4

Kapitel

Fenna hatte sich so zeitig schlafen gelegt, dass er vor der Morgendämmerung wach wurde. War die nächtliche Begegnung mit Gollberg ein Traum gewesen? Nein. Nachdem er sich gewaschen hatte, wusste Fenna, dass sich alles genau so abgespielt hatte.

Draußen auf dem Hof sah er auch den Stall voller Pferde. Und zwei der Parcoursseile waren abgerissen. Fenna brachte sie wieder in Ordnung.

Die Türme waren mit Wachtposten besetzt. Diese Wachtposten gehörten weder zu Hobock & Sells noch zu Gollberg. Sie waren also offensichtlich eine eigene Einheit. Wahrscheinlich lediglich zehn bis zwölf Mann, die nie aus der Festung herauskamen. Sicherlich war diesen Männern eingeschärft worden, die Felsen links und rechts der Festung stets im Auge zu behalten. Aber was war, wenn die Affenmenschen Fernwaffen besaßen – Bögen oder Steinschleudern oder Wurfspeere – und mit gezielten Angriffen von oben herab zuerst die Turmwachen ausschalteten?

Fenna ging zum Lazarett hinüber, um zu sehen, ob die Heilerin Ilintu schon wach war. Er sah sie anmutig auf einem Stuhl kauern und dösen, aber als er durchs Fenster hineinlugte, schreckte sie auf und winkte ihn herein.

»Guten Morgen«, sagte Fenna. »Wie geht es ihm?«

»Er ist immerhin nicht mehr bewusstlos, sondern schläft. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Aber ich kann immer noch nicht sagen, ob ein Schaden bleiben wird. Soll ich Euch auf dem Laufenden halten, Leutnant?«

»Ich möchte Euch keine unnötigen Umstände bereiten. Ich werde mich selbst darum kümmern, auf dem Laufenden zu bleiben. Warum legt Ihr Euch nicht richtig hin? Jeder braucht mal Ruhe.«

Sie nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, ein wenig zornig darüber, dass er sie beim Dösen erwischt hatte. »Ihr macht doch jetzt sicher wieder Übungen. Also muss ich auf der Hut sein. Falls Ihr mir wieder jemanden anliefert.«

Fenna lächelte. »Ich werde heute niemanden mehr auf Mauern zurennen lassen, das verspreche ich Euch. Übrigens würde ich mich gerne einmal in einer ruhigen Stunde mit Euch unterhalten. In so einer Festung ist es aber ziemlich sinnlos und albern, jemanden zum Essen einzuladen, oder?«

Ilintus schönes Gesicht bekam einen verächtlichen Zug. »Ihr wollt Euch mit mir unterhalten? Worüber denn? Wie man Verwundete möglichst schnell wieder einsatzfähig bekommt?«

»Nein. Eigentlich eher über die Rückkehrer vom Feldzug. Ich möchte verstehen lernen, was hier los war. Woran sie litten. Woran sie gestorben sind.«

Sie wandte den Blick ab. »Ihr wollt wissen, worauf Ihr Euch hier eingelassen habt.«

»Unter anderem.«

»Na ja. Vielleicht ist es Euch als Offizier ja möglich, einen Krug Rotwein aus dem Vorratslager zu requirieren. Den könnten wir uns dann teilen. In einer ruhigen Stunde.«

»Bekommt Ihr als Heilerin keine bevorzugten Vorratszuteilungen? Vielleicht sollte ich mich unverzüglich bei Oberst Jenko dafür verwenden.« Fenna zwinkerte ihr zu und verließ dann das Lazarett.

Er genoss diese Sandstriche der Morgendämmerung. Die Luft war hier tatsächlich bedeutend besser als in Chlayst. Am Morgen roch es auch noch nicht so nach verbrannten Kräutern und der Hitze eines unsichtbaren Feuers, obwohl ihn das Gefühl nicht losließ, dass dieses Feuer immer noch vorhanden war. Als ob das ganze Land der Affenmenschen in fernen Flammen stünde.

Aber endlich befolgte Fenna den Rat seines Chlayster Hauptmanns und atmete.

Anschließend holte er seine Grünhörner aus den Betten.

Sie waren – da ursprünglich zu siebzehnt – in vier Vierbettzimmern untergebracht plus einem kleineren Einbettzimmer, eigentlich eher einer Kammer. In dieser Kammer hauste »Scheusal« Jeo Kertz. Niemand wollte mit ihm zusammenwohnen, weil er, wie er selbst fröhlich zugab, »gerne furzte«.

Nur drei der Grünhörner waren bei Sonnenaufgang bereits wach gewesen: Nilocas Deleven, Mails Emara und Jovid Jonis. Leutnant Hobocks Einteilung in Pflichtbewusste und Bequeme erwies sich immer wieder aufs Neue als ungenau oder voreilig. Lediglich in Bezug auf Nilocas Deleven schien alles zu stimmen – der Mann kam Fenna wirklich wie ein Ausbund an Zuverlässigkeit vor. Die anderen jedoch schienen sich Hobock gegenüber anders verhalten zu haben als angesichts ihres eigentlichen Leutnants. Aber Hobock hatte es ja nur gut gemeint.

Der Schreiber Lement fand sich ebenfalls ein. Ihm klebte noch krustiger Schlaf in den Augen. Fenna bat ihn, die Zimmerzuteilungen zu notieren. Männer, die sich miteinander ein Zimmer teilten, waren einander vertrauter als solche in verschiedenen Räumen. Fenna beabsichtigte, solche unwillkürlichen Gruppendynamiken bei der Ausbildung mitzuberücksichtigen.

Der Zimmerbelegungsplan sah bislang folgendermaßen aus:

Raum F:     Hochbett 1:     Kindem (unten)
          Resea (oben)
     Hochbett 2:     leer, vormals Scapedo (unten)
          Stodaert (oben)
           
Raum G:     Hochbett 1:     Teppel (unten)
          Ekhanner (oben)
     Hochbett 2:     Emara (unten)
          Deleven (oben)
           
Raum H:     Hochbett 1:     leer, vormals Hanitz (unten)
          MerDilli (oben)
     Hochbett 2:     Jonis (unten)
          v. d. Holtzenauen (oben)
           
Raum I:     Hochbett 1:     Behnk (unten)
          leer, vormals Plankett (oben)
     Hochbett 2:     Nelat (unten)
          Garsid (oben)
           
Kammer 2:     Einzelbett:     Kertz

Fenna fand es überraschend, dass der finstere Gallikoner Garsid sich ausgerechnet ein Zimmer mit den weichlichen Kandidaten Behnk, Nelat und Plankett geteilt hatte. Dagegen war klar, dass die guten Freunde Teppel und Ekhanner in einem Bett schliefen. Das mit dem Einzelraum für Kertz war natürlich unhaltbar, zumal jetzt ja in drei Zimmern jeweils ein Bett frei geworden war. Fenna behielt sich noch vor, wem er das »Scheusal« unter die Nase setzen würde.

Draußen auf dem Hof war es immer noch angenehm kühl, als die versammelte Mannschaft antrat. Die grauen Gebäude der Festung sahen im Licht des Sonnenaufgangs beinahe rosig aus.

»Männer!« Fenna wippte bei der Ansprache wieder unwillkürlich auf den Fußballen. »Unser Ziel für heute ist es, der Sonne ein Schnippchen zu schlagen. Jeder von euch absolviert zwanzig Runden auf dem Hinderniskurs. Jeder kann sich dabei seine eigene Geschwindigkeit wählen. Wer sich also Mühe gibt, kann vor der größten Hitze fertig sein und den Mittag über in der Messe und im Quartier ausruhen. Wer allzu langsam ist, dem steht ein intensives Stelldichein mit der Mittagshitze bevor. Lement macht ein Häkchen für jede geschaffte Runde. Am Nachmittag werden wir womöglich schon die feierliche Vereidigung vornehmen können. Und für den Abend behalte ich mir noch eine weitere Übung vor. Aber darüber solltet ihr euch jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Ihr habt den Hinderniskurs gestern flüchtig kennengelernt. Heute geht es darum, seine Feinheiten zu verinnerlichen. Ach ja: Ihr müsst nicht nacheinander antreten, ihr könnt auch alle zusammen loslegen. Aber wer einen Teil des Kurses beschädigt, muss anschließend fünf Extrarunden absolvieren. Ist das alles verstanden worden? Behnk?«

Alman Behnk hatte mehr Richtung Himmel geschaut als auf seinen Leutnant. »Alles verstanden, Leutnant«, sagte er aber.

»Dann mal los! Und behaltet die Sonne im Auge. Sie ist heute euer gefährlichster Gegner.«

Die Männer setzten sich in Grüppchen in Bewegung. Deleven, Garsid, MerDilli und Stodaert zuerst, danach plätscherte das Hauptfeld einer nach dem anderen in das ausgefranste Oval des Hinderniskurses, und am wenigsten beeilten sich Resea, Behnk und Teppel. Mails Emara trug immer noch seine Heimattracht. Fenna dachte darüber nach, ihm diesen Unfug zu untersagen, beschloss aber, sich heute lieber darum zu kümmern, dass die Grünhörner anständige Uniformen bekamen.

Zwanzig Runden waren eine anstrengende Angelegenheit. Selbst den Begabtesten wie Garsid, Resea und Deleven wurden nach fünf Runden bereits die Knochen müde, und vor allem die Hinderniswände schienen beständig höher zu werden.

Behnk kam einfach nicht durch die Fässer hindurch. Fenna musste das einsehen und ihm das Umgehen dieser Hindernisse gestatten. Stattdessen musste der Dicke eben seitlich über diese Fässer springen. Auch das schaffte er nicht, er rutschte quietschend auf seinem Bauch über die Rundung. Die Hinderniswände schienen ihm ebenfalls unüberwindlich. In dieser Beziehung allerdings blieb Fenna hart. »Wenn Behnk nicht rüberkommt, müsst ihr anderen ihm rüberhelfen. Es ist wichtig, dass ihr lernt, füreinander einzustehen. Jeder kann im Feld verwundet werden und ist dann auf Hilfe angewiesen. Und lasst euch nicht einfallen, auf Behnk sauer zu werden, nur weil er euch als zusätzliche Belastung erscheint. Sein Problem ist lediglich sein Körpergewicht. Gewicht kann man verlieren, und man verliert es schnell, wenn man täglich Übungen absolviert. Eines Tages kann euch Behnk vielleicht das Leben retten. Vergesst das nie!« Niemand schien zu murren. Der riesenhafte Kindem, von den Holtzenauen und Deleven taten sich besonders dabei hervor, den ächzenden Behnk über die Wände zu hieven.

»Scheusal« Jeo Kertz wurde seinem Ruf erneut gerecht und riss das Netz herunter, nachdem er sich darin verheddert hatte. Fünf Strafrunden waren sein Lohn.

Bujo Stodaert gab seine Turnerhaltung niemals auf. Auch als ihm der Schweiß bereits in Strömen lief, begann er jedes Hindernis in Habtachtstellung und schloss es mit hohlkreuzigem Schlussstand ab.

Kindem fragte nach acht Runden an, ob er sich sein Hemd ausziehen und mit nacktem Oberkörper weitermachen dürfe. Fenna untersagte dies.

Resea wurde von Runde zu Runde übellauniger und brummelte etwas vor sich hin, das wie »kindische Schinderei im Kreis« und wie »Gäule, die bewegt werden müssen« klang.

Zwei der Männer jedoch blühten regelrecht auf. Sensa MerDilli aus Diamandan und der junge Jovid Jonis erarbeiteten sich einen gemeinsamen Rhythmus. Obwohl MerDilli viel muskulöser war als Jonis, bewältigten die beiden nach ein paar Runden alle Hindernisse gemeinsam und im Gleichtakt. Dabei glich Jonis MerDillis Kraft durch größere Leichtigkeit und Gewandtheit aus. Die beiden spielten sich aufeinander ein und schienen an der ganzen Sache richtig Spaß zu haben. Der Zimmerplan gab Fenna Aufschluss darüber, dass die beiden im selben Raum untergebracht waren und wahrscheinlich also auch in der Freizeit gut miteinander auskamen.

So vergingen die Sandstriche. Zwanzig Runden waren eine langwierige Angelegenheit. Der Kurs war ein Kreislauf aus stockenden, ächzenden Klümpchen.

Nach etwas über einer Stunde wurde es auf dem ohnehin schon bewegten Hof noch unübersichtlicher: die Zweite Kompanie kam hinzu.

»Wie viele Runden macht ihr?«, fragten Hobock und Sells.

»Zwanzig«, antwortete Fenna. »Wer etwas kaputt macht, fünf extra.«

»Ihr habt es gehört, Leute!«, brüllte Leutnant Sells. »Zwanzig Runden! Und dass mir keiner schlapp macht unterwegs! Und dass mir keiner später fertig ist als die Grünhörner! Wir haben ja immerhin schon zwei Jahre mehr Erfahrung in den Knochen, nicht wahr?«

Nun kam neue Farbe ins Spiel. Die uniformierten Zweit-Zweiten unterschieden sich schon alleine optisch deutlich von den bunt und wild gekleideten Zweit-Dritten. Des Weiteren entbrannte nun ein kleiner, inoffizieller Wettkampf, weil keiner als Letzter fertig werden wollte und die Grünhörner bereits mehrere Runden Vorsprung hatten. Darüber hinaus waren fünf Frauen unter den Uniformierten. Das wiederum stachelte den Ehrgeiz und das Imponiergehabe der Klippenwälder Kindem und Deleven, aber auch von »Scheusal« Jeo Kertz, Breff Adirony Teppel und Ildeon Ekhanner deutlich an. »Scheusal« Jeo Kertz war in dieser Hinsicht ein tragischer Fall. Er schwitzte und stank erbärmlich, und es war unübersehbar, dass besonders die Soldatinnen einen weiten Bogen um ihn machten. Sie verhedderten sich absichtlich in anderen Hindernissen, um nicht gleichzeitig mit ihm über eine Wand zu müssen, und zogen bevorzugt am Netz flink an ihm vorbei.

Der dicke Behnk wiederum erwies sich als Anhänger der Ritterlichkeit. Mehrmals ließ er »den Damen« an Hindernissen den Vortritt, was diese leicht befremdete, denn als Soldatinnen waren sie es nicht gewöhnt, bevorzugt behandelt zu werden. Behnks ehrliches, abgekämpftes Gesicht verhinderte jedoch, dass sie sich veralbert fühlten.

Es verging noch einmal eine halbe Stunde der allgemeinen, kreisenden Belastung, bis Hauptmann Gollberg auf den Plan trat.

»Das ist ja ein Krach hier auf dem Hof, dass selbst ein Offizier nicht zu seinem wohlverdienten Schlaf finden kann«, bemerkte er scharf.

Fenna lag auf der Zunge zu entgegnen, dass tatsächlich fast so ein Lärm herrsche wie heute Nacht bei Rückkehr der Ersten Kompanie, aber er entschied sich dafür, seinem direkten Vorgesetzten gegenüber besser keinen Konfrontationskurs einzuschlagen. Er sagte gar nichts, auch nicht so etwas wie »Die Männer geben sich eben Mühe«.

Gollberg besah sich das Springen, Waten und Robben eine Weile. Dann sagte er: »Und das sind die, die Ihr ausgewählt habt? Das soll doch wohl ein Witz sein, Leutnant Fenna?!«

Jetzt überlegte sich Fenna, ob er etwas Entschuldigendes sagen sollte wie »Das sind die Besten, die ich aus den Männern, die Leutnant Hobock mir überstellt hat, herauslesen konnte, Hauptmann«. Aber er hatte keine Lust, dem freundlichen Hobock die Schuld zuzuschieben. Der kleine Hauptmann mit seiner Hochnäsigkeit begann ihn zu ärgern. »Das ist kein Witz«, sagte er nur.

»Untragbar!«, kicherte Gollberg humorlos auf. »Das fette Schwein soll in eine Uniform gepresst werden wie eine Wurst in einen Darm? Da lacht sich General Feudenstich ja zu Tode! Und der lange Kerl da – der bringt ja jede geordnete Reihe in Unruhe, das sieht ja aus, als würde da einer auf den Schultern eines anderen sitzen. Und er hier – was soll das sein? Ein Mädchen? Ein Junge? Ein Soldat etwa, Leutnant Fenna? Als Küchenhilfe könnte ich mir so jemanden vorstellen, aber doch nicht in der Uniform der Königin. Dann der mit den Augengläsern. Das gibt es doch gar nicht! Wenn er die im Kampf verliert, was macht er dann? Blind wie ein Maulwurf herumkriechen? Glaubt Ihr, dass ihr damit Eindruck machen könnt auf die Affenmenschen, Leutnant Fenna? Und der hier könnte ja der Vater der anderen sein. Was soll das denn? Geben wir jetzt Greisen das Gnadenbrot? Habt Ihr etwa die guten Leute aussortiert und präsentiert mir hier den Ausschuss?«

Fenna presste die Kiefer aufeinander. Gollbergs Stimme war so laut und durchdringend, dass einige der Grünhörner ins Straucheln gerieten. Fenna konnte Furcht in ihren Gesichtern lesen.

»Diese Männer sind am Leben, Hauptmann.«

»Ja, das sehe ich auch. Und was soll mir diese bedauerliche Tatsache mitteilen?«

»Dass jeder Einzelne von ihnen in diesem Augenblick mehr wert ist als das gesamte Erste Bataillon der Festung Carlyr, denn das gesamte Erste Bataillon der Festung Carlyr ist jetzt tot.«

Hauptmann Gollberg wurde erst bleich, dann rot. »Wa-a-aas? Wisst Ihr eigentlich, was Ihr da redet, Ihr impertinenter Bursche? Wisst Ihr eigentlich, wessen Andenken Ihr in den Dreck zu ziehen trachtet? Ihr wollt diese … Ansammlung von … erbärmlichen … Außenseitern vergleichen mit dem ruhmreichen Bataillon des Hauptmanns Lüdrich Veels? Ihr wärt es nicht wert, die Sohlen seiner Stiefel zu lecken – ihr alle nicht!«

»Mit Verlaub, Herr Hauptmann: Diese Männer befinden sich in der Ausbildung, und diese Ausbildung hat vor zwei Stunden erst begonnen. Selbstverständlich handelt es sich bei ihnen noch nicht um vollständig ausgeformte Soldaten. Genau dies soll ja meine Aufgabe sein: sie aus- und umzuformen. Und ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir meine Aufgabe nicht unnötig erschweren würdet, indem Ihr meine Männer grundlos beleidigt. Ihr beschwert Euch, dass einer dieser Männer zu groß ist? Ich sage: Man kann gar nicht groß genug sein als Soldat. Vielleicht werden wir eines Tages gegen Riesen kämpfen müssen. Dann werden wir froh sein, so jemanden in unserer Truppe zu haben. Ihr beschwert Euch, dass einer meiner Männer zu dick ist? Ich sage Euch: Dieser Mann hat allein mit seiner Massigkeit bei den Übungskämpfen drei andere Männer überrumpelt und bezwungen. Wenn er das mit Affenmenschen genauso macht, bin ich mehr als zufrieden mit ihm. Ihr beschwert Euch, dass einer meiner Männer zu alt ist? Ich setze darauf, dass Alter auch Lebenserfahrung bedeutet, Lebenserfahrung, die man vor allem im Feindesland und beim Zusammenhalten einer Kompanie gut wird brauchen können. Ihr beschwert Euch über Äußerlichkeiten. Meine Aufgabe jedoch besteht darin, eine funktionierende Kompanie zu erschaffen. Für Äußerlichkeiten habe ich keine Zeit.«

Gollberg schnaubte. »Ihr hört Euch gerne reden, wie?«

»Überhaupt nicht. Aber wenn Ihr mir keine andere Wahl lasst, werde ich meine Männer zu verteidigen wissen. Gegen den Feind oder gegen Euch – das ist mir gleich.«

»Ihr seid arrogant, Leutnant Fenna, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich kann mir auch überhaupt nicht erklären, woher Ihr diese Arroganz nehmt. Wart Ihr nicht vorher in Chlayst stationiert? Und ist in Chlayst nicht alles in Scherben gegangen?«

Für einen Moment sah Fenna ihn wieder vor sich: den Scheiterhaufen mit den Kindern obenauf. Die vergifteten Gesichter greisenhaft verzerrt. Die Ärmchen totenstarr ausgestreckt. Die trockenen Augen ihm zugewandt. Vorwurfsvoll.

Der Leutnant beschloss, diesen Eindruck gegen Gollberg zu verwenden. »In Chlayst kam die Bedrohung zu den Menschen. Das Gift fiel über Familien her, während diese ahnungslos und friedlich am Mittagstisch saßen. Aber hier im Norden, bei diesem Feldzug, gab es gar keine Bedrohung. Man hat nichts weiter getan, als schlafende Hunde zu wecken. Und in der lediglich noch zur Hälfte bemannten Festung Carlyr ist nur deshalb nicht alles in Scherben gegangen, weil die Affenmenschen gar kein Interesse daran haben – und niemals Interesse hatten –, diese Festung einzunehmen.«

»Ahh, das habt Ihr alles ganz überlegen durchschaut, was? Aus Eurem zentral positionierten Chlayst heraus habt ihr die Pläne der Königin bis ins letzte Detail begriffen. Die Prophezeiungen. Die Notwendigkeiten. Die Verantwortung einem gesamten Kontinent gegenüber. Ihr wisst nichts, Leutnant Fenna! Von den Affenmenschen geht eine Bedrohung aus, die das legendäre Reich des Geisterfürsten in den Sonnenfeldern bei Weitem in den Schatten stellen könnte! Die Königin und Oberst Jenko und Hauptmann Veels und ich – wir alle haben unser Möglichstes getan, um Schaden abzuwenden. Von Hessely. Von Aldava, Warchaim, Uderun. Selbst von Chlayst. Dieser winzigen Warze im Furbuser Meerbusen. Das könnt Ihr alles überhaupt nicht erfassen. Worum es hier geht. Warum dies hier bedeutender ist als alles andere. Also kann ich Euch nur raten – und ich meine es wirklich gut: Haltet Euren Mund und hört zu, wenn erfahrene Offiziere Euch etwas zu sagen haben! Haltet Euren Mund, hört zu und lernt!«

»Dazu bin ich hier, Hauptmann.«

»Na bitte. Es geht ja. Vielleicht kommen wir doch noch auf einen gemeinsamen Nenner. Und Ihr seid also tatsächlich der Meinung, ich sollte jetzt nicht zu Oberst Jenko gehen und dafür sorgen, dass mindestens die fünf peinlichsten Mitglieder aus Eurer Rumpfmannschaft so schnell wie möglich entfernt werden?«

»Der Meinung bin ich, Hauptmann. Und mehr noch. Ich möchte Euch eine Wette anbieten.«

»Eine Wette?«

»Ja. In anderthalb Monden soll doch dieses Manöver stattfinden. Wenn der General die Festung inspiziert.«

»General Feudenstich, ja.«

»An diesem Tag werden meine vierzehn Mann Eure besten vierzehn Mann unter den Augen des Generals schlagen.«

Gollberg stieß ein hohes, kieksendes Gelächter aus. »Das ist ja allerliebst! Was für eine putzige Idee! Und wenn Ihr verliert?«

»Könnt Ihr mit meinen Männern machen, was Ihr wollt. Alle entlassen oder als Küchenhilfen einstellen – das ist mir gleich. Denn Ihr werdet mich los sein. Ich gehe dann nach Chlayst zurück. Degradiert, wenn es sein muss.«

»Ihr werft Euren Offiziersrang in die Waagschale für eine Wette?«

»Jawohl.«

»Allerliebst. Weil Ihr ohnehin nicht gerne hier oben Dienst schiebt. Ihr seid schlau, Leutnant Fenna. Schlau und unverschämt. Und sollte ich verlieren?«

»Nichts. Außer dass Ihr mich in Ruhe weiter meiner Aufgabe nachgehen lasst.«

»Hm.« Gollberg kniff die Augen zusammen. »Das scheint mir ein zu kleiner Einsatz für eine Wette unter Offizieren zu sein. Nein. Sollten meine Leute gegen Eure Spaßmacher verlieren, werden meine Leute Euren Spaßmachern das Reiten beibringen. Wir haben zwar nicht genügend Pferde in der Festung für zwei berittene Kompanien, aber man weiß ja nie, wozu es gut ist, reiten zu können, im Notfall, in einer Schlacht.«

»Das ist eine gute Idee, Hauptmann.« Fenna hielt Gollberg die Hand hin. Gollberg schlug ein. »Aber dass Ihr Euch nichts einbildet«, sagte der Hauptmann gleich. »Ein Vorgesetzter gibt einem einfachen Leutnant nicht die Hand. Das ist nur wegen der Wette.«

»Das ist mir schon klar, Hauptmann.«

»Gut.« Gollberg stapfte davon, zur Führung & Leitung.

Mehrere der Grünhörner waren stehen geblieben, um der Unterredung der Offiziere folgen zu können. Auf ihren Gesichtern zeichnete sich Sorge ab.

»Weitermachen, Leute!«, winkte Fenna ungeduldig. »Es ist nichts passiert, es hat sich nichts geändert. Wir werden hart üben, und in anderthalb Monden könnt ihr zeigen, was ihr alles gelernt habt.«

Kurze Zeit später hatten die ersten drei Grünhörner ihre zwanzig Runden absolviert: Garsid, Bujo Stodaert und Nilocas Deleven. Fenna schickte sie in die wohlverdiente Pause. Er schaute bei Lement auf den Zettel, in welcher Runde sich Gerris Resea inzwischen befand: in der vierzehnten. »Scheusal« Jeo Kertz hatte inzwischen schon fünfzehn Strafrunden aufgebrummt bekommen. Als Kertz bemerkte, dass sein Leutnant ihn mit Sorgen betrachtete, winkte er und lachte mit bräunlichen, lückenhaften Zähnen.

Fenna unterdrückte ein Schaudern.

Selbstverständlich triumphierten Hobock & Sells.

Obwohl ihre Soldaten deutlich später in den Parcours gegangen waren, vollendeten sie ihn schneller als die vier langsamsten aus Fennas Truppe: Breff Adirony Teppel, Fergran von den Holtzenauen, Alman Behnk und »Scheusal« Jeo Kertz. Bei Kertz schien das Problem zu sein, dass er mindestens in jeder dritten Runde, die er schaffte, fünf Strafrunden für Beschädigungen dazubekam, sodass er rechnerisch niemals fertig werden würde.

»Was ist los, von den Holtzenauen?«, fragte Fenna den schlaksigen Adeligen. »Du warst doch gestern bei den Übungen ganz gut mit dabei?«

»Ich weiß auch nicht, Leutnant«, schnaufte von den Holtzenauen. »Ich hab von Anfang an Seitenstechen und krieg das nicht mehr weg.«

»Gibt es da nichts Medizinisches dagegen?«

»He! Hinlegen und ausruhen, würde ich verordnen.«

Fenna schmunzelte. Die Sonne stieg höher und höher und begann die Kopfhaut zu schmirgeln.

»Kertz?«

»Jawohl, Leutnant?«

»Das geht so nicht. Ich will dich nicht zu Tode schinden, sondern ich will einen Lerneffekt bei dir erzielen. Wenn du fünf Runden hintereinander schaffst, ohne etwas um- oder einzureißen, dann darfst du ins Quartier.«

»Wirklich, Leutnant?«

»Wirklich.«

»Ab jetzt?«

»Ab jetzt.«

»Das schaffe ich!«

»Das hoffe ich.«

Er schaffte es tatsächlich. Seine Augengläser waren von dem Schweiß, der ihm über die Brauen tropfte, beinahe undurchsichtig, aber Kertz ging jetzt mit großer Vorsicht zu Werke. Fenna staunte, dass er nach mehr als fünfunddreißig Runden in den Knochen überhaupt noch über die Hinderniswände hinwegkam. Aber er schaffte es, als Letzter von allen, und er jubelte anschließend, als hätte er gewonnen.

Gemeinsam mit den gut gelaunten Soldaten der Zweiten Kompanie baute Fenna anschließend den Parcours ab, damit der Hof wieder normal genutzt werden konnte.

»Habe ich das richtig mitbekommen: Du hast gegen Gollberg gewettet?«, erkundigte Leutnant Hobock sich besorgt.

»So ist es.«

»O Mann! Das kannst du nicht gewinnen. Er hat die besten Leute des ganzen Regiments. Sogar Hauptmann Veels war immer sauer und neidisch auf ihn.«

»Ich weiß.«

»Also, was hast du vor? Hast du etwas in der Hinterhand? Rekrutierst du noch Leute aus Chlayst dazu und lässt dann die antreten? Das ist es, oder? Ein Trick? Du legst Gollberg aufs Kreuz?«

»Das wäre nicht besonders ritterlich.«

»O Mann! Du willst es ernsthaft versuchen? Mit diesen Gestalten?«

»Hobock, was war das Erste, was du gedacht hast, als du den von dir zusammengesammelten Haufen zum ersten Mal in seiner Gesamtheit überblickt hast?«

»Ich dachte: O Mann, was für ein Haufen!«

»Richtig. Was für ein Haufen. Gollbergs Leute sind alle präzise, adrett und langweilig. Meine Leute sind alles Mögliche. Aber nicht langweilig.«

Fenna wartete, bis Gollberg beim Oberst Bericht erstattet hatte. Danach hatte Oberst Jenko Zeit für ihn.

»Seid noch gar nicht in der Offiziersmesse gewesen, hat mir der Mundschenk erzählt«, begann der Oberst das Gespräch. »Müsst Euch schon auch mal Zeit nehmen für einen kleinen Umtrunk. Oder?«

»Kommt noch, Oberst, kommt noch. Heute würde ich übrigens gerne mit meinen Männern speisen, wenn das kein Verstoß gegen die Festungsregularien ist.«

»Ach was! Jedem sein eigener Führungsstil, sage ich immer. Ha! Gollberg hat mir von der Wette erzählt. Ihr habt es eilig, wieder nach Chlayst zurückzukehren, oder, Leutnant Fenna? Ist doch so?«

»Mitnichten, Oberst. Ich habe die Absicht, diese Wette zu gewinnen. Übrigens glaube ich, dass beide Kompanien von diesem kleinen Wettstreit nur profitieren können. Der General wird ein hoch motiviertes Manöver zu sehen bekommen. Aber deshalb wollte ich nicht mit Ihnen sprechen. Ich wollte die formelle Vereidigung meiner Männer beantragen und das Anpassen der Uniformen auf den Weg bringen.«

»Du liebe Güte, Ihr habt es ja wirklich eilig! Seid Ihr denn sicher, dass Ihr schon ausreichend ausgesiebt habt? Wir könnten auch mit zehn Mann anfangen, wisst Ihr? Zehn Mann für den Anfang …«

»Das wird schon.«

»Ich habe mit – ja: einiger Besorgnis gesehen, dass Ihr … drei junge und schlanke Soldaten gestern aussortiert habt, den Dicken und den Alten jedoch in der Truppe hieltet?«

»Wisst Ihr, dass der Alte zwei Söhne hatte, die beide beim Affenmenschenfeldzug gefallen sind?«

»Nein! Das ist ja eine Tragödie!«

»Finde ich auch. Aber deswegen ist er nicht weiterhin dabei. Er ist weiterhin dabei, weil er gestern bei den Übungen zwei Punkte errungen hat. Und weil es andere gab, die sich weitaus ungeschickter angestellt haben.«

»Ich verstehe, Leutnant Fenna.« Der Oberst schaute mit hinter dem Rücken verschränkten Händen aus dem Fenster auf den Hof hinunter. »Wir werden sehen, ob das alles gut geht oder nicht.«

»Jawohl. Ich halte eine baldige Vereidigung und Einkleidung für sinnvoll.«

»Ja, ich auch«, sagte der Oberst seufzend. »Was die Uniformrüstungen angeht, wendet Euch an die Schneidermeisterin Klejahn. Das ist ein tadelloses Frauenzimmer, die wird alles Nötige in die Wege leiten. Wir werden ein paar Uniformen deutlich umarbeiten lassen müssen, damit sie passen, denke ich. Ha! Was die Vereidigung angeht: Zur Mittagsstunde ist es zu heiß. In dieser Jahreszeit wird so etwas zur Tortur. Völlig überflüssig, so eine Tortur. Wie wäre es stattdessen mit Mitternacht? Das macht immer etwas her! Die Festung von Fackeln beleuchtet! Ich sage immer: Geben wir den Affen da draußen ruhig etwas zu gaffen! Aber nicht heute Mitternacht, bis dahin sind doch die Uniformrüstungen noch gar nicht fertig. Wie klingt morgen? Morgen klingt nicht übel, gar nicht übel. Das gibt der Schneidermeisterin etwas Spielraum.«

»Also heute und morgen noch Übungen und dann die Vereidigung?«

»Passt doch großartig!«

»Jawohl, Oberst. Kann ich Übungen außerhalb der Festung unternehmen? Einen Gepäckmarsch würde ich gerne machen.«

»Tadellos. Aber bitte südlich außerhalb. Für das Feindesland sind die Hörner noch zu grün.«

»Selbstverständlich. Wie steht es eigentlich mit Waffen für die Männer?«

»Nun, sie sollen das Übliche erhalten: Säbel und Dolch. Einen Schild mit dem Wappen der Festung, wer das möchte. Bedeutet zusätzliches Gewicht beim Marschieren, sollte sich halt jeder klarmachen, ha! Aber ich denke, Leutnant Fenna, wir sind uns beide einig, dass die Männer erst noch eine gute Woche – besser: zwei Wochen – Waffenkunde brauchen, bevor wir ihnen scharfkantiges Zeug in die Hände drücken sollten, nicht wahr?«

»Das sehe ich genauso. Allerdings für die Vereidigung wäre es ganz schön, wenn sie ihre Waffen dort wenigstens zur Präsentation schon einmal tragen könnten.«

»Gar kein Problem, Leutnant Fenna, gar kein Problem. In unserer Festung herrscht kein Mangel an Ausrüstung. Es ist eher ein Mangel an Soldaten, den wir zu beklagen haben.«

»Ich verstehe. Gibt es eigentlich ein offizielles Ergebnis von Hauptmann Gollbergs neuestem Erkundungsritt?«

»Anhaltspunkte für ein Bestätigen seiner Überlebendentheorie, ja.«

»Und was wird in dieser Hinsicht unternommen?«

»Die Erste Kompanie reitet weiter aus.«

»Aha.«

»Ja, so ist das. Wisst Ihr übrigens, Leutnant Fenna, was Hauptmann Gollberg bei mir beantragt hat?«

»Nein, Oberst?«

»Einen zweiten leitenden Leutnant für Eure halbe Kompanie.«

»Wie bitte?«

»Ja. So ist das. Und er hat mehrere triftige Gründe angeführt. Zum einen: Die Zweite Kompanie wird ebenfalls von zwei Leutnants angeführt. Hobock & Sells. Funktioniert. Hat sich bewährt. Wenn die Dritte Kompanie im Laufe der Zeit auf dreißig Mann aufgestockt werden soll, ist das für einen einzelnen Leutnant zu unübersichtlich. Zwei Leutnants sind besser. Zweitens: Ein weiterer Offizier sollte so schnell wie möglich in die Kompanie eingebunden werden, nicht erst nach einem halben Jahr oder so, wenn sich alle an eine einzige Führungsspitze gewöhnt haben. So früh wie möglich, so langfristig wie möglich. Und drittens: Wenn Ihr die Wette verliert, werdet Ihr was sein? Futsch! Wer soll dann die Dritte führen, wenn nicht ein anderer, neuer Leutnant? Auch wenn Ihr sonst wie ausfallt, krank werdet, Euch verwundet, Euch krankhaft verliebt, die Götter mögen es verhüten – es ist in jedem Fall von Vorteil, noch einen zweiten Kommandeur in der Kompanie zu haben.«

»Und wen wollt Ihr da rekrutieren? Jemanden von noch weiter südlich als Chlayst?«

»Nein. Wir werden jemanden aus Uderun holen. Direkt von der Akademie.«

»Einen akademischen Offizier? Einen zwanzigjährigen Sohn reicher Eltern ohne jegliche Erfahrung im Umgang mit Menschen und Realitäten? Das wird nie und nimmer funktionieren!«

»Das wird funktionieren, Leutnant Fenna. Ich habe dem bereits zugestimmt. Die Order nach Uderun geht in dieser Stunde mit dem Postreiter raus. Und über einen verwöhnten Sohn braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Ich habe nämlich ausdrücklich … eine Frau angefordert.«

»Für eine Kompanie, die ausschließlich aus Kerlen besteht? Die werden sie zerfetzen!«

»Nein, das werden sie nicht, Leutnant Fenna. Das werden sie nicht. Denn Ihr seid ja auch noch da. Ihr werdet dafür Sorge tragen, dass alles reibungslos funktioniert. Und ich bin verhältnismäßig zuversichtlich, dass Ihr das hinbekommt. Und jetzt würde ich gerne einmal keinen Einwand hören, sondern ein einfaches: Jawohl, Oberst Jenko!«

»Jawohl, Oberst Jenko«, sagte Fenna zähneknirschend.

»Tadellos! Geht doch. Und noch etwas, Leutnant. Ich habe es Euch nun schon zweimal gesagt, und Ihr scheint es jedes Mal nur für eine freundliche Floskel zu halten, aber ich sage es Euch gerne noch ein drittes Mal: Allzu scharf macht schartig. Übertreibt es nicht. Weder muss genau genommen Eure Dritte Kompanie nach nur anderthalb Monden schon besser sein als Gollbergs seit Jahren eingespielte Erste, noch müsst Ihr Euch mit Eurem Hauptmann einen Hahnenkampf liefern. Die Sache mit der Wette ist nun nicht mehr aus der Welt zu schaffen, und vielleicht habt Ihr recht, dass ein Wettbewerb beiden Kompanien zugutekommen kann. Aber ich möchte nicht miterleben, dass Ihr Eure Leute in Eurem Ehrgeiz verschleißt. Ich glaube, wir verstehen uns da so langsam mal, oder immer noch nicht?«

»Es ist nicht meine Absicht, den Männern zu schaden, Oberst. Ich bin lediglich der Meinung, dass das Leben in der Armee kein Zuckerschlecken ist. Je eher sie dies begreifen und verinnerlichen, umso besser für sie.«

»Nicht von der Hand zu weisen, nicht von der Hand zu weisen. Ich gebe Euch den Spielraum, den Ihr braucht. Aber ich habe im Hinterkopf, dass Euer Vorgesetzter in Chlayst mir mitteilte, dass Ihr vier Monde lang in einem Lazarett gelegen habt. Weil Ihr Euch zu viel zugemutet hattet.«

»Chlayst ist giftig geworden, Oberst. Jeder landete dort früher oder später in einem Lazarett. Jeder.«

»Aber vier Monde? Das scheint mir doch ein schwererer Fall gewesen zu sein.«

»Es war keine Vergiftung. Die Heiler nannten es einen Zusammenbruch. Mehr geistig als körperlich.«

»Seht Ihr, Leutnant Fenna? Ich weiß das. Ich weiß zu schätzen, dass Ihr mir reinen Wein einschenkt, aber ich wusste dies schon vorher. Ich habe mich über Euch gut erkundigt, bevor ich Euch auf Kosten der Königin hierher reisen ließ. Ihr habt in Chlayst gegen Eure eigenen Leute ermittelt, weil es Anzeichen für Korruption gab. Ihr habt den Preis dafür bezahlt. Jetzt seid Ihr hier. Hier oben gibt es keine Korruption, denn es gibt hier oben nichts zu holen. Hier gibt es keine Hausstände zu verscherbeln. Keine Sklavinnen aus Diamandan. Keinen herrenlosen Schmuck. Hier gibt es uns und die Affen. Und die Affen sind uns zahlenmäßig tausendfach, zehntausendfach, hunderttausendfach überlegen. Deshalb ziehen wir hier an einem Strang. Und halten diesen Damm, solange die Königin das von uns erwartet.«

»Jawohl, Oberst Jenko!«

Der Oberst sah seinem Leutnant noch ein paar Momente lang eindringlich in die Augen, dann nickte er. »Wenn sonst nichts mehr ist?«

»Für heute nicht. Danke für die Unterredung, Oberst.«

Fenna grüßte militärisch und verließ den Raum. Auf der Treppe nach unten strauchelte er über ein loses Brett, fing sich aber wieder.

Draußen bohrte sich ihm die Sonne so heiß und unerbittlich wie ein Nagel in den Kopf.