14. KAPITEL

An diesem Morgen möchte ich am liebsten nicht zur Arbeit gehen. “Ich sollte besser zu Hause bleiben”, sage ich zum scheinbar hundertsten Mal. “Der Junge wird sich zu sehr aufregen, wenn ich fortgehe.”

Krysia schüttelt den Kopf. “Du musst zur Arbeit gehen.” Ihr Blick wandert zu den Rosen, die nun in einer weißen Porzellanvase stehen. Offenbar ist sie besorgt, der Kommandant könnte argwöhnisch werden, wenn ich nicht im Büro erscheine.

“Also gut”, lenke ich schließlich ein. Trotzdem bleibe ich mit dem Mantel über dem Arm und dem Korb in der Hand weiter im Türrahmen stehen.

“Ihm geht es wieder gut”, versichert sie mir und beugt sich vor, um durch Łukasz’ Haar zu fahren. Beim Anblick seiner strahlenden Augen und der rosigen Wangen weiß ich, sie hat recht. Es ist so, als wäre er nie krank gewesen. Trotzdem verfolgt mich die Erinnerung an die letzte Nacht und an die Angst, ihn zu verlieren. Ich muss gegen den Wunsch ankämpfen, ihn an mich zu drücken und zu küssen, was ihn nur unnötig darauf aufmerksam machen würde, dass ich das Haus verlasse.

Schließlich wende ich mich ab. “Ich werde zeitig zurück sein”, versichere ich.

“Keine Sorge”, ruft Krysia mir nach. “Uns passiert schon nichts.”

Gerade noch erwische ich den Omnibus, der soeben vorfährt. Dennoch komme ich durch meine Trödelei zu spät ins Büro. Malgorzata sitzt schon an ihrem Schreibtisch und wirft mir einen verächtlichen Blick zu, als ich eintrete. Kaum habe ich meine Sachen hinter meinem Schreibtisch verstaut, geht die Tür zum Büro des Kommandanten auf, und Diedrichsen kommt ins Vorzimmer. “Der Kommandant hat nach Ihnen gerufen”, sagt er. Sieht er mich tatsächlich etwas seltsam an, oder bilde ich mir das nur ein? Vielleicht weiß er etwas. Aber ich habe jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken. Stattdessen nehme ich meinen Notizblock, streiche mein Haar glatt und wappne mich für die unausweichliche Konfrontation. Ich betrete das Büro des Kommandanten und sehe ihn seit unserer gemeinsamen Nacht zum ersten Mal wieder.

Er geht hinter seinem Schreibtisch auf und ab, dabei liest er einen Bericht. Ich wische mir die schweißnassen Handflächen am Rock ab und atme tief durch. “G-guten Morgen, Herr Kommandant”, begrüße ich ihn, wobei ich vergeblich versuche, meine Stimme nicht zittern zu lassen.

Abrupt bleibt er stehen und hebt den Kopf. Ein sonderbarer Ausdruck huscht über sein Gesicht, der mir bei ihm fremd ist. Ist es Wut? Oder Erleichterung? “Sie sind spät.” Seine Stimme hat keinen vorwurfsvollen Unterton.

Ich gehe auf ihn zu. “Es tut mir leid”, erwidere ich. “Aber ich …”

Er hebt eine Hand. “Sie müssen sich nicht entschuldigen. Es ist nur nicht Ihre Art, deshalb war ich besorgt, dass Sie …” Mitten im Satz bricht er ab und sieht weg, dennoch verstehe ich, was er sagen will. Er hatte Angst, ich würde nach dem, was zwischen uns geschehen ist, nicht zur Arbeit kommen wollen. Mit Erstaunen begreife ich, dass auch er nervös ist.

“Damit hat es nichts zu tun, Herr Kommandant”, erkläre ich rasch. Ich stehe jetzt neben seinem Schreibtisch, sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich kann seinen Geruch wahrnehmen, und es kostet mich all meine Kraft, die Erinnerung an die vorletzte Nacht beiseite zu drängen. “Es ist nur so, dass Łukasz krank war.” Sofort bedauere ich diese Worte, denn ich habe zu viel gesagt. Der Kommandant legt seinen Bericht zur Seite und nimmt meine Hand in seine.

“Wie geht es ihm? Ist es etwas Ernstes?” Er scheint wirklich in Sorge zu sein.

Ich muss schlucken. Mir fällt es schwer zu sprechen, solange seine warmen Hände meine Finger umschließen. “Danke der Nachfrage. Es geht ihm wieder gut. Es war ein Fieber, wie Kinder es schon mal bekommen.”

“Sie hätten mich benachrichtigen sollen. Mein Leibarzt hätte nach ihm sehen können.”

Genau deshalb habe ich Sie ja nicht benachrichtigt. “Das ist wirklich sehr nett”, erwidere ich und bete, dass er nicht darauf besteht, den Jungen dennoch untersuchen zu lassen. “Aber es war nicht nötig. Heute Morgen geht es ihm wieder bestens.” Ich ziehe meine Hand weg und deute auf den Tisch bei der Sitzgruppe. “Sollen wir den Terminplan für heute durchgehen?” Er nickt und folgt mir zum Sofa, wo er sich gleich neben mich setzt. Ich bespreche mit ihm die Termine sowie die Korrespondenz, die sich am Tag zuvor angesammelt hat. Als wir fertig sind, sehe ich auf und bemerke, wie eindringlich er mich betrachtet. “Wenn das dann alles wäre …?”, frage ich und senke meinen Blick.

“Ja, danke.”

Ich stehe auf und gehe zur Tür.

“Nein, Anna, warten Sie bitte noch einen Moment.”

Als ich mich zu ihm umdrehe, schweigt er sekundenlang. Es ist offensichtlich, dass er nach den richtigen Worten sucht. In dem Moment weiß ich, er möchte mich fragen, ob ich wieder mit ihm ausgehe. “Da wäre noch eine Sache …” Wieder gerät er ins Stocken. “Ich würde gern wissen, ob Sie heute Abend schon etwas vorhaben. Ich hatte mir überlegt, dass wir vielleicht zusammen essen gehen könnten.”

“Das würde ich liebend gern, Herr Kommandant, aber da sich Łukasz noch von der letzten Nacht erholt, möchte ich heute Abend lieber bei ihm sein.” Das ist keine Lüge. Außerdem schlage ich das Angebot schon deshalb aus, weil ich weiß, dass es nicht damenhaft ist, eine so kurzfristige Einladung allzu bereitwillig anzunehmen.

Er nickt. Sein Gesicht ist ausdruckslos und wirkt so, als überspiele er seine Enttäuschung. “Das kann ich verstehen. Dann vielleicht am Samstagabend?”

Ich stehe schweigend da. Ein Teil von mir will Nein sagen und gleichzeitig das, was vor zwei Nächten geschah, als einen einmaligen Ausrutscher abtun, als einen Fehler, der sich nicht wiederholen wird. Aber das bringt mich in meiner Mission keinen Schritt weiter. “Das wäre schön, Herr Kommandant”, antworte ich. “Vorausgesetzt, Łukasz erleidet keinen Rückfall.”

“Sehr gut. Ich werde am frühen Samstagnachmittag einen Boten zu Ihnen schicken, damit Sie ihm sagen können, ob Sie Zeit haben.”

Schließlich verlasse ich das Büro und kehre ins Vorzimmer zurück. Ich fühle mich von meinen Gefühlen hin und her gerissen. Ein Teil von mir hatte gehofft, der Kommandant würde unsere Nacht ebenfalls als eine einmalige Sache betrachten und sich nicht weiter um mich bemühen. Mir war jedoch klar gewesen, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Die Blumen und die Art, wie er mich ansieht, sprechen eine zu deutliche Sprache. Und obwohl ich es mir kaum eingestehen will, bin ich doch erleichtert, dass er mich wiederzusehen wünscht. Es hat nichts damit zu tun, dass es dich kümmert, was er von dir hält, versuche ich mir weiszumachen, als ich mich an meinen Schreibtisch setze. Du willst schließlich nur zurück in seine Wohnung, um nach den Informationen zu suchen.

Dass ich erneut mit dem Kommandanten ausgehe, bedeutet auch, mit Krysia über ihn reden zu müssen. Ich will das erledigen, sobald ich nach Hause komme. Doch als ich am Abend heimkehre, spielt sie mit Łukasz im Garten. Es ist ein wunderschöner Anblick, und ich kann mich nicht dazu durchringen, das Thema anzusprechen. Später, nach dem Abendessen und als der Junge im Bett liegt, folge ich ihr in den Salon. Sie setzt sich und nimmt den Pullover auf, den sie für Łukasz gestrickt hat. “Er sieht so gut wie fertig aus”, sage ich.

Sie hält ihn hoch und betrachtet ihn. “Ich glaube, ich werde noch einen Kragen ansetzen.”

Voller Unbehagen trete ich von einem Fuß auf den anderen. “Der Kommandant hat mich für morgen Abend wieder eingeladen.”

Krysia sieht mich ruhig an. “Ich verstehe.”

Ich blicke nach unten und betrachte interessiert meine Schuhspitzen. “Ich wollte es dich wissen lassen … es dir erklären …”

“Du bist mir keine Erklärungen schuldig”, unterbricht sie mich.

“Danke”, entgegne ich unbeholfen. “Aber mir ist es wichtig, dass du es weißt. Alek hat mich darum gebeten, er … er glaubt, es sei für die Bewegung wichtig.”

“Und was glaubst du?”

Ich zögere. “Ich glaube, ich habe keine andere Wahl”, sage ich und lasse mich zu ihr aufs Sofa sinken.

“Man hat immer eine Wahl, Emma”, widerspricht sie mir. “Wir müssen für unser Handeln Verantwortung übernehmen. Nur so können wir verhindern, dass wir zu Opfern werden, und nur so können wir unsere Würde bewahren.”

Würde. Welche Ironie. Ich habe meine Würde vor zwei Nächten in der Wohnung des Kommandanten verwirkt. Aber Krysia hat recht, was die Verantwortung angeht. Ich beiße mir auf die Unterlippe. “Dann entscheide ich, dass ich mich wieder mit ihm treffe. Für meine Eltern und für den Widerstand.”

Krysia legt eine Hand auf meine Schulter. “Ich weiß, diese Entscheidung fällt dir nicht leicht.”

“Glaubst du, es ist die richtige Entscheidung?”

“Diese Frage kannst nur du beantworten, niemand sonst”, erklärt sie, woraufhin ich seufze, mich zu ihr vorbeuge und ihr einen Kuss auf die Wange gebe. “Gute Nacht, meine Liebe”, sagt sie.

Ich sehe kurz nach Łukasz, dann gehe ich ins Badezimmer. Während ich mir das Gesicht wasche, muss ich über Krysias Worte nachdenken. Es ist meine Entscheidung, mich mit dem Kommandanten zu treffen, um auf diese Weise dem Widerstand zu helfen. Trotzdem komme ich mir nicht mutig, sondern schäbig vor. Dabei ist es nicht nur so, als würde ich Abscheu vor mir selbst empfinden, weil ich meine Ehe verraten habe. Hinzu kommt die unbestreitbare Tatsache, dass es mir zum Teil sogar Spaß gemacht hat. Aber selbst das wäre noch vertretbar, hätte es sich um nichts weiter als eine körperliche Reaktion gehandelt. Die hätte ich der Einsamkeit und der Tatsache zuschreiben können, dass ich meinen Ehemann seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe. Das wirkliche Problem ist die gegenseitige Anziehung, von der Krysia einmal gesprochen hat. Ein Teil von mir mag den Kommandanten sehr gern und liebt es, mit ihm zu reden und in seiner Nähe zu sein. Genau das macht diese Situation so unerträglich.

Am nächsten Tag kommt der Bote des Kommandanten vorbei und überreicht mir eine handschriftliche Einladung, um sieben Uhr mit ihm im Wierzynek zu speisen. Am liebsten würde ich absagen und ihn um einen weiteren Tag vertrösten, doch ich habe keine Ausrede: Łukasz geht es gut, und ich muss versuchen, so bald wie möglich an die Informationen heranzukommen, die Alek braucht. Also lasse ich ausrichten, dass ich Zeit habe.

Um viertel vor sieben kommt mich Stanislaw mit dem Wagen abholen und erklärt mir, dass der Kommandant dienstlich aufgehalten wurde und sich mit mir im Restaurant treffen wird. Allein auf dem Rücksitz des riesigen Automobils schaue ich gedankenverloren aus dem Seitenfenster. Während wir uns der Stadt nähern, frage ich mich, wie dieser Abend wohl verlaufen wird. Seit unserer ersten gemeinsamen Nacht habe ich den Kommandanten nur einmal in seinem Büro gesehen. Ich bin besorgt, dass unsere Unterhaltung von Verlegenheit geprägt sein wird.

Wenig später hält der Wagen vor einem prachtvollen Gebäude gegenüber dem Marktplatz. Der Kommandant wartet bereits an der Eingangstür zum Lokal auf mich. “Es tut mir leid, dass ich Sie nicht selbst abholen konnte”, entschuldigt er sich und führt mich hinein. Der Oberkellner nimmt meinen Mantel entgegen und bringt uns nach oben zu einem separaten Tisch auf einem Balkon, von dem aus man das ganze Restaurant überblicken kann. “Ich habe mir die Freiheit gestattet, für uns beide zu bestellen”, erklärt der Kommandant, während wir Platz nehmen.

Ich nicke und bin froh, dass ich mir nicht auch noch über die Auswahl der Speise Gedanken machen muss.

“Łukasz geht es besser?”, fragt er.

“Ja, danke.” Der Kellner kommt an den Tisch und bringt uns einen Aperitif. Nachdem er gegangen ist, hebt der Kommandant sein Glas. “Auf die Gesundheit.”

“Auf die Gesundheit”, wiederhole ich, hebe ebenfalls mein Glas und trinke einen winzigen Schluck. “Der schmeckt köstlich.”

Der Kommandant trinkt sein Glas in einem Zug leer. “Mir wäre mal wieder nach einem guten italienischen Rotwein. Waren Sie mal dort?”

“In Italien?” Ich schüttele den Kopf.

“Ein wunderbares Land.” Zwei Ober servieren uns silberne Tabletts und nehmen die Abdeckhauben hoch, darunter kommen Teller mit Räucherlachs zum Vorschein. Als die Kellner sich zurückgezogen haben, berichtet mir der Kommandant von einem Skiurlaub, den er als junger Mann zusammen mit einigen Freunden in den italienischen Alpen verbrachte. Er redet sehr schnell und verstummt immer nur dann, wenn er ein Stück Lachs isst oder von seinem Wodka trinkt.

Minuten später kehren die Kellner zurück, nehmen die Teller weg und stellen erneut zwei Tabletts mit Abdeckhauben auf den Tisch. Das Hauptgericht entpuppt sich als irgendeine Art Geflügel, dessen Geschmack nach Wild mir gar nicht zusagt. Ich esse nur wenig davon und bin froh, dass ich Krysias Haus nicht mit leerem Magen verlassen habe. Ob der Kommandant etwas von meinem Missfallen bemerkt, weiß ich nicht, zumindest kommentiert er es nicht, während er seinen Teller mit großem Appetit leer isst.

“Waren Sie danach noch mal dort?”, frage ich, nachdem der Kellner uns Wodka nachgeschenkt hat.

“Nicht in den italienischen Alpen”, antwortet er. “Aber in anderen Regionen Italiens. Rom, Florenz, Venedig.”

Mich erstaunen die Namen all dieser exotisch klingenden Orte, die ihm so leicht über die Lippen kommen. “Außerdem war ich in den französischen und den Schweizer Alpen”, fährt er fort. “Aber seit meiner Studienzeit war ich nie wieder in Turin.”

Ich lege den Kopf schräg. “Ich versuche gerade, Sie mir als jungen Studenten vorzustellen.”

“Oh, das ist schon lange her”, gesteht er lachend ein.

“Was haben Sie studiert?”

“Geschichte.” Mit der Serviette tupft er seinen Mund ab. “Aber das war, bevor …” Er schaut weg und trinkt wieder einen Schluck.

“Bevor was? Was hielt Sie davon ab?”

“Bevor mir keine andere Wahl mehr blieb.” Er macht eine kurze Pause. “Ich bin das mittlere von drei Kindern. Mein älterer Bruder Robert sollte das Familienunternehmen übernehmen. Als der Krieg ausbrach, gingen er und ich gemeinsam zur Marine.” Mir wird klar, dass er vom Großen Krieg redet. “Er fiel in der Schlacht von Jütland.”

“Das tut mir leid”, sage ich und lege eine Hand auf seinen Unterarm.

Er räuspert sich. “Danke. Er war ein tapferer Mann, und ich habe immer zu ihm aufgeblickt. Als Robert gestorben ist, fiel es mir zu, mich in das Familienunternehmen einzuarbeiten, damit ich es an seiner Stelle fortführen konnte. Ich bekam nie die Gelegenheit, mein Studium abzuschließen.”

Ich lehne mich zurück, ohne zu wissen, was ich entgegnen soll. Minutenlang essen wir schweigend weiter. “Wie hat Ihnen der Fasan geschmeckt?”, will er wissen, als der Kellner den Tisch abzuräumen beginnt.

“Köstlich”, lüge ich geradeheraus und hoffe, er sieht nicht, dass ich meinen Teller kaum angerührt habe.

Er wendet sich an den Kellner. “Bringen Sie uns zwei Tee. Einen mit etwas Weinbrand.”

Mit dem Tee bringt der Kellner einen Servierwagen mit einer unglaublichen Auswahl an Kuchen und Gebäck. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ich entscheide mich für einen deutschen Schokoladenkuchen, der Kommandant nimmt ein Stück Apfelstrudel.

“Wie schmeckt der Apfelstrudel?”, frage ich, nachdem er ein Stück probiert hat.

“Nicht schlecht”, antwortet er kauend und schluckt. “Aber nicht so gut wie der meiner Schwester. Sie ist mit einem Österreicher verheiratet, die beiden leben in der Nähe von Salzburg.”

“Stehen Sie beide sich nahe?”

Er nickt. “Ziemlich nahe, auch wenn ich sie das letzte Mal vor dem Krieg gesehen habe.”

“Vielleicht ist ja bald …”, beginne ich, breche aber ab, da ich mir nicht sicher bin, wie ich weitermachen soll. Ich wollte sagen, dass der Krieg bald zu Ende sein könnte, dann würde er seine Schwester wiedersehen. Doch irgendwie kommt es mir seltsam vor, von einem Kriegsende zu sprechen.

“Ich weiß, was Sie sagen wollen”, greift der Kommandant meinen Gedanken auf, während er in seinem Tee rührt. Ein kleiner Krumen Strudel klebt an seinem Kinngrübchen, den ich ihm am liebsten wegwischen würde. “Sie denken an das Kriegsende. Das ist schon in Ordnung, Anna. Es ist kein Zeichen von mangelnder Loyalität, wenn man sich wünscht, dass die Kämpfe ein Ende nehmen.” Er macht eine kurze Pause. “Sie müssen nicht darauf antworten, Anna. Ich bin kein Dummkopf. Ich weiß, wie die Polen über uns denken. Sie hassen uns. Beinahe kann ich das verstehen.”

“Ich bin auch Polin”, werfe ich ein. “Aber ich tue das nicht.”

“Sie meinen, Sie hassen mich nicht?” Er lächelt ein wenig. “Ja, das weiß ich. Und das ist der Punkt, den ich nicht verstehe.” Er hält inne und isst wieder ein Stück von seinem Apfelstrudel.

“Was ist mit den Juden?”, platze ich plötzlich heraus. Die Frage kommt wie aus dem Nichts aus meinem Mund geschossen, als hätte ein anderer sie an meiner Stelle gestellt.

Der Kommandant starrt mich an, seine Hand mit der Gabel verharrt auf halbem Weg zu seinem Mund. “Ich verstehe nicht. Was meinen Sie damit?”

Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Hätte ich doch bloß diese Frage nicht gestellt! Aber es ist zu spät, um noch etwas ungeschehen zu machen. Ich sehe in meine Teetasse. “Ich … ich hatte nur an die Juden im Ghetto gedacht. Was wird mit ihnen geschehen, wenn der Krieg vorüber ist?”

“Kennen Sie viele Juden, Anna?”, fragt der Kommandant in schneidendem Tonfall.

Ich schüttele hastig den Kopf. “Nur die, die ich vor dem Krieg in der Stadt gesehen habe, aber niemanden persönlich.”

Er räuspert sich. “Die Judenfrage wird gelöst werden, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen.” Er sieht zur Seite und winkt den Kellner an den Tisch, damit der die Rechnung bringt.

Mein Herz rast. Warum bin ich nur so dumm? Ahnt er jetzt etwas? Während er bezahlt, mustere ich sein Gesicht. Ihm ist nicht anzusehen, dass ich sein Misstrauen geweckt habe. Augenblicke später kommt der Oberkellner mit meinem Mantel und hilft mir hinein. Wir gehen nach unten und kehren zurück zum Wagen. Nachdem wir eingestiegen sind, wendet sich der Kommandant an mich. “Ich nehme an, Sie müssen zurück zu Łukasz.”

Ich antworte nicht sofort, und mir wird klar, dass er mich indirekt einlädt, mit zu ihm zu kommen. Ich muss es nicht machen, denn dafür hat er mir bereits die passende Ausrede mitgeliefert. Doch wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, würde alles hinfällig sein, was ich bislang vorbereitet habe. “Nein, das ist nicht nötig”, antworte ich und schüttele den Kopf. “Krysia ist bei Łukasz, ich habe es nicht eilig.” Der Kommandant lächelt flüchtig und beugt sich vor, um Stanislaw etwas zu sagen.

Bis wir in seiner Wohnung angekommen sind, sprechen wir kein Wort. “Möchten Sie etwas trinken?”, fragt er schließlich, als er mir den Mantel abnimmt und über einen Stuhl legt.

“Nein, danke.” Wir stehen ein wenig verlegen mitten im Wohnzimmer und sehen uns an. Es geschieht nichts Unerwartetes, das uns zusammenbringen könnte, sodass ich schließlich tief durchatme und einen Schritt auf ihn zu mache.

“Anna”, sagt er und breitet die Arme aus. Ich gehe noch einen Schritt weiter, bis er nach mir fasst. Wortlos gehen wir nach nebenan ins Schlafzimmer. Seine Umarmung ist zunächst noch zaghaft, doch dann berühren sich unsere Lippen, und es fühlt sich an, als wären wir schon tausendmal zusammen gewesen. Der Akt – wir lieben uns nicht, denn mit Liebe hat das für mich nichts zu tun – ist jetzt nicht mehr so fordernd wie beim ersten Mal, sondern von gemächlicher Leidenschaft geprägt. Irgendwann beginne ich, das Geschehen wie von außen wahrzunehmen. Plötzlich kommt es mir vor, als würde ich über uns an der Decke schweben und unsere Körper betrachten. Ich werde vom Kommandanten auf das Bett gedrückt, mein Gesicht ist verzerrt. Kehr zurück in deinen Körper, fordere ich mein Ich auf. Ich hasse mich für das, was ich zu sehen bekomme.

Dann ist es vorüber. Wenige Minuten später ist er eingeschlafen. Als ich ihn betrachte, wie er daliegt und gleichmäßig atmet, muss ich an Jakub denken. Wenn wir uns liebten, dann lagen wir anschließend noch stundenlang wach, schmiegten uns aneinander und unterhielten uns. Ich ermahne mich, froh zu sein, dass der Kommandant nicht so ist, sondern nach dem Akt einschläft. Es wird Zeit, die Gelegenheit zu nutzen, für die ich hergekommen bin.

Langsam und bedächtig steige ich aus dem Bett und schleiche auf Zehenspitzen durch die düstere Wohnung. Ich taste mich an der Wand entlang und finde den Eingang zu seinem Arbeitszimmer. Ich drücke die Türklinke hinunter und ziehe die Tür langsam auf, damit sie nicht knarrt. In dem dunklen Zimmer kann ich absolut nichts erkennen, aber ich wage auch nicht, Licht zu machen. Das ist doch sinnlos! Hier komme ich nur weiter, wenn ich bis zum Morgen bleibe und das erste Licht des Tages nutze. Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, bei ihm zu übernachten. Jedenfalls nicht heute Nacht. Ich muss zu Hause sein, wenn Łukasz am Morgen aufwacht. Ich schleiche zurück ins Schlafzimmer, ziehe mich leise an und verlasse die Wohnung. Unten vor dem Haus wartet Stanislaw noch immer mit dem Wagen. Ich ertrage es nicht, ihn anzusehen, als ich mich auf die Rückbank setze. Ob er sich denkt, dass etwas Unschickliches geschehen ist, kann ich nicht einschätzen. Zumindest lässt er sich nichts anmerken, sondern schließt hinter mir die Wagentür, steigt selbst ein und fährt mich nach Hause.

Nach diesem Tag läuft meine Beziehung mit dem Kommandanten nach dem immer gleichen Muster ab. Mehrmals die Woche lädt er mich zum Essen ein, obwohl ich mir vorstellen kann, dass er mich jeden Tag fragen würde, wäre da nicht seine Arbeit, die ihn von Zeit zu Zeit daran hindert. Die meisten seiner Einladungen nehme ich an, üblicherweise zum Abendessen, gelegentlich auch ins Kino oder ins Theater. Jeder dieser Abende endet in der Wohnung des Kommandanten. Einige Male bleibe ich bis zur Morgendämmerung, dann schleiche ich in sein Arbeitszimmer und suche nach den Unterlagen. Ich wage es aber nie, mehr als ein paar Blätter von dem einen oder anderen Stapel zu nehmen, weil ich fürchte, ich könnte ihn aufwecken. Bislang bin ich auf nichts Bedeutendes gestoßen. So verhält es sich über einige Wochen. Hin und wieder fragt mich Krysia um drei Ecken, ob ich mich mit Alek treffen muss, jedes Mal verneine ich. Ich weiß, für ihn und die anderen Mitglieder des Widerstands ist es schwieriger geworden, und sie können es nicht wagen, sich mit mir zu treffen, solange ich nicht etwas wirklich Wichtiges zu berichten habe.

An einem Freitagmorgen Anfang November sitze ich an meinem Schreibtisch und öffne die Post. Zuunterst im Briefstapel liegt ein beigefarbener Umschlag, in dem eine Karte steckt. Die Handschrift erkenne ich nicht, aber es ist eindeutig die einer Frau. Georg, steht auf der Karte geschrieben. Ich freue mich sehr auf die Gala am Samstag. Herzlichst, Agnieszka. Wie vom Blitz gerührt werfe ich die Karte auf den Tisch. Wer ist Agnieszka? Und wohin geht der Kommandant mit ihr? Ich schlage den Terminkalender auf, doch für den Samstag ist nichts eingetragen. Vielleicht liegt ein Irrtum vor. Andererseits hat er mich für diesen Abend nicht eingeladen, was er normalerweise tun würde …

In diesem Moment wird die Tür aufgerissen und Malgorzata kommt mit einem Aktenstapel hereingestürmt. “Die sind für …”, beginnt sie, während sie den Stapel auf meinen Schreibtisch legt, verstummt aber mitten im Satz, als sie meine Miene bemerkt. “Stimmt etwas nicht, Anna?”, fragt sie. “Sie sehen so blass aus.”

“N-nein, es ist alles bestens”, erwidere ich hastig und versuche, die Karte unter die andere Post zu schieben. Es fehlt mir noch, dass Malgorzata glaubt, ich sei um das Privatleben des Kommandanten besorgt.

Doch ich bin nicht schnell genug, und sie bekommt die Karte zu fassen. “Ah, die Baronin Kwiatkowska.”

“Agnieszka Kwiatkowska?”, frage ich. Die Kwiatkowskas sind eine bekannte Familie in Kraków, sie können auf eine adlige Abstammung zurückblicken.

“Ja, wie ich höre, hat die Baronin ein Auge auf unseren Kommandanten geworfen”, sagt Malgorzata, legt die Karte zurück und zwinkert mir zu. “Oh, seien Sie nicht traurig, Anna. Es ist doch selbstverständlich, dass der Kommandant mit einer wohlhabenden, kultivierten Frau wie Agnieszka Kwiatkowska ausgeht. Sie glauben doch sicher nicht, dass er sich mit dem einfachen Personal abgibt, oder etwa?”

“Nein, natürlich nicht”, erwidere ich noch, aber Malgorzata verlässt bereits lachend das Vorzimmer. Minutenlang starre ich die Karte an, dann stecke ich sie in den Umschlag zurück und lege ihn mit der anderen Post auf den Schreibtisch des Kommandanten. Den ganzen Morgen macht mir die Vorstellung zu schaffen, dass er sich mit einer anderen Frau trifft. Warum allerdings auch nicht?, überlege ich am Nachmittag zornig, während ich mich um die Ablage kümmere. Er ist ein sehr passabler Mann, alleinstehend, gut aussehend und mächtig. Dass er mit einer seiner Untergebenen schläft, tut dabei nichts zur Sache. Ich komme mir so dumm vor, weil ich geglaubt habe, es könnte ihm etwas bedeuten.

Als ich im Bus nach Chelm sitze, kehren meine Gedanken zum Kommandanten zurück. Er verabredet sich also mit einer anderen Frau. Mich sollte das überhaupt nicht stören. Ich bin nur mit ihm zusammen, weil es sein muss. Ich erfülle eine Mission der Widerstandsbewegung. Und es ist ja nicht so, als würde mich mein Ehemann betrügen. Vielmehr bin ich diejenige, die ihn betrügt, denke ich und lasse den Kopf zerknirscht gegen die kühle Fensterscheibe sinken. Ich betrüge Jakub mit dem Kommandanten, und der wiederum betrügt mich. Es ist ein Trauerspiel. Als ich den Bus verlasse, beginnt es zu regnen – große, schwere und kalte Tropfen, die von meinem Mantel und meinen Strümpfen aufgesogen werden. Das trübe Wetter passt genau zu meiner Stimmung.

Ich öffne das Gartentor zu Krysias Grundstück und stutze. Etwas stimmt nicht. Überall im Haus brennt Licht, aber die Vorhänge im ersten Stock sind zugezogen, obwohl sie üblicherweise ganz geöffnet bleiben. Hastig lege ich den kurzen Weg bis zum Haus zurück, da ich fürchte, Łukasz könnte wieder krank geworden sein. “Hallo?”, rufe ich, als ich die Haustür öffne. “Hallo?”

“Überraschung!”, begrüßt mich ein Chor aus Stimmen, ich zucke vor Schreck zusammen. Krysia, Łukasz und der Kommandant kommen um die Ecke gestürmt, Elrżbieta ist ein Stück hinter ihnen und hält einen mit Kerzen geschmückten Kuchen in der Hand. “Alles Gute zum Geburtstag!”, rufen alle. Ich starre sie an und versuche zu verstehen, was hier geschieht. Mein Geburtstag ist morgen, fällt mir ein. Es ist mein echter Geburtstag und auch der von Anna. Die Bewegung gab ihr mein Geburtsdatum, damit ich mich nicht vertue. Fast hätte ich diesen Tag vergessen, aber ich weiß, Krysia würde so etwas nicht durchgehen. Und der Kommandant ist auch hier. Eine Geburtstagsfeier, bei der das jüdische Kind, das wir vor den Nazis verstecken, die Tante meines Ehemanns, die uns einen Unterschlupf gibt, und eben jener Nazi zugegen sind, vor dem wir hier versteckt werden und der zudem noch mein Liebhaber ist. Das ist wirklich zu viel Ironie auf einmal.

“Danke”, bringe ich schließlich heraus. Plötzlich werden mir meine zerzauste Frisur und die mit Morast überzogenen Strümpfe bewusst.

Elżbieta kommt mit dem Kuchen nach vorn. “Haben wir Sie überrascht?”, fragt sie.

“O ja”, antworte ich und blase die Kerzen aus. Von einer Überraschung zu reden, grenzt an Untertreibung.

“Alles Gute zum Geburtstag, Anna”, sagt der Kommandant und kommt einen halben Schritt auf mich zu. Weder antworte ich, noch blicke ich ihm in die Augen. Im ersten Moment, als ich ihn hier sah, regte sich in mir ein wohlig warmes Gefühl, doch jetzt denke ich an seine Verabredung mit der Baronin. Natürlich ist er heute hier, denn morgen, wenn mein eigentlicher Geburtstag ist, wird er den Abend mit einer anderen Frau verbringen.

Łukasz setzt dem betretenen Schweigen ein Ende. “Ku!”, ruft er ausgelassen und streckt sich nach dem Kuchen.

“Nein, mein Schatz”, ermahnt ihn Krysia sanft und fasst seine Hände. “Erst müssen wir zu Abend essen.”

“Das Abendessen ist fertig”, lässt Elżbieta uns wissen. “Nehmen Sie doch schon mal Platz.”

“Komm, Łukasz.” Der Kommandant hält seine Hand ausgestreckt. Der Junge zögert und sieht zu dem riesigen Mann in Uniform auf, dann ergreift er dessen Hand. Mir schaudert. Alles in mir verkrampft sich, wenn ich sehe, wie der Sohn eines Rabbis sich bei einem Nazi festhält.

“Es tut mir leid”, flüstert mir Krysia zu, als wir ins Esszimmer gehen. “Er fand heraus, wann dein Geburtstag ist, und dann nahm er mit mir Kontakt auf. Mir blieb keine andere Wahl, als ihn einzuladen.”

Ich nicke. Sie kann nicht wissen, was mich in Wahrheit so aufregt. Warum macht er sich die Mühe, mir vorzutäuschen, ich sei ihm wichtig genug, um sich für meinen Geburtstag zu interessieren? Morgen um diese Zeit trifft er sich mit der Baronin und schert sich überhaupt nicht darum.

“Alles Gute zum Geburtstag, Anna”, sagt er abermals, nachdem wir Platz genommen haben. Ich antworte auch jetzt nicht, sondern wende mich ein wenig von ihm ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich seinen verständnislosen Gesichtsausdruck. Er weiß nicht, dass mir sein Termin mit der Baronin bekannt ist. Während des Essens schweige ich und überlasse es Krysia, die Unterhaltung zu führen.

Nach dem Abendessen serviert Elżbieta den Tee und meinen Geburtstagskuchen, einen safrangelben Napfkuchen. “Er schmeckt köstlich”, lobe ich ihre Arbeit, da ich weiß, wie teuer selbst für Krysias Verhältnisse Weizenmehl und Zucker sind. Krysia steht auf und kehrt gleich darauf mit zwei in Papier gewickelten Päckchen zurück. “Danke”, entgegne ich gerührt. Ich hatte gar kein Geschenk erwartet. Eines ist ein blassrosa Schal, den Krysia heimlich für mich gestrickt hat. Das andere Geschenk ist ein Objekt, das Łukasz aus mehreren Stöckchen zusammengesetzt hat. “Das ist ja wunderschön!”, rufe ich aus, gehe um den Tisch herum und drücke und küsse ihn. Er kichert und windet sich, um sich aus meinen Armen zu befreien.

“Es ist spät”, erklärt Krysia. “Ich bringe den Jungen besser ins Bett.” Sie steht auf und nimmt Łukasz auf den Arm. “Sag Gute Nacht, mein Schatz.”

Łukasz hebt seine Hand. “Slom”, kräht er.

“Was war das?”, fragt der Kommandant.

“Sabba slom”, wiederholt Łukasz. Ich werde vor Schreck starr. Er versucht Schabbat schalom zu sagen, den hebräischen Gruß zum Sabbat.

Der Kommandant dreht sich zu mir um. “Was soll das heißen?”

“Gar nichts”, erwidere ich rasch und werfe Krysia einen warnenden Blick zu. “Er plappert nur drauflos, weil er müde ist.” Schnell bringt Krysia den Jungen aus dem Zimmer, sodass der Kommandant und ich allein zurückbleiben. Wo hat Łukasz das nur gelernt?, überlege ich angestrengt. Ich habe in seiner Gegenwart nie ein hebräisches Wort gesagt. Er muss es früher bei seinen Eltern aufgeschnappt haben, und jetzt hat er sich daran erinnert. Sicherlich hat der Kommandant diese Worte nicht erkannt. Zwar mustere ich ihn aufmerksam, doch er macht keinen argwöhnischen Eindruck.

“Ich muss an die frische Luft”, erkläre ich und stehe auf, um auf den Balkon zu gehen. Der Kommandant folgt mir. Inzwischen hat der Regen aufgehört, die Wolken sind weitergezogen. Es ist eine wundervolle Nacht mit klarem Himmel, gesprenkelt von Tausenden von Sternen.

“Anna.” Er stellt sich zu mir. “Das ist für Sie.” Dabei zieht er aus seiner Tasche eine kleine verpackte Schachtel, die die gleiche Größe hat wie das Geschenk, das er mir am Abend des Besuchs in der Philharmonie überreichte.

“Das kann ich nicht annehmen”, gebe ich kühl zurück. Wieder lässt sein Gesicht diesen verletzten Ausdruck erkennen. “Es ist nicht nötig, einer Ihrer Untergebenen ein Geschenk zu machen.”

“Ich verstehe nicht”, sagt er. “Sind Sie wütend, dass ich hergekommen bin?”

“Es ist nur so, dass Sie Ihre Zeit vielleicht besser mit einer anderen verbringen sollten, die Ihnen ebenbürtig ist.”

“Einer anderen?”, wiederholt er ratlos. “Was reden Sie denn da?”

Ich atme tief durch. “Sie sollten das besser der Baronin Kwiatkowska schenken”, mache ich ihm klar und zeige dabei auf die Schachtel. “Sie wird es sicher mögen.” Verständnislos sieht er mich an. “Ich weiß von Ihrem Rendezvous morgen Abend.”

“Die Baronin?”, ruft er aus. “Ist es das, was Sie stört?”

Vergeblich warte ich darauf, dass er diesen Termin abstreitet.

“Anna, hören Sie. Die Baronin ist eine Cousine von Gouverneur Franks Ehefrau. Er hat mich um den persönlichen Gefallen gebeten, sie zu dieser Gala zu begleiten. Ich hätte Ihnen davon erzählt, aber ich hielt es nicht für wichtig. Ich wusste, ich würde Sie heute Abend sehen, und Sie sind ohnehin nicht dazu bereit, sich mit mir mehr als ein Mal an einem Wochenende zu treffen.”

Ich antworte nicht darauf. Die Erklärung ist zwar nachvollziehbar, dennoch fühle ich mich verletzt. Ein Rendezvous ist nun mal ein Rendezvous.

“Danke, dass Sie hier waren”, entgegne ich schließlich und mache ihm deutlich, dass es für ihn Zeit wird zu gehen.

Er gibt sich geschlagen und steckt die Schachtel wieder ein. “Gute Nacht, Anna. Und alles Gute zum Geburtstag.”

Ich sehe ihm nicht nach. Aber ich höre seine Schritte und die Haustür, wie sie wenig später ins Schloss fällt. Als Stanislaw den Wagen startet, schaudert es mir, und ich frage mich, ob ich soeben meinem Stolz erlaubt habe, meine Mission scheitern zu lassen, indem ich meine Beziehung zum Kommandanten beendet habe.