Wenn Kristinn G. Kristmundsson sagt, dass er auf Arbeit ist, muss man erst mal fragen, auf welcher. Denn der 57-Jährige führt eine Videothek, baut Särge und besitzt einen solarbetriebenen Cola-Automaten. In Island ist es üblich, mehrere Berufe in unterschiedlichen Branchen auszuüben – etliche tun dies auch gleichzeitig. Zum einen ist es notwendig, um den hohen Lebensstandard zu erhalten, zum anderen ist es für die Isländer aber auch eine Bereicherung, denn so können sie ihre verschiedenen Interessen ausleben.

Auch Kristinn, den alle nur Kiddi Vídjófluga nennen, würde auf keinen seiner Jobs verzichten wollen. Die Videothek ist täglich von 18 bis 22 Uhr geöffnet, sie liegt im hinteren Teil eines Einfamilienhauses in Egilsstaðir, einer Kleinstadt im Osten Islands. Es gehörte früher seinen Eltern, heute lebt er dort. Am Gartenzaun hat er ein großes Schild aufgestellt: »Vídeo Flugan« (Videofliege) steht dort in handgemalten Lettern. Der Seiteneingang führt die Besucher direkt zum Laden, ein Briefkastenschlitz dient als Rückgabestelle, falls Kiddi nicht da ist. Neben dem Eingang wuchern ein paar Sträucher, der Multijobber kommt gerade nicht dazu, sie zurechtzustutzen.

Seit 1979 betreibt Kiddi die Videothek, in der heute über 18 000 Videos und DVDs ordentlich aufgereiht stehen, die Ladeneinrichtung hat der gelernte Zimmermann selbst gebaut. Sein Lieblingsfilm ist ›The Good, the Bad and the Ugly‹ aus dem Jahre 1976, aber eigentlich mag er alle Filme mit und von Clint Eastwood. Der amerikanische Schauspieler und Produzent ist für Kiddi ein »Íslandsvinur«, ein Island-Freund, so werden Ausländer genannt, die die Vulkaninsel bereits besucht und dort einen guten Eindruck hinterlassen haben. Eastwood drehte 2005 in Island einige Szenen seines Kinofilms ›Flags of Our Fathers‹. Kiddi kramt kurz in einem Regal und hält dann die DVD hoch. Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg und handelt von der Schlacht um Iwo Jima zwischen Japan und den USA. Da Islands schwarze Lavastrände denen der japanischen Insel ähneln, wählte das Filmteam einen Küstenstreifen im Südwesten Islands als Drehort.

»Durch spezielle Kontakte habe ich immer als einer der Ersten im Lande die neuesten DVDs«, sagt Kiddi stolz. Der Isländer hat sich schick gemacht, trägt ein glänzendes rotes Hemd mit farblich abgestimmter Krawatte und darüber eine schwarze Trecking-Jacke. Er hat etwas Spitzbübisches, Jungenhaftes. Die meisten Gäste kommen im Sommer, da haben viele Ferien und mehr Zeit, sich Filme anzusehen. Rund einhundert sind es dann pro Woche. Insgesamt nehmen die Zahlen aber durch die Konkurrenz im Internet ab.

 

Kiddis zweites Standbein, das Bauen von Särgen, ist hingegen krisenfest. Eine befreundete Kundin der Videothek, die im Krankenhaus arbeitet, erzählte ihm, dass es einen Mangel an guten Särgen gäbe, und inspirierte ihn somit vor über 25 Jahren zu der Idee des Zweitjobs. Kurze Zeit später eröffnete er in einem alten Hanger, der seinem Vater gehörte, die Sarg-Werkstatt. Kiddi hat sich alles selbst beigebracht und sogar eine energiesparende Farbpumpe entwickelt, mit der er die Totenbetten lackiert. »Die Technik ist einzigartig auf der Welt«, da ist sich der Tüftler sicher. Früher halfen ihm sein Vater und seine Mutter beim Herrichten der Särge. Doch seit die geliebten Eltern gestorben sind, macht er alles alleine, näht auch die Kissen und Decken.

In seiner Werkstatt liegen alte Quelle-Kataloge aus Deutschland. »Ich habe sie früher in der Videothek verkauft und mir daraus gerne Sachen bestellt. Werkzeuge und Kleidung zum Beispiel«, sagt Kiddi. Zuletzt blätterte er mal wieder im Katalog ›Heimwerken & Garten‹, der bis Ende Januar 2003 gültig war. »Eine Schande, dass Quelle pleitegegangen ist.« Noch immer stehen in seiner Nähecke Kartons des Versandhauses. In der Werkstatthalle trocknet gerade der Lack eines weißen Sargs.

 

Nachdem Kiddi im Vorraum die Meerschweinchen gefüttert hat, auf die er für verreiste Freunde aufpasst, fährt er zu seinem dritten Arbeitsplatz: dem Cola-Automaten. Er liegt rund 35 Kilometer außerhalb, auf halber Strecke zwischen Egilsstaðir und Borgarfjörður eystri. Das mintgrüne Häuschen ist inmitten der einsamen Landschaften leicht zu erkennen. »Coke sjálfsali«, Cola-Selbstverkauf, steht oberhalb des Eingangs. Die kleine Hütte schützt den Automaten vor Wind und Wetter, die dazugehörige Solaranlage versorgt das Gerät mit Strom. Für ein paar Hundert Kronen bekommt man außer Cola auch Bonbons, Lakritz-Schokolade, Chips, Limonade und Malzbier. Auf einem Klapptisch liegt ein Gästebuch.

Das ungewöhnliche Häuschen am Rande der Straße ist längst zu einer Touristenattraktion geworden, auch die Isländer machen hier regelmäßig Halt. Alle zwei Tage muss Kiddi den Automaten auffüllen, im Sommer sogar täglich. Da seinem Bruder das Land gehört, brauchte er keine Genehmigung, um den Cola-Automaten 2001 aufstellen zu dürfen. Schon früher war dort ein einfacher Rastplatz mit Holzbänken, allerdings ohne weitere Attraktion – von den weiten Lavafeldern und der Ruhe mal abgesehen. An diesem sonnigen Nachmittag laufen lediglich ein paar Schwäne über die moosbewachsenen Lavafelder, in der Nähe ist ein kleiner Tümpel.

Wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet dort einen Automaten aufzustellen? »Ich habe es geträumt«, erzählt Kiddi. Die Inspiration sei so stark gewesen, dass sie ihm keine Ruhe ließ. Sein Vater war kurz vorher gestorben. Kiddis Mutter glaubte, dass die Eingebung von oben komme, aus dem Himmel. Es war nicht das einzige Mal, dass er ungewöhnliche Träume hatte. Einmal erschien ihm im Schlaf ein Mann, dessen Totenbett er gerade zimmerte. »Die Maße für den Sarg stimmen nicht«, sagte der Verstorbene zu ihm. Er sei viel zu klein. Am nächsten Morgen fragte Kiddi noch mal bei den Angehörigen nach, und tatsächlich hatten die sich bei ihren Angaben vertan. »Das war schon ein wenig unheimlich«, gesteht er.

Kiddi und sein Cola-Automat

Dass ihm seine drei Jobs mal zu viel werden könnten, glaubt der Isländer nicht. Im Gegenteil: Er ist ja auch noch DJ und Tänzer. Manchmal legt er in rosa glitzernden Kostümen Siebzigerjahre-Hits auf und wird davon selber so mitgerissen, dass er über das Parkett fegt. Seine Begeisterung fürs Tanzen kann man sich auch im Internet ansehen, eines der YouTube-Videos wurde schon über 45 000 Mal angeklickt.

Der alleinstehende Isländer ist glücklich, seine vielen Leidenschaften ausleben zu können. Doch ein Problem bringen die vielen Jobs dann doch mit sich: Er habe kaum Zeit für Urlaub. Zu seinem 54. Geburtstag flog er das erste Mal in seinem Leben ins Ausland – gemeinsam mit zwei Freunden nach Jamaika. Auch wenn sie dort seine Lieblingsmusik nicht spielten, war die Reise für ihn ein tolles Erlebnis. Manchmal setzt er nun eine Rastalocken-Perücke auf, wenn er vor seinem Publikum in der Disco tanzt.