Siebenunddreißigster Tag, 7. Oktober

Verzicht nimmt nicht. Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.
MARTIN HEIDEGGER

Siebenunddreißigster Tag, 7. Oktober

77,4 KILOGRAMM

Das Ende ist nah. Nicht meins! Das Ende des Fastens. Aber wer weiß …

Langsam dicke ich meine Schorlen und Gemüsebrühen an. Es kommt Farbe ins Glas. Ob ich jetzt dicke oder dünne Säfte trinke, ist so was von egal. Ich habe mir genug bewiesen. Es reicht. Natürlich halte ich jetzt noch durch. Mehr aber auch nicht.

Ich blicke angstvoll auf den Tag, an dem ich in einen Apfel beißen werde. Dann habe ich kein Ziel mehr. Dann kann ich zwar wieder essen, aber ich kann mich nicht mehr darauf freuen. Dann muss ich Eigenverantwortung übernehmen. Muss die Konsequenzen aus den 40 Tagen ziehen. Maßvoll sein, keinen weißen Zucker essen, kein Fleisch. Kaffee? Es ging ja auch ohne. Aber da sträube ich mich noch. Wenigstens Kaffee brauche ich, das verlangt mein Ego.

Wieso ist mein Ego eigentlich immer noch so aktiv? Hätte es nicht längst weggefastet sein sollen? Verlangen nach Kaffee – am 37. Fastentag. Das kann doch nicht wahr sein!

Vorsätze: keine Süßigkeiten bis Ende des Monats. Mal ein Stück Kuchen mit Gabi soll erlaubt sein. Außerdem ein Entlastungstag mit Abführen jede Woche Montag.

Nun habe ich sie, meine einsamen Tage. Ich sitze einfach nur da. Es macht mir nichts mehr aus, allein zu sein, nichts zu tun und zu beobachten. Fast ist es, als hätte ich nie etwas anderes gemacht.

Es gibt nichts zu berichten.

Schade, dass ich wieder essen muss.

Mache mir zur Feier des Tages – es gibt immer was zu feiern – einen Cocktail: 10 Prozent Buttermilch, 20 Prozent Biosaftmix, 70 Prozent Wasser. Köstlich. Himmlisch. Umwerfend. So langsam geht es wieder aufwärts, nachdem ich heute den ganzen Tag durchhing und zu nichts in der Lage war. Sogar mein Magen grummelt wieder.

Es ist später Nachmittag, und ich sitze entgegen aller Vorsätze im Büro, suche sinnlos nach alten Studienfreunden auf Facebook, verschicke Mails an Leute, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, gucke mir schöne Landschaftsbilder an und lasse mich vom Elektrosmog durchdringen.

Irgendetwas meint es gut mit uns allen. Sonst gäbe es nur das Nichts. Nur unser Ego macht die Welt schlechter, als sie ist.

Jeder zerrt an jedem. Ich kenne keinen, der seine Mitmenschen einfach so sein lässt, wie sie sind; andere einfach nur liebt, ohne etwas zurückhaben zu wollen. Alles ist Gezerre in dieser Nonstop-Gesellschaft: Ruhe ist Stillstand, Zufriedenheit verboten und Verbote sorgen für Ruhe. Und so drehen wir uns alle schön im Kreis und fressen uns gegenseitig auf.

Wenn Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhalten, dann bedeutet Fasten die Separierung von Leib und Seele. Da Körper, hier Seele. Verbunden, aber nicht eins. Wenn der Leib also separiert ist, kann ich dann Seelenfrieden finden? Und wer ist das Leidwesen, von dem wir sprechen? Ein Wesen zwischen Seele und Körper, das Leiden verursacht, Leiden fühlt, leiden lässt?

Ich bin nicht mehr nüchtern. Eher wie bekifft. Nur nüchterner.

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
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