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Kapitel

Der 13. Sonnenmond verging rascher als die beiden vorherigen Tage. Abläufe spielten sich ein. Fenna musste nicht mehr so viele Fragen an die Festung stellen. Die Klippen links und rechts beunruhigten ihn weiterhin, aber er gewöhnte sich langsam an den Schatten, den sie wohlmeinend spendeten.

Den Vormittag über hielt er seine Männer mit einfachen Leibesertüchtigungen auf Trab. Obwohl den meisten von ihnen der gestrige Eilmarsch noch in den Muskeln steckte, verlangte Fenna ihnen Liegestützen, Kniebeugen, Sprünge, Klappscheren und Rumpfbeugen in beachtlicher Anzahl ab. »Ziel des Spieles ist es«, sagte er gut gelaunt, »dass Behnk so schlank wird wie Nelat.«

»Aber, Leutnant«, ächzte »Scheusal« Kertz, »das kann doch niemals klappen! Bis Behnk so aussieht wie Tadao, sieht Tadao schon wieder ganz anders aus, nämlich so kräftig wie Sensa!«

»Dann ist das Ziel des Spieles eben, dass alle am Ende aussehen wie Sensa MerDilli«, sagte Fenna schmunzelnd. MerDilli gefiel diese Vorstellung sichtlich, er ließ extra seine Muskeln spielen. Die anderen lachten. Fenna hatte nichts dagegen einzuwenden, dass in seiner Kompanie gelacht wurde. Das Leben in Gestalt der Affenmenschen würde schon noch früh genug für Ernsthaftigkeit sorgen.

Als die anderen zum Essenfassen gingen, passte Fenna Nilocas Deleven ab. »Auf ein Wort unter vier Augen in meinem Quartier, Deleven.« Der Klippenwälder folgte ihm, ohne zu murren. Als sie in dem kleinen, muffigen Raum angekommen waren, bot Fenna Deleven den Schemel zum Hinsetzen an. Deleven nahm wohl nur deswegen Platz, weil er dieses Angebot als Befehl auffasste.

»Heute um Mitternacht werdet ihr alle vereidigt«, begann der Leutnant. »Mir ist klar, dass ich eigentlich kein Recht dazu habe, in der Vergangenheit meiner Untergebenen herumzuwühlen. Wenn es keine triftigen Gründe gibt, die einen Dienst in der Armee der Königin unmöglich machen, ist die Vergangenheit jedes Einzelnen ohne jegliche Relevanz. Aber irgendwie liegt dieser Fall hier anders. Man hat mich damit beauftragt, eine Kompanie aus Männern zu formen, die nicht unbedingt ideales soldatisches Material darstellen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Seit dem fehlgeschlagenen Affenmenschenfeldzug herrscht Knappheit an verfügbaren jungen Frauen und Männern. Also bin ich gezwungen, ein bis anderthalb Augen zuzudrücken. Aber ich wüsste gerne, woran ich bin. Vor der Vereidigung. Bevor es zu spät ist. Kannst du das verstehen, Deleven?«

»Ja, kann ich, Leutnant.«

»Ich glaube, dass du mir bei diesem Kommando keine Schwierigkeiten bereiten wirst. Du scheinst mir bislang sogar der Zuverlässigste und Verlässlichste von allen zu sein. Aber wenn ich dich und deine Fähigkeiten richtig einsetzen soll, muss ich wissen, womit ich es zu tun habe.«

»Also was wollt Ihr wissen, Leutnant?«

»Deinen Klippenwälder-Rang als Schwertmann.«

Nilocas Deleven zögerte jetzt nur noch kurz. Es schien Fenna, als würde es den Klippenwälder erleichtern, endlich auspacken zu können. »Ich bin Schwertmann Vierter Rang. Aber ich bin nicht stolz darauf.«

»Vierter Rang?«, schnappte Fenna. »Aber … dann musst du ja schon mehr als hundert Menschen getötet haben!«

»Das kommt hin. Ich bin mit Malk Falanko geritten.«

»Mit Malk Falanko? Das ist doch schon mehr als zwanzig Jahre her!«

»Ziemlich genau zwanzig Jahre. Ich war siebzehn, als ich zur Bande stieß. Als ich neunzehn war, haben sie ihn dann geschnappt, und es war vorbei.«

»Hundert Menschen? In nur zwei Jahren?«

Deleven hielt den Blick gesenkt. »Wenn man … jeden Tag einen Menschen tötet, kommt man in zwei Jahren auf über siebenhundert. Es gab einige Tage, an denen wir niemanden umbrachten. Aber dann wiederum gab es Tage, an denen waren es … zehn? Zwanzig? Ich habe irgendwann zu zählen aufgehört. Ein anderer Klippenwälder aus der Bande hat mir den Vierten Rang zugesprochen und dabei schallend gelacht.«

»Und wie kommt es, dass du noch am Leben bist?«, erkundigte sich der Leutnant.

»Ich habe Glück gehabt. Oder Pech, wie man’s nimmt. Viele Jahre lang habe ich mich in den Klippenwäldern verborgen gehalten. Dann, im Jahre 678 n. K., kam unsere jetzige Königin Thada an die Macht und hat eine Generalabsolution ausgesprochen für alle Verbrechen, die länger her sind als zehn Jahre. Die Nachricht davon erreichte uns in unserem Versteck. Falankos Tochter war bei mir, eine sehr schöne junge Frau. Wir hatten eine … Beziehung. Sie war noch ein Kind gewesen, als ihr Vater mit Feuer und Schwert über die Dörfer kam. Aber sie schäumte vor Wut über diese Absolution. Sie wollen das Andenken meines Vaters ausradieren, sagte sie. Indem sie seine Taten für null und nichtig erklären, tun sie so, als wäre das alles nie geschehen. Als wäre mein Vater niemals der König der Kjeerklippen gewesen! Ich war anderer Meinung. Ich war jetzt Mitte dreißig und hatte einen Großteil meines Lebens als Geächteter in einer Erdhütte verbracht. Dies ist unsere letzte Chance, sagte ich. Wir können rausgehen und die Welt sehen. Aber sie lachte nur. Einen Mond später verließ sie mich, sammelte sich eine kleine Bande zusammen, ließ sich eine besonders hübsche Ritterrüstung schmieden und macht seitdem als Ritterin den Norden unsicher. Ich dagegen bereiste den Kontinent.«

»Ihr besaßt offensichtlich noch Reste von Falankos Beute.«

»Ja. Er hat vieles in den Klippenwäldern vergraben von dem, was er erbeutet hat. Ich war ja nur die letzten beiden Jahre bei ihm, kannte also nur die Verstecke aus diesen siebenhundert Tagen. Aber das genügte, um uns jahrelang leben zu lassen.«

»Und dann? Was führt dich jetzt in die Armee?«

»Das kann ich mir selbst nicht so ohne Weiteres erklären. Ich bin in Skerb gewesen, wo die Menschen einfach tun und lassen, wonach ihnen der Sinn steht, und sich schlimmer betragen als das mörderischste Tier. Skerb ist die Stadt, die den Traum des Malk Falanko auslebt. Und es ist scheußlich. Mir wurde klar, dass die Absolution der Königin mir das Recht einräumte, die Seiten zu wechseln. Gutes zu tun, anstatt Schrecken zu verbreiten. Ich wollte mich bei der Skerber Stadtgarde bewerben, aber es gab gar keine mehr. Die Garde war ein munterer Bestandteil des allgemeinen Mordens und Hurens geworden. Dann wurde überall im Land der Affenmenschenfeldzug zusammengetrommelt. Ich wollte mich melden, aber es nahmen mehr als fünfzig Magier an diesem Feldzug teil, und ich kann mir nicht helfen: Ich misstraue und fürchte Magie. Ich hatte ein ausgesprochen schlechtes Gefühl bei diesem Feldzug, und es sieht fast so aus, als hätte mein Gefühl mich nicht getrogen. Stattdessen suchte ich eine Garnison, in der es keine Magier gibt. Die Festung Carlyr ist so eine Garnison.«

»Chlayst auch. In Aldava dagegen gibt es Magier und Sonderermittler an jeder Straßenecke.«

»Ja, ich war auch in der Hauptstadt, aber nur kurz. So etwas ist nichts für mich. Magier verformen die Luft, das Licht, das Leben selbst. Es ist nicht natürlich, und ich denke auch, es ist nicht richtig. Die Festung Carlyr jedoch gefällt mir. Unsere Dritte Kompanie gefällt mir, Leutnant. Die Jungs haben das Herz am richtigen Fleck.«

»Das scheint mir auch so. Und ich gehe davon aus, dass es ratsamer ist, wenn niemand von deiner Vergangenheit weiß.«

»Ja. Selbst wenn keiner von ihnen aus den Kjeerklippen stammt – der eine oder andere mag doch Angehörige dort gehabt und vor zwanzig Jahren während Malk Falankos Schreckensherrschaft verloren haben. Böses Blut ist keine gute Grundlage für eine Kompanie.«

»Sicher nicht. Ich danke dir jedenfalls für deine Offenheit. Ich weiß jetzt, woran ich bin. Und nun geh essen.«

»Jawohl, Leutnant.« Deleven erhob sich, grüßte und verließ das Zimmer.

Fenna betrachtete noch kurz das Gemälde mit der Wiese. Es zeigte einen Sommer ohne Schatten und Trockenkeit. Es war vollkommen.

Diesmal ging er nicht in der Mannschaftsmesse essen, sondern besuchte zum ersten Mal die Offiziersmesse. Dort herrschte gähnende Leere. Platz war für zehn Offiziere, aber lediglich Hobock & Sells waren anwesend. Oberst Jenko nahm sein Essen wohl am liebsten im Büro zu sich, Hauptmann Gollberg war erneut im Einsatz, und das Erste Bataillon war futsch.

Fenna setzte sich zu Hobock & Sells. Das Essen war deutlich besser als das der einfachen Soldaten, das Fleisch enthielt weniger Fett, als Gemüse gab es erlesene Bohnen und abschließend als Dessert sogar eine quarkhaltige Süßspeise.

Viel zu besprechen gab es nicht zwischen den Leutnants. Alle löffelten ihren Quark.

»Heute Nacht wird vereidigt, oder?«, fragte Leutnant Hobock beiläufig.

»Ja. Meine Jungs sind schon ganz aufgeregt.«

»Unsere Jungs und Mädchen werden in Formation anwesend sein. Das verleiht dem Ganzen noch mehr Offizialität, falls ein solches Wort überhaupt existiert«, sagte Sells lächelnd.

Fenna erwiderte das Lächeln. »Das ist sehr nett von euch. Bei Gelegenheit werden wir uns mal revanchieren.«

Fenna stattete dem im Lazarett liegenden Yinn Hanitz seinen obligatorischen Besuch ab. Hanitz schlief jedoch, und auch Ilintu tat sehr geschäftig. Fenna verdrückte sich also wieder.

Den Nachmittag über ging er mit seiner Kompanie »spazieren«, wie er das nannte. Ein zügiger Marsch mit Gepäck, aber ohne Klettereinlagen. Niemand sollte sich verletzen, niemand – wie Ekhanner gestern – unkontrolliert durch die Gegend rollen. Es war wichtig, dass zur Vereidigung alle vollzählig waren und auch körperlich in einem Zustand, der sie nicht vor Erschöpfung und Müdigkeit umkippen ließ. Fenna marschierte mit ihnen, ohne sie dabei durch Lement beurteilen zu lassen. Er ließ sie in sieben Zweierreihen marschieren, in zwei Siebenerreihen, in vier Dreier- und einer Zweierreihe, in drei Vierer- und einer Zweierreihe. Er beobachtete, wie sie sich zueinander verhielten. Die drei offensichtlichen Problemfälle Behnk, Kertz und Teppel waren erstaunlich gut in die Gruppe integriert, Behnk aufgrund seiner ansteckend fröhlichen Art, Kertz wegen seiner rotzfrechen und sich gerne selbst auf die Schippe nehmenden Haltung, und Teppel war einfach viel zu ruhig und bescheiden, um irgendjemanden eine Angriffsfläche zu bieten. Auch Tadao Nelat und Jovid Jonis wurden nicht gehänselt und drangsaliert, wie das in härteren, männerbündischeren Soldatenkorps mit Sicherheit der Fall gewesen wäre. Fennas Grünhörner hänselten nicht – weil jeder von ihnen insgeheim froh darüber war, nicht selbst Zielscheibe von Spott und Häme zu sein.

Dafür standen allerdings zwei der Leistungsfähigsten heraus wie zwei nicht eingeschlagene Nägel: Gerris Resea und Garsid. Beide gaben sich überhaupt keine Mühe, Teile des Ganzen zu werden. Resea schien alle anderen Grünhörner für unter seiner Würde zu halten. Garsid dagegen hatte keine Probleme mit den anderen Menschen, dafür aber echte Schwierigkeiten mit dem Empfangen und Ausführen von Befehlen. »Das wird noch heiter werden«, dachte Fenna besorgt, »wenn es erst mal richtig uniformiert und soldatisch zugeht.« Er sah Resea und Garsid als potenzielle Dauerinsassen des Festungsgefängnisses, und das war schade. Das wäre reine Vergeudung. Das galt es zu verhindern.

Sie kehrten zur Festung zurück. Der Abend senkte sich mildernd über die schwelende Wüstenei.

Da die Schneidermeisterin noch nicht fertig war mit den Uniformen, ging Fenna mit seinen Männern zum Zeugmeister, um Waffen auszusuchen und in Empfang zu nehmen. Der Zeugmeister war ein bärtiger, brummiger Hüne mit erstaunlich behaarten Schultern. Er sah aus, als würde in seinen Adern Affenmenschenblut fließen. Die Männer bekamen Säbel und Dolche und mussten alles quittieren. Fenna suchte die Waffen aus, unterstützt durch den Kennerblick von Deleven.

Garsid trat zu ihnen. »Ich möchte lieber mein Schwert behalten. Ich kann damit viel stärker austeilen als mit einem Matronensäbel.«

»Das kann schon sein«, sagte Fenna, »aber in einer Armee haben nun mal alle dieselbe Ausrüstung.«

»Und wozu soll das gut sein? Wenn man dann schwächer ist als vorher?«

»Du wirst nicht schwächer sein als vorher. Denn du wirst dreizehn Flügelmänner und einen Leutnant haben, die dich unterstützen. Du wirst im Kampf Dinge tun können, zu denen du alleine niemals fähig wärst.«

Garsid schnaubte nur und wollte sich abwenden, doch Fenna hielt ihn an der Schulter zurück. Garsid betrachtete die Hand, die ihn festhielt, mit großem Interesse. »Was war es eigentlich, das dir dazwischenkam?«

»Hä?«

»Vorgestern, bei der Vorstellung, hast du gesagt, du wolltest zum Feldzug, aber dann ist dir etwas dazwischengekommen.«

»Ach so. Meine Frau.«

»Du bist verheiratet?«

»War ich. Meine Frau hat ein Kind bekommen. Von einem anderen. Ich habe ihr bei der Geburt geholfen, deshalb konnte ich nicht weg. Ich war ihr das schuldig, wegen des Eheversprechens und so. Mehr muss ich aber nicht für die Hure und den Bastard tun. Jetzt kann sie sehen, wie sie alleine klarkommt.«

»Und der andere?«, fragte Deleven beiläufig. »Hast du ihn umgebracht?«

»Aber das wäre doch … ungesetzlich, oder?«, fragte Garsid mit gespielter Empörung, riss sich dann los und verzog sich mit seinem Säbel in einen anderen Bereich der Rüstkammer.

Fenna wechselte einen raschen Blick mit Deleven, doch der hatte schließlich auch schon mehr Männer auf dem Gewissen als die gesamte Chlayster Stadtgarde. Der Leutnant verfluchte seinen Befehl. Ihm fiel jedoch auf, dass es mindestens zwei Tage her war, dass er seinen Befehl das letzte Mal verflucht hatte.

Mehrere der Männer hatten noch niemals zuvor eine anständige Klinge in Händen gehalten und schwenkten diese nun gefährlich hin und her. Fenna musste dazwischengehen, sonst hätte es bei munteren Scheingefechten noch Tote gegeben. »Ich will, dass ihr eure Waffen in den Scheiden lasst. Die ganze Zeit über, bis heute um Mitternacht. Auch während der Vereidigung werden keine Faxen gemacht. Danach konfisziere ich das Zeug wieder, so lange, bis jeder von euch mir bewiesen hat, dass er in der Lage ist, mit einem Säbel umzugehen.«

»Was ist mit den Schilden, Leutnant?«, fragte Fergran von den Holtzenauen.

»Die haben nämlich das Wappen der Festung Carlyr!«, vervollständigte Ellister Gilker Kindem begeistert.

»Ihr sollt alle Schilde bekommen«, erläuterte Fenna. »Aber auch nur für heute Nacht zur Vereidigung. Danach muss auch der Umgang mit einem Schild geübt werden, sonst bricht man sich nur den Arm mit einem solchen Ding.«

Irgendwann waren alle Männer ausgerüstet. Fenna fühlte sich schweißgebadet.

Er ging mit ihnen auf den Hof und übte mit ihnen das Strammstehen mit Schild und Bewaffnung. Die Dunkelheit wurde immer tintiger und ballte sämtliche Gesichter zu Fäusten zusammen.

Irgendwann rief dann Schneidermeisterin Klejahn die Kompanie zu sich. Der Trubel begann von Neuem, diesmal mit lauter halb nackten Gestalten.

»Meine passt mir bestimmt nicht, ich habe seit gestern doch bestimmt schon wieder abgenommen!«, johlte Alman Behnk lachend.

»Die ist aber nicht so schön wie meine Trachtenjoppe«, maulte Mails Emara.

»Spröde wie Papier, dieses Leder«, bemängelte Sensa MerDilli.

»Uah, darin kann man sich ja kaum bewegen«, ächzte auch Tadao Nelat.

»Schwachköpfe«, haderte Gerris Resea.

Fenna verfluchte seinen Befehl.

Aber immerhin hatte die Schneidermeisterin ganze Arbeit geleistet. Mit hochrotem Gesicht nestelte und zurrte sie auch jetzt noch an den Männern herum, bis die letzte Uniformrüstung saß. Auch Fenna wurde derart neu eingekleidet, aber die Uniformen der königlichen Armee waren überall auf dem Kontinent identisch. Das vertraute hellblaue Armeehemd, das vertraute wattierte, ebenfalls hellblaue Wams mit den golden getönten Schließen. Die goldbraunen Hosen – aus dem Material, das man Barchent nannte –, welche in knöchelhohem Schuhwerk steckten. Der dunkelbraune Hartlederkürass mit seinem Kronenornament und dem Leutnantsemblem. Das neue, verschnörkelte »C« neben diesem Emblem. Ein neuer Helm aus mattgoldenem Metall – das in der Sonne nicht so hell und weithin glänzte –, ebenfalls mit einem klein an der Seite verstecktem »C«. Der Helm bedeckte lediglich Schädelplatte und Stirn und wurde mit einem ledernen Gurt unterm Kinn festgezurrt. Alles fühlte sich noch rau und steif an, aber auch stabil. Als Waffen behielt Leutnant Fenna seine alten aus Chlayst, aber die Scheiden – aus Holz mit Lederüberzug – trugen das Chlayster Perlenwappen anstelle des Carlyr-»C«s und mussten deshalb ausgetauscht werden. Auch der Schild – rund, aus mit Leder vernageltem Regenwaldhartholz und mit zwei Armschlaufen an den Innenseiten – zeigte das »C« an der Innenseite. Fenna war nun äußerlich ein Carlyrer.

»Puh, ist das heiß in dieser Rüstung«, jammerte Behnk. »Für den Sommer ist das ja gar nichts!«

»Das ist eine Sommerrüstung«, erläuterte Fenna geduldig. »Im Winter bestehen die Hosen aus dicker Wolle, die Schuhe werden zu Stiefeln, unter das Wams kommt noch ein langärmeliges Leinenhemd, in den Helm wird eine Zwischenmütze eingenäht und über der ganzen Rüstung trägt man einen blauen, an den Schultern befestigten Mantelumhang. Das ist also noch gar nichts.«

Die Männer machten Knie- und Rumpfbeugen, um sich an das neue Material zu gewöhnen. Nur fünf von ihnen sahen restlos zufrieden aus: Bujo Stodaert, Breff Adirony Teppel, Ildeon Ekhanner, »Scheusal« Kertz und Ellister Gilker Kindem. Alle anderen waren mäkelig. Der Leutnant war wieder kurz davor, seinen Befehl zu verfluchen, aber erneut fiel ihm etwas auf: Die Kinder aus seinen Träumen waren verdrängt worden durch Behnk und Jonis und das »Scheusal«. Behnk und Jonis und das »Scheusal« zeterten, spotteten, patzten, mühten sich und lachten auch einmal. Die Kinder hatten nicht mehr lachen können.

Abermals führte Fenna seine Männer auf den Hof, damit sie dort das Strammstehen in voller Rüstung üben konnten. Sie lernten die Waffen zu präsentieren, ohne sich zu schneiden. Sie lernten, einen geraden Rücken zu machen und den Schildarm so durch die Schlaufen zu führen, dass der Schild nicht polternd herabfallen konnte. Sie lernten, Geduld und Ruhe zu bewahren und auch einmal ohne zu schnattern oder zu plappern stillzustehen.

Um sie her herrschte Dunkelheit. Der Hof war nur auf das Nötigste beleuchtet.

Aber als es dann auf die Mitternacht zuging, erschien die Zweite Kompanie von Hobock & Sells und schmückte den gesamten Innenraum der Festung Carlyr mit lodernden Fackeln. Eine feierliche Atmosphäre begann sich aufzubauen. Die Grünhörner fingen vor Spannung an zu beben.

Die Zweite Kompanie nahm Aufstellung. Leutnant Hobock instruierte Leutnant Fenna, wo die zu Vereidigenden sich aufstellen sollten. Fenna dirigierte seine Männer vor die Führung & Leitung. Dann erschien Oberst Ibras Jenko im vollen Ornat seiner Orden und Verdienstplaketten. Die Grünhörner präsentierten auf Fennas Wink hin ihre Waffen, ohne sich zu schneiden.

»Männer!«, rief der Oberst, sodass es vom Hauptturm der Festung widerhallte. »Im Namen der Königin und im Namen der Festung Carlyr möchte ich euch in der Armee willkommen heißen. Die Vereidigung ist, nun ja, keine große Sache, aber dennoch wird euer Leben nachher ein anderes sein. Werdet nicht mehr nur an euer eigenes Wohl oder das eurer unmittelbaren Familie zu denken haben – der ganze Kontinent wird euch zum Schutze übergeben! Also sprecht mir nach, den feierlichen Eid der königlich kontinentalen Armee. Ich gelobe« – mit rauen Stimmen deklamierten die Grünhörner den Eid in wohldosierten Abschnitten – »der Königin Treue zu wahren und mich ihrer Gunst, ihrer Farben und ihres behütenden Kronenwappens wert zu erweisen. Ich gelobe, für die Belange des Kontinents einzustehen mit meinem Blut, meinem Verstand und meinem Willen, und den Befehlen meiner Vorgesetzten stets und in jedem Falle Folge zu leisten. Ich gelobe, nicht hochmütig zu sein gegenüber jenen, die keine Uniform tragen oder die Zeichen eines abweichenden Glaubens. Ich gelobe, solange ich diese Uniform trage, den Feinden des Kontinents entgegenzustehen bis zu meinem letzten Atemzuge, aber auch all jenen die Hand zum Frieden zu reichen, die einer solchen Geste sich würdig zeigen. Ich gelobe, der Festung Carlyr Treue zu wahren und mich ihrer Gunst, ihrer besonderen Lage als letzter Stützpunkt vor dem Land der Affenmenschen und ihres Wappens wert zu erweisen. Mit diesem Gelöbnis unterstelle ich das Schicksal meines Leibes wie meiner Seele dem Gut und Erbe der Krone, der Einigkeit des Kontinents, wie von König Rinwe begründet, wie von Königin Thada hochgehalten und täglich erneuert, im Jahr 682 nach der Königskrone, in der Mitternacht vom 13. auf den 14. Sonnenmond.«

Leutnant Fenna sprach den Eid mit. Er war zwar schon vor annähernd vierzehn Jahren in Chlayst vereidigt worden, musste nun aber den Treueeid auf die Festung Carlyr ablegen. So lautete sein Befehl.

Der Oberst räusperte sich. »Leider kann ich euch nicht mit einem zünftigen militärischen Tusch dienen. In Hauptmann Veels’ Bataillon gab es ein paar Hornisten, die … na ja. Waren tadellose Kerle, das. Sind zurzeit halt unterbesetzt, das wird sich mit eurer Unterstützung ja bald ändern. Um den Eid dennoch zu besiegeln, rufen wir jetzt gemeinsam ein dreifaches soldatisches Huah. Also, Männer: HUAH! HUAH! HUAH!« Die Frischvereidigten brüllten dreimal Huah, dass der Hof nur so dröhnte. Fenna fielen Behnks lachendes Gesicht, Kindems weit aufgerissener Mund und Stodaerts angespannte Hüpfer bei jedem Huah auf. »Na bitte«, sagte Oberst Jenko väterlich lächelnd, »klappt doch schon ganz tadellos. Ich bin sicher, euer Leutnant Fenna, ein Vorgesetzter, wie man ihn sich nur wünschen kann, wird schon einen Plan haben, wie es jetzt unmittelbar für euch weitergeht. Gute Nacht, Männer!«

»Gute Nacht, Oberst Jenko!«, schallte es ebenso laut wie die Huahs über den Hof, ein Gruß, der Leutnant Fenna belustigend unkonventionell vorkam. Er gab seinen Männern die Erlaubnis, sich zu rühren und die Waffen wieder wegzustecken.

»Wo waren denn die Götter, Leutnant?«, fragte ihn Ildeon Ekhanner.

»Die Götter, Soldat Ekhanner?«

»Beim Eid. Wir haben nur auf die Königin, nicht jedoch auf die Götter geschworen.«

Das stimmte. Vor annähernd vierzehn Jahren, unter einem anderen König, in Chlayst, war der Eid auch noch auf die zehn Gottheiten abgelegt worden. »Die Zeiten ändern sich, Soldat Ekhanner. Die Götter sind angesichts der unmittelbaren Schwierigkeiten, denen der Kontinent sich gegenübersieht, in etwas weitere Ferne gerückt. Aber du hast gerne die Erlaubnis, die Kapelle aufzusuchen, um deinen eigenen Eid auf die Götter zu leisten – sofern er nicht in Widerspruch steht zu dem, was du eben geschworen hast.«

»Kein Widerspruch, Leutnant. Nur eine zusätzliche Bindung und ein Segen für unsere neue Kompanie«, strahlte Ekhanner und nahm seinen alten Freund Teppel mit zur Kapelle.

Damit kein Unglück mehr passierte, ließ Fenna sich von Fergran von den Holtzenauen, Nilocas Deleven und Bujo Stodaert beim Einsammeln der Waffen helfen und trug diese mit den drei frischgebackenen Soldaten ins Zeughaus zurück.

Anschließend wollte er seine Männer noch auf einen kurzen Umtrunk in der Mannschaftsmesse einladen, aber diese hatte zu dieser späten Stunde bereits geschlossen.

»Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Wir sollten den Eid mit dem ihm gebührenden Ernst würdigen«, sagte der Leutnant. »Geht jetzt zu Bett, Leute. Morgen früh beginnen wir mit der Waffenausbildung.«

Einige jubelten, einer – MerDilli – witzelte: »Da kann das Lazarett ja schon mal Betten freihalten.«

Fenna blickte zum Lazarett hinüber, aber dort war alles dunkel. Dem Geschrei der Vereidigung zum Trotz schien die schöne Heilerin zu schlafen.

Fackel für Fackel verlosch die Festung Carlyr und wurde wieder zum Spiegelbild des Sternenzeltes.