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Kapitel

Die Sonne zappelte am Himmel.

Der Sattel bot kaum noch Halt.

Dass die Hitze so weit nördlich dermaßen quälend sein würde, hatte der Leutnant nicht ahnen können. Noch nie zuvor hatte er die Felsenwüste mit eigenen Augen gesehen. Auf ihren Gipfeln hatte er sogar Schnee erwartet, aber da war nichts, was Kühlung versprach. Die Luft flimmerte und ließ das graubraune Gebirge tanzen. Hammerköpfige Echsen huschten züngelnd umher. Zikaden sirrten in Wellen. Der Himmel war wolkenlos und dennoch bewegt wie ein Gewässer voller goldener Strömungen. Die Sonne – die Sonne war die Königin des Himmels: Sie herrschte unumschränkt, und das Firmament kannte keine Farben mehr außer ihrer. Aber dem Leutnant kam es so vor, als würde hinter den steilen Abweisungen der Felsenwüste noch zusätzlich ein Feuer lodern, dessen warmer Hauch immer wieder zu ihm herabwehte, seine Armhärchen bestrich wie mit summender Glut und ihm den Schweiß aus den Poren zog.

Der Leutnant war kein blutjunger Mann mehr – im letzten Winter hatte er das 32. Lebensjahr erreicht. Seit vierzehn Jahren bereits trug er die Uniform der Königin des Kontinents. Aber nun schien ihm der kühlende Winter genau so weit entfernt wie die Jugend, in der solche Hitze ihm noch nichts ausgemacht hatte.

Je weiter er ritt – von Ferbst aus landeinwärts, das spröde und ausgebleichte Gebirge der Felsenwüste unablässig zur Rechten –, desto mehr seiner Kleidungsstücke verschwanden in den Satteltaschen. So war er als einigermaßen stattlicher Leutnant der königlichen Stadtgarde von Chlayst von Bord eines Schiffes gegangen, und nun, sechs Tage später, strauchelte er auf einem armeeeigenen Pferd unter der Sonne dahin, unrasiert, bloßarmig, die Hosen bis hoch zu den Knien aufgekrempelt, die Lippen brüchig, das harte Gesicht zu einer steten Grimasse verzogen. Das Wasser in seinen Feldschläuchen war lauwarm wie eine Körperausscheidung und schmeckte mit jedem Schluck bitterer. Das Pferd gebärdete sich bockig, ging oft eher seitlich als gerade, verkantete sich, nickte nervös mit dem Kopf, scheute bei jedem Geräusch. Der Leutnant war kein guter Reiter – das Pferd misstraute ihm ebenso wie er dem Pferd, und der Sattel war unbequem und schweißig. Eigentlich hatte er darauf gehofft, von Ferbst aus in einer Kutsche weiterreisen zu können, doch in der Garnison dort hatte man ihm die Zügel eines Pferdes in die Hand gedrückt und ihm gesagt, es wäre nett, wenn er das Tier bis Carlyr einreiten könnte.

Bis Carlyr. Zur Festung Carlyr.

Der Leutnant verfluchte seinen Befehl.

Er hasste es, reiten zu müssen.

Er hasste die Hitze des inneren Landes.

Er hasste es, so weit entfernt zu sein von Chlayst.

Chlayst war aufgegeben worden im letzten Jahr, als die Luft plötzlich giftig wurde und es tote Vögel regnete. Die Stadtgarde war mitsamt der Bevölkerung an die Küste geflohen, dorthin, wo man noch atmen konnte. Seitdem verwaltete sie das Chaos. Gute Leute wurden gebraucht, denn neuerdings waren zu Not und Elend, Pestilenz und Entsetzen sogar noch bewaffnete Aufstände hinzugekommen. Vor Chlayst war der Leutnant nützlich gewesen unter gleichsam Nützlichen, die Stadtgarde eine schmale Barriere, die das Gute vom Unzurechnungsfähigen zu trennen vermochte. Aber was machte er hier, einsam auf einer staubigen Straße, die nach verbrannten Kräutern und Kuhdung roch und sich als Kruste auf die Zunge legte, wenn man unachtsam genug war, den trockenen Mund eine Weile offen zu lassen?

Er verfluchte seinen Befehl.

»Gönne dir die paar Monde, ein halbes Jahr vielleicht, dann hole ich dich wieder zurück«, hatte sein alter Hauptmann ihm gesagt. »In der Festung Carlyr haben sie den großen Feldzug gegen die Affenmenschen verloren, dort ist noch mehr Not am Mann als bei uns.«

»Aber hier kenne ich mich wenigstens aus, ich habe mein ganzes Leben in Chlayst verbracht!«, hatte der Leutnant versucht aufzubegehren.

Doch der alte Stadtgardehauptmann hatte nur gelächelt, dieses müde, väterliche Lächeln. »Das Chlayst, in dem du gelebt hast, gibt es nicht mehr. Mach dich nützlich, wo man dich braucht! Und atme, mein Junge! Atme!«

Der Leutnant sah den Scheiterhaufen vor sich mit den Kindern. Nur kurz. Er sah dieses Bild immer nur ganz kurz, als hätte sein Unterbewusstsein begriffen, dass es länger nicht zu ertragen war.

Die Seeluft der Überfahrt nach Ferbst hatte ihn zu erfrischen versucht, doch der Leutnant hatte dies nicht zugelassen. Er trug Chlayst in seinem Herzen, das gefallene, verseuchte alte Mädchen, Perle der Sturmsee. Zum Scheiterhaufen verwelkt. Kindergrab.

Seit dem letzten Hochsommer war jeder Atemzug in Chlayst ungesund gewesen. Ein Sumpf in unmittelbarer Nähe der Stadt hatte begonnen, giftiges Gas auszudünsten. Panik hatte die Menschen erfasst. Das sorgsam in ihnen verschlossene Böse hatte begonnen, sich offen zu brüsten. Männer hatten sich um Brot erschlagen. Frauen sich gegenseitig die Kinder entrissen, weil ihre eigenen krepiert waren. Selbst bei der Garde hatte es einige gegeben, die sich am Zusammenbruch der Stadt zu bereichern trachteten. Händler aus anderen Städten verscherbelten minderwertige Hilfsgüter und strichen hohnlachend Gewinne ein. Der Leutnant hatte versucht, diesen Stall ausmisteten, den Sumpf trockenzulegen, die Stadt zurückzugewinnen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Toten zu Haufen zusammenzukehren. Er hatte sich übernommen. Seinen 32. Geburtstag hatte er im Lazarett verbracht, umringt von anderen, die noch viel schwerer vergiftet waren als er und starben, während er von den Kindern albträumte.

Jetzt ging es ihm schon wieder besser, und als das Gesuch von der Festung Carlyr eingetroffen war, einen mit der Ausbildung neuer Rekruten vertrauten Unteroffizier zu überstellen, hatte der alte Hauptmann ihm diesen Auftrag zugeschanzt. Als Urlaub sozusagen. »Atme, mein Junge, atme.«

»Aber die Heugabelmänner

Denn nun gab es auch noch die Heugabelmänner. Eine stets größer werdende Bande von Gesetzlosen, die sich im Gebiet von Chlayst und Furbus breitmachten und sich in Furbus bereits mit königlichen Truppen angelegt hatten. Der Leutnant hatte das deutliche Gefühl, dass der Königin der Kontinent langsam, aber sicher aus den Händen glitt. Eine kostbare Kristallschale in freiem Fall. Denn auch im fernen Westen, in Skerb, widersetzten sich die Freibeuter den Dekreten aus der Hauptstadt. Und der große Feldzug gegen die Affenmenschen war im Norden, in der Gegend der Festung Carlyr, verloren gegangen.

»Die Heugabelmänner«, hatte der alte Hauptmann gelächelt, »sind kein Problem einer Stadtgarde, mein Junge. Die Königin wird Truppen schicken, und dann wird das erledigt.«

Aber welche Truppen? Wenn die Festung Carlyr schon bis nach Chlayst schicken musste, um einen geeigneten Offizier zu finden? Welche Truppen gab es denn überhaupt noch? Wenn es seine Aufgabe war, eine neue zu gründen?

Der Leutnant verfluchte seinen Befehl.

In den Nächten schlief er buchstäblich auf seinem Säbel. Man hatte ihm eingeschärft, dass sich die Affenmenschen und anderes Ungetier seit dem Fehlschlagen des großen Feldzuges vermehrt in den Außenbereichen der Felsenwüste herumtrieben. Er wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben. Also nutzte er die Klinge seines Säbels, um sich selbst einen leichten Schlaf zu verschaffen. Seine Erschöpfung hätte ihn sonst vielleicht in Träume sinken lassen, und aus Träumen war schon so mancher nicht mehr erwacht.

Auch lauerten in den Träumen die Kinder.

Der Magen des Pferdes rumorte in den Nächten. Das Tier scharrte mit den Hufen, sodass der Leutnant mehrmals aufschreckte und dachte, jetzt würden gleich Affenmenschen über ihn herfallen.

An jedem frühen Morgen schimmerte alles Gestein feucht. Aber auch dieser Tau war wie ein Trugbild. Er löste sich schon im Laufe des Vormittags zu scharfkantiger Trockenheit auf.

An den Mittagen schien die Königin des Himmels wie festgenagelt über ihm zu schweben und ihn zu verhöhnen. Das Pferd warf nur einen winzigen Schatten, tief unter seinem äderigen Bauch. Einmal fragte sich der Leutnant, ob er nicht lieber unter seinem Pferd reiten sollte, in diesem winzigen, wohligen Schatten, aber das war natürlich Unsinn, das war die Hitze, die seinen Helm zum Glühen brachte und sein Gehirn darunter zum Sieden. Aber ohne den Helm war es noch schlimmer. Ohne den Helm schienen seine dunklen Haare im Licht Feuer zu fangen.

Sein Bart kratzte. Seine Arme und Beine juckten. Seine breitschultrige Gestalt flimmerte wie Wasser. Das Pferd stieß ihm hart ins Kreuz bei jedem Hufschritt. Er hasste es, reiten zu müssen. Es war zu heiß für diese Jahreszeit.

Denn es war noch nicht einmal Feuermond. Man hatte den 4. Sonnenmond geschrieben, als er von Ferbst aus losgeritten war. Nun musste ungefähr der 10. sein. Spätestens zu Mittelsonne sollte er die Festung erreichen, so lautete seine Order. Aber vielleicht war das ja gar nicht mehr möglich. Vielleicht war die Festung zerschmolzen wie Wachs und nun nur noch eine weitere unförmige Felsformation unter vielen.

Der Leutnant schüttelte den Kopf. Sein Helm fühlte sich an wie etwas, das frisch aus dem Ofen eines Schmiedes gekommen war. Es war alles so absurd. Linkerhand leuchtete das Grün der fruchtbaren Ebenen von Hessely. Der Sonnenmond war eigentlich eine wunderschöne Jahreszeit. Eine der liebsten des Leutnants während seiner vielen Jahre im milden Chlayst. Wenn die Sturmsee frische Brisen über die Stadt schickte, die nach Tang und Rogen dufteten. Sommers wie winters war die Sturmsee gut befahrbar gewesen. Nur im Frühjahr und im Herbst fuhr sie ihre Krallen aus und machte den Seeleuten das Leben schwer. Wie die Heugabelmänner. Wie die Freibeuter von Skerb.

Der Leutnant riss sich zusammen. Seine Gedanken schweiften schon wieder zum Meer ab und zu Chlayst. Aber hier gab es nirgendwo ein Meer oder eine Stadt. Hier gab es Staub und Felsen und jenseits der Felsen weitere Felsen und weiteren Staub. Und irgendwo dort drinnen schien ein Feuer zu lodern, das einem das Mark bei lebendigem Leib aus den Knochen kochte. Selbst in Chlayst gab es keine frischen Brisen mehr, sondern nur noch den Gestank von Gift und Auswurf.

Die Welt war im langsamen Untergehen begriffen. Die Anzeichen waren so eindeutig wie die Hufabdrücke hinter ihm im Staub.

Als der Leutnant die Festung erreichte, ritt er beinahe an ihr vorüber, ohne sie zu bemerken, so jäh und senkrecht fügte sie sich in jene zerklüftete Gebirgswand, die ihn nun schon seit sieben Tagen rechterhand leitete. Es war sein Pferd, das stehen blieb. Es witterte Artgenossen und kühles Brunnenwasser hinter dem Festungstor.

Der Leutnant hob den Blick und sah zum ersten Mal in seinem Leben die Festung Carlyr.

Sie bestand aus Stein, war aber nicht in den Stein gehauen worden, sondern mühsam aufgeschichtet und zusammengefügt. Sie verschloss einen Pass durch die Felsenwüste, den einzigen offenen Durchgang in das Land der Affenmenschen – den Hohlweg, wie er allgemein genannt wurde. König Rinwe hatte den Bau dieser Festung in Auftrag gegeben, nachdem er im Süden den Geisterfürsten niedergeworfen und das übrige Land mit eiserner Faust zur Einigkeit umgeformt hatte. Aus einem Grund, der in den beinahe siebenhundert seitdem vergangenen Jahren in Vergessenheit geraten war, hatte Rinwe das Land der Affenmenschen nicht erobern wollen, sondern sich stattdessen damit begnügt, die einzige Öffnung im Gebirge der Felsenwüste wie mit einem Korken zu verschließen: durch die Festung Carlyr.

Mittlerweile sah das trutzige Gemäuer heruntergekommen aus. Die Jahrhunderte hatten an ihm genagt wie Ratten. Weiter westlich, in Galliko, wo keine Gebirgskette das Affenmenschenland vom übrigen Kontinent abgrenzte, wurde immer wieder gekämpft, wurde die Stadt erneuert, aufrechterhalten, verstärkt, versorgt, besichtigt, gehegt und wie ein Heiligtum oder ein Kleinod des Trotzes verehrt. Aber in der Festung war es ruhig gewesen in den letzten Jahrzehnten. Erst der fehlgeschlagene Feldzug der Königin hatte Carlyr wieder auf den Landkarten erscheinen lassen. Das mit Magiern verstärkte Heer war stolz hier hindurch in das Affenmenschenland marschiert. Einige Wochen später waren die geschlagenen Überlebenden, an Körper und Seele krank wie die Einwohner Chlaysts, durch ebendiese Festung wieder zurückgekrochen.

Die den zivilisierten Landen des Kontinents zugewandte Vorderfront der Festung wurde von einem hohen, zweiflügeligen Tor aus schwarzem Holz beherrscht. Oben lief die Mauer in spitzen Zinnen aus, linkerhand sah man einen viereckigen Torturm, rechts nur zwei Banner: das blau-goldene der Krone und das verschnörkelte »C«, welches das Wappen der Festung Carlyr bildete.

Vom Torturm aus wurde der Leutnant erblickt. Dass er die Festung zuerst nicht bemerkt hatte, hatte ihn der Möglichkeit beraubt, seine Uniform wieder in Ordnung zu bringen. »Heda, was lungert Ihr dort herum?«, rief ein Soldat vom Turm herunter. Seine Stimme klang jedoch gar nicht so unfreundlich, sondern eher scherzend.

Der Leutnant förderte mit langsamen, müden Bewegungen aus seinen Satteltaschen ein zusammengerolltes Pergament zutage. Er hielt es hoch gegen die Sonne und rief heiser: »Leutnant Eremith Fenna von der Stadtgarde Chlayst. Ich habe Befehl, mich bei Oberst Ibras Jenko zu melden. Und ich habe ein Pferd aus der Garnison Ferbst mitgebracht.«

»Ahh«, entgegnete der Wachtposten lachend. »Der Leutnant für die Grünhörner! Wird aber auch Zeit! Wir erwarten Euch schon seit vorgestern. Zieht Euch ein bisschen mehr an, dann könnt Ihr gern reinkommen.«

Grummelnd stieg der Leutnant vom tänzelnden Pferd und brachte seine Uniform, so gut es ging, in einen zumindest halbwegs präsentablen Zustand. Alles war durchgeschwitzt und stank, aber das konnte einem bei dieser Gluthitze wohl kaum zum Vorwurf gemacht werden. Es war quälend, die Ärmel und Hosenbeine wieder herabrollen zu müssen und dadurch noch mehr in Schweiß zu geraten.

Ein Schatten fiel über ihn. Er hob den Blick. Dort oben unter der Sonne flog etwas. Kein Wüstengeier. Eher ein Reptil mit langen, schmalen Schwingen. Ein Wesen aus dem unbekannten Land hinter den Bergen, das sich zu weit nach Süden vorgewagt hatte. Nach ein, zwei Kreisbewegungen über der Festung drehte es ab und flog über das Gebirge davon.

Ein Riegelbalken wurde verschoben. Das große schwarze Tor öffnete sich. Es knarrte nicht. Es war frisch geölt worden, als der Feldzug der Königin sich angekündigt hatte. Aber die Bewegung der beiden von je zwei Soldaten aufgestemmten Torflügel wirbelte Staub auf, der gegen Leutnant Fenna brandete. Durch den Schweiß haftete der Staub an ihm wie Mehl. Die Torsoldaten lachten. »Willkommen in der Festung Carlyr, Leutnant.«

Der Leutnant durchquerte das Tor, das störrische Pferd am Zügel führend.

Der Haupthof war kühler als die Straße, wahrscheinlich, weil die Festung zwischen zwei schroffen Klippen eingepasst und deshalb nur zur Mittagszeit der Sonne voll ausgesetzt war. Die Uniformen der hier Dienst tuenden Soldaten wirkten verhältnismäßig gepflegt. In Chlayst hatte der Leutnant – der allgemeinen Ausnahmesituation geschuldet – mehr unrasierte und nachlässig gekleidete Soldaten gesehen als hier. Die einzelnen Gebäude – Stallungen, Lazarett, die Messen für Gemeine und Offiziere, die Unterkünfte, das Verwaltungsgebäude, eine achteckige Kapelle, das Waffen-, das Ausrüstungs- und das Vorratslager, die Latrinen, ein kleines Gefängnis zur Bestrafung von Soldaten, zwei überdachte Brunnen – waren gut in Schuss und adrett entlang der Außenmauern angeordnet. Alle Bauten waren grau, wenngleich in verschiedenen Abstufungen. Nach hinten, nach Norden, dem Feind zugewandt, gab es ein zweites Tor und einen zweiten Torturm, der noch höher war als der südliche und dadurch bereits Eigenschaften eines Bergfrieds aufwies. Auf dem Innenhof exerzierte gerade eine Kompanie aus 29 Infanteristen, die von zwei Leutnants angeleitet wurde. Der eine der beiden Leutnants war klein, dicklich und hatte feuerrote Haare, der andere war hochgewachsen und schlaksig mit einem länglichen Gesicht.

Auf den ersten Blick konnte Leutnant Fenna erkennen, dass die Festung Carlyr unterbesetzt war. Abgesehen von den Exerzierenden ging kaum jemand umher. Die Zinnen- und Torbesatzungen entsprachen dem regulativen Minimum. Der Feldzug der Königin hatte also auch hier seine Spuren hinterlassen.

Eine Ordonnanz trat an ihn heran, ein ältlicher Mann mit furchtsamen blassblauen Augen. »Willkommen in der Festung Carlyr, Herr Leutnant«, sagte auch dieser noch einmal, während die Torsoldaten hinter ihnen beiden grinsend die schwarzen Flügel zuschoben und verriegelten. »Um das Pferd wird man sich kümmern. Darf ich um Eure Papiere ersuchen?«

Leutnant Fenna nahm dem Pferd sein persönliches Gepäck ab und sah ihm hinterher, als ein Stallbursche es hinwegführte. Das Pferd wirkte plötzlich ganz pflegeleicht und handzahm. Dann kramte Fenna seine Überstellungsorder hervor und hielt sie der Ordonnanz hin, während er weiterhin die Festungsanlage mit zusammengekniffenen Augen musterte. Es schien ihm, als seien sowohl die hintere, nördliche Mauer als auch das dortige Tor dicker und stabiler als ihre südlichen Entsprechungen, was sicherlich einen Zweck erfüllte. Nach hinten heraus wehten keine Banner, was ungewöhnlich war, aber vielleicht auch irgendeinen Sinn ergab. Besorgt blickte sich der Leutnant nach oben hin um. Da die Festung von hohen Felsen eingekeilt war, konnte sie von oben herab attackiert werden, was eigenartig war. Normalerweise errichtete man Festungen eher auf Berggipfeln oder an sonst wie herausragenden Punkten und nicht zwischen den Schenkeln eines Gebirgszuges. Er versuchte Treppen oder sonstige Aufstiege auszumachen, die darauf hindeuteten, dass die Klippen links und rechts der Festung ebenfalls dazugehörten und oben von Fernwaffenspähern oder dergleichen bewacht wurden. Aber nichts dergleichen war zu erkennen.

»Die Papiere sind in Ordnung«, unterbrach die Ordonnanz sein Abschweifen. »Ich denke, der Oberst wird sogleich Zeit für Euch haben, Herr Leutnant. Wenn Ihr mir bitte zu folgen geruhtet …« Die Ordonnanz ging vorneweg, auf das zweistöckige, ausgebleichte Gebäude zu, an dem ein Schild mit der Aufschrift »Führung und Leitung« angebracht war.

Der kleine, rothaarige Leutnant stauchte gerade einen seiner Infanteristen zusammen, mit dessen Schuhwerk wohl etwas nicht in Ordnung war. Der längliche Leutnant stand ungerührt daneben und bohrte sich im Ohr.

Bevor Leutnant Fenna in die Schatten des Gebäudes eintrat, fielen ihm noch zwei Gesichter auf, die ihn aus der Entfernung zu betrachten schienen. Das eine gehörte zu einem städtisch in Zivil gekleideten Spitzbartträger, der lässig im Türrahmen eines Unterkunftsgebäudes lehnte und mit geringschätzigem Lächeln das Treiben auf dem Festungshof zu begutachten schien. Das zweite war das einer jungen Frau. Sie schaute aus dem Lazarettgebäude kurz zu Fenna hinüber und wandte den Blick gleich wieder ab. Dennoch hatte er ihr flüchtiges Gesicht noch in der Dunkelheit des ihn nun umfangenden Flures vor Augen.

Oberst Ibras Jenko empfing Leutnant Fenna in seiner Schreibstube mit Hofblick im oberen Stockwerk. Die Schreibstube enthielt Regale, Ablagen, einen wuchtigen Schreibtisch und als einzigen Wandschmuck eine Karte des Affenmenschenlandes, auf der die meisten Flächen weiß und unbeschriftet waren.

Der Oberst war ein ausgesprochen massiger Mensch. Dabei war er aber nicht im eigentlichen Sinne fett. Seine Körpermasse schien überwiegend aus Muskeln und Unverrückbarkeit zu bestehen. Sein Bauchumfang war keinen Deut breiter als seine Brust. Die Haare waren grau und kurz und wirkten dermaßen borstig, als könnte der Oberst mit ihnen Wunden reißen wie mit einem Morgenstern.

Jenko hatte sich erhoben und zerdrückte Fenna nach dem knappen militärischen Gruß herzlich die Hand. »Freue mich sehr, dass Ihr den Weg hier herauf gefunden habt, Leutnant. Freue mich wirklich sehr. Nehmt doch Platz, ja, dort. Rückt Euch den Stuhl näher ran. Na, wie gefällt Euch unsere kleine Schatztruhe? Kann sich doch sehen lassen, nicht wahr? Ahhh, der verdammte Feldzug. Dieser verdammte, verdammte Feldzug.«

»Gibt es noch Verwundete hier im Lazarett?«

»Vom Feldzug? Nein. Sind alle verreckt. Warum? Was erzählt man sich denn so?«

»Dass es Krankheiten gegeben hat.«

»Krankheiten? Ja. Der ganze Feldzug war eine Krankheit. Eine Pest, ah. Ich habe ein gesamtes Bataillon verloren. Hauptmann Veels. Drei Kompanien. Ein tadelloser Kerl, der Veels. Tadelloser Kerl, ja. Die Hälfte meiner gesamten Besatzung: futsch. Hä? Einfach so. Kein Einziger von meinen hat’s mehr zurückgeschafft. Ein Teufelskerl, dieser Gayo. Hat die anderen zurückgeführt aus den sengenden Flammen der Hölle. Kennt Ihr den Mann? Hauptmann Gayo?«

»Nein.«

»Ah! Tut nichts zur Sache. Tut gar nichts. Ein Teufelskerl. Ist jetzt in Aldava, bei der Königin. Wird wahrscheinlich bald Kommandant einer Stadtgarde oder General oder so was. Kriegt man nicht mehr, solche Leute.« Der Oberst fasste nun den ihm gegenübersitzenden Leutnant scharf ins Auge. »Chlayst, häh? Auch so ein Pestloch. Müsstet Euch eigentlich hier schnell heimisch fühlen können, Leutnant. Ha!«

Leutnant Fenna räusperte sich. »Mit Verlaub, Oberst Jenko: Mir ist noch nicht ganz klar, was ich eigentlich hier tun soll. In Chlayst wird wirklich jeder einzelne Soldat gebraucht. Eine Gruppierung, die sich Die Heugabelmänner nennt, zieht dort Unruhestifter zusammen, die gegen die Belange der Königin zu verstoßen beginnen.«

»Mit Verlaub, ja. Das ist hübsch: mit Verlaub. Habt Euch nicht freiwillig gemeldet, das ist mir schon klar. Euer Hauptmann schuldete mir noch was. Brauche einen tadellosen Mann, der belastbar ist. Was ist das eigentlich für ein komischer Vorname: Eremith? Wollten Eure Eltern nicht, dass Ihr jemals eine Frau abkriegt? Ha!«

»Sie haben es mit th geschrieben. Also ist es nur ein Name, keine Berufung.«

Oberst Jenko sah den Leutnant wieder prüfend an. Dann lachte er auf, dass sein ganzer Leib erbebte. »Gefällt mir. Gefällt mir, der Mann. Euer Hauptmann hat mir Euch geschildert als jemanden, der in der Lage ist, Jungspunden Respekt einzuflößen. Nicht zu alt, um nicht mehr mithalten zu können, aber auch nicht mehr grün hinter den Ohren. Das ist recht so. Tadellos. Genau das kann ich jetzt brauchen. Darum geht es nämlich: Grünhörner. Wisst Ihr, Leutnant, was ein Grünhorn ist?«

»Ein … Rekrut?«

»Richtig. Begriff aus Galliko. Hübsches Wort. Trifft die Sache genau. Wollen sich die Hörner abstoßen. Sind aber noch ganz weich. Ich brauche neue Männer. Die Königin hat niemanden mehr. Alle futsch. Affenmenschenfeldzug. Köstliche Sache. Ganz große Idee. Haben ein paar Intellektuelle in Schreibstuben ausgebrütet. Hat mich meinen Hauptmann Veels gekostet. Jetzt habe ich den Hobock losgeschickt. Ah, kommt mal her, Leutnant, hier, ans Fenster! Seht Ihr die beiden Leutnants dort unten? Der Rothaarige, das ist Teny Sells. Der andere, der wie ein mageres Pferd aussieht: Marig Hobock. Die beiden teilen sich das Kommando über die Zweite Kompanie des Zweiten Bataillons. Klappt ganz anständig so weit.«

»Die waren nicht beim Feldzug.«

»Nein. Der Schnitt ging mitten hindurch durch meine Festung. Erstes Bataillon mit allen drei Kompanien: futsch. Zweites Bataillon hat bisher erst zwei Kompanien. Die sind beide hiergeblieben. Und da kommt Ihr ins Spiel. Wir wollen schon lange eine dritte Kompanie hochziehen, kriegen aber jetzt keine erfahrenen Leute mehr. Der Kontinent ist wie leer gefegt von guten Soldaten. Haben die sich doch toll ausgedacht in ihren Schreibstuben in Aldava, die Intellektuellen, findet Ihr nicht auch? Wir müssen jetzt klarkommen mit dem, was sich uns bietet. Hauptsächlich Haderlumpen und Wonneproppen. Aber immer noch besser, als wenn die sich den Mistgabelmännern anschließen, oder, Leutnant?«

»Heugabelmänner.«

»Ah ja! Hübsch. Hübscher. Jedenfalls: Das ist der Plan. Hobock hat siebzehn Gestalten aus der Umgegend zusammengesammelt. Die meisten aus Hessely. Sind aber auch ein paar aus Richtung Ferbst und Galliko dabei. Überwiegend Dorfjugend. Wollen halt bespaßt werden. Siebzehn ist aber eine blöde Zahl. Zu wenig für eine echte Kompanie. Zu viel für einen Zug. Also machen wir Folgendes: Ihr schmeißt die Unfähigsten drei von denen wieder raus, dann haben wir vierzehn plus einen Leutnant, macht eine gute halbe Kompanie. Die nennen wir dann die Dritte. Vielleicht kriegen wir ja irgendwann noch die zweite Hälfte voll.«

»Und was soll diese halbe Kompanie dann machen?«

»Na, ihren Dienst natürlich. Alles, was so anfällt. Wenn ein zweiter Feldzug beschlossen wird, dann: den zweiten Feldzug.« Das Gesicht des Obersts war jetzt lauernd. Er schien darauf zu warten, dass der neue Leutnant Anzeichen von Schwäche und Überforderung erkennen ließ.

Leutnant Fenna jedoch ließ sich auf dieses Spielchen nicht ein. Er lächelte zum ersten Mal. »Wenn diese halbe Kompanie nichts taugt: Kann ich sie dann nach Chlayst mitnehmen?«

Jetzt musste der Oberst wieder lachen. Er klopfte dem Leutnant sogar seitlich gegen die Schulter, sodass dieser beinahe aus dem Fenster gestoßen wurde. Dann führte er ihn zum Stuhl zurück. »Das ist gut, das ist wirklich gut, ja. Jedenfalls sollte die Arbeit jetzt endlich in Angriff genommen werden. Die siebzehn Halunken sind schon eine Woche hier und schlagen sich auf Kosten der Königin die Bäuche voll. Ist ein schönes Weib, unsere Königin, oder? Schon mal gesehen?«

»Noch nie. Schaut sie ab und zu hier vorbei?«

»Ach, bewahre! Das Höchste, was sich hier im Schatten der Wüste jemals blicken lässt, ist der klapprige General Feudenstich. Ist eigentlich schon längst im Ruhestand, der gute Junge, aber lässt es sich nicht nehmen, für die Königin immer noch sämtliche Garnisonen zu inspizieren. Immer auf Achse. Altes Eisen will nicht rosten. Na, jedenfalls: Für Anfang Rauchmond ist der alte Junge bei uns angemeldet. Da will ich dann ein anständiges Manöver abhalten, um ihn von der Funktionstüchtigkeit unserer Festung zu überzeugen. Das gibt Euch also lediglich anderthalb Monde, um Eure Dritte in eine vorzeigbare Form zu bringen. Das ist aber doch ausreichend, findet Ihr nicht? Es gibt eben keinen Urlaub und keine freien Tage. Ich erwarte ja nichts weiter, als dass Ihr Euch gegen Gollbergs Erste einigermaßen achtbar schlagt.«

»Mit Verlaub: Ich komme mit den ganzen Namen und Zuständigkeiten noch nicht ganz klar.«

»Ah, das ist nur menschlich, Leutnant, nur menschlich. Dabei ist doch alles ganz einfach geworden, seitdem die Hälfte unseres Regimentes futsch ist. Jetzt gibt es nur noch ein Bataillon, das Zweite. Angeführt wird es von Hauptmann Sigden Gollberg, ein ganz tadelloser Junge. Spitzenmaterial, wie man so schön sagt. Gollberg führt die Erste Kompanie höchstpersönlich an. Das sind alles Reiter, Kavalleristen. Teufelskerle und -kerlinnen. Dann gibt es noch die Zweite Kompanie, das sind die da draußen, Hobock & Sells. Und dann Euch und vierzehn handverlesene Grünhörner: die dritte Kompanie des Zweiten Bataillons. Alles ganz einfach.«

»Also ist Hauptmann Gollberg mein unmittelbarer Vorgesetzter?«

»So ist es, Leutnant, so ist es. Ihr werdet ihn noch früh genug kennenlernen. Am Anfang wird er Euch nicht dreinreden. Ihr macht Euch erst mal mit Euren Grünhörnern vertraut. Drei müssen weg. Ich gebe Euch einen Schreiber zur Seite, Lement, ein ganz tadelloser Junge. Der kann Euch helfen mit den ganzen Namen und dem Verwaltungskram. Und zu allererst solltet Ihr Euch mit Leutnant Hobock zusammensetzen, der hat die ganzen Gauner ja herbeigetrommelt und kennt sie inzwischen schon seit zwei, drei Wochen. Der kann Euch einiges über sie erzählen.«

»Gut. Dann würde ich Leutnant Hobock und den Schreiber gerne in einer Stunde in meinem Quartier treffen.«

»Ah, ja fein, fein! Gleich ans Werk, was? Guter Mann! Kurz waschen wäre ratsam, man kann Euch unter all dem Staub ja kaum ausmachen, ha! Ich gebe Euch für heute meine Ordonnanz mit, Sowis, ein ganz tadelloser Bursche. Der zeigt Euch Eure Unterkunft und führt Euch rum, was man so wissen muss, ja? Noch Fragen, Leutnant … ähhh: Fenna?«

»Wenn ich welche habe: Soll ich mich dann an Hauptmann Gollberg wenden oder direkt an Euch?«

»Ah, kommt am besten erst mal direkt zu mir, im Moment ist ja nicht allzu viel los. Gollberg ist meistens draußen und reitet Patrouillen, um die Gegend nach Norden abzusichern. Da brauchen wir ihn ja nicht mit jedem Krümel zu behelligen, was?«

»Sehr wohl, Oberst!« Leutnant Fenna erhob sich und grüßte militärisch. Gollberg war draußen, im Norden? Im Feindesland?

Bevor er sich abwenden und den Raum verlassen konnte, fragte Oberst Jenko noch: »Schon mal ’nen Affenmenschen zu Gesicht bekommen?«

»Nein, Oberst. Noch nie.«

»Hm. Na schön, na schön. Fragt bei den Grünhörnern nach, ob einer von denen schon mal in Galliko war. Ist immer gut, was zu lernen.«

»Sehr wohl, Oberst.«

»Und – Leutnant?«

»Ja?«

»Denkt daran: Allzu scharf macht schartig.«

»Allzu scharf macht schartig?«

»Ja. Nicht zu hart rannehmen, die Jungs. Zumindest nicht am Anfang. Ich brauche eine Dritte Kompanie für das Manöver. Will ja nicht, dass die alle schlappmachen, nachdem sie uns hier die Vorratskammern weggefressen haben. Wir verstehen uns.«

»Jawohl, Oberst. Die Soldfrage ist mit den Rekruten geklärt?«

»Darum kümmert sich der Schreiber Lement.«

»Sehr wohl.« Leutnant Fenna grüßte abermals und verließ dann die Schreibstube. Sowis, die Ordonnanz, erwartete ihn vor der Tür.

Jetzt erhielt der Leutnant eine kleine Führung durch die Anlagen der Festung. Wo die Latrinen für Offiziere sich befanden und man sich waschen und sogar in einem Holzzuber baden konnte. Wo die Wäscherei und die Ausbesserei für die Uniformen sich befand. Wo die Offiziersmesse war, und zu welchen Tageszeiten man dort etwas zu essen oder zu trinken bekommen konnte. Fenna dachte kurz darüber nach, auch das Lazarett besichtigen zu wollen, um sich dem hübschen Mädchen vorstellen zu können, kam dann aber zu dem Schluss, dass er dazu erst ordentlich gewaschen sein sollte.

Zuletzt führte Sowis ihn in das flache Gebäude mit den Offiziersunterkünften. »Ihr habt Glück, Leutnant«, sagte Sowis und blickte mit seinen wässrigen Augen dabei so besorgt drein, als würde er eher etwas Unerfreuliches verkünden. »Unteroffiziere bis hin zum Leutnantsrang teilen sich in der Regel zu zweit eine Kammer, Hobock und Sells machen das so. Aber momentan gibt es in der Festung keine weiteren Leutnants mehr, sodass Ihr ein Zimmer für Euch allein habt.«

»Wie viele Leutnants sind denn im Ersten Bataillon gefallen?«

»Drei. Espran, Ressell und Wainhold. Mit Espran hättet Ihr Euch das Zimmer geteilt. Hier ist es. Das ist der Schlüssel dazu.«

Fenna nahm den Schlüssel in die Hand. »Und wo wohnen die höheren Offiziere?«

»Hauptmann Gollberg wohnt auch hier, auf der anderen Gangseite. Hauptmann Veels ist gefallen. Und der Oberst schläft in der F & L

»Führung und Leitung«, brummte der Leutnant.

»Richtig«, bestätigte Sowis besorgt.

»Ich nehme an, eine eigene Ordonnanz oder so etwas wie ein Adjutant steht mir nicht zu?«, erkundigte sich Fenna.

»Na ja, wenn ich richtig informiert bin, wird Euch ein Schreiber zugeteilt. Das ist dann ja schon so etwas in der Art.«

»Richtig. Dann danke ich Euch erst mal sehr, Sowis. Ich muss mich jetzt noch etwas frisch machen. Könnt Ihr bitte dafür sorgen, dass Leutnant Hobock und der Schreiber mich in etwa einer halben Stunde in meinem Zimmer aufsuchen?«

»Wird veranlasst, Leutnant.«

»Und die dreckigen Uniformen bringt man in die Wäscherei?«

»Legt die einfach vor die Tür. Ich lasse sie später einsammeln.«

»Danke schön noch mal.«

Sowis huschte davon, der Leutnant schloss sein neues Zimmer auf.

Es enthielt tatsächlich zwei Betten, zwei schlanke Schränke, ein wackelig anmutendes Schreibpult, eine Kommode mit Waschschüssel, ein kleines, einfach gerahmtes Gemälde, das eine blühende Wiese zeigte, einen Schemel, eine leere Vase auf einem Beistelltischchen und einen Garderobenständer, bei dem zwei von vier Holzhaken abgebrochen waren. Ein Fenster ließ Licht herein. Fenna spähte hinaus. Das Fenster führte nicht auf den Exerzierhof, sondern gegenüber auf die graue Wand des nächsten Gebäudes. Die Mannschaftsunterkünfte, wenn er sich richtig erinnerte.

Er nahm seine Ersatzuniform aus dem Gepäcksack und ging sich waschen und rasieren. Vom Waschraum aus konnte er durch eine Lüftungsscharte einen Blick auf die Zweite Kompanie des Zweiten Bataillons werfen, die immer noch draußen exerzierte und sich nun im Stechschritt übte. Danach kehrte er umgezogen in sein Zimmer zurück.

Ein paar Sandstriche Ruhe wollte er sich noch gönnen, bevor die Arbeit an der Dritten Kompanie begann.

Die hohen Felswände links und rechts der Festung beschäftigten ihn. Waren Affenmenschen denn nicht ausgezeichnete Kletterer?