie gehört.

Wie alle ihre Landsleute war sie davon überzeugt, dass gelbe Haare und eine helle, durchscheinende Haut schwere physische Mängel seien. Zweifellos handelte es sich um genau jene genetischen Fehler, die die Ärztinnen des Jestak-Clans mithilfe der DNA-Analyse bei den Reproduktionskandidaten festzustellen und dann zu eliminieren versuchten.

So gesehen hätte Keri sich vielleicht darüber hinwegsetzen können, getreu dem Motto, dass ein hässlicher Mann immer noch besser sei als gar keiner. Wenn die Blondköpfe sie nur freundlich gefragt hätten! Doch Keri stand mit dem Rücken zur Wand, und vor ihr drängten sich diese fünf Wahnsinnigen, die in einer ihr völlig unbekannten Sprache herumgrölten.

Keri hatte Angst.

Sie versuchte zu entkommen, aber die Männer hielten sie fest. Einer von ihnen packte sie am Arm, was sie in Panik versetzte. Und statt sich energisch zu wehren, schlug sie um sich, wie jede andere Frau aus der anderen Welt es in einer solchen Situation wohl auch gemacht hätte. Und das wiederum erregte die Männer noch mehr. Ein Blick reichte ihnen, und sie waren sich einig. Sie packten Keri und zogen sie in eine der nächsten Kabinen, die für die Soldaten reserviert waren.

Als Asix war Keri kräftig genug, um in einer Balgerei mit einem oder zwei Außenweltlern die Oberhand zu behalten, aber fünf von der Sorte waren einfach zu viel. Zudem durfte eine Asix nur defensiv kämpfen, das heißt, sie durfte nicht all ihre Kräfte zum Angriff einsetzen, sondern nur Widerstand leisten und Schläge abwehren. Sie durfte ihre Stärke zeigen, um den Gegner einzuschüchtern, aber jemandem richtig wehzutun, war ihr nicht erlaubt – auch dann nicht, wenn sie fünf skrupellose Kerle vor sich hatte.

Einer von ihnen packte Keris Arm, verdrehte ihn und zog ihn nach hinten. Ein anderer legte ihr eine Hand auf den Mund, sodass sie nicht um Hilfe rufen konnte. Die Männer schlossen die Tür. Nun machte es keinen Sinn mehr zu schreien, denn die Kabinen waren gedämmt, und niemand würde etwas hören.

Keri wurde von ihren Peinigern auf den Boden geworfen, während gierige Hände ihr die Hose vom Leib rissen. Einer der Männer kniete sich auf ihre Schultern, um sie bewegungslos zu machen. Er presste Keris Kopf zwischen seine Knie. Sein ganzes Gewicht lag auf ihrem Arm, den er ihr unter den Rücken gedrückt hatte. Und dann geschah es: Keris Schultergelenk kugelte mit einem knackenden Geräusch aus, und ein scharfer Schmerz durchzuckte sie. Sie schrie laut auf und erntete dafür einen Faustschlag ins Gesicht, gefolgt von einem heftigen Fußtritt in die Rippen, der ihr den Atem nahm.

Als die Männer sie mit Gewalt zwingen wollten, die Beine zu spreizen, begriff Keri, was sie von ihr wollten. Sie war dermaßen schockiert, dass sie einen Moment lang vergaß, um sich zu schlagen. Das wiederum deuteten die Soldaten fälschlich als Zustimmung. Sie brachen in Freudenrufe aus. Als Keri von Neuem versuchte, Widerstand zu leisten, schlug ihr einer der Männer brutal ins Gesicht, auf die Brust und auf den Bauch, wobei er sich köstlich amüsierte.

Keri blieb ausgestreckt auf dem Boden liegen, benommen, verwirrt und gedemütigt, und die fünf Männer vergingen sich nacheinander an ihr. Versuchte sie zu reagieren, wurde sie erneut geschlagen, oder man kniff sie wutentbrannt oder zerrte so lange an ihrem Haar, bis sie sich nicht mehr regte.

Nur weil sie die Männer schließlich gewähren ließ, benommen vor Angst und Schmerz, lockerten sie ein wenig die Umklammerung. Keri warf einen Blick zur Tür. Allmählich schaffte sie es dank ihrer Willenskraft, sich von dem zu lösen, was man ihr gerade antat. Sie vergaß den stechenden Schmerz in Schulter und Brust, auch den unerträglichen Schmerz in ihrer Vagina, die sie bis zu diesem Tag stets mit etwas Angenehmem, Lustvollem in Verbindung gebracht hatte. Und sie dachte nicht mehr an den Ekel und die Scham, als einer der Männer ihr ins Gesicht uriniert hatte, nachdem er mit ihr fertig war.

Langsam und vorsichtig, Millimeter für Millimeter, bewegte sie sich voran, bis ihr Fuß schließlich den Schalter für den Service berührte, eine rechteckige Platte dicht über dem Boden, die ein nicht wahrnehmbarer Riss von der Wand trennte und die dazu diente, mit dem Maschinenraum in Verbindung zu treten, um Alarm zu schlagen oder Anweisungen zu erhalten. Mit dem Mut der Verzweiflung trat Keri auf die kleine Platte.

Im Maschinenraum konnte man sofort die aufgeregten Stimmen der Außenweltler und ihr Gestöhne hören. Dann einen Satz auf Gorin:

»Hilfe ... Keri ... Brücke B ...«

Dann waren ein heftiger Schlag und ein lauter Schmerzensschrei zu hören.

In dem Augenblick, als einer der Soldaten Keri freigab und aufstand, um seinen Platz an einen wartenden Kameraden abzutreten, der die Hose bereits heruntergelassen hatte, während die drei anderen Keri lachend festhielten, öffnete sich die Tür der Kabine, und vier Asix traten ein. Zwei Frauen und zwei Männer. Sofort wendete sich das Blatt. Ohne ihre Waffen – an Bord eines Raumschiffes war das Waffentragen verboten – hatten die Soldaten schlechte Karten. Und fünf Männer, zwei davon mit heruntergelassener Hose, konnten gegen vier wütende Asix nichts ausrichten.

Die Prügelei war bereits beendet, bevor der Chefmechaniker, den man sofort benachrichtigt hatte, hinzukommen konnte. Er war das angesehenste Besatzungsmitglied und hatte auch in der Fechtakademie des Raumschiffes den höchsten Rang – zumindest, wenn Tichaeris nicht an Bord war. Für seine Kameraden war er auf jeden Fall eine unbestrittene Autorität.

Mit einem Blick erfasste er die Situation.

Die halbnackte Keri lag am Boden, von den Soldaten zur Bewegungslosigkeit verdammt und mit Blut befleckt, verrenkt wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Ihr Gesicht war angeschwollen, ein Auge blau, die Lippen aufgeplatzt und blutig, und mit der rechten Hand stützte sie ihren linken Arm. Eine Schulter war merkwürdig schief, offenbar ausgerenkt. Auf der Brust trug sie den Abdruck eines tiefen Bisses, der ebenfalls blutete, und die weiße Haut ihres Bauches zeigte üble rote Striemen. Ihr ganzer Körper war mit Blut, Sperma und Urin besudelt. Die arme Frau war gedemütigt und völlig am Ende, sodass sie gar nicht daran gedacht hatte, sich zu säubern oder zu bedecken.

Dank der Konditionierung und der genetischen Planung des Jestak-Clans waren die Asix überaus freundliche und defensive Wesen. Wäre dies nicht der Fall gewesen, wäre ihre physische Kraft, die über das gewöhnliche Maß hinausging, in diesem Moment zu einer tödlichen Gefahr geworden. Trotzdem wurde der Chefmechaniker angesichts der schrecklichen Situation von blinder Wut erfasst: Er mochte Keri sehr, auch wenn sie keine Schönheit war. Doch sie war hingebungsvoll, freundlich und stets gut gelaunt. Sie machten jetzt die dritte Reise zusammen, und manches Mal hatte er aus freundschaftlichen Gefühlen die Hängematte mit ihr geteilt, wie auch andere Männer der Besatzung.

Nun zeigte er auf Keris Schulter und fragte: »Wer war das?«

Keri deutete auf einen Mann, der bäuchlings auf dem Boden lag. Auf seinem Rücken saß eine Asix und hielt ihn eisern fest. Mit zwei Schritten war der Chefmechaniker neben dem Mann, packte einen seiner Arme und riss ihn heftig nach hinten. Das Schultergelenk sprang mit einem knirschenden Geräusch heraus, und der Mann schrie wie am Spieß. Was den Chefmechaniker nicht davon abhielt, auch den zweiten Arm des Mannes auf die gleiche Weise zu behandeln. Wieder ein Knirschen, wieder ein Schreien.

Der Chefmechaniker wies auf die blauen Flecken in Keris Gesicht und fragte noch einmal: »Wer war das?«

Anfangs hatten die Soldaten noch darauf gedrängt, mit einer Autoritätsperson zu sprechen; sie hatten Repressalien und das Einschreiten ihres Kapitäns angedroht. Nachdem sie jedoch mit ansehen mussten, was mit ihrem Kameraden passiert war, waren sie leise geworden. Man spürte ihre Panik. Was die anwesenden Asix betraf, so schreckten sie davor zurück, in irgendeiner Form in das Geschehen einzugreifen, als sie den Anflug von Wahnsinn in den Augen des Chefmechanikers entdeckten.

Als er sich nun dem zweiten Mann näherte, auf den Keri gezeigt hatte – der Mann, der sie jedes Mal, wenn sie vor Schmerz gestöhnt hatte, lachend geschlagen hatte –, fing dieser zu heulen an.

»Nein, nein, ich wollte doch nicht ...«

Ein fürchterlicher Schlag traf ihn direkt ins Gesicht. Der Hieb verwandelte seine Nase in ein unförmiges Stück Fleisch und riss die Knorpel auf. Fast wäre er an seinem eigenen Blut erstickt. Er stieß einen heiseren Laut aus, bevor er das Bewusstsein verlor.

Scheinbar ruhig näherte sich der Chefmechaniker den anderen beiden Soldaten, denen die Hose immer noch auf den Knien hing, und brach beiden die Finger, jeden einzelnen, einen nach dem anderen. Das Schreien und Flehen ließ ihn völlig kalt. Der fünfte und letzte Mann hatte sich vor Angst in die Hose gemacht und stank fürchterlich. Der Chefmechaniker befahl den beiden Raumfahrtbegleitern, sich um ihn zu kümmern. Bis er wiederkäme, sagte er, sollten alle an Ort und Stelle bleiben.

Sanft half er Keri aufzustehen und ihre Hose anzuziehen. Er knöpfte ihre Tunika zu – vorsichtig, um ihre Schulter nicht zu bewegen. Dann nahm er sie in die Arme und ging zur Brücke C, zu den Shiro.

Er erzählte, was passiert war und half Suvaïdar, Keris Schulter wieder einzurenken.

Oda und Tichaeris wechselten einen vielsagenden Blick und beeilten sich, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Sie waren sich einig, dass es besser sei, die Soldaten aus der Kabine zu holen und auf die Brücke C zu bringen, denn dort bestand nicht die Gefahr, dass einer ihrer Kameraden sie zufällig entdeckte. Laut Borduhr des Raumschiffes war jetzt Nacht, und kaum ein Mensch hielt sich in den Gängen auf. Auf diese Weise würden sie ein wenig Zeit gewinnen, um zu entscheiden, was weiter zu tun sei.

Suvaïdar sah, wie der Chefmechaniker zitterte, wahrscheinlich noch immer vor Wut. Möglicherweise stand er auch unter Schock. Sie beschloss, ihn wieder auf seinen Posten zu schicken, denn ein Asix, der eine Anweisung erhielt, konzentrierte sich voll und ganz darauf und dachte vorerst an nichts anderes.

»Keri wird heute Nacht hier schlafen«, teilte sie ihm mit. »Ich möchte ein Auge auf sie haben, denn es könnte sein, dass sie weitere Behandlungen benötigt. Such mir bitte eine Hängematte. Und gehe auf die Krankenstation und hole mir das hier.«

Sie zählte die Namen mehrerer Medikamente auf. Der Chefmechaniker wiederholte jeden Namen zweimal, um sicher zu sein, sich nicht zu irren. Dann verließ er das Zimmer. Sein Zorn stieg wieder in ihm hoch – und mit ihm das Entsetzen und die innere Leere. Zugleich fühlte er sich erleichtert, dass ein anderer jetzt die Entscheidungen traf und ihm sagte, was er zu tun hatte.

Als Keri mit Suvaïdar allein war, brach sie in Tränen aus.

»Shiro Adaï«, sagte sie schluchzend, »ich schäme mich so.«

»Weshalb? Du hast nichts Schlimmes getan. Wärst du auf dem Land von einem Reyo angegriffen worden, und wäre dein Körper übersät mit Kratzern und Bissen – würdest du dich dann schämen, oder wärst du einfach nur wütend darüber, dass er dich angegriffen hat?«

»Das kann man nicht vergleichen. Ich habe sechs Kinder, und ich hatte in meinem Leben so viele Partner, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Manchmal war es schön, manchmal langweilig, aber so ... Ich habe nicht gewusst, wie weh das tut. Und sie haben gelacht, Shiro Adaï, die ganze Zeit! Immer, wenn ich vor Schmerzen geschrien habe, haben sie gelacht!«

Die Asix drehte den Kopf zur Wand. Suvaïdar streichelte ihr sanft übers Haar, bis der Chefmechaniker zurückkam und ihr brachte, was sie ihm aufgetragen hatte. Schnell brachte er die Hängematte an; dann half er Suvaïdar, Keri mit einem nassen Handtuch abzuwaschen und Balsam auf die schlimmsten Prellungen aufzutragen. Anschließend assistierte er Suvaïdar, als sie den Biss und die Kratzer an den Oberschenkeln desinfizierte. Dann legten sie Keri in die Hängematte. Suvaïdar fragte sie, ob sie etwas gegen den Schmerz haben wolle. Die junge Frau schüttelte den Kopf und antwortete, dies sei nicht nötig. Doch sie ergriff die Hand des Chefmechanikers. Der blieb neben der Hängematte stehen und sprach mit ihr. Seine normalerweise laute, befehlsgewohnte Stimme war zu einem tröstenden Raunen geworden. Keri beruhigte sich, schreckte dann aber wieder auf. Ihr war etwas eingefallen.

»Shiro Adaï«, sagte sie ängstlich, »ich habe kein verhütendes Implantat. Werde ich jetzt ein Kind mit strohigem Haar bekommen?«

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Suvaïdar sie. »Du weißt, in ein paar Tagen sind wir am Ziel unserer Reise. Dann gehst du sofort ins Lebenshaus, und die Jestaks werden sich deiner annehmen.«

Mit einem Lächeln blickte der Chefmechaniker die Shiro-Dame entschuldigend an. Dann liebkoste er mit seiner großen Pranke ungeschickt Keris Kopf. Er versprach ihr, dass sie ihre Runden auf dem Raumschiff nie wieder allein machen müsse und dass sie bis zur Ankunft jede Nacht die Hängematte mit ihm teilen könne, wenn es sie beruhigte.

Tichaeris und Oda kamen zurück. Sofort setzten sich die drei Shiro in eine Ecke der Kabine und hielten Rat. Die Soldaten waren mittlerweile in eine Kammer eingeschlossen worden. Vier Asix bewachten sie. Für den Moment hatten sie ihre Überheblichkeit verloren, aber was würde geschehen, wenn sie wieder frei waren?

»Chef?«, fragte Tichaeris. »Können wir dem Kommandanten vertrauen?«

»Ja, Tichaeris Adaï. Er hat ein Kind auf dem Planeten, und soviel ich weiß, bekommt er bald ein zweites. Wenn er an Land geht, wohnt er immer in dem Haus, das der Familie von Nim und Ivari in Niasau gehört. Er soll gut erzogen sein und sich wie ein wahres menschliches Wesen verhalten. Nie beleidigt oder beschimpft er jemanden. Nie ist er betrunken oder schreit herum. Er ist Nims Gefährte und beteiligt sich auch an der Hausarbeit.«

Bei dieser Beschreibung musste Suvaïdar unwillkürlich lächeln. »Du scheinst ihn ja ziemlich gut zu kennen. Glaubst du, wir könnten ihn über die Situation informieren und um seinen Rat bitten?«

Der Asix überlegte einen Moment.

»Ich weiß es nicht, Shiro Adaï. Er hegt keine große Zuneigung gegenüber der Föderation, da bin ich mir sicher, aber er ist nun mal ein Fremder aus einer anderen Welt. Wenn er offen Stellung beziehen müsste, könnte es geschehen, dass er nie wieder eine Arbeit bekommt.«

Suvaïdar stand auf, um nach Keri zu sehen. Sie hatte ihr einen süßen Trank zur Beruhigung gegeben, in den sie ein Schlafmittel gemischt hatte. Die junge Frau, an Neuroleptika nicht gewöhnt, schlief bereits tief und fest.

»Du kannst jetzt gehen«, sagte sie zum Chefmechaniker. »Sie wird mindestens sechs Stunden schlafen. Komm wieder, wenn sie aufgewacht ist. Sie braucht dann das Gesicht eines Freundes neben sich. Ist sie deine Partnerin?«

»Nein, Shiro Adaï. Ich hätte das Gleiche für jeden anderen Ta-Shimoda getan. Nur, vielleicht habe ich ein bisschen zu viel getan ...«

Er warf den drei Shiro einen ängstlichen, fragenden Blick zu.

Oda beruhigte ihn. »Deine Reaktion war ganz normal. Die Soldaten haben ein Verbrechen begangen, nicht du.«

Als die Tür hinter dem Asix ins Schloss fiel, bemerkte Tichaeris: »Vielleicht ist es keine so gute Idee, den Asix zu erlauben, für die Außenweltler zu arbeiten. Sie wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen. Und sie tun Dinge, die gegen ihre Natur sind ... gegen die Natur fast aller Asix. Win ist ein Fall für sich, der einzige Asix, den ein Clan notgedrungen einer Akademie anvertraut hat, aber trotzdem ... Du hast eine Nacht mit ihm verbracht, nicht wahr? Ich bin sicher, dir ist es nicht schlecht ergangen.«

Suvaïdar bewunderte Tichaeris dafür, wie es ihm gelungen war, das Wort »Angst« zu vermeiden, und sie bestätigte: »Schlecht ergangen? Ich habe nie im Leben Angst vor einem Asix gehabt. Warum auch?«

»Genau. Man muss nur wissen, wie man mit ihnen umgeht. Win hat keinem von uns je etwas getan, und das Gleiche gilt für die Mitglieder der Besatzung. Aber sie sind hier in einer extrem angespannten Situation, ohne dass sie wissen, was vor sich geht. Und wenn sie die Orientierung verloren haben, können sie den Verstand verlieren. Wenn wir auf Ta-Shima sind, werde ich sie mit zur Akademie des Inneren Friedens nehmen. Lehrer Huang weiß, was in solchen Fällen zu tun ist.«

Oda war seiner Meinung. Ein Asix-Lehrer wäre fähig, einer Gruppe seiner Artgenossen zu helfen, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, nachdem es ernsthaft aus den Fugen geraten war.

»Ich hatte immer den Eindruck, dass die Außenweltler Ignoranten und Barbaren sind«, merkte Oda an, »aber diese hier sind schlimmer. Sie sind wie Tiere. So etwas Grausames würde bei uns nicht geschehen.«

In gewisser Weise hat er recht, dachte Suvaïdar. In den relativ kleinen Städten, in denen das Clan-System und die Akademien ein komplexes Beziehungsnetz, wechselseitige Verpflichtungen und Loyalität aufgebaut hatten und pflegten, waren Taten von solcher Brutalität sehr selten. Die Streitigkeiten zwischen den Asix beschränkten sich schlimmstenfalls auf eine kleine Balgerei. Normalerweise regelten die Asix solche Dinge selbst. Sie besaßen einen ganzen Katalog pittoresker Drohungen, der verhinderte, dass Gegner handgreiflich wurden. Ganz offensichtlich jedoch zog Oda es vor, seine Augen vor gewissen Tatsachen zu verschließen.

»Wir, die Shiro«, widersprach Suvaïdar ihm, »sind stets bereit, den Säbel zu ziehen, für welche Beleidigung auch immer, ob schwer oder harmlos, echt oder eingebildet.«

»Ja, aber wenn wir uns duellieren wollen, muss es in einem Fechtsaal geschehen, vor den Augen des Lehrers und Meisters sowie der Schüler. So sind die Regeln. Ein Fechter, der seine Gegner systematisch tötet, hat seine Sache nicht verstanden.«

»Es stimmt schon, alle behaupten, es sei ehrenhafter, jemandem leichte Verletzungen zuzufügen, die schändlich sind – etwa eine Verletzung im Rücken –, als ihn zu töten. Aber du weißt so gut wie ich, dass viele Duelle tödlich verlaufen. Und Verbrechen und Reibereien gibt es bei uns auch, selbst wenn die genetischen Forschungen der Jestak dazu beitragen, sie auf ein Minimum zu reduzieren. Obwohl ich mir, ehrlich gesagt, keinen Asix vorstellen kann, der sich wie ein Tier verhält. Doch es kommt gar nicht so selten vor, dass junge Shiro die Neigung zur hemmungslosen Gewalt haben. Und diejenigen, die die Volljährigkeitsprüfungen bestanden haben, werden dann den Akademien anvertraut, wo sie lernen müssen, sich zu behaupten. Gelingt es ihnen nicht, müssen sie sterben. Erfolg hat nur, wer seinen Instinkten gehorcht. Deshalb glaube ich nicht, dass diejenigen, die sich beherrschen können, in der Mehrheit sind.«

»Lass die philosophischen Ausführungen, O-Hedaï. Versuche lieber, eine praktikable Lösung zu finden. Was sollen wir jetzt tun? Wenn die Soldaten erst wieder frei sind, werden sie sofort die Dinge aus ihrer Sicht erzählen. Und die Außenweltler glauben ihren Landsleuten nun mal mehr als einer Asix. Sie werden für die Besatzung einen Schauprozess veranstalten und die Schuldigen ein paar Jahre in eines ihrer Gefängnisse sperren, aber nicht für immer.«

»Wir können die fünf Kerle aber nicht weitere zehn Tage in der Kammer gefangen halten«, entgegnete Suvaïdar. »Ihre Kameraden werden sich auf die Suche nach ihnen machen, und so groß ist ein Raumschiff nun auch wieder nicht. Kann das Ganze nicht als Prügelei durchgehen?«

»O nein! Der Chefmechaniker ist regelrecht Amok gelaufen.«

Suvaïdar nickte. Sie hatte bereits gehört, wie andere Asix sich über den Tobsuchtsanfall ihres Chefs unterhalten hatten. Wäre ein Shiro zugegen gewesen, hätte der Chefmechaniker sicher nicht diesen Anfall erlitten. Er hätte bestimmt einen Außenweltler getötet, hätte man ihn dazu aufgefordert, weil es seine Pflicht gewesen wäre. Ansonsten jedoch hätte er sich ruhig verhalten.

»Wenn wir sie weder frei lassen noch einsperren können«, fasste Tichaeris zusammen, »gäbe es noch die Lösung, sie aus dem Raumschiff zu entfernen.«

»Es leuchtet ein, dass wir sie bei der Ankunft aussteigen lassen müssen, aber ...«

»Nicht bei der Ankunft. Jetzt sofort.«

Suvaïdar riss die Augen auf, und ein saurer Geschmack stieg ihr vom Magen in den Mund. »Wir können sie doch nicht umbringen!«

»Fällt dir vielleicht etwas Besseres ein? Zweifellos wird es bei dieser Geschichte Opfer geben. Ich ziehe es vor, dass diese fünf Vergewaltiger die Opfer sind und nicht Keri, der Chefmechaniker und die vier anderen Asix.«

Sie nannte die Namen der vier Besatzungsmitglieder, die Keri zu Hilfe geeilt waren. Suvaïdar kannte sie selbstverständlich gut: Sie hatte mit ihnen im Fechtraum trainiert, hatte mit ihnen geplaudert, hatte ihre täglichen Angebote abgelehnt, ihr zu Diensten zu sein und hatte mit ihnen die Mahlzeiten in der Vorratskammer geteilt, die der Besatzung zugewiesen worden war. Mit einem von ihnen hatte sie sogar die Hängematte geteilt.

Suvaïdar versuchte, sich alle während eines Prozesses vorzustellen. Ein Prozess, in dem sie nicht einmal verstehen würden, weshalb sie angeklagt wurden. Ein Prozess, in man ihre Schuldhaftigkeit im Amt feststellen würde. Man würde sie in einen Hochsicherheitstrakt in einem der Gefängnisse der Föderation überstellen. Inmitten einer Heerschar von Schwerverbrechern würden sie nicht überleben – nicht die Asix, die trotz ihrer beeindruckenden körperlichen Stärke so harmlos wie junge Hunde waren, wie alle Shiro wussten. Sie waren herzlich, ohne dass man sie ermutigen musste; sie zeigten Anteilnahme den Schwächeren gegenüber und beschützten sie. Aus diesem Grunde vertrauten die Clans ihre Kinder und Tiere den Asix an.

Angesichts der willkürlichen Gewalt und der unmotivierten Aggressionen, die in den Gefängnissen an der Tagesordnung waren, würden sie nicht darauf zu reagieren wissen. Sie wären wie Keri verwirrt und verängstigt. Sie würden sich in sich selbst zurückziehen und im Laufe der Zeit zugrunde gehen und sterben. Oder sie würden den Verstand verlieren, und ein Gefangener oder Wächter würde sie umbringen und sich auf Selbstverteidigung berufen. Den Dingen ihren freien Lauf zu lassen hieße, die Asix zum Tode zu verurteilen.

»Nein, nein, das geht nicht«, sagte Suvaïdar, ihre Gedanken weiter verfolgend.

Die beiden anderen verstanden trotzdem, was sie sagen wollte, weil sie sich ähnliche Gedanken gemacht hatten.

»Wir sind für die Asix verantwortlich«, fasste Suvaïdar zusammen.

Die anderen nickten zustimmend. Das war eine der Forderungen des Shiro-Kodex.

»Deshalb müssen wir es tun«, fügte Oda hinzu.

Suvaïdar schwieg. Der Knoten in ihrem Magen hinderte sie daran, auch nur ein Wort hervorzubringen. Vorausgesetzt, sie hätte gewusst, was sie sagen sollte.

»Wollt ihr, dass ich mich der Sache annehme?«, fragte Tichaeris.

»Wir machen es zusammen. Fünf Männer allein, das kannst du nicht schaffen«, entgegnete Oda. »Weißt du schon, wie wir es anstellen?«

Tichaeris verneinte, öffnete die Tür der Kabine und rief:

»Asix!«

»Ja«, antwortete eine Stimme, und ein Raumfahrtbegleiter spazierte durch die offene Tür, wobei er hastig seine Hose zuknöpfte.

»Tor«, sagte Tichaeris, »wir brauchen deine Hilfe. Du weißt, was geschehen ist, nicht wahr?«

Der Mann bejahte und bat um die Erlaubnis, einen Blick in die Hängematte werfen zu dürfen, in der Keri schlief. Entsetzt wandte er sich dann den Shiro zu. »Wie konnten sie ihr das antun? Wenn sie nur Sex mit ihr haben wollten, warum haben sie sie denn nicht ganz normal danach gefragt? Sie hätte sicher zugestimmt, zumindest bei einem Mann oder bei zweien. Was hat diese Bestien dazu getrieben, Keri so zu behandeln?«

Seine runden Augen zeigten eher Unverständnis als Zorn.

»Sie wollten nicht einfach nur Sex mit ihr, sie hatten von vornherein die Absicht, sie zu demütigen und ihr wehzutun«, sagte Tichaeris. »Im Grunde sind diese Männer keine menschlichen Wesen. Denk daran, sollte es dir jemals passieren, dass du einer Anweisung gehorchen musst, die dir nicht gefällt.«

»Sie sind schlimmer als Tiere!«, sagte der Raumfahrtbegleiter. »Tiere misshandeln die Weibchen nicht, wenn sie sie besteigen.«

»Du hast recht. Das tun weder Hunde, Stiere noch Pferde. Allerdings habe ich gehört, dass es im Dschungel wilde Tiere gibt, die sich bis aufs Blut beißen, wenn sie sich paaren.«

Der Raumfahrtbegleiter nickte. Wenn es eine Abscheulichkeit sei, einen Menschen zu töten, vor allem, wenn er zu einer anderen Rasse gehöre, behaupteten einige der Alten, und wenn das Töten eines Haustieres eine ebenso dumme wie empörende Sache sei, dann sei es auf der anderen Seite richtig, giftige Skorpione zu töten, die Hügel und Felder weitab der Städte heimsuchen. Es sei auch korrekt, die wilden Tiere im Dschungel zu töten, wenn es einem von ihnen gelinge, durch das Sumpfgebiet von Sovesta zu kommen und die Hochebene zu erreichen. Sie alle trugen ein kurzes Messer am Gürtel, um sich im Notfall verteidigen zu können, falls eines der gefährlichen Ungeheuer plötzlich vor ihnen auftauchen sollte. Die Fleischfresser griffen selbst kleine Lebewesen an: Welpen, Ziegen und Kinder. Wären sie ausgehungert, wurden sie auch für Erwachsene zu einer Gefahr.

Tichaeris Adaï hatte vollkommen recht: Wer immer Freude daran fand, jemandem Leid zuzufügen, war kein menschliches Wesen, sondern eine Bestie. Die Shiro hatten die Absicht, diese Bestien zu bekämpfen, und die Asix würden ihnen selbstverständlich helfen, denn es war ihre Pflicht, zu gehorchen.

Oda setzte noch eins drauf, als er bis ins Detail erzählte, was Keri ausgestanden hätte: eine ausgerenkte Schulter, Schläge, Vergewaltigung, Demütigungen ... Tor blickte ihn fassungslos an. Egal, was die Shiro entschieden, sie könnten mit ihm rechnen. Außerdem honorierte er die Tatsache, dass sie sich die Mühe machten, ihm die Situation ausführlich zu erklären.

Schließlich teilten sie ihm mit, was sie mit den Vergewaltigern vorhatten.

Tor überlegte kurz, dann schlug er vor:

»Wir könnten sie in eine Eingangsschleuse des Raumschiffes einschließen und anschließend die äußere Falltür öffnen. Das macht keinen Lärm und geht sehr schnell. Sie werden nicht mal begreifen, wie ihnen geschieht. Wenn wir die Falltür auf lassen, wird man glauben, sie selbst hätten sie geöffnet.«

»Zeig uns, wo das ist«, sagte Oda, »und wir werden uns darum kümmern.«

Der Asix schüttelte den Kopf.

»Verzeih, Shiro Adaï, dass ich dir widerspreche. Aber ihr werdet uns brauchen. Wir kennen das Raumschiff und wissen besser als ihr, wie wir diese Kerle dorthin bekommen. Wenn ihr mir sagt, dass es richtig ist, so zu handeln, dann reicht mir das.«

Fragend schaute er die drei Shiro an, die zustimmend nickten.

Gemeinsam gingen sie zu den Schleusen, von denen es insgesamt drei gab. Die Schleuse, die man normalerweise nutzte, um unerwünschten Abfall zu beseitigen, war nur selten in Betrieb. An Bord wurde nahezu alles recycelt oder dem Desintegrator zugeführt, um die Fusions-Motoren anzutreiben – abgesehen von winzigen Mengen gefährlicher Substanzen, die biologisch oder radioaktiv kontaminiert waren. Nur war die Falltür, die für den Abfall bestimmt war, zu klein. Es bestand das Risiko, dass ein Körper eingeklemmt wurde. Die Folge wäre ein Rückstau. Aus einer an sich schon unangenehmen Sache würde ein grauenhaftes Gemetzel.

Da auch die Ein- und Ausstiegsschleuse nicht in Betracht kam, da sie unter ständiger Beobachtung stand, blieb nur noch die Schleuse zum Be- und Entladen von Waren, die auf der inneren Brücke unter den Räumen der Besatzung lag. Lage und Größe waren perfekt. Doch wer würde glauben, dass fünf Soldaten durch das ganze Raumschiff gehen und dann zwei Stockwerke zu den Servicegängen heruntersteigen würden, um diese Falltür zu öffnen?

Es war der Asix, der die Lösung parat hatte:

»Wir stecken sie in diese Schleuse hier, dann wird irgendwer die äußere Falltür der Hauptschleuse öffnen, die genau neben der Brücke B liegt. Anschließend wird er Alarm schlagen, und dann kommen alle, um zu sehen, was passiert ist. Bevor sie diese Schleuse dort schließen und während der Alarm immer noch läutet, werden wir sie wieder aufmachen. Die einzige Stelle, von der aus man sehen kann, dass eine zweite Schleuse geöffnet wird, ist das Steuerruder direkt neben der Kabine des Kommandanten. Aber in diesem Augenblick wird der Kommandant damit beschäftig sein, zur Hauptschleuse zu eilen, wo der Alarm ausgelöst wurde. Wir müssen Ivari, seiner Gefährtin, nur mitteilen, dass sie das zweite Signal vor ihm ausschaltet, denn es zeigt, was sich da unten abspielt.«

Weil Suvaïdar sich ganz darauf konzentriert hatte, wie die Sache ablaufen sollte, hatte sie für einen Moment vergessen, dass sie das alles in die Realität umsetzen mussten. Jetzt, wo Handeln angesagt war, fühlte sie eine lähmende Schwäche in sich aufsteigen. Doch es gelang ihr, diese Schwäche zumindest nach außen hin zu unterdrücken, nachdem sie dem inquisitorischen Blick von Tichaeris begegnet war, die ruhig, beinahe gleichgültig wirkte.

Als sie dann die fünf Soldaten sah, wurde Suvaïdar klar, dass es illusorisch gewesen wäre, diese Episode als harmlose Schlägerei verkaufen zu wollen. Einer von ihnen lag im Koma. Seine Nase war völlig zerquetscht, und aus dem Gesicht war eine blutige Maske geworden. Ein anderer saß auf dem Boden, mit dem Rücken an einer Wand. Seine Arme hingen merkwürdig herunter, und er stöhnte leise, während ein Dritter sich darin gefiel, einfach nur zu heulen. Kein erwachsener Shiro oder Asix hätte sich jemals erlaubt, in aller Öffentlichkeit zu flennen. Nur einer der Soldaten war mehr oder weniger unverletzt, sah man von einem blauen Fleck im Gesicht ab. Als er die drei Shiro sah, explodierte er vor Wut.

»Das wird aber auch Zeit, dass jemand kommt! Es ist Stunden her, dass um Hilfe gerufen wurde! Diese merkwürdigen Affen haben uns ohne Grund zu Boden geschlagen! Lasst sofort den Kommandanten kommen, er ist für diese degenerierte Besatzung verantwortlich!«

»Ohne irgendeinen Grund?«, fragte Oda mit ausdrucksloser Stimme. »Es gibt eine vergewaltigte und misshandelte Frau, die ein ausgezeichneter Grund gewesen sein könnte.«

»Vergewaltigt?«, entgegnete der Soldat. »Dann sagen Sie mir doch mal, was die Frau um diese Zeit in der Nähe der Männerkabinen gemacht hat? Übrigens, sie hat uns provoziert, und als wir uns einig waren, spielte sie auf einmal das Zierpüppchen. Jetzt beklagt sie sich darüber, vergewaltigt worden zu sein. Aber sie hatte eingewilligt. Und glauben Sie mir, es hat ihr sogar Spaß gebracht. So machen sie das immer, diese Nutten. Erst sagen sie Ja, dann Nein. Sie sind alle gleich. Sie glauben doch wohl nicht, was Ihnen dieses Flittchen erzählt?«

»Du glaubst wirklich, sie hätte Spaß gehabt, als man ihr die Schulter ausgerenkt hat?«, wollte Suvaïdar wissen.

»Was denn, die da ist auch eine Frau?«, fragte der Soldat und versuchte, im Halbdunkel des Raumes die drei Silhouetten, die in seinen Augen alle gleich aussahen, besser auseinanderzuhalten.

Er wandte sich Oda zu. »Bring dein Weib endlich zum Schweigen, Kerl. Ich sage dir, das Mädchen war einverstanden, wir haben sie sogar bezahlt. Wenn du mir nicht glaubst, dann schau in der Kabine nach, das Geld muss noch auf dem Boden liegen.«

»Und das Mädchen hat das Geld genommen?«

»Jedenfalls hat sie es nicht abgelehnt. Warte, bis wir uns vor Gericht treffen, dann steht ihr Wort gegen meines. Wenn sie versucht, uns in den Dreck zu ziehen, wird sie dafür bezahlen. Unser Kapitän wird sich persönlich darum kümmern. Er ist ein mächtiger Mann und hat uns versprochen, dass man in dieser Welt der Wilden ...« Er hielt abrupt inne, um dann fortzufahren: »Auf jeden Fall ist Anwerbung in Neudachren ein Vergehen.«

Oda antwortete nicht darauf. Er warf den beiden anderen Shiro einen bezeichnenden Blick zu und gab den Asix eine knappe Anweisung. Diese packten die Soldaten, zogen und stießen sie in die Schleuse und sperrten sie ein. Die noch in der Lage dazu waren, riefen um Hilfe, und selbst als die Tür fest verschlossen war, hörte man noch eine Stimme drohen:

»Das werdet ihr bereuen! Die gesamten Spezialkräfte werden hinter euch her sein. Sie werden euch niedermetzeln! Man greift nicht straflos einen ...«

Die Tür rastete mit einem lauten Klacken ein, und jeglicher Lärm verstummte. Auch wenn sie wusste, dass es keine andere Lösung gab, konnte Suvaïdar ein Gefühl der Befangenheit nicht unterbinden. Seit sie Ta-Shima verlassen hatte, hatte sie nie wieder jemanden sterben sehen – abgesehen von den wenigen Fällen, in denen sie trotz lebensrettender Maßnahmen einen Patienten im Operationssaal verloren hatte. Und jeder verstorbene Patient war eine unerfreuliche Erfahrung gewesen: Der Tod führte Suvaïdar vor Augen, dass sie Fehler machen konnte. Eine verabscheuungswürdige Vorstellung, die sie dazu zwang, im Nachhinein jeden ihrer Handgriffe zu analysieren, und sei er noch so unbedeutend.

Sie sah die gefassten Gesichter von Oda und Tichaeris. Dann schaute sie die Asix an, die wiederum unruhig die drei Shiro beobachteten. Suvaïdar begriff, dass sie allein der Asix wegen Ruhe bewahren und sich beherrschen musste.

Oda gab ein Zeichen, und Tor rief in der Kabine des Kommandanten an. Er ließ den Kommunikator auf schwächster Stufe klingeln, und auf einer Frequenz, die nur für die Ohren der Asix zu hören war. Ivari meldete sich mit einem verschlafenen »Ja«. Man hörte leise Musik und das regelmäßige Schnarchen von N’Tari.

Tor erklärte ihr kurz, was sie machen wollten. Doch Ivari, die ja nicht eingeweiht war, begann Fragen zu stellen.

Kurz entschlossen nahm Tichaeris den Kommunikator und erklärte:

»Ich bin es, Tichaeris Sarod. Tu, was er dir sagt, ich werde dir morgen alles erklären.«

»Ja, Shiro Adaï«, antwortete die junge Frau, deren Stimme mittlerweile hellwach klang.

Tichaeris schickte den jüngsten Asix zur Hauptschleuse, damit ihm die unschönen Dinge erspart blieben, die nun geschehen würden, während Tor die anderen rasch über das Wichtigste unterrichtete. Ein wenig Überzeugungsarbeit war nötig, doch schließlich gab es keinerlei Protest.

Ein paar bedrückende Minuten verstrichen. Die Innentür der Schleuse war durchsichtig, damit man eine letzte Prüfung vornehmen konnte, bevor die äußere Falltür geöffnet wurde. Die Ta-Shimoda konnten der Sache nicht ausweichen: Da waren die fünf Außenweltler.

Oda befahl den Asix, in der Kabine, in der Keri schlief, auf sie zu warten. Nachdem sie gegangen waren, schloss Suvaïdar die Augen und seufzte.

Doch Tichaeris sagte streng: »Tu das nicht. Wenn du ein Leben nimmst, musst du in der Lage sein, dem Betreffenden in die Augen zu schauen. Wir sind zivilisierte menschliche Wesen, keine Ungeheuer wie die Sitabeh, die aus sicherer Entfernung morden.«

Sie ergriff den Hebel der externen Falltürsteuerung, und Oda schloss seine Hand fest um die ihre. Suvaïdar tat es ihm nach kurzem Zögern gleich.

Das schrille Klingeln des Alarms ließ sie zusammenzucken. Die drei Shiro drückten den Hebel fest herunter, und Suvaïdar bemühte sich, nicht die Augen vor dem abzuwenden, was nun geschah.

Die Luft aus der Schleuse strömte in die interstellare Leere. Aus den Männern wurden groteske Puppen mit hervorquellenden Augen und aufgeblähten Lungenflügeln. Vergeblich versuchten sie, die Luft anzuhalten. Als sie mit einem überlichtschnellen Propulsionsfeld, das das Raumschiff umhüllte, in Kontakt gerieten, explodierten sie zu Fetzen und Tropfen, die in der Weltraumkälte augenblicklich gefroren.

Die Ta-Shimoda schlossen die äußere Falltür und öffneten ein Ventil in der Innentür. Sofort füllte sich die Schleuse mit einem zischenden Geräusch wieder mit Luft. Sie schauten sich an, ohne ein Wort zu sagen. Dann schlossen sie sich den Asix an, die völlig durcheinander waren. Suvaïdar nahm alle Selbstdisziplin zusammen, zu der sie fähig war, um nach außen hin gefasst zu wirken.

»Tor und Jaia«, befahl sie, »besorgt Tee für alle und bringt ihn hierher. Wir können Keri nicht allein lassen. Und holt bitte auch den Jungen, den wir zur Hauptschleuse geschickt haben.«

Suvaïdar wollte die beiden Asix beschäftigen, die am verstörtesten zu sein schienen. Bewusst hatte sie von Keri gesprochen, um die anderen an die unglückliche Verkettung von Umständen zu erinnern, die zu diesem Verbrechen geführt hatte.

»Es hat uns nicht gefallen, so zu handeln, aber es war nötig«, erklärte Oda. »Auch die Menschen aus der Außenwelt hätten ihre Leute gerächt. Bei ihnen kommt es häufig vor, dass eine Frau belästigt wird. Und vergesst nicht – sie verachten die Ta-Shimoda. Für sie ist eine Asix weniger als Nichts. Bei einer Verhandlung hätten sie Keri gar nicht erst zugehört. Ihr alle wärt für den Rest eures Lebens ins Gefängnis gekommen.«

Tichaeris pflichtete ihm bei, auch wenn sie nicht genau wusste, was ein Gefängnis war. Dann wandte sie sich dem Jungen zu, der den Hauptalarm ausgelöst hatte, und fragte:

»Hattest du irgendwelche Probleme? Wie ist es gelaufen?«

»Ich glaube, alles lief wie geplant. In dem Durcheinander haben sie noch nicht einmal bemerkt, dass Soldaten fehlen. Glücklicherweise ist noch Nacht. Sie werden bestimmt nicht vor morgen früh nach ihnen suchen. N’Tari kann sich noch keinen Reim darauf machen, was passiert ist, und sobald in der Schleuse wieder normale Druckverhältnisse herrschen, will er persönlich mit seinem Ersten Offizier den Schlussmechanismus prüfen, statt nach uns zu rufen. Zum Glück habe ich daran gedacht, die Sicherheitsvorrichtung der äußeren Falltür zu entfernen. Das macht die Wahrscheinlichkeit, dass die Vergewaltiger die Tür selbst von innen geöffnet haben, sehr viel größer.«

»Aber das war extrem gefährlich!«, rief einer der anderen. »Die Tür hätte sich beim kleinsten Ruck öffnen können, während du noch darin warst.«

»Zumindest der Alarm hätte geläutet«, antwortete der junge Mann, der ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken konnte.

Tichaeris wandte sich ihm zu. »Wie heißt du? Alle nennen dich hier ›der Junge‹.«

»Das liegt daran, dass ich der Jüngste bin. Außerdem heiße ich ebenfalls Tor, und man möchte nicht, dass es zu Verwechslungen kommt.«

»Du bist sehr mutig, junger Tor.«

»O nein, Tichaeris Adaï, ich habe Todesängste ausgestanden.«

»Nur Dummköpfe haben keine Angst. Der wahre Mut besteht darin, seine Ängste zu überwinden«, erklärte Oda ein wenig oberlehrerhaft, indem er einen der Grundsätze der Akademie zitierte.

»Möchtest du die Hängematte mit mir teilen, junger Tor?«, fragte Tichaeris.

»Ja, Shiro Adaï«, antwortete er und lächelte bis über beide Ohren.

Zumindest ein Asix, der die Nacht durchmacht – allerdings nicht, um die Ereignisse aufzuarbeiten, dachte Suvaïdar.

Sie tranken den Tee. Dann stellten sie die beweglichen Zwischenwände auf, die ihre Kabinen voneinander abgrenzten. Tichaeris zog sich in ihre Kabine zurück, und der junge Tor folgte ihr auf dem Fuße. Die anderen schauten den beiden hinterher und mussten lächeln.

»Ausgezeichnete Idee«, bemerkte der andere Tor. »Er ist zu jung. Es wäre besser gewesen, er wäre nicht in die Sache verstrickt worden. Leider hatte er gerade Nachtwache, als sich der Vorfall ereignete.«

»Ist sonst noch jemand im Maschinenraum?«, fragte Oda.

Einer der Raumfahrtbegleiter nickte und erklärte: »Ich gehe wieder dorthin. Wenn sich bei einem Wachrundgang nichts ereignet, darf man seinen Posten verlassen, um sich etwas zu essen zu holen oder einen Augenblick zu entspannen. Wenn aber der Alarm ertönt, sollte ich besser auf meinem Posten sein, auch wenn der Kommandant das normalerweise nicht kontrolliert.«

»Dann geht jetzt und denkt nicht weiter über das Geschehene nach! Ihr habt nur unseren Befehlen gehorcht. Die Verantwortung liegt ganz und gar bei uns.«

Oda und Suvaïdar blieben allein mit Keri, die dank des Schlafmittels immer noch friedlich schlummerte. Jetzt, wo die Asix nicht mehr da waren, konnte Suvaïdar sich endlich erlauben, ihre selbst auferlegte Selbstbeherrschung abzulegen. Sie fröstelte und lehnte sich an ihren Bruder, der die Arme um ihre Schultern legte. Oda war die Ruhe selbst und völlig beherrscht, und Suvaïdar fragte sich, ob es das erste Mal gewesen war, dass er jemandem das Leben genommen hatte. Doch sie war nicht so indiskret, ihn zu fragen, ob er in einem seiner Duelle einen Gegner schon einmal schwer verletzt oder gar getötet hatte. Stattdessen sagte sie:

»Ich bin wirklich nicht Shiro genug. Die Vorstellung, jemanden zu töten, habe ich bis heute nicht akzeptieren können. Bitte, schlaf heute hier.«

Ihr Bruder bekundete mit einem Kopfnicken sein Einverständnis.

Die Ta-Shimoda kontrollierten alles, was mit der Reproduktion zusammenhing. Es galt als schweres Verbrechen, ohne Genehmigung des genetischen Zentrums Kinder zu bekommen. Aber gegen Liebesspiele zwischen Bruder und Schwester hatten sie nichts. Wenn ein Erwachsener oder Halbwüchsiger ein kontrazeptives Implantat trug, konnte er tun und lassen, was er wollte, sofern er jemanden traf, der mitzumachen bereit war.

Aber Suvaïdar stand nicht der Sinn danach, und Oda konnte sie gut verstehen. Ohne sich auszuziehen, kletterte er in die Hängematte und war zufrieden, Suvaïdars Hand zu halten und ihr freundlich zu sagen:

»O-Hedaï, ich habe zuvor schon ein Leben ausgelöscht, und glaube mir, ich bin nicht stolz darauf, auch wenn es sich um einen Shiro handelte und der Kampf ehrenhaft geführt wurde. Was heute Abend geschehen ist, kam mir wie ein Kampf gegen wilde Tiere vor, wie wir ihn bei den Volljährigkeitsprüfungen erlebt haben. Mühsam, aber unumgänglich. Es ist, als hätte man einen Skorpion zertreten, der in einen Stiefel zu klettern versucht. Oder als hätte man einen Fleischfresser getötet. Wenn du beobachtest, wie ein Saurier eine Asix-Frau verschlingt, wirst du ihn töten, ohne darüber nachzudenken, da bin ich mir sicher.«

»Das ist aber nicht das Gleiche.«

»Natürlich ist es das. Es ist immer das Gleiche, wenn es sich nicht um menschliche Wesen handelt.«

Er denkt wirklich so, sagte Suvaïdar sich. Er sagt es nicht nur, um die Asix zu beruhigen. Sie beschloss, noch einmal mit ihm darüber zu diskutieren, aber nicht jetzt. Im Augenblick hatte sie nur den Wunsch, dass Oda mit ihr in ihrer Hängematte schlief, um sie zu wärmen und zu trösten wie ein männlicher Asix.