Machen Elfen schön?

Erla Stefánsdóttir hat für Ísafjörður sogar eine eigene Landkarte gezeichnet, auf der 22 Orte vermerkt sind, an denen verborgene Wesen leben sollen. Auch Ásthildurs Haus und der dahinterliegende Berghang sind darin vermerkt. Dabei unterscheidet Erla zwischen Gnomen, Zwergen, verborgenen Leuten, Wasserfallgeistern, Bergfeen, Bergdivas und Elfen. Ísafjörður und die Berge der Region seien sehr aktiv, schreibt sie. Erla wird weltweit als »Elfenbeauftragte« bezeichnet, zwischenzeitlich kursierte sogar das Gerücht, die Klavierlehrerin mit den hellseherischen Fähigkeiten sei vom Staat angestellt. Doch das ist nicht der Fall.

Wolfgang Müller, ein deutscher Künstler und Autor, der regelmäßig nach Island fährt, gab ihr diesen Namen. Als er Erla vor etlichen Jahren traf, wusste er nicht so recht, wie er ihre Gabe, verborgene Wesen zu sehen und mit ihnen in Kontakt zu treten, beschreiben sollte. Also nannte er sie die Elfenbeauftragte. Denn tatsächlich riefen Erla mehrfach Leute an, wenn es beim Straßenbau an einigen Stellen zu unerklärlichen Störungen kam – etwa weil die Maschinen immer wieder kaputtgingen oder sich Arbeiter verletzten. Glaubt man Erla, werden Elfen, die in Lavasteinen leben sollen, böse, wenn man ihr Zuhause ungefragt versetzen oder sprengen will. Die Lösung: Sie spricht mit den Elfen und bittet diese auszuziehen, andernfalls muss die Straße um den Stein herumgebaut werden. Das Thema Elfen ist auf der Vulkaninsel heikel. Die meisten Isländer glauben nicht unbedingt an sie, würden aber auch nie behaupten, dass es sie nicht gibt. Besonders deutsche Touristen fragen die Isländer immer wieder danach, was etliche nervt. Gleichzeitig nutzen sie das Interesse, wie zum Beispiel Magnús H. Skarphéðinsson, der Bruder des isländischen Außenministers, der im Reykjavíker Industriegebiet eine Elfenschule betreibt. Dort bringt Magnús Touristen bei, die vielen Typen von verborgenen Wesen zu erkennen und zu unterscheiden. Über die Jahre hat der Isländer alle Geschichten gesammelt und ausgewertet – er selbst hat bisher keine Elfen gesehen.

 

Früher glaubten einige Bauern, in den schroffen Felsen am Meer oder auf den Bergspitzen versteinerte Wesen zu sehen. Später am Abend, wenn die Familie zusammensaß, erzählten sie abenteuerliche Geschichten, die über Jahrhunderte mündlich weitergetragen und mit der Zeit immer wieder verändert wurden. Die Erzählungen waren unterhaltsam und sollten Kinder gleichzeitig davon abhalten, zu hoch in die steilen Berge zu klettern oder entlang der gefährlichen Klippen am Atlantik. Selbst wenn die verborgenen Wesen vielleicht nur Legenden sind, so gibt es doch auch Ausländer, die unerklärliche Begegnungen haben. Ein französisches Paar wanderte vor ein paar Jahren durchs Hochland, abends bauten sie neben einer Berghütte ihr Zelt auf. Die Hüttenbetreiber hatten für die Camper einen Steinhaufen als Windschutz errichtet. Nadia war ein wenig ängstlich, es war sehr zugig, und dort oben lag schon Schnee. Abends wälzte sich die Französin unruhig in ihrem Schlafsack hin und her. Später öffnete sie das Zelt einen Spalt, um frische Luft hereinzulassen, und sah plötzlich, wie aus der Steinwand eine rosafarbene Blume wuchs, die Blüte öffnete sich, und heraus schaute eine kleine Elfe. »Sie sagte: Es ist alles in Ordnung, du musst dir keine Sorgen machen«, erzählt Nadia. Kurz darauf habe sich die Blüte wieder geschlossen und sei verschwunden, genau wie die Elfe. Ihr Freund Gerard, der friedlich schlief, zog Nadia den ganzen Urlaub damit auf. Irgendwann traute sie sich, einem Isländer davon zu erzählen. Für den war die Sache klar: »Du hast eine Blumenelfe getroffen.«

Geheimnisvolle Gesichter und Formationen in der Landschaft

Auch Guðrún Bergmann glaubt, dass von der Natur eine besondere Kraft ausgeht. Sie führte bis vor kurzem ein Ökohotel in der Snæfellsnes-Region, einer Halbinsel im Westen Islands. Die Sechzigjährige meditiert regelmäßig bei einem Lavafeld, das in der Nähe des Meeres liegt. Diese verträumten Landschaften sind, wie alle Regionen Islands, geprägt von Geschichten und Legenden, nicht zuletzt durch den Berg Snæfellsjökull, den Jules Verne für seinen Roman nutzte.

Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness verewigte ihn ebenfalls literarisch in seinem Roman ›Am Gletscher‹. Rund um den 1446 Meter hohen »Schneeberggletscher« soll es besondere Kraftfelder geben, ähnlich wie bei den ägyptischen Pyramiden, heißt es. Guðrún kennt das Gebiet sehr gut, gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann kämpfte sie dafür, dass es zum Nationalpark wurde. Sie erzählt von den Sagengeschichten um Bárður Snæfellsás, der einer der ersten Siedler der Region und stärker gewesen sei als andere, weil er Trollblut in seinen Adern hatte. Nach einem Zusammenstoß mit seinem Bruder soll er in dem Gletscher verschwunden sein, wo man ihn bis heute vermutet.

Guðrún – der Beweis, dass diese Natur schön macht

Guðrún ist eine sehr hübsche Frau, schlank, mit weißen, lockigen Haaren und klarer Haut. Sie benutzt kaum Make-up, denn sie möchte, dass ihre Haut atmen kann, ihren Teint verdankt sie der frischen Luft, glaubt sie. Täglich macht die Isländerin, die inzwischen wieder in Reykjavík lebt, einen Spaziergang in der Natur. »Der Wind klärt deinen Kopf, lässt dich frisch und damit auch schön aussehen.« Die Sechzigjährige ist ständig unterwegs, sie praktiziert Yoga und glaubt, dass ein flexibler Körper auch einen flexiblen Geist schafft. Man muss den positiven Spirit spüren, meint Guðrún.

Bei unserem Spaziergang durch ein Lavafeld in der Snæfellsnes-Region macht sie plötzlich Halt. Sie möchte kurz meditieren. »Leg dich mal ins Moos und fühle, wie die Natur dich umarmt.« Wer kleine Momente wie diese nutzen könne, sei ein glücklicher und damit auch ein schöner Mensch.

Auch wenn die Schönheit im Wesentlichen von innen komme, auf eines kann und will Guðrún aber nicht verzichten: ihren roten Lippenstift. Er ist zu ihrem Markenzeichen geworden. Auch nach dem Meditieren zieht sie ihn schnell wieder nach. Als die Bewohner der Snæfellsnes-Region sie anfangs noch nicht gut kannten, umschrieben sie Guðrún oft so: »Das ist die Frau vom Hotel, die immer roten Lippenstift trägt und die Menschen umarmt.« Mit so einer Assoziation kann sie gut leben. Die Isländerin hat stets ein Lächeln auf den roten Lippen und führt mich nun zur Bucht Dritvík, wo bei einem hohen Lavaausläufer vier runde Steine unterschiedlichen Gewichts liegen.

Fischer, die sich früher um einen Platz auf dem Boot in Dritvík bewarben, mussten zunächst ihre Kraft beweisen. Die Steine tragen Namen: 23 Kilo ist der Schwächling, 54 Kilo Brauchbarer, 100 Kilo ein Halbstarker und 154 Kilo ein Ganzstarker. Die Anwärter mussten mindestens den Brauchbaren bis zur Hüfthöhe auf einen Felsabsatz heben können, um mit an Bord sein zu dürfen. Auch heute noch gibt es in Island Wettbewerbe dieser Art. Kräftige Männer stemmen Steinkugeln, ziehen Lastwagen hinter sich her, das alles wird im Fernsehen übertragen. Die muskelbepackten Kerle können sich auch international messen, acht Mal wurde in den achtziger und neunziger Jahren ein Isländer »World's Strongest Man«. Das kleine Inselvolk kann sich aber nicht nur damit rühmen, die stärksten Männer der Welt zu haben, sie haben auch die schönsten Frauen. Drei Miss World kommen aus Island, zuletzt im Jahr 2005. Vielleicht verleiht ihnen ja auch das Bewusstsein, die schönsten Frauen und stärksten Männer zu haben, diese starke Aura.

Eigentümliche Basaltfelsen beim Fischerort Arnarstapi