In Island ist jeder ein Künstler und jeder ein Star

Das haben die Isländer verinnerlicht, und in einer kleinen Gesellschaft wie ihrer ist es leicht, als Künstler berühmt zu werden. Die meisten oder zumindest ein naher Verwandter wurde schon mal im Fernsehen, Radio oder in der Zeitung interviewt. Eigentlich reicht es, einmal nackt über den Laugavegur zu gehen, um berühmt zu werden, soll Björk mal gesagt haben. Die Straße Laugavegur ist die Flaniermeile der Reykjavíker, quasi deren Hauptstraße – zumindest die mit den meisten Bars, Galerien und Designerläden.

Am Wochenende ist die schmale Einbahnstraße die Partymeile. Anfangs war ich noch ehrfürchtig und begeistert, wenn mir jemand als »einer der berühmtesten« Schauspieler, Architekten oder Künstler vorgestellt wurde. Irgendwann kennst du einhundert davon. Jeder ist »einer der«. Das vielleicht als Vorwarnung: Auch ich werde im Laufe des Buches diesen Terminus gelegentlich verwenden. Denn tatsächlich machen immer mehr Künstler ihren Weg und sind international erfolgreich.

Kannte man früher nur Björk und die Sugarcubes, schätzt man heute in der Kunstszene den dänisch-isländischen Ólafur Elíasson, in der Filmbranche die Arbeiten von Baltasar Kormákur und Dagur Kári, lehrt die Kinderserie ›LazyTown‹ die Kleinen weltweit spielerisch, nicht so faul zu sein und sich gesünder zu ernähren. Der Künstler Ragnar Kjartansson vertritt Island auf der Biennale in Venedig und wird dort zum gefeierten Star; die isländische Literatur von Nationaldichter Halldór Laxness, Krimi-Autor Arnaldur Indriðason und Popliterat Hallgrímur Helgason genießen hohes Ansehen, viele Musikfans kennen Sigur Rós und die »My heart is beating like a jungle drum … Rakatungtungrakatungonburu«-Sängerin Emilíana Torrini.

 

Wer auch immer Isländer einlädt, erwartet Spaß und eine gute Show! Diesen Ruf pflegen die Künstler gerne, und er lockt auch zahlreiche internationale Stars auf die Insel. Die spektakuläre Natur mit all ihren Gletschern, Geysiren und Vulkanen liefert für sie die perfekte Kulisse. James Bond machte schon eine Verfolgungsjagd über Eislandschaften, Christoph Schlingensief tobte sich genauso aus wie die New Yorker Künstlergruppe Invasionistas. Der Name ist Programm, also passten die Invasionistas perfekt zum »Sequences« – dem Real-Time Art Festival in Reykjavík. Das Basislager der internationalen Künstlergruppe war die Kling & Bang Gallerí, die damals noch direkt am Laugavegur lag. Dort, in ihrem kleinen, wellblechverkleideten Holzhaus, veranstalteten die Invasionistas eine Riesenshow – und sorgten kurz für einen Skandal, weil in einem ihrer Filme, in dem auch isländische Kinder mitspielten, erigierte Penisse zu sehen waren, die in großen Plastik-Kakerlaken steckten.

Auch die New Yorker Gruppe wollten ihre Filme in der Natur drehen. Die Galeristen rund um Sirra (die in Berlin gerne Happenings macht) und ihren Freund Erling Klingenberg halfen bereitwillig, fuhren mit den Gästen zur Springquelle, etwa eine Stunde von Reykjavík entfernt. Da standen sie nun am Rand des Geysirs Strokkur, der alle zehn Minuten explodiert, ganz nah am zwei Meter breiten Schlot, in dem das Wasser immer wieder zu blubbern und zu kreiseln anfängt, nach unten wegstrudelt und dann in die Luft schießt, zwanzig Meter hoch. Zigtausende Besucher kommen jedes Jahr, um sich das Spektakel anzusehen. An jenem Tag jedoch war es schon sehr spät und außer den Künstlern kaum jemand dort. Sie schauten sich das Schauspiel eine Weile an, plötzlich griff einer der New Yorker in seine Tasche und warf ein Pulver ins Wasser. Es breitete sich sekundenschnell aus und verfärbte die Fontäne schmutzig-grün.

Sirra und Erling waren geschockt, konnten aber nichts mehr dagegen tun, da sind sie weggelaufen und in ihren Wagen gesprungen, der an der Straße parkte. »Viele Künstler hören davon, dass in Island alles möglich ist, und dann wollen sie das auch tun«, sagt Erling. Dieser Aktionismus am Geysir ging ihnen zu weit.

Im Allgemeinen sind Isländer allerdings stets gewillt, bei der Umsetzung von verrückten Ideen zu helfen. So bietet die Feuerwehr Unterstützung an, wenn für Performances ein großer Kran gebraucht wird. Familiäre Verbindungen sind dabei natürlich ganz praktisch, es geht aber vor allem um die allgemeine Akzeptanz und das Verständnis für Künstler.