Bankgebäude und Gefängnisse als »lustige Orte«

Da die Verfahren gegen die Wirtschaftswikinger noch laufen, ist bisher niemand bestraft worden. Der Ärger darüber entlud sich teilweise in Form von Vandalismus, so beschmierten Unbekannte Jeeps oder Häuser der Exbosse mit roter Farbe. Jón Gnarr kann seine Landsleute verstehen, er hält jedoch nichts von solchen Aktionen. »Die Wut darf dich nicht beherrschen«, sagt er. »Man muss sich über sie stellen und lustig machen.« Ähnlich wie bei einer Krebstherapie, bei der ebenfalls bewiesen sei, dass Humor die Behandlung positiv beeinflusse. Jón Gnarr hofft, mit seiner Arbeit das Krisentrauma zu lindern: Er ist der erfolgreichste Komiker Islands.

Das erste Mal treffe ich ihn im September 2009, er ist 42 Jahre alt, ein Radio- und Fernsehstar. Auf die Frage, wo wir uns zum Interview treffen wollen, sagt er: »Ich kenne da einen sehr lustigen Ort.« Schon von Weitem sieht man die glänzende Fassade des modernen Gebäudes. Wer das riesige Foyer betritt, schaut auf den rund zehn Meter hohen Wasserfall, der zwischen zwei Glasscheiben elegant nach unten fließt, an den Wänden hängen Arbeiten des Künstlers Ólafur Elíasson. Schick gekleidete Menschen sitzen auf schwarzen Ledersofas, plaudern miteinander und trinken entspannt ihren Milchkaffee.

Der Treffpunkt ist Zeichen von Jón Gnarrs schwarzem Humor, denn das Reykjavíker Gebäude ist die Zentrale der Kaupþing-Bank – jenem Kreditinstitut also, bei dem rund 34 000 Deutsche ihr Erspartes mit hohen Zinssätzen anlegten und deren Konten im Oktober 2008 eingefroren wurden. Die deutschen Kaupþing-Edge-Anleger bekamen später immerhin die Einlagen, wenn auch ohne Zinsen zurück, doch der isländische Staat war zu dem Zeitpunkt höher verschuldet als manches Entwicklungsland, und auch andere, zum Beispiel Briten und Niederländer, hatten Geld bei einer der drei großen Banken Islands angelegt, die zahlungsunfähig wurden.

Jón Gnarr in seiner Rolle als Georg vor dem Gefängnis Litla-Hraun

Das Vertrauen in die Banken und Politik ist seither verloren, Jón Gnarr hilft ihnen mit Humor über die Krise hinweg, etwa in seiner wöchentlichen Radiosendung, in der er als Kim Jong Il einen Anwalt in Benin anrief, der ihm in einer Spam-Mail 25 Millionen Dollar versprach. Der Komiker sagte, dies würde gut passen, da Island dringend Geld brauche, und gab dem Anwalt die echten Bankdaten einer der politischen Parteien.

Auch in der TV-Comedy ›Fangavaktin‹, die Jón Gnarr mitgeschrieben hat und in der er eine der drei Hauptrollen spielt, thematisiert er das Finanzdrama. In einer Folge sitzt der naive Ólafur Ragnar (der Name ist eine Anspielung auf den Präsidenten Ólafur Ragnar Grímsson) beim Arbeitsamt und bittet um Unterstützung. »Sie sind also arbeitslos?«, fragt die Beamtin. Er schaut verdutzt: »Nein, nein, ich habe einen Job, aber die Firma zahlt mir nichts.« Denn Ólafur Ragnar heuert mitten in der Finanzkrise als Immobilienmakler an, wird jedoch nur bei Vertragsabschluss honoriert. Jón Gnarr selbst verkörpert Georg Bjarnfreðarson, einen herrischen Kommunisten mit fünf Universitätsabschlüssen, der jede Chance nutzt, sich unbeliebt zu machen. An seiner Seite stehen unfreiwillig Ólafur Ragnar und der depressive Daníel.

Jón Gnarr in seinem Reykjavíker Bürgermeisterbüro

›Fangavaktin‹ ist bereits die dritte Staffel der erfolgreichsten Comedyserie Islands, die dem Sender Stöð 2 Rekordquoten einbrachte. Die erste spielte in einer Tankstelle, die zweite in einem abgelegenen Landhotel. Da Georg dort im Affekt die fiese Hotelchefin mit einer Bratpfanne erschlägt und Daníel die Schuld zuschiebt, spielt ›Fangavaktin‹ (übersetzt: Gefängnisschicht) im Knast. Die Serie dreht sich nicht nur um die drei gescheiterten Existenzen, sie ist auch ein bitterböses Porträt der Gesellschaft.

»Bei uns passieren gerade so viele absurde Dinge, da könnte ich täglich eine Radiosendung oder viele TV-Folgen füllen«, sagt Jón Gnarr (der eigentlich Jón Gunnar Kristinsson heißt, doch da seine Mutter »Gunnar« sehr schnell aussprach, klang es wie Gnarr; inzwischen hat er seinen zweiten Vornamen offiziell ändern lassen, so flexibel ist die Namenskommission heutzutage).

Der Komiker sitzt lässig auf einem der schwarzen Ledersofas im Kaupþing-Foyer. Unweit davon sind große Holztüren, hinter denen sich ein pompöser Vortragssaal mit 300 Sitzplätzen verbirgt. »Das musst du dir ansehen«, sagt Jón Gnarr und geht einfach rein. Jeder einzelne Platz ist ein eleganter Ledersessel mit aufklappbarer Armlehne, in der Steckdosen für Computer eingelassen sind. Er läuft nach vorne auf die Bühne, am Rednerpult gestikuliert er in absurden Herrscherposen; dabei wird er von einer Überwachungskamera gefilmt. Keiner stoppt ihn, schließlich ist er Jón Gnarr.

Eigentlich wollte er gemeinsam mit Freunden eine neue Serie über die Bankenbranche schreiben, doch dann gründete er im Winter 2009 zum Spaß eine Partei, »Besti Flokkurinn« (Die Beste Partei), und kandidierte bei den Reykjavíker Kommunalwahlen als Bürgermeister. Früher interessierte er sich nicht sonderlich für Politik, doch im Rahmen der Krise verfolgte er dann doch die Nachrichten. Ihm war damals langweilig, sagt er jetzt, Anfang Mai 2010, als ich ihn wiedertreffe. Er wollte zeigen, wie absurd Islands Politik im Großen und im Kleinen ist. Reykjavík hatte in vier Jahren vier Bürgermeister. Immer wieder waren innerparteiliche Streitereien der Grund für den Wechsel. Noch ist zu dieser Zeit Hanna Birna Kristjánsdóttir von der konservativen Unabhängigkeitspartei im Amt, die Menschen mögen sie und halten sie für eine gute Politikerin, aber Hanna Birna gehört der falschen Partei an – jener, die vor einigen Jahren die Privatisierungen ermöglichte, Klüngelwirtschaft betrieb und damit auch, nach Ansicht vieler Bürger, eine große Mitschuld an der Misere hat.

Anfangs dachten die Reykjavíker, Jón Gnarrs Kandidatur sei nur ein Scherz. Schließlich verspricht er, nur sich und seine Freunde zu bereichern, kostenlose Handtücher im Schwimmbad einzuführen, das Parlament bis 2020 von Drogen zu befreien und, ach ja, Reykjavík zu entschulden. Wie? Das werde man dann sehen! An diesem Freitag im Mai sind es noch knapp drei Wochen bis zur Wahl. In den Umfragen sieht es für den Satiriker und seine Partei gut aus, er könnte sogar die Mehrheit bekommen. Mittags schlendert der ungewöhnliche Kandidat über den Laugavegur, die Bummelmeile der Hauptstädter. Viele Passanten halten an, als sie den Komiker mit seinen rosafarbenen Luftballons sehen. Nur zu gern nennt Jón Gnarr ihnen noch mal die Punkte seiner Partei, manchmal gestikuliert er dabei wie damals am Rednerpult in der Kaupþing-Bank.

Wo immer er mit seinem Tross auftaucht, bleiben lächelnde Gesichter zurück. Auch wenn ihm nicht alle glauben, dass er es ernst meint, wenn er sagt: »Wir wollen eine kulturelle Revolution schaffen, das faule System aufbrechen.«

Egill Helgason von der Sendeanstalt RÚV, Islands bekanntester Fernsehkommentator (der früher so hart in der Fischfabrik arbeitete), beobachtet ebenfalls, dass die Spaßpartei im Laufe des Wahlkampfes immer seriöser wird. »Jón Gnarrs Partei würde keinen schlechteren Job machen als die anderen«, sagt er. »Man sollte die Leute von Besti Flokkurinn nicht unterschätzen.« Viele sind Künstler, auf Listenplatz zwei ist Einar Örn Benediktsson, Sänger der Sugarcubes, mit denen Björk einst ihre Weltkarriere startete. Björks beste Freundin Jóga ist die Frau des Spitzenkandidaten.

Die etablierten Parteien scheinen im Wahlkampf machtlos gegen die Späße des Komikers zu sein. Die Links-Grüne Sóley Tómasdóttir fragt, was aus den Kindern werden solle, wenn Besti Flokkurinn regiere, und handelt sich nur giftige Kommentare ein. Andere Politiker sind recht kleinlaut, weil Besti Flokkurinn wunde Punkte trifft, etwa mit dem Versprechen, offen korrupt zu sein. »Da ich es nicht bin, kann ich das auch versprechen«, sagt Jón Gnarr. Bei seinem Gang über den Laugavegur stoppt der Komiker vor einem ausgestopften Eisbären: ein ideales Fotomotiv für die anwesende Presse, denn die Partei verspricht dem Zoo von Reykjavík ein Eisbärengehege. Man solle doch mal versuchen, die Bären, die alle paar Jahre von Grönland auf Eisschollen nach Island angetrieben kommen, zu fangen, und sie nicht immer erschießen. Die Tierschutzverbände und der Zoodirektor stimmen ihm zu. Und schließlich hat der Knut-Effekt ja auch in Berlin funktioniert.

In anderen Ländern und zu anderen Zeiten würde eine Spaßpartei wie diese vielleicht zwei Prozent der Wählerstimmen gewinnen, doch auf der krisengeschüttelten Vulkaninsel waren die Bürger bereit für einen Neuanfang.

Und so wurde Besti Flokkurinn dann auch am 29. Mai 2010 mit 34,7 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft, die Unabhängigkeitspartei erreichte 33,6 Prozent, die Sozialdemokraten sanken auf 19,1 Prozent. »Ich war ein bisschen enttäuscht, dass wir nicht die absolute Mehrheit bekommen haben«, scherzte Jón Gnarr später.

Wie so oft steckt in seinen Antworten viel Ironie, aber auch ein Stück Wahrheit. Denn tatsächlich wäre ein Neuanfang ohne Koalitionspartner einfacher gewesen, andererseits sind er und seine Parteimitglieder Anfänger im Politzirkus. Im Juni 2010 bildete Besti Flokkurinn mit den Sozialdemokraten eine Koalition, die Zusammenarbeit klappt gut, denn so verschieden sind die Ansichten der beiden Partner gar nicht. Die Etablierten bringen die Erfahrung, die alternative Partei den Humor.

Nach einigen Monaten im Amt besuche ich Jón Gnarr an seinem neuen Arbeitsplatz. Viele Menschen wuseln um ihn herum, gleich hat er den nächsten Termin. Die Chance, dass ihm langweilig wird, ist heute minimal. Wer Reykjavík regiert, hat eine große Verantwortung, immerhin lebt der überwiegende Teil der isländischen Bevölkerung in der Hauptstadt, es gilt, etliche Probleme zu lösen: Viele Isländer sind verschuldet, die Arbeitslosigkeit stieg zwischenzeitlich von zwei auf fast acht Prozent. Ist es nicht beängstigend, jetzt all die Verantwortung zu haben? »Ja, ein bisschen schon«, gibt der Komiker zu. Doch er zieht das durch. Genau wie viele seiner Wahlversprechen, manche seien natürlich nur eine Provokation gewesen. Einen Eisbären möchte er schon gerne in den Zoo holen, dafür müsste allerdings erst ein Gehege gebaut werden, und dafür fehlt der Stadt momentan das Geld. »Aber wir haben ja auch versprochen, unsere Versprechen zu brechen.«

Jón Gnarr und seine Kollegen von Besti Flokkurinn wollen andere Politiker sein, sie nennen sich eine »anarcho-surrealistische« Partei, früher waren viele von ihnen Punks. Heute sind sie Politiker und Punks! Dann zitiert er Muminpapa, die nilpferdartige Zeichentrickfigur, die mit seiner Familie im finnischen Mumintal lebt und etwa fünfzig Zentimeter misst: »Du musst nicht groß sein, um mutig zu sein.« Der Neu-Politiker führt mich durch sein Büro, befreundete Künstler haben ihm Arbeiten und Karikaturen geschenkt, die ihn motivieren sollen. Sein Schreibtisch ist fast leer, am liebsten sitzt der neue Bürgermeister im zweiten Zimmer, das eigentlich als Besprechungsraum gedacht ist. Um einen Glastisch sind drei Ledersessel und eine Couch gruppiert, sein Laptop liegt auf einer Armlehne. Hier könne er gut nachdenken, sagt er. Von seinem Fenster aus blickt er direkt auf den Tjörnin, den beliebten See mit seinen vielen Wasservögeln. Zum Büro gehört auch ein großes Badezimmer samt Dusche. »Sie funktioniert aber nicht«, sagt er und stellt sich direkt darunter und dreht den Regler auf: »Siehst du, kein Wasser!« Ihm ist es egal, er braucht so etwas nicht, alles Elitäre ist ihm fremd.

Man merkt dem inzwischen 44-Jährigen an, dass er ein bisschen müde ist. Der Komiker beschrieb sich selbst mal als »seltsam, aber auf eine liebenswerte Art«. Das trifft es, er will etwas Gutes schaffen und ist doch manchmal überfragt mit all den Dingen, die er als Bürgermeister tun und entscheiden soll. Das gibt er in den Sitzungen gelegentlich offen zu. Anfangs schmunzelten die Reykjavíker darüber, mittlerweile greift die Opposition ihn hart an, auch einige Bürger wurden zeitweise ungeduldig. Besti Flokkurinn lässt sich nicht beirren, die Neulinge holen sich zu den jeweiligen Fachthemen Experten aus der Stadtverwaltung und der Universität, denen sie vertrauen. Am Ende treffen sie dann gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine Entscheidung. Jón Gnarr muss in vielen Meetings und in Ausschüssen sitzen, Sparpakete schnüren, Menschen entlassen und Steuern erhöhen. Das kostet viel Kraft. Zwei Mal in der Woche treffen sich die Abgeordneten und er in der Mittagspause zum Karate – es stärkt und verbindet. Sogar einige aus der Opposition sind dabei, nur Hanna Birna, seine Vorgängerin, nicht.

Problembewältigung in drei Schritten

  • Lies keine Zeitung und schaue nicht fern. Die meisten Probleme gibt es dann gar nicht mehr.

  • Sollten sie trotzdem noch da sein, erkläre sie für langweilig.

  • Und sind sie dann immer noch da, nimm ein Bad im zwei Grad kalten Wasser. Dann hast du mit Sicherheit ganz andere Probleme.

Beim Vorstellen des ersten Haushaltsentwurfes sprach Jón Gnarr darüber, dass er mit seiner Partei etwas Neues bieten will, das lustig, schön und frei von Wut und Bitterkeit ist. Und er betonte, wie wichtig Vergebung für eine Genesung sei. Damit bezog er sich auf die Politiker, die Island und Reykjavík einst in die Krise führten. »Sie haben viele Fehler gemacht, wir müssen daraus lernen, damit sie sich nicht wiederholen.« Doch sobald wir das akzeptiert haben, sollten wir über die Fehler auch lachen können, ergänzt der Punk-Bürgermeister.

Mehr Spaß, das versprach er auch im Wahlkampf und dafür sorgt der Komiker und Schauspieler meist bei seinen öffentlichen Auftritten selbst: So eröffnete er die Gay Parade als Drag Queen verkleidet, und er führte den »Guten Tag«-Tag ein. Damit möchte Jón Gnarr die Reykjavíker animieren, fröhlicher in den Tag zu starten. Um zu zeigen, wie das geht, stellt er ein Video ins Internet, in dem er auf unterschiedliche Art »Guten Tag« sagt. Und sollten sie es vergessen haben, kleben auf einigen Ampeln in der Innenstadt nun Smileys.