13

Suvaïdar schlug die Augen auf. Es dauerte einen Moment, bis sie wieder wusste, wo sie sich befand. Dann hörte sie die Geräusche im Hause des Clans, der gerade aus dem Schlaf erwachte und einen neuen Tag begrüßte. Sie streckte sich wohlig aus. Seit Jahren hatte sie nicht mehr so gut geschlafen. Und das trotz der Geschehnisse.

Sie stand auf, um duschen zu gehen, ergriff ein Handtuch und legte ihre Kleidungsstücke über den Arm. Sie hoffte, dass sich noch warmes Wasser im Autoklav befand, sodass sie nicht mit dem eiskalten Wasser duschen musste, das direkt von den Gletschern des Corosaï kam. Leider schien der gesamte Clan auf dieselbe Idee gekommen zu sein. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zähneklappernd schnell mit eiskaltem Wasser zu waschen. Rasch zog sie sich an und gesellte sich zur Gruppe vor dem Aushang, auf dem die täglichen Aufgaben der einzelnen Clanmitglieder verzeichnet waren.

Neben ihrem Namen las sie »Lebenshaus – sieben Tage«. Gut, dann konnte sie wenigstens ihre medizinischen Fähigkeiten nutzbringend einsetzen. Die ehrwürdige Mutter hatte keine Zeit verloren. Suvaïdar fragte sich, was sie im Gegenzug wohl vom Jestak-Clan dafür bekommen hatte. Wahrscheinlich gar nichts. Es war sicher eine Art Bezahlung für geleistete Pflege.

Suvaïdar ertappte sich dabei, wie sie Odas Namen suchte. Sie las, dass er den ganzen Tag als Tellerwäscher eingeteilt war. Suvaïdar hoffte, dass die alte Huang ihn nicht auf diese Weise dafür bestrafen wollte, dass er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Sie bemerkte Oda in der Gruppe und grüßte ihn. Er war gefasst wie immer, was sicher nicht nur daran lag, dass er seine eigenen Gefühle verstecken konnte: Suvaïdar war überzeugt, dass Oda es nicht als Strafe empfand, Küchendienst zu schieben. Für ihn hatten alle Arbeiten, die für den Clan getan wurden, die gleiche Wertschätzung verdient.

Schnell verließ sie das Haus, um in den noch angenehm frischen Stunden des frühen Morgens zum Lebenshaus zu gehen, und nicht in der drückenden Hitze des Tages.

Im Lebenshaus stellte sie sich der wachhabenden Ärztin vor und war schon wenige Minuten später in den Arbeitsablauf des Hospitals eingebunden. Sie arbeitete – unterbrochen von einer kurzen Frühstückspause, in der sie mit ihren neuen Kolleginnen die technischen Operationsmöglichkeiten auf Wahie und Ta-Shima verglich – bis zum Abend. Zufrieden machte sie sich auf den Heimweg.

Kaum angekommen, suchte sie nach Gutari und stellte fest, dass dieser ebenfalls zum Küchendienst eingeteilt worden war. Zusammen mit Oda nahm er sich gerade eines Stapels schmutziger Teller an. Oda wusch sie ab; dann reichte er sie Gutari, der sie noch einmal abspülte und dann abtrocknete. Sie arbeiteten ohne eine Spur von Feindseligkeit friedlich Seite an Seite.

»Wie geht es deiner Wunde?«, fragte sie Gutari.

Er schüttelte die Hand und gab zu verstehen, dass alles in Ordnung sei.

»Wenn du hier mit der Arbeit fertig bist, möchte ich noch einmal einen Blick darauf werfen.«

Er zeigte fünf Finger, was so viel heißen sollte wie »in fünf Minuten«.

»Geh ruhig mit, den Rest schaffe ich allein«, warf Oda ein.

Als Suvaïdar die Küche verließ, gefolgt von dem Jungen, wusste sie genau, dass die Saz-Adaï selbst es war, die im Haus anstehende Arbeiten verteilte. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber die alte Herrscherin stieg in ihrer Achtung.

Auf der Krankenstation schaute sie sich die Wunde des Jungen genau an. Sie heilte hervorragend. Das war eine der guten Seiten des genetischen Know-how der Jestaks. Jemand aus der Außenwelt mit einer vergleichbaren Verletzung wäre auf die Behandlung mit Antibiotika angewiesen.

»Tut das weh?«

Gutari zuckte mit einem beredten Blick die Schultern. Das Sh’ro-enlei setzte voraus, dass ein Shiro den Schmerz akzeptierte. Deshalb hatte Gutari, nachdem er im Kampf verletzt worden war, auch nach Nadel und Faden verlangt und auf eine Narkose verzichtet.

»Hast du was gegessen?«

Wieder ein Schulterzucken.

»Ich sage in der Küche Bescheid, dass man für dich Fruchtsaft und Suppen zubereitet. In ein paar Tagen wirst du wieder ganz normal essen und sprechen können.«

Bevor der Junge ging, verbeugte er sich tief vor Suvaïdar, den Blick gesenkt. Wenn ein Shiro so protokollarisch grüßte, kam dies einer Entschuldigung gleich.

Suvaïdar verbrachte die sieben vorgesehenen Tage im Lebenshaus und fühlte sich sehr wohl dort. Es gelang ihr, eine auf gegenseitige Wertschätzung beruhende Beziehung zu den Jestaks aufzubauen, mit denen sie zusammenarbeitete. Mit einer von ihnen schloss sie sogar Freundschaft, die so herzlich war, dass sie sich einander beim Vornamen anredeten.

Der Clan der Jestak to Gonzalo hatte zwar nicht so viele Mitglieder, doch er war überaus mächtig. Alle Frauen dieses Clans schlugen eine Karriere als Ärztin oder Forscherin ein. Diejenigen, die nicht die entsprechenden Fähigkeiten besaßen, wurden von einem anderen Clan adoptiert. Die Jestaks führten nicht nur das Lebenshaus, sondern auch Hospitäler und genetische Zentren. Sie allein bestimmten über die Reproduktion aller auf Ta-Shima heimischen Lebewesen: Shiro und Asix, Haustiere und Pflanzen.

Die Alte des Clans, die man einfach »die Jestak« nannte, hatte die Angewohnheit, sich junge, vielversprechende Wissenschaftlerinnen zur Hilfe zu holen, aus denen man, wenn die Zeit gekommen war, diejenige bestimmen würde, die ihr Erbe antrat. Die Wissenschaftlerinnen waren mit allen Belangen des Clans vertraut, vor allem mit den Abläufen im Lebenshaus. Die konservativen Clans kritisierten dieses System zwar, doch es verhinderte, dass mit dem Tod einer Saz Adaï Informationen und Kenntnisse von unschätzbarem Wert verloren gingen.

Kilara Jestak war eine der Assistentinnen der Jestak, die eng mit ihr zusammenarbeiteten. Sie war eine ausgezeichnete Medizinerin, und mehrmals assistierten Suvaïdar und sie sich gegenseitig im Operationssaal.

»Ich hoffe, weiter als Ärztin arbeiten zu können«, sagte Suvaïdar an ihrem letzten Arbeitstag im Lebenshaus.

»Das kannst du ganz sicher. Wir haben mit deiner Saz Adaï eine ständige Zuordnung für das Lebenshaus geplant. Stimmt es, was man sich erzählt? Dass du an der Sitzung des Rates teilnehmen wirst, obwohl du nicht an der Spitze eines Clans stehst?«

»Mit Sicherheit weiß ich das nicht, aber alle Asix sind davon überzeugt, also wird es wohl stimmen. Sie wissen solche Dinge immer viel früher als alle anderen. Ich weiß nicht genau, ob sie mich vorschlagen werden, aber sie möchten, dass ich mich zur Verfügung halte, um mich einzuschalten, sofern es Probleme mit denen aus der Außenwelt gibt.«

»Gibt es denn Probleme? Du kannst es frei heraus sagen. Ich habe gehört, was sich an Bord des Raumschiffes ereignet hat.«

»Nun ja, wenn ich höre, was die Ta-Shimoda über Außenweltler denken, mache ich mir Sorgen. Sie verstehen sie nicht oder wollen sie nicht verstehen. Sie hoffen, dass alles wieder so wird wie es war, bevor das Raumschiff der Föderation bei uns gelandet ist. Aber so wird es niemals sein. Die Außenweltler sind auf diesen Planeten gekommen, und nun sind sie da. Selbst wenn es uns gelänge, sie zur Abreise zu bewegen, könnte es nie wieder so werden, wie es früher einmal war.«

*

Der Rat trat wie üblich am ersten Tag des zweiten Monats der Regenzeit in Gaia zusammen, damit selbst die konservativsten Alten die Zeit hatten, zu Fuß oder mit dem Pferd anzureisen. Sie sahen verächtlich auf die elektrischen Busse herab, die die drei Städte miteinander verbanden. Im Allgemeinen nahmen nur diejenigen an der Versammlung teil, die in der Nähe wohnten, oder wenn sie sich besonders für einen Tagesordnungspunkt interessierten. Die anderen begnügten sich damit, ihre Stimme zu übermitteln. Niemand legte sich die Lasten einer Anreise von Gorival über die Hand-Inselgruppe ohne gewichtigen Grund auf. Gleichwohl waren heute alle anwesend – große und kleine Repräsentanten der Clans, mächtige und weniger mächtige –, weil sie sich immer noch nicht einig geworden waren, wer die nächste Sadaï werden sollte.

Sie versammelten sich im Haus der Sadaï, ein kleines Gebäude aus Stein, das mit Hilfe beweglicher Trennwände in fünf Räume untergliedert war. Nun hatte man die Trennwände beiseitegezogen, um einen Saal zu schaffen, der groß genug war, um sämtliche Alten aufnehmen zu können, die den einhundertundzwölf Clans vorstanden. Die Berater, die sie begleiteten, warteten in der Zwischenzeit draußen. Im Schneidersitz saßen sie auf dem Rasen, die Kapuze ihrer Mäntel um den Kopf gelegt, da es zu regnen begann. Sie unterhielten sich leise und standen bereit, dazuzukommen, wenn man sie rief.

Suvaïdar schaute sich um und ließ den Blick über die Reihen Furcht erregender Saz Adaï schweifen, die starr und mit steifem Rücken dasaßen, alle mit einer asche- oder sandfarbenen Tunika bekleidet, die Hände auf die Knie gelegt und mit Blicken, aus denen Hochmut sprach. Die Diskussionen versprachen schwierig zu werden. Als Suvaïdar in die verschlossenen Gesichter schaute, hoffte sie, nicht allzu verängstigt zu wirken.

Schließlich ergriff die Jestak das Wort, die in Abwesenheit der Sadaï traditionell an der Spitze des Rates stand.

»Das ist jetzt die dritte Versammlung nach dem Tod von Haridar Sadaï. Heute wollen wir ihre Nachfolgerin wählen. Zweimal haben wir vergeblich versucht, uns einstimmig zu einigen oder wenigstens eine Zweidrittelmehrheit zu bekommen. Deshalb wird heute diejenige gewählt, die die einfache Mehrheit erhält. Ich denke, es macht keinen Sinn, dass die beiden noch verbliebenen Kandidatinnen uns noch einmal ihre Ansichten darlegen, da alle Anwesenden bereits damit vertraut sind. Doch bevor wir zur Wahl schreiten, schlage ich vor, dass Suvaïdar Huang auf ein paar Fragen antwortet, die der Rat ihr gern über die fremden Welten stellen würde. Zuerst aber erteile ich den beiden Kandidatinnen das Wort, die in die Stichwahl gekommen sind, Tsune Ricardo to Han und Eronoda Bur to Sevastak.«

Die Matriarchin des Ricardo-Clans kniete sich auf ihr Kissen, um sich dann auf die Fersen zu setzen. Sie hatte bereits ein beträchtliches Alter erreicht. Ihr Blick war kalt wie der eines Raubvogels, ihr Haar eisengrau. Die drei Narben, die sie stolz im Gesicht trug, zeugten von vielen Kämpfen im Fechtsaal. Entgegen dem Vorschlag, den die Jestak gemacht hatte, setzte sie, statt eine Frage zu stellen, zu einer Rede an, die einer Wahlpropaganda für sich selbst gleichkam.

»Wenn die Außenweltler den Krieg wollen, werden sie ihn bekommen!«, rief sie hochmütig. »Wir, die Shiro, sind es gewohnt zu kämpfen, und die Asix ebenfalls. Dass sie sich weniger als wir Shiro für das Fechten interessieren, liegt nur daran, dass sie handfestere Gründe brauchen, um sich zu duellieren. Die Ehre allein reicht ihnen nicht. Doch wenn es darum geht, irgendjemanden oder irgendetwas zu verteidigen, an dem sie hängen, sind sie tapfer und unerschütterlich.

Was sind das eigentlich für Reden, die mir zu Ohren kommen? Wir sollen uns mit den Sitabehs befassen? Wir wissen sehr gut, dass sie es sind, die den Mord an Haridar Sadaï zu verantworten haben. Und in einem solchen Fall verschwenden die Shiro keine Zeit mit Plaudereien, sie greifen zu den Waffen!« Mehr gebieterisch als fragend wandte sie sich an Suvaïdar. »Stimmt es, was ich sage?«

»Es ist zweifellos richtig, was du behauptest, Shiro Adaï«, antwortete Suvaïdar umsichtig. »Es stimmt, dass wir kämpfen, wenn wir uns beleidigt fühlen. Was den Tod von Haridar Sadaï anbetrifft, ist tatsächlich davon auszugehen, dass die Außenweltler dafür verantwortlich sind. Aber es gibt keinerlei konkrete Beweise, wie mir scheint, und deshalb ist es unmöglich, den wahren Schuldigen zu finden. Außerdem sprechen wir von den Menschen aus der Außenwelt, als wären sie ein einheitliches Etwas, aber in Wirklichkeit handelt es sich um einhundertsiebenundzwanzig Planeten mit unterschiedlichen Traditionen, Gesinnungen und Ideologien, die nicht selten im Gegensatz stehen. Jede dieser Welten könnte so viele Soldaten zu uns schicken, wie wir Einwohner haben. Und von den Waffen, die sie besitzen und die noch stärker sind als die, die unsere Vorfahren zur Flucht bewegt haben, möchte ich gar nicht erst reden. Und unsere Vorfahren hat man ihrer Flucht wegen auch nicht als Feiglinge bezeichnet.

Die Außenweltler haben sich mehr als zwei Jahrhunderte lang schonungslos gegenseitig bekämpft. Diese Kriege haben ganze Planeten zerstört und der Wirtschaft fast aller Welten Schaden zugefügt. Einige haben so sehr darunter leiden müssen, dass sie in die Barbarei zurückgefallen sind. Der gesamten Menschheit ging unschätzbares Wissen auf dem Gebiet der Wissenschaft verloren. Nur was die Waffen angeht, haben sie Fortschritte gemacht. Wenn die Föderation es wollte, könnte sie uns so leicht hinwegfegen, wie die Orkanstürme des Jahreszeitwechsels die Blätter von den Bäumen wehen.«

»Warum haben sie uns denn noch nicht angegriffen?«

»Warum sollten sie? Die Förderation hat kein Interesse daran, Ta-Shima zu zerstören. Aber wenn wir eine in ihren Augen feindliche Handlung begehen, würden sie uns im Nu auslöschen, ohne selbst die geringsten Verluste hinnehmen zu müssen. Die Fremden sind in der Lage, einen ganzen Planeten explodieren zu lassen, ohne dass sie auf diesem Planten landen müssen. Ihr habt bestimmt nicht das erste Kapitel unserer Geschichte vergessen, als die Raumschiffe von Landsend die Universität von Estia bombardiert haben.«

Tsune biss sich auf die Lippen. Sie war es nicht gewöhnt, dass man ihr widersprach. Aber in einer Ratsversammlung hatte jeder das Recht, seine eigene Meinung zu verkünden.

Sie wollte gerade antworten, doch Fior Gantois, die Saz Adaï der Hand-Inselgruppe, fiel ihr ins Wort. Eigentlich war sie gar nicht an der Reihe, doch niemand unterbrach sie, da sie für ihre Besonnenheit und ihre messerscharfe Intelligenz bekannt war. Sie genoss den uneingeschränkten Respekt des Rates. Hätte sie kandidiert, wären die Wahl längst entschieden gewesen.

»Die Außenweltler haben uns belogen, was den Tod unserer Sadaï anbetrifft. Wieso hätte sie das südliche Meer überfliegen sollen? Dort gibt es keine bewohnbaren Inseln. Und da niemand grundlos lügt, können wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Außenweltler irgendetwas vor uns verbergen wollten. Alles andere ist reine Vermutung. Wenn es kein Unfall war, dann war es zwangsläufig ein Verbrechen. Doch was hätte das Motiv sein können? Womöglich Rache? Das erschließt sich nur den Außenweltlern. Oder hat Haridar Sadaï etwas getan oder gesagt, von dem wir nicht wussten? Ich kenne die Fremden nicht gut genug und ich kann mir auch nicht vorstellen, was sie dazu verleiten würde, jemanden zu töten, anstatt sich mit dieser Person im Duell zu messen, wie jeder andere zivilisierte Mensch es tun würde.

Und was den Tod der beiden jungen Huang betrifft, gibt es keine endgültige Erklärung. Sie gehörten nicht zum engen Rat der Sadaï und waren auch nicht ihre Sei-Hey. Das Einzige, was sie mit ihr gemeinsam hatten, war ihre biologische Abstammung. Und welche Bedeutung sollte die haben?«

Suvaïdar wollte einwerfen, dass die Fremden davon überzeugt seien, dass es sich bei Ta-Shima um eine Erbmonarchie handelte, doch sie hielt sich zurück. Das wäre nur wieder Wasser auf die Mühlen derjenigen gewesen, die der Beleidigung, die man ihrer Welt zugefügt hatte, mit Gewalt begegnen wollten. Und im Gegensatz zu den Mitgliedern des Rates war Suvaïdar in der Lage, die katastrophalen Konsequenzen einzuschätzen, die eine solche Aktion zur Folge hätte.

»Huang, du hast sie gekannt. Welche Gründe hätten die Außenweltler deiner Meinung nach haben können, Haridar zu töten?«, erkundigte sich eine aus der Runde, ohne zuvor um das Wort gebeten zu haben. Doch die Jestak schritt nicht ein, denn diese Frage brannte allen auf den Nägeln.

Suvaïdar schüttelte den Kopf. Obwohl sie das Äquivalent von sechs Trockenzeiten in der Außenwelt verbracht habe, erschloss sich ihr nicht zwangsläufig, was in den Köpfen der Fremden vor sich gegangen war. Doch die anwesenden Saz Adaï fixierten sie mit bohrenden Blicken. Sie wollten eine Antwort auf diese Frage.

»Ich bin nicht sicher, ob meine Hypothese stimmt«, sagte Suvaïdar langsam, »aber es ist das Einzige, was mir wahrscheinlich erscheint. Ta-Shima ist auf dem politischen Schachbrett Neudachrens zum Bauern geworden.«

»Politisch?«, fragte die Saz Adaï Gantois verwirrt.

»Neudachren?«, fragte eine andere Stimme.

»Die Politik ist eine Art Kampf mit dem Ziel, die Gegner ohne Anwendung von Waffen zu unterwerfen, und Neudachren war in der Zeit, als unsere Vorfahren hierherkamen, noch eine ziemlich unbekannte Welt. Mittlerweile ist sie dank ihrer Waffen und Kampfraumschiffe die mächtigste der hundertsiebenundzwanzig Welten.«

»Tatsächlich?«, fragte die Jestak. »Die Planeten, die einst den Krieg erklärt haben, existieren nicht mehr?«

»Auf Orivaï lebt kein einziges Tier mehr. Der Planet ist zu einer unfruchtbaren Wüste geworden. Und auf Landsend leben nur noch Primitive, die völlig degeneriert sind, seitdem ihre Vorfahren das Opfer massiver Strahlendosen wurden.«

»Ich kann nicht behaupten, dass es mir missfällt, dass diese Fanatiker verschwunden sind«, merkte Tsune Ricardo an, »aber wie haben wir uns die Innenpolitik Neudachrens vorzustellen, und was ist das Besondere an diesem Planeten?«

»Es ist eine der wenigen Welten, die aus den zweihundert Jahre dauernden Unruhen, die unser Universum erschüttert haben, unbeschadet hervorgegangen ist. Zu Beginn der Kriege war Neudachren eine Welt wie alle anderen auch, wenn auch sehr reich. Seinen Führern ist es gelungen, Forscher von jenen Planeten, auf denen die Kämpfe besonders heftig tobten, nach Neudachren zu locken, wo sie eine beeindruckende militärische Flotte aufgebaut haben. Und sie waren intelligent genug, diese Flotte nur zur Verteidigung ihres eigenen Luftraums einzusetzen.

Neudachren hat niemals unter Bombardierungen oder einer Invasion leiden müssen. Während sich die damals hoch entwickelten Welten gegenseitig zerstörten oder in den endlosen Kämpfen, in denen sie ihre Ressourcen verschwendeten, völlig verarmten, wuchs und gedieh Neudachren. Jedes Mal, wenn sich eine Welt aus dem Konflikt zurückzog, ausgeblutet und halb zerstört, schlug Neudachren ihr ein Bündnis und wirtschaftliche Hilfe vor. Deshalb beherrscht Neudachren heute die Föderation, auch wenn die anderen Mitglieder auf dem Papier die gleichen Rechte haben.«

»Willst du damit sagen, sie haben gesiegt, ohne zu kämpfen? Einzig und allein durch Raffinesse? Ohne Ehre?«

»Sie betrachten die Dinge anders. Sie sehen sich als die Friedensstifter des menschlichen Universums und sind stolz darauf. Im gewissen Sinne haben sie auch das Recht dazu, denn ohne Neudachren hätten die beiden Jahrhunderte des Krieges wahrscheinlich das Ende der Zivilisation bedeutet. Sie sind aus Tradition sehr religiös, da ihre ersten Siedler einer Sekte entstammten, die Landsend verlassen hatte, und ihre Politik gründet sich – zumindest den Worten nach – auf den Prinzipien der unitaristischen Religion. Momentan ist eine konservative Partei an der Macht, und es gibt eine Bewegung, die die Spezialkräfte beherrscht ...«

»Was ist die unitaristische Religion?«, fragte einer der drei Sazdo Adaï.

Es war ein wenig merkwürdig, mitten im Rat eine männliche Stimme zu hören.

»Sie wurde nach dem Krieg begründet und umfasst alle religiösen Prinzipien der menschlichen Welten mit mehr oder weniger identischen Gebräuchen und Zeremonien.«

»Ich würde gern wissen, ob es sich dabei um eine richtige Religion handelt«, erkundigte sich eine sehr betagte Frau. »Ich habe in der Schule in einem alten Geschichtsbuch darüber gelesen, aber das ist schon sehr lange her ...«

Suvaïdar versuchte es zu erklären, aber es gelang ihr nicht, und so verstummte sie entmutigt. Für manchen Sachverhalt, die sie zu erklären versuchte, gab es in ihrer Sprache einfach nicht die richtigen Worte. Außerdem war sie in diesen Fragen keine Expertin. Aus Neugier hatte sie auf Wahie einmal einen Tempel besucht, aber es war ihr nicht gelungen, den Sinn der Gesten und Worte zu verstehen.

»Und was muss man sich unter den Spezialkräften vorstellen?«, fragte Aysha Van Voss, Saz Adaï eines Clans, der seinen Hauptsitz in Gorival hatte.

»Das ist eine Geheimarmee, die im Dienste der Regierung steht. Doch mittlerweile ist daraus ein Staat im Staate geworden, dessen Ziele und Zweck nach außen hin untadelig sind. Aber wer es mit ihnen zu tun bekommt, nimmt gewissermaßen mit verbundenen Augen an einem Schachturnier teil, in dem ein Spieler eine Figur einzig und allein aus dem Grund zieht, den Gegner in die Irre zu führen und nicht, weil dieser Zug klug wäre.«

Die Saz Adaï schauten sie mit ihren ausdruckslosen Augen an, und Suvaïdar fragte sich, ob sie ihr aufmerksam folgten oder der Meinung waren, all diese Dummheiten über die fremden Welten würden sie nicht im Geringsten betreffen.

»Ich bedaure, nicht präziser sein zu können. Persönlich glaube ich, wir sollten all unsere Hoffnung darauf setzen, dass sie unseren Planeten auch weiterhin als bedeutungslos betrachten. Gewissermaßen als Kuriosität für ihre Holovid-Programme. Sollten sie uns ernst nehmen, könnten sie auf die Idee kommen, uns ihre Raumschiffe zu schicken, gegen die wir keinerlei Verteidigungsmöglichkeiten besitzen.«

»Und nun?«, fragte eine Stimme. »Müssen wir das ins Auge fassen, was Eronoda Bur to Sevastek uns nahegelegt hat? Dass wir uns ebenfalls der Föderation anschließen sollten?«

»Warum sollte das schlecht für uns sein?«, intervenierte Eronoda, eine junge, sehr schöne Frau mit großen, ausdrucksvollen Augen und vollen Lippen. »Mein Clan ist damit reich geworden, dass er mit Gewürzen und Daïbanfaser Handel treibt. Wenn wir uns der Föderation anschließen würden, könnten wir den Handel ausweiten und uns all die elektronischen Geräte besorgen, die wir wollen.«

»Wie ihr wisst«, fuhr Suvaïdar fort, »hat die Föderation niemals das Verbot genetischer Versuche abgeschafft. Doch es gibt da eine Kleinigkeit, über die ihr vielleicht nicht Bescheid wisst. Nachdem die Bewohner von Landsend ihren Religionskrieg gegen all jene geführt hatten, die sie als Mutanten oder Schimären bezeichneten – eine Abscheulichkeit für ihre Götter –, eröffneten sie jedes Mal, wenn sie einen Planeten erobert hatten, eine gnadenlose Jagd auf alle genetisch modifizierten Organismen, Pflanzen und Tiere, um sie zu vernichten. Dieser Fanatismus war übrigens einer der Gründe dafür, dass sie den Krieg verloren, den sie angezettelt hatten. Statt ihre militärischen Kräfte im Kampf zu bündeln, wurden Menschen und Materialien eingesetzt, um selbst dem letzten Mutanten auf die Spur zu kommen und ihn mit Plasmawaffen auszulöschen. Hätten sie entdeckt, dass die Asix ebenfalls genetisch modifiziert sind, hätten sie sie wahrscheinlich nicht anders behandelt als die in den Laboren erzeugten Tiere, die sie gejagt und getötet haben.«

Lautes Gemurmel setzte ein, als die Repräsentanten der Clans die Frage erörterten und mit ihren Nachbarn diskutierten.

Schließlich rief die Jestak: »Bur to Sevastak hat erneut das Wort.«

»Ich bleibe bei meiner Meinung. Wenn es stimmt, dass Widerstand unser aller Tod bedeuten würde – auch den der Asix –, sollten wir davon absehen. Die Shiro werden auf jeden Fall überleben.«

Eronada Bur blickte kämpferisch in die Runde, aber sie erntete lediglich kalte Blicke.

»Bur to Sevastak«, wandte Fior Gantois, die Saz Adaï der Hand-Inselgruppe, mit samtweicher Stimme ein, »ich habe gehört, dass zu den Modernisierungen in deinem Haus in Niasau ein prachtvoller Fechtsaal gehört. Ich würde ihn gern kennenlernen. Gibst du mir die Ehre und trainierst mit mir?«

»Sehr gern, wenn du möchtest«, murmelte Eronoda und schaute ihre Gesprächspartnerin an, eine stadtbekannte Fechterin. »Aber wir sind im Rat. Da sind Herausforderungen nicht erlaubt.«

»Hättest du Angst?« Sovan Lal to Fina von Goral hatte das Wort ergriffen. »Ich habe den Eindruck, dass du bereit wärst, innerhalb weniger Minuten mehr als zwei Millionen Menschen in den Tod zu schicken.«

»Das wollte ich damit nicht sagen, aber wenn Suvaïdar Huang, die mit den Sitabeh zusammengelebt hat, ebenfalls denkt, dass wir keine Chance gegen sie haben ...«

Sovan Lal unterbrach sie:

»Wir werden nicht einen Teil unserer Bevölkerung für den anderen Teil opfern. Wir sind verantwortlich für die Asix.«

Es war klar, dass Eronoda Bur nun jegliche Chance auf einen Wahlsieg verloren hatte. Suvaïdar fragte sich, wie sie es überhaupt geschafft hatte, bis in die Stichwahl zu kommen. Sie war zu jung und zu unreif. Außerdem hatten die Asix berichtet, Eronoda habe es nur durch Intrigen geschafft, sich an die Spitze ihres Clans zu stellen.

Suvaïdar antwortete weiter auf eine Reihe von Fragen über die Außenwelt. Sie wurde den unangenehmen Eindruck nicht los, dass ihre Landsleute sie nur unzureichend verstanden. Auf jeden Fall waren die Würfel gefallen, und man würde Tsune Ricardo to Han zur neuen Sadaï wählen – ganz gleich, was sie jetzt noch sagen würde. Und genau das geschah nun auch: Mit ihrem unglücklichen Abgang hatte Eronoda Bur ihrer Konkurrentin Tsune Ricardo mehr Stimmen eingebracht, als für den Sieg nötig gewesen wären.

Suvaïdar empfand instinktiv Achtung vor Tsune und schätzte Eronoda gar nicht, aber das Ergebnis der Wahl beunruhigte sie doch: Mit der jungen Händlerin des Bur-Clans wäre es unter Umständen möglich gewesen, einen Gedankenaustausch zu führen, aber Tsune, alt und traditionsbewusst, handelte nur im Namen des Shiro-Codex und im Namen der Ehre, auch wenn sie damit alle in die Katastrophe riss.

Unmittelbar nach den Wahlen folgte die Ernennungszeremonie, die seit sechshundert Trockenzeiten unverändert geblieben war.

Die Jestak entzündete einen Kohlenofen. Dann löste sie mit ihrem kurzen Messer, das sie am Gürtel trug, die Clan-Embleme von der Tunika der neu Gewählten, warf sie in die Kohlenglut und legte das Messer ebenfalls hinein. Tsune Ricardo ließ die Tunika von ihren Schultern fallen, drehte der Jestak ihren Rücken zu und wartete. Ihre Augen blickten ins Leere. Als das Messer heiß genug war, nahm es die Jestak und legte es auf Tsunes Clan-Tätowierung am linken Schulterblatt, um es auszubrennen. Die alte Frau bewahrte eine stoische Haltung. Trotz des Schmerzes zuckte sie nicht ein Mal zusammen. Der Geruch nach verbranntem Fleisch breitete sich im ganzen Saal aus.

Suvaïdar empfand diese uralte Zeremonie als widerlich. In ihren Augen war sie ein typisches Beispiel des Sh’ro-enlei: absurd und grausam. Die anderen Anwesenden jedoch schienen vollkommen anderer Meinung zu sein.

»Tsune Sadaï«, sagte die Jestak und verbeugte sich. Dann räumte sie ihren Platz für die neue Sadaï.

Diese erklärte den Rat für eröffnet.

»Falls es noch Fragen über die Außenwelt gibt, sollten sie jetzt gestellt werden«, verkündete sie. »Es ist nichts Unehrenhaftes, sich für die Fremden zu interessieren. Wissen kann uns keinen Schaden zufügen.«

Viele Hände, die um das Wort bitten wollten, erhoben sich, und die Fragen prasselten von allen Seiten auf Suvaïdar ein. Dieser fiel es leicht, die Fragen zu beantworten, da sie vor allem das tägliche Leben und die Sitten betrafen – Dinge, bei denen sie sich auskannte und die sie deshalb gut erklären konnte.

»Warum sind alle Diplomaten und Händler, die hierherkommen, Männer? Wollen sie uns beleidigen?«, fragte die Traditionalistin Mirina Romano.

»Dafür gibt es keinen besonderen Grund. Neudachren ist ein sehr traditioneller Planet, und man hält diese Berufe für typische Männerberufe.«

»Aber das widerspricht allen Traditionen«!«, rief die Saz Adaï Romano ungeduldig aus.

»Bei uns, aber nicht bei ihnen. Sie leben nicht in Clans, sondern in kleinen Familienverbänden, in denen die Eltern ihre Kinder selbst aufziehen, so wie bei den Asix. Und in den religiös bestimmten Welten ist die Kindererziehung eine Sache der Frauen. Aus diesem Grunde üben sie keine Berufe aus und machen auch keine interplanetarischen Reisen.«

»Sie ziehen ihre Kinder persönlich auf?«, fragte eine Alte ungläubig. »Bist du sicher? Ich möchte deine Worte ja nicht in Zweifel ziehen, aber ... und ihre Kinder sind normal?«

»Ich weiß, was du meinst. Es ist ein schädliches System, die Kinder werden verwöhnt und launisch – wie die Kleinen, die man bis zur Volljährigkeitsprüfung oder darüber hinaus bei ihren Pflegemüttern lässt. Sie gelten so lange als minderjährig, bis sie sechzehn Trockenzeiten erlebt haben, auf manchen Planeten sogar zwanzig. Sie leben bei ihren beiden Eltern, die ehelich zusammenleben und mehrere gemeinsame Kinder haben.«

»Zu viele Individuen von ein und demselben Vater und ein und derselben Mutter ... endet das nicht mit degenerativen Erscheinungen?«, fragte jemand.

»Nicht, wenn man auf einen umfangreichen genetischen Pool zurückgreifen kann.«

»Aber wie können die Erwachsenen so viele Jahre miteinander verbringen? Sie müssen sich sehr oft duellieren, nicht wahr?«

»Nein. Bei ihnen gibt es keine Duelle. Konflikte lösen sie vor einem Gericht, eine Art kleiner Rat«, erklärte Suvaïdar.

Zufrieden stellte sie fest, dass diese letzte Neuigkeit die Gleichgültigkeit der Shiro ins Wanken gebracht hatte: Die Alten konnten einen gewissen Ekel nicht unterdrücken.

»Du hast behauptet, dass die Experimente auf genetischem Gebiet immer noch untersagt sind. Sie haben damit nicht wieder angefangen, seit unsere Vorfahren vom Planeten geflohen sind?«

»Nein, und vor einiger Zeit wurde das Verbot sogar noch verschärft. Im vergangenen Jahr hat man einen Mediziner verurteilt, weil er grundlegende Recherchen angestellt und das System entdeckt hat, wie man Krankheiten, deren Ursachen in den Genen liegen, mit DNA-Fragmenten behandeln kann. Die auf diese Weise möglichen Eingriffe in die Erbsubstanz wurden ihnen drastisch vor Augen geführt. Sollten sie entdecken, dass so etwas bei uns gang und gäbe ist, könnten sie beschließen, einen ihrer Religionskriege gegen uns zu führen – so wie sie einst die Universität von Estia bombardiert haben, um die Forschungsergebnisse der medizinischen und genetischen Fakultät zu zerstören.«

Nach wenigen Stunden fühlte Suvaïdar sich so müde wie nach einem langen Tag im Operationssaal. Außerdem war sie völlig frustriert: Sie hatte es nicht geschafft, ihren Landsleuten fremde Welten wie Wahie oder Neudachren verständlich zu beschreiben. Immer wieder war sie an sprachlichen Problemen gescheitert oder daran, dass es ihren Landsleuten schwerfiel zu begreifen, wie eine Gesellschaft, die sich so von der ihren unterschied, überhaupt funktionieren könnte. Es war unvorstellbar für sie, wie das Leben in einer Stadt ablaufen sollte, in der dreimal so viele Menschen lebten wie auf ganz Ta-Shima.

Tsune Sadaï beendete schließlich die Sitzung, nachdem sie zuvor die Mitglieder des »engeren Rates« ernannt hatte, die ihr direkt und weniger formell zur Hand gingen. Neben ihrem persönlichen Berater und einer Jestak, die gemäß der Tradition von der Alten ihres Clans benannt wurde, nominierte sie auch Suvaïdar wegen deren Kenntnisse über die fremde Welt, Riodan Lal, den Meister der Akademie der Harmonie, der für seine Strenge und sein Festhalten an den Traditionen bekannt war, und schließlich eine Saz Adaï aus Gaia, von der Suvaïdar noch nie gehört hatte. Der persönliche Berater Tsunes unterwarf sich derselben Ernennungszeremonie, die Suvaïdar so anwiderte. Danach gehörte er keinem Clan mehr an und legte sein Schicksal in die Hände der neuen Sadaï. Zum Schluss wurde der enge Rat für den frühen Morgen des nächsten Tages einberufen.

*

Als Suvaïdar am nächsten Morgen das Haus der Sadaï betrat, stellte sie zufrieden fest, dass der Jestak-Clan Kilara ernannt hatte, mit der Suvaïdar sich sehr gut verstand und deren überaus lebhafte Intelligenz sie schätzte.

Die Diskussion ging von Neuem los, doch man kam schneller voran, da sehr viel weniger Personen als tags zuvor an dem Gespräch teilnahmen. Die Sadaï und ihre beiden älteren Berater waren fest entschlossen, den Mord an Haridar und ihren beiden Söhnen nicht ungesühnt zu lassen. Vergeblich wiederholte Suvaïdar, dass jegliche Form der Aggression einem Selbstmord gleichkäme. Sie erreichte immerhin, dass – sollten sie tatsächlich eine Aktion gegen die Außenwelt einleiten – dies ohne formelle Erklärung geschehen würde. Vielmehr sollte es so aussehen, als handele es sich um die Initiative einer kleinen Gruppe, die nicht von der Regierung unterstützt würde.

Tsune Sadaï war nicht einverstanden; sie hätte ein Manifest vorgezogen. Sie ließ sich erst überzeugen, als Suvaïdar anmerkte, dass die Vergeltungsmaßnahmen alle treffen würden, ohne Unterschied, und dass die ersten Opfer die Asix sein würden, die in Niasau arbeiteten.

»Und wir«, fügte sie hinzu, wobei sie an Tsune Sadaïs Sinn für Ehre und ihr Pflichtbewusstsein appellierte, »wir sind für die Asix verantwortlich.«