Weniger nachdenken, einfach machen

Nicht alle haben ihre Berufe tatsächlich erlernt. Wenn auf dem Land kein Tierarzt oder Ingenieur zur Stelle ist, muss man sich eben etwas einfallen lassen. Manchmal endet es im Chaos, oft geht es aber auch gut. Isländer haben keine Schranken im Kopf – sie legen einfach los, nach dem Motto: Wenn ich es nicht tue, macht es niemand. Der Dichter und Farmer Stephan G. Stephansson (1853  1927) schrieb dazu einen Vierzeiler, in dem es sinngemäß heißt: Ich war im Leben mein eigener Arzt, Rechtsanwalt, Pfarrer, Schmied, König, Lehrer, Karre, Pflug und Pferd.

Ganz so viele Jobs hatte Stella Guðmundsdóttir zwar nicht, trotzdem erweitert die heute 72-Jährige immer noch ihr Spektrum. Früher arbeitete sie als Lehrerin und war Schuldirektorin, heute ist Stella Hotelchefin, Köchin, Gärtnerin und »Königin des Fjords«. In Heydalur kaufte sie sich vor zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn Gísli einen Fjord, den sie vorher nie gesehen hatten. Freunde empfahlen die einsam gelegene Meeresbucht in den Westfjorden, in der sonst niemand mehr lebte; und die Fotos sahen auch vielversprechend aus. Also kauften sie das Land. Die ehemalige Schaffarm ist heute ein Hotel mit dreißig Betten. Das warme Wasser aus der Erde nutzen Mutter und Sohn fürs eigene Schwimmbad, das sich im alten Gewächshaus befindet. So können die Hotelbesucher direkt neben Himbeersträuchern und Apfelbäumchen baden.

Vor dem Gewächshaus hat Gísli mit Hilfe von dicken Lavasteinen einen dreigeteilten Hot Pot errichtet. Was fehlte, war nur noch eine Verbindung zur natürlichen Quelle Galtarhryggslaug. Die stammt aus dem 12. Jahrhundert und liegt am anderen Ufer des angrenzenden Flusses. Eigentlich wollte Gísli eine kleine Brücke darüberbauen, doch zwei Architekten, die zu Besuch waren, schlugen ihm vor, aus großen Steinen einen Weg zu schaffen. Der Mittvierziger überlegte für einen Moment, setzte sich dann hinter das Steuer seines Baggers und karrte riesige Brocken an – innerhalb von zwei Stunden war der Pfad fertig. Der Fluss wird die Steine im nächsten Frühjahr wieder fortspülen, aber dann baut Gísli eben einen neuen Weg.

 

Hotelchefin Stella hat nur selten Zeit, sich in der alten Quelle zu entspannen, die, wenn man ihr glauben soll, magische Kräfte hat. Die zierliche Frau geht leicht gekrümmt, ist aber sehr flink. Und so huscht sie den ganzen Tag durchs Hotel und kocht für ihre Gäste aus dem Lachs, den ihr Sohn frisch gefangen hat, ein köstliches Abendessen. Wenn Gísli nicht gerade etwas baut, bietet er Wander- und Kajaktouren an, organisiert Vogelbeobachtungen, vermietet Autos und macht Nordlichter-Touren. Und als wäre das nicht schon genug, sagt Stella: »Jetzt müssen wir uns noch überlegen, was wir als Nächstes machen möchten.«