Schaffe dein eigenes Festival

Neben Dorfpartys und Clubs gibt es auch gefühlt an jedem Wochenende irgendwo auf der Insel ein Festival. Auf der Suche nach einem Event scheuen die Isländer keine Fahrt. Sie feiern nach dem gelungenen Schafabtrieb in Scheunen eine Réttir-Party, zelebrieren fahneschwenkend beim Nationalpark Þingvellir den 17. Juni oder reisen in den Norden zum »Großen Fischtag« in Dalvík. Der Ort mit seinen 1500 Einwohnern will an diesem Wochenende an die alte Seefahrertradition erinnern und serviert allen Besuchern eine kostenlose Fischsuppe, die in einem 1200-Liter-Topf zubereitet wird. Rund 30 000 Gäste kommen hierzu nach Dalvík, einige sind nur auf der Durchreise, andere schlagen über Nacht ihr Zelt auf oder parken ihren Campingwagen am Wegesrand.

Eines der größten Party-Wochenenden ist das Verslunarmannahelgi, das Händlerwochenende. Doch an ein traditionelles Fest wird hier nicht mehr erinnert: Es geht ums Feiern. Die größte Party findet auf den Westmännerinseln statt, deren Bevölkerung sich in diesen Tagen um 10 000 erhöht. Neben vielen Livebands, Alkohol und Isländern in Lopapeysas gibt es dort nachts stets ein riesiges Feuerwerk zu sehen – Isländer sind verrückt nach Feuerwerken! Da an diesen Tagen viele über die Stränge schlagen und der eine oder andere Unfall passiert, wird im Vorfeld des Verslunarmannahelgi immer zum Blutspenden aufgerufen. In der Hauptstadt selbst ist es am ersten Augustwochenende erstaunlich ruhig.

Dafür gibt es genügend andere Feste, bei denen die ganze Innenstadt gesperrt wird: für das Reykjavíker Kunstfestival, die Gay Pride Parade, die Kulturnacht oder das Musikfestival Iceland Airwaves. Letzteres findet immer im Oktober statt und lockt mittlerweile auch viele Touristen an. Über 150 Bands spielen an fünf Tagen, nicht nur in Clubs, sondern auch im Shop eines Modelabels oder im Plattenladen Smekkleysa. Neben einigen international bekannten Künstlern wie Fatboy Slim, The Hives und The Kaiser Chiefs treten vor allem isländische Bands auf. Manche von ihnen haben noch nicht mal einen Plattenvertrag und standen vielleicht erst vier Mal vorher auf einer Bühne. Andere, wie die Rockband Dikta, deren Sänger als Arzt im Krankenhaus arbeitet, spielen beim Festival gleich mehrfach. Mal auf der großen Bühne und dann im Smekkleysa, das übersetzt »Schlechter Geschmack« bedeutet und nicht nur ein Plattenladen ist, sondern auch das Label, das Björk in den achtziger Jahren mit ihren Freunden gründete. Zwischen Schallplatten und DVD-Regalen können die Isländer ihre lokalen Stars mit dem Nummer-eins-Album ganz gemütlich performen sehen. Und sind so dicht dran, dass es immer ratsam ist, ein paar Ohrstöpsel dabeizuhaben.

Die Rockband Dikta im Smekkleysa

Da alle Konzerte nur wenige Schritte voneinander entfernt sind, lässt sich in kurzer Zeit viel Absurdes, Schräges und Anrührendes entdecken. Es ist ein Musik-Rúntur. Das Repertoire reicht von der angesagten Teenie-Popband Retro Stefson über die Elektrogruppe FM Belfast und die Altstars Gus Gus bis hin zu den Hardrockern von Mínus.

Isländische Events sind immer energiegeladen. Die Bands spielen leidenschaftlich, das Publikum feuert sie an, geht mit – mal abgesehen von Balladen und klassischen Konzerten –, und der Alkohol besorgt den Rest. Zeitweise fand parallel zum Iceland Airwaves auch das Sequences, das Real-Time-Kunstfestival, statt, bei dem rund hundert Künstler ein zweiwöchiges Happening veranstalteten. Ein Kanadier, der auf dem Laugavegur auf Bäume und Häuser kletterte, gehörte ebenso dazu wie wild flackernde Videos an Häuserfassaden, Sound-Installationen in Bars oder die Performance der Invasionistas bei der Kling & Bang Gallerí. Der Künstler Curver organisierte während des Sequences, das kurz vor seinem Umzug nach New York stattfand, im Museum einen Flohmarkt, bei dem er all seine persönlichen Sachen verkaufte: Hawaii-Hemden, Mixkassetten, Bücher, den Verstärker und auch sein Auto. Ich kaufte ihm eine Postkarte ab, auf der ein Surver abgebildet war. Die Karte hatte ihm eine Freundin vor Jahren aus dem Urlaub geschickt und diente mir als Isländisch-Übung.

Auch Curvers Bruder Arnar Eggert Thoroddsen, er ist der berühmteste Musikkritiker der Insel, weiß, wie man aus einem normalen Abend ein Happening macht. Vor ein paar Jahren lebte er für eine Weile mit seiner Familie in Berlin. Da in der deutschen Hauptstadt etliche Isländer wohnen, konnte er dort auch heimische Partys veranstalten. Einmal lud er zwanzig Freunde und ein paar Deutsche zu sich ein. Mittendrin stoppte der kräftige, bärtige Mann die Musik und sagte dann mit ernster Miene: »Ich habe euch etwas mitzuteilen.« Und dann sang er voller Inbrunst eine Zeile eines Beastie-Boys-Songs: »The Beastie Boys are coming home.« Es war Arnars Ankündigung seiner Rückkehr nach Island.

Während seiner Berliner Zeit legte er manchmal in der 8 mm-Bar als DJ auf. Wenn es ihm zu heiß wurde, zog er sein T-Shirt aus und zeigte seinen behaarten Oberkörper. Da die Bar im Prenzlauer Berg ein beliebter Treffpunkt der Isländer war, taten es ihm einige nach. Irgendwann trauten sich das auch einige Nicht-Isländer. Da sagte Arnar mit ernstem Blick zum Türsteher. »Das sind keine Isländer, die dürfen sich nicht ausziehen.« Der deutsche Türsteher befolgte die Ansage und vergaß dabei, dass man betrunkene Isländer nie ernst nehmen sollte. Denn das sollte natürlich nur ein Spaß sein.