Neunundzwanzigster Tag, 29. September

Friss oder stirb. Wer mit permanenter Fülle konfrontiert wird, sehnt sich nach Leere: nach einer Erlösung vom Zwang, alle Genussangebote akzeptieren zu müssen. Wer unaufhaltsam versorgt wird, beginnt nach Entzug zu streben. Daher ist es keineswegs verwunderlich, dass sich – gewissermaßen in Reaktion auf stets besetzte Supermarktregale – ein Typus alternativer Sinnstiftung etabliert hat: etwa in Gestalt pseudoasketischer Lebensweisheiten, die Verzicht und Enthaltsamkeit predigen.
THOMAS MACHO, Neue Askese? Zur Frage nach der Aktualität des Verzichts8

Neunundzwanzigster Tag, 29. September

81,7 KILOGRAMM

Arzttermin: Ich erstrample 400 Watt und hätte noch mehr machen können. Das hab ich selbst am wenigsten erwartet. Der Arzt ist sprachlos, das Ergometer habe noch nie 400 Watt angezeigt. Ich habe mich seit Fastenbeginn um 100 Watt gesteigert. Nach vier Wochen bringt mein Körper die Wattzahl eines Leistungssportlers.

Gehen wir mal davon aus, dass das Ergometer funktioniert: Ist das dann nicht der beste Beweis dafür, dass das Fasten eine Wohltat für den Körper ist? Auch vier Wochen Fasten haben meinem Körper offenbar nichts ausgemacht. Uralte Schlacken wurden ausgespült, nichts blockiert mehr den Energiefluss. Dieses Ergebnis ist überwältigend. Wäre da nicht auch bei Leistungssportlern zu überlegen, ob sie vor großen Wettkämpfen fasten sollten?

Wieder kommt eine Kollegin zu mir in mein Büro, setzt sich mitleidsvoll zu mir und fragt, wie es mir denn ginge. Sie gehört zu den Frauen, die häufiger vergessen, ihre Zähne zu rasieren. »Gut«, sage ich. »Und wie lange musst du noch«, säuselt sie mit geneigtem Kopf. Ich antworte, dass ich nicht mit ihr darüber reden wolle. Ich möchte mir auch keine Kommentare mehr übers Fasten anhören.

Nach meinem Ergometertest hatte ich natürlich Auftrieb erhalten. Die mitfühlende Kollegin guckt irritiert, täuscht Betroffenheit vor, blinzelt gütig, schnappt kurz nach Luft und trollt sich. Dass die Leute jetzt schon mit einer Miene in mein Büro kommen, als hätte ihr Wellensittich seine Federn verloren, empfinde ich als lästig und aufdringlich.

Fototermin: Wir stellen meine Aktivitäten während des Fastens nach. Fotos vom Meditieren sind ja eigentlich völlig sinnlos. Ich kann auf jeden Fall nicht meditieren, wenn mich jemand dabei zu fotografieren versucht. Jetzt gerade zucken Blitze über mein Tagebuch. Wir dokumentieren alles.

Ich liege wieder im Bett. Für einen Psychologen sähe es aus, als hätte ich Depressionen und würde deshalb ständig hier liegen. Aber das Bett ist zurzeit der schönste Ort. Hier friere ich nicht, es ist gemütlich, und ich kann schreiben und lesen. Dazu eine Kerze, eine ganz dünne Apfelschorle und die Welt ist in Ordnung.

Es dämmert, und ich weiß wieder mal nicht, wohin mit meiner Energie! Da vor unserer Scheune noch mehrere Raummeter Holz gehackt werden müssen, mache ich mich an die Arbeit. So fit wie heute war ich noch nie. Mein Körper dampft im Mondlicht. Nach fünf Raummetern höre ich auf.

Morgen ist der 30. September. Dann habe ich einen Monat ohne feste Nahrung zugebracht.

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
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