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Kapitel

Ein Klopfen weckte ihn. Er konnte nicht länger als einen einzigen Sandstrich lang eingenickt sein.

»Herein!«

Der längliche Leutnant und ein alter Mann mit Stirnglatze und dafür um so längeren Seitenhaaren traten ein. »Leutnant Marig Hobock und der Schreiber Lement melden sich zur Stelle«, sagte der Längliche grinsend.

Fenna eilte ihm – noch etwas benommen vom Schlaf – entgegen und drückte ihm die Hand. »Leutnant Eremith Fenna aus Chlayst. Freut mich sehr.«

»Eremit? Zieht es dich deshalb hier herauf in die Berge?«

Fenna seufzte. »Meine Eltern wollten, dass aus mir etwas Besonderes wird.«

»Das war aber sehr umsichtig von ihnen. Und dann noch Chlayst?« Der Längliche verzog das Gesicht. »Außer Skerb wohl so ziemlich der unangenehmste Posten, den es zurzeit gibt. Im Vergleich dazu schieben wir hier oben eine ruhige Kugel – wenn nicht gerade ein gigantischer Feldzug angesagt ist.«

»Mal sehen. Eine neue Kompanie aufzubauen ist mit Sicherheit eine Menge Arbeit.«

»Ja, dann kommen wir mal gleich zur Sache. Lement und ich haben etwas für dich vorbereitet. Gib ihm die Liste.« Der Schreiber händigte Leutnant Fenna hastig ein Pergament aus. Hobock zog unterdessen hörbar die Nase hoch. »Ich habe mir die Freiheit genommen, die Burschen, die ich nördlich des Larnus zusammengesammelt habe, in drei Gruppen einzuteilen. Die Pflichtbewussten sind die, die auf mich schon jetzt und eigentlich von Anfang an einen sehr guten Eindruck gemacht haben. Ausgezeichnetes Soldatenmaterial, würde ich schätzen. Leider natürlich die kleinste der drei Gruppen. Was soll man machen? Es ist nach dem Feldzug wirklich schwer geworden, Nachschub aufzutreiben. Die Bequemen, das sind die, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie sich das Leben als Soldaten möglichst einfach und angenehm vorstellen. Täglich was zu futtern, ein Dach über dem Kopf, im Winter beheizt, Kameradschaft und Liederchen und dazu noch eineindrittel Kupferstücke pro Tag als Sold. Und dann gibt es noch die Unbequemen. Das sind die Querulanten und Stänkerer, mit denen du noch deine helle Freude haben wirst, das kann ich dir jetzt schon versprechen. Einige der übelsten Burschen habe ich gar nicht erst mitgebracht. Eigentlich hatte ich die Order, dreißig Mann zusammenzutrommeln, aber ich habe kaum mehr als die Hälfte geschafft, so schwierig ist es, gute Leute zu finden.«

»Verstehe.« Fenna besah sich das Pergament mit den Namen.

Die Pflichtbewussten:     Nilocas Deleven
  Jamu Scapedo
  Breff Adirony Teppel
   
Die Bequemen:     Alman Behnk
  Ellister Gilker Kindem
  Jovid Jonis
  »Scheusal« Jeo Kertz
  Sensa MerDilli
  Bertus Plankett
  Tadao Nelat
  Bujo Stodaert
   
Die Unbequemen:     Gerris Resea
  Yinn Hanitz
  Ildeon Ekhanner
  Fergran von den Holtzenauen

Leutnant Hobock fuhr fort zu erläutern: »Ich könnte die Leute alle in den Hof rufen, dann kannst du dir schon mal aus dem Fenster einen ersten Eindruck verschaffen. Wenn sie ihrem neuen Leutnant gegenüberstehen, werden sie natürlich alle Haltung annehmen und sich Mühe geben. Es könnte also aufschlussreicher für dich sein, dir anzuschauen, wie sie sich mir gegenüber verhalten, denn bei mir haben sie schon längst mitgekriegt, dass ich hinterher nicht für sie zuständig sein werde, und nehmen sich die eine oder andere Frechheit heraus.«

»Hm. Was bedeutet »Scheusal« Jeo Kertz?«

Hobock lachte auf. »Das ist sein Spitzname. So nennen ihn alle. Er ist richtig stolz darauf. Er trägt ein Gestell mit dicken Schleifgläsern auf der Nase und sieht auch ansonsten ziemlich unmöglich aus. Riecht auch streng, der Mann, egal, wie oft man ihn zum Waschen schickt. Ist aber ansonsten harmlos. Einer von den Bequemen halt.«

»Und dieser Fergran von den Holtzenauen ist ein echter Adeliger?«

»Verarmter Landadel, wenn du mich fragst. Von irgendwo aus dem Larnwald. Bildet sich viel ein auf seine Kenntnisse der Schmetterlingsmenschen. Schwierig zu handhaben. Einer von den Unbequemen.«

»Und Garsid? Hat der keinen Vor- oder Nachnamen?«

»Nicht dass ich wüsste. Das ist ein knallharter Bursche, der war schon mehrere Jahre in Galliko. Der lässt selbst mich deutlich spüren, dass ich weniger Erfahrung im Kampf mit den Affenmenschen habe als er. So jemand kann natürlich von großem Nutzen für die ganze Truppe sein, aber man muss ihn erst mal in ein disziplinarisches Geschirr zwingen, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ja.« Fenna dachte nach. »Ich soll drei von denen aussortieren. Ihr würdet mir natürlich zu den Unbequemen raten?«

Hobock verzog wieder das Gesicht. »Ach, das kann ich gar nicht so mit Sicherheit sagen. Wie schon erwähnt: Die Unbequemen sind schwer zu satteln, aber womöglich sind einige von ihnen die besten Pferde im Stall. Die Bequemen sind sicherlich … austauschbarer. Leichter zu ersetzen. Solche findet man in jedem Dorf. Vielleicht nicht gerade jetzt, aber in einem Jahr wahrscheinlich schon wieder. Nur die Pflichtbewussten würde ich natürlich auf jeden Fall behalten. Die machen einem als Offizier das Leben leicht.«

»Sie müssen aber auch was draufhaben. Pflichtbewusstsein alleine genügt nicht. Was stehen mir denn für Kapazitäten zur Verfügung, um einen ordentlichen Übungsparcours im Hof aufzubauen?«

»Ein Übungsparcours? Na ja, wir haben ein paar Geräte im Zeughaus. Hindernisse. Ein paar Holzkästen, Seile, Netze und so’n Kram.«

»Und stumpfe Waffen?«

»Auch das.«

»Gut. Lement, kannst du dir so etwas wie ein Punktesystem ausdenken, bei dem man die Leute in – sagen wir – drei Disziplinen gegeneinander antreten lassen kann? Wettrennen in der Gruppe, Hindernislauf alleine und Zweikämpfe?«

Der Schreiber, der bislang noch gar nicht zu Wort gekommen war, versteifte sich militärisch. »Es sind siebzehn Mann. Man könnte ein 16er-Zweikampfsystem benutzen mit einem Mann Überhang. Wollen wir genaue Regeln festsetzen, was erlaubt ist und was nicht?«

Fenna dachte wieder kurz nach. »So wenig Regeln wie möglich. Ich will sehen, was die Kerle für Tricks draufhaben.«

»Das ist kein Problem, Leutnant«, sagte Lement und nickte bekräftigend. »Ich kann auch während des Wettbewerbs Notizen machen und die Euch dann kontinuierlich vorlegen.«

»Sehr gut. Es gibt nur eine Sache, die ich nicht so richtig begreife«, sagte Fenna, jetzt wieder an Leutnant Hobock gewandt. »Wenn es eigentlich dreißig Mann hätten werden sollen und Ihr nur siebzehn zusammenbekommen habt – warum soll ich dann drei rausschmeißen? Wäre es nicht schlauer, alle siebzehn zusammenzuhalten und im Laufe der Zeit noch dreizehn dazuzurekrutieren?«

»Kommt das direkt vom Oberst mit dem Rausschmeißen?«

»So sah es für mich zumindest aus.«

Hobock grinste. »Das hat so sein System bei dem Alten. Dadurch sollen die Grünhörner merken, dass sie sich hier nicht auf einem bequemen Posten ausruhen können, sondern dass man auch jederzeit wegen Unfähigkeit unehrenhaft entlassen werden kann. Oder sterben. Deshalb sind wir auch immer noch das Zweite Bataillon, obwohl es das Erste gar nicht mehr gibt. Das Erste steht beständig als leuchtendes Beispiel vor uns, und wir anderen sind irgendwie alle nur die Zweitbesetzung.«

»Sieht Hauptmann Gollberg das genauso?«

»O Mann, der natürlich nicht! Dem scheint sogar beim Reiten die Sonne aus dem Arsch. Vielleicht ist das auch Quatsch, die Durchnummerierung mit Erstem und Zweitem war ja vorher auch schon so. Das hat nichts mit Leistung zu tun. Aber jedenfalls, wenn der Alte sagt, drei rausschmeißen, dann schmeiß drei raus. Ist besser so in deinen ersten Tagen.«

»Ja, das denke ich auch. Kann ich ein paar von Ihren Männern ausleihen, um den Parcours aufzubauen?«

»Dürfen unsere Jungs denn zuschauen?«

»Na klar, warum denn nicht?«

»Dann helfen wir alle mit.«

Beim Hinausgehen legte Fenna noch seine verschwitzte Uniform vor die Tür, wie Sowis ihm dies geraten hatte.

Auf dem Hof war es immer noch sehr warm, obwohl die beidseitig aufragenden Klippen mit ihren Schatten eine allzu quälende Glut verhinderten. Fenna schaute unwillkürlich wieder zu dem Lazarett hinüber, doch dort ließ sich niemand blicken. Auch der spöttische Zivilist in der Mannschaftstür fehlte jetzt.

Die Soldaten der Zweiten Kompanie des Zweiten Bataillons waren trotz der im Inneren der Festung erträglichen Temperaturen bereits ziemlich in Schweiß geraten, weil der rothaarige Leutnant Sells sie ordentlich herumscheuchte. Das Aufbauen eines Hindernisparcours für »die Neuen« erschien ihnen allen als willkommene Abwechslung.

Leutnant Fenna betrachtete diese Soldaten, während er Hand in Hand mit ihnen arbeitete. Sie waren anders als die in Chlayst, sahen gesünder aus, was sicherlich der unverdorbenen Luft geschuldet war, aber auch jünger und frischer. Sie hatten alle dieselbe kurz geschorene Frisur, die auch Sells und Hobock trugen, deutlich kürzer als in Chlayst. Auf eine schwer zu beschreibende Weise sahen sie sich alle – auch die vier oder fünf Frauen unter ihnen – ähnlich, als wären sie ein und derselben annähernd idealen soldatischen Gussform entsprungen. Vielleicht täuschte dieser Eindruck aber auch nur, weil sie so gut koordiniert zusammenarbeiteten. Auf jeden Fall war Fenna sich ziemlich sicher, dass noch keiner von denen gravierende Kampferfahrungen aufwies. Sein eigener kurzfristig zusammengewürfelter Trupp versprach, in dieser Hinsicht eventuell spannender zu werden.

In einem großen Oval bauten Fenna und die Zweit-Zweiten mithilfe etlicher Pflöcke und Nägel einen Kurs, dessen Hindernisse aus zwei hohen Bretterwänden, fünf hintereinanderliegenden Fässern zum Drüberspringen und zwei weiteren zum Hindurchkrauchen, drei tiefen Hürden zum Drunterdurchrobben, einem aufgespannten Netz zum Durch-die-Maschen-Waten sowie sechs quer gespannten Seilen bestand.

»Der ist doch gar nicht übel«, sagte Leutnant Sells hinterher stolz. »Den werden wir noch bis morgen stehen lassen, dann können unsere Jungs und Mädels ihn auch mal benutzen.«

Der Schreiber Lement hatte inzwischen einen Punktwertungsplan entwickelt. Seine langen Seitenhaare waren vor Fleiß ganz gesträubt. »Für den Hinderniskurs ist die Wertung ziemlich einfach: null Punkte, wenn einer unterwegs aufgibt oder gar nicht mehr weiterkommt; einen Punkt, wenn er den Kurs absolviert; zwei Punkte, wenn er den Kurs zügig absolviert; drei Punkte bei herausragender Geschicklichkeit und Schnelligkeit. Beim Kämpfen gibt es bei siebzehn Mann vier Runden. Wer verliert, scheidet aus, wer gewinnt, kommt eine Runde weiter. Ein Mann ist zu viel, den müsst Ihr entweder von Anfang an herausnehmen, oder Ihr könnt einem der bereits Ausgeschiedenen vielleicht eine zweite Chance geben. Bei Erreichen jeder Runde gibt es einen Punkt. Was den Wettlauf angeht, würde ich vorschlagen, dass wir drei Gruppen bilden, zwei zu sechs und eine zu fünf Mann. Da gäbe es dann null Punkte für den Letzten und vier oder fünf für den Ersten. So bekommen wir am Ende eine recht differenzierte Punkteskala zusammen mit dem Höchstwert zwölf und dem denkbar schlechtesten Wert null. Da sind dann Abstufungen erkennbar, die Aussagekraft besitzen.«

»Sehr gut, Lement. Wer am Ende null Punkte hat, ist wohl nichts für uns«, brummte Fenna.

Leutnant Hobock stellte sich neben die beiden. »Wo soll denn der Wettlauf langführen?«

Fenna schaute sich kurz um. »Einfach einmal von der Westmauer zur Ostmauer, dort anschlagen und wieder zurück. Nichts Ausgefallenes.«

»Dann lassen wir sie mal antreten, oder?« Hobock grinste.

»Ja. Macht Ihr das am besten, Hobock. Euch kennen sie ja schon. Und dann stellt Ihr mich vor, und ich übernehme.«

»Äh – unter uns Gleichrangigen können wir ruhig Du zueinander sagen.«

»Später, Leutnant. Wenn wir etwas zusammen erlebt oder getrunken haben.«

Achselzuckend schlenderte Hobock hinüber zu den Mannschaftsunterkünften.

Fenna wandte sich an Lement: »Und du führst Buch und notierst die Punkte.«

»Selbstverständlich. Ich habe schon Tabellen vorskizziert.«

Aus den Mannschaftsunterkünften war Leutnant Hobocks Stimme zu hören: »Grrrrrrrünhörrrrrrnerrrrr! Auf dem Hof an-ge-trrreee-tennn zum Appell! Euer neuer Leutnant wartet! In Zweierreihen hopp, hopp, hopp! Nicht so lahmarschig da hinten. Hopp, hopp, hopp! Auf den Hof. Nicht in das Netz laufen. Rechtsherum. Dem Vordermann hinter-heeeer und Augen auf, ihr lahmen Gesellen!«

Die Buntheit des Haufens, der sich aus der Tür auf den Hof ergoss, überstieg Fennas Befürchtungen deutlich. Keines der Grünhörner trug Uniform. Das ergab immerhin Sinn. Drei sollten entlassen werden, denn noch war keiner von ihnen vereidigt.

Leutnant Hobock hatte mit diesem Häuflein offensichtlich schon ein paar Grundbedingungen eingeübt – wahrscheinlich hatte er sie auf der Reise zur Festung in Formation marschieren lassen. Nun bereitete es ihm eine diebische Freude, die siebzehn Noch-Zivilisten mit militärischen Kommandos zu drangsalieren. »Nicht haltmachen da vorne! Euer neuer Leutnant ist der, der dieselbe Uniform trägt wie ich und keine roten Haare hat. Bekommt ihr das hin, dieses Rätsel zu lösen? Na wunderbar! Aufschließen! Ist denn noch einer nicht draußen? Hanitz, komm mal in die Gänge, Mensch! Hopp, hopp, hopp heißt Galopp und nicht Stopp! Rechtsherum, wo die anderen stehen. In langer Reihe aufstellen! Stillgestanden da vorne, aufrücken hinten. Und Ach-tung! Hallll-tung! Das heißt: Bauch einziehen, Behnk! Mütze runter, Jonis! Aufhören zu zittern und aufhören zu schnattern! Leutnant Fenna hat das Wort, eigens für euch Hundejungen angereist aus dem gefährlichen Chlayst, um euch etwas Achtung einzuflößen vor dem Wappen der Königin! Augen rechts, auf das Wappen! Augen geradeaus, auf euren Leutnant! Geradeaus ist da, wo deine Zehen hinzeigen, Behnk, nicht oben im Himmel!«

Fenna wippte unwillkürlich auf den Fußballen. »Danke, Leutnant Hobock.« In einer langen Reihe standen sie nun vor ihm. Siebzehn Rekruten in Zivil. Einer war nicht nur dick, sondern sogar fett. Einer sah jung aus wie ein Dreizehnjähriger. Einer war alt. Einer war einen Kopf größer als die anderen. Einer trug eine traditionelle hesselische Trachtenkleidung. Der mit den Augengläsern war hässlich wie ein Affenmensch. Einer sah aus wie ein Mädchen, war aber keins. Einer hatte vor Aufregung rote Flecken im Gesicht. Der Schnösel mit dem Spitzbart war natürlich auch dabei. Sicherlich der Adelige.

»Warum sind keine Frauen dabei, Leutnant Hobock?«, fragte Fenna.

Hobock zuckte wieder die Achseln. »Hat sich nur eine Einzige freiwillig gemeldet. Nach dem Feldzug sind die Frauen wohl vorsichtiger geworden. Und als die eine dann mitgekriegt hat, dass sie die Einzige wäre, hat sie einen Rückzieher gemacht.«

Fenna knurrte. In Chlayst hatte er sehr gute Ergebnisse mit weiblichen Untergebenen erzielt. Sie neigten nicht so sehr dazu, sich selbst zu überschätzen und Dummheiten zu machen wie die Kerle. Außerdem waren sie reinlicher und gaben auch auf ihre Ausrüstung besser acht. »Eine Kompanie aus Jungs. Na gut, das soll wohl so sein. Wir machen jetzt Folgendes, Männer. Jeder tritt einzeln vor und gibt seinen Namen, sein Alter und seinen Herkunftsort an. Anschließend läuft er so schnell wie möglich eine Runde auf diesem Hinderniskurs. Abschließend stellt er sich vor die anderen hin und nennt seinen Grund, weshalb er Soldat werden möchte. Ich mache das jetzt einmal vor, und ich erwarte, dass ihr euch alles merken könnt. Leutnant Eremith Fenna, 32 Jahre, aus Chlayst!«

Fenna lief los. Ein kurzer Blick hinauf in das obere Stockwerk der Führung & Leitung bestätigte ihm, dass Oberst Jenko dort am Fenster stand und mit unbewegter Miene zu ihnen hinabschaute. Auch die Wächter auf den Tortürmen waren jetzt Publikum. Hobock & Sells. Die Zweite Kompanie. Die Grünhörner. Das wieder aufgetauchte hübsche Gesicht hinter dem Lazarettfenster.

Ihm war klar, dass er ein Risiko einging, indem er sich selbst dem Parcours aussetzte. Wenn er von den Kletterwänden stürzte oder sich sonst wie ungeschickt anstellte, würde das sein Ansehen bei den Grünhörnern und auch in der gesamten Festung von Anfang an gehörig untergraben. Aber er hatte es sich schon in Chlayst zum Prinzip gemacht, von seinen Leuten nichts zu verlangen, was er sich nicht auch selbst zutraute. Und darüber hinaus hatte er das Gefühl, dass er seinen eigenen Status als Neuer, als Grünhorn innerhalb des etablierten Systems Carlyr, am ehesten dadurch verlieren konnte, dass er jegliche Hänselei von Anfang an im Keim erstickte.

Er nahm die erste Bretterwand mit Wildheit. Sprang, zog sich hoch, riss sich selbst hinüber, landete gut. Die Wand zitterte, hielt aber. Danach die querliegenden Fässer: Er sprang schnell und hoch genug, um mit jedem Schritt ein Fass zu überwinden. Jetzt glitt er durch ein liegendes Fass, etwas zu heftig, das Fass wurde schier aus seinen Befestigungspflöcken gerissen. Ruhig. Ruhiger. Jetzt das Netz. Fenna beschloss, Tempo herauszunehmen, um nicht peinlich ins Straucheln zu geraten. Er durchquerte die Maschen mit Umsicht. Jetzt Anlauf. Die zweite, noch höhere Hinderniswand. Die Wand ächzte und barst beinahe, aber Fenna mühte sich hinüber. Dann wieder runter, unter den tiefen Hürden hindurch und durch das zweite offene Fass. Diesmal vorsichtiger, nicht so schürfend. Zuletzt ein kurzer Spurt und die sechs quer gespannten Seile wie ein Hürdenläufer.

Er kam wieder bei den Grünhörnern an. Sein Atem ging schwer, er merkte, wie ihm die Strapazen der Reise noch in den Knochen steckten und die kurze Ruhe auf dem Bett ihn eher noch ermüdet als gestärkt hatte. Aber er nahm militärische Haltung an und sagte: »Ich bin Soldat, weil ich der Krone und der Königin, die sie trägt, mit all meiner Kraft und all meinen Fähigkeiten dienen möchte. So, dieser Grund ist somit genannt worden. Ich erwarte von euch, dass ihr mir weitere Gründe nennt, siebzehn an der Zahl. Also los jetzt, in der Reihenfolge, wie ihr hier steht.« Den letzten Satz bekam er kaum noch heraus, jetzt musste er viermal atmen, um wieder Luft aufzuholen. Er schaute lieber nicht zu Oberst Jenko hoch, das hätte als Zeichen der Unsicherheit ausgelegt werden können.

Das erste Grünhorn trat vor. Ein Klippenwälder, der für einen Klippenwälder verhältnismäßig schmal und geschmeidig wirkte. Er war älter als Fenna, seine Haare waren halblang und zu vielen kleinen Zöpfen geflochten, sein Gesicht wangenknochig und ernst. »Nilocas Deleven, 37 Jahre, aus Bangannisan in den Klippenwäldern.« Deleven bewältigte den Parcours mit Leichtigkeit. Keine Wand ächzte. Kein Fass rüttelte. Er war schneller als Fenna. Er war auch nicht so außer Atem, als er sich hinterher aufstellte und sagte: »Ich möchte Soldat in der Festung Carlyr werden, weil ich davon ausgehe, dass dieser Stützpunkt nach dem unglücklichen Verlauf des großen Feldzuges von wichtiger taktischer Bedeutung für den gesamten Kontinent werden könnte.«

Fenna staunte und blickte zu Hobock hinüber. Hobock nickte und deutete auf das Pergament mit den Grünhörnern, wo Deleven ganz oben stand bei den Pflichtbewussten. »Der beste Mann!«, formte Hobock lautlos mit den Lippen, sodass nur Fenna es mitbekam. Das war natürlich Pech, dass ausgerechnet der Beste von allen direkt hinter Fenna antrat und dessen Leistung etwas schmälerte. Aber andererseits war es sicherlich kein Zufall, dass Deleven als Erster aus den Unterkünften gerannt gekommen war und nun vorne in der Reihe stand. »Der Nächste!«, sagte Fenna nur knapp. Lement notierte drei Punkte für Deleven.

Das zweite Grünhorn trat vor. Das war der in der bunten Trachtenkleidung. Rosige Wangen konturierten sein stupsnasiges Gesicht. »Mails Emara, 18, aus Westkald in der Gegend von Hessely. Ein kleiner Ort, der auf den meisten Karten leider überhaupt nicht verzeichnet ist, obwohl wir für unseren Honig und unsere Schnapsbrennereien gerühmt werden.«

Emara hatte schon deutlich mehr Mühe als Fenna und Deleven, brauchte vier Anläufe für die zweite, hohe Bretterwand und verhedderte sich im Netz. Aber er schaffte es. »Ich will Soldat werden«, keuchte er, »weil Westkald und Hessely als Erstes überrannt werden, wenn Carlyr fällt, und ich meine Familie – meine Eltern und meine Geschwister – und meine schöne Heimat schützen möchte. Danke sehr.«

Lement schwankte zwischen einem und zwei Punkten. Fenna entschied, nicht allzu streng zu sein, und ließ den Schreiber zwei notieren.

Das dritte Grünhorn war der Fette. Er schwabbelte förmlich beim Vortreten. »Alman Behnk, 22, direkt aus Hessely. Ich möchte Soldat werden, weil … ach nein, das kommt ja erst hinterher.« Er wetzte los, überwand strampelnd und fiepend die erste Bretterwand, kroch mehr, als dass er sprang, über die liegenden Fässer und blieb dann im ersten liegenden Fass stecken. Es ging nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Lachend mussten mehrere Soldaten der Zweiten Kompanie ihm da heraushelfen. Auch von den Türmen war Gelächter und Gejohle zu hören. Dennoch gab Behnk nicht auf. Das Netz überwand er langsam und mit Umsicht. Aber an der zweiten Wand war dann Schluss.

Dennoch stellte Behnk sich neben der Wand auf und sagte weinerlich: »Ich möchte Soldat werden, weil ich besser werden will, Leutnant!«

Fenna nickte und winkte Behnk zurück in die Reihe. Lement notierte eine »0«, aber Fenna vermerkte im Hinterkopf, dass Behnk es immerhin versucht hatte.

Der Vierte war der Älteste unter den Grünhörnern. Sein Vollbart war bereits silbergrau, sein Haupthaar deutlich gelichtet. »Breff Adirony Teppel, 54 Jahre, aus Paischen bei Uderun«, brüllte er laut und zackig. Den Parcours bewältigte er quälend langsam, aber vollständig. »Ich will Soldat werden, weil meine beiden Söhne auch Soldaten waren und auf dem Feldzug gegen die verfluchten Affenmenschen gefallen sind!« Eckig trat er zurück ins Glied. Lement vermerkte einen Punkt.

Der Fünfte hatte Sommersprossen und beinahe so rote Haare wie Leutnant Sells. »Ildeon Ekhanner, 38, ebenfalls aus Paischen bei Uderun.« Ekhanner riss beim Robben unter den drei tiefen Hürden sämtliche Hürden mit sich und schlug beim Endspurt über die Seile so schwer hin, dass Fenna schon befürchtete, er habe sich ernstlich verletzt, aber er rappelte sich wieder auf und hinkte zurück ins Glied. Beinahe vergaß er seinen Schlusssatz, doch der neben ihm stehende Teppel stupste ihn zweimal an. »Ach ja: Ich will Soldat werden, weil mein Kumpel Breff ebenfalls Soldat wird. Und weil ich Gutes tun will und Nützliches, für den Kontinent und alle Leute und so!« Lement notierte einen Punkt.

Der Sechste: ein schmallippiger Glatzkopf mit stechenden Augen. Sein linkes Ohr war von drei Ringen durchbohrt, allerdings nicht im Läppchen, sondern oben im Knorpel der Ohrmuschel. »Garsid, 30, von Galliko.« Garsid zeigte die bislang beste Leistung auf dem Parcours, noch schneller als Deleven. Er flankte geradezu über die Bretterwände und war der Erste, der beim Netz nicht in die Maschen trat, sondern oben auf dem gespannten Netz selbst balancierte. Lement notierte eine »3«, als Garsid sagte: »Ich will Soldat werden, weil ich mich auch schon für den Feldzug freiwillig gemeldet hatte, mir dann aber etwas dazwischenkam, sodass ich nicht teilnehmen konnte.« Fenna trat zu Lement und wies ihn an, aus der »3« eine »4« zu machen, weil Garsid einen neuen Weg über das Netz erfunden hatte.

Der Siebte war der Riese. Über zwei Schritt groß, mit den für Klippenwälder typischen Hunderten von kleinen Zöpfen, die wiederum zu einem großen Zopf zusammengebunden waren. Sein Gesicht war langwimprig und wirkte sanft und etwas dümmlich. »Ellister Gilker Kindem. Schwertmann Erster Rang, Sohn von Gilgris Kindem, Schwertmann Dritter Rang. 23 Jahre. Das Dorf, aus dem ich komme, heißt Sipbyckten.« Kindems Stimme war dermaßen tief, dass sie innen drin im Kopf ein Dröhnen verursachte.

Wie bei einem Klippenwälder nicht anders zu erwarten, bereitete der Parcours ihm keine große Mühe, aber er war deutlich langsamer und schwerfälliger als Deleven und Garsid. Lement notierte eine »2«. »Ich will Soldat werden, weil ich die Königin verehre. Sie ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Ich habe sie nämlich einmal gesehen, in der Hauptstadt, beim Arispfest vor zwei Jahren. So ist das.« Fenna konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

Der Achte war der Junge, der wie ein Dreizehnjähriger aussah. Braune Locken umrahmten sein unschuldiges Gesicht. »Jovid Jonis, 17 Jahre alt, aus der Provinz Hessely.« Der Junge hatte Mühe mit den Bretterwänden, quälte sich aber umständlich und langgliederig hinüber. Er war völlig erschöpft, als er wieder bei der Reihe ankam. »Ich … ich … will … Soldat werden, … Soldat werden … weil mein … Vater … sagt, dass das eine … gute … und anständige Anstellung ist … Herr Leutnant.« Jonis erhielt einen Punkt.

»Darf ich dich fragen, ob du tatsächlich schon siebzehn bist, mein Junge?«, fragte Fenna in ungewollt väterlichem Tonfall.

»Jawohl, Herr Leutnant, sieb… siebzehn, Herr Leutnant. Ich weiß, dass ich … jünger aussehe. Aber ich bin siebzehn und habe sogar schon ein Mädchen, Nara Wesener, die dritte Tochter des Galanteriehändlers.«

Einige lachten, Fenna nickte nur.

Der Neunte war der hässliche Bursche mit dem fettigen Topfhaarschnitt, den eitrigen Pickeln, den dicken Augengläsern und dem senfartig-säuerlichen Körpergeruch: »›Scheusal‹ Jeo Kertz aus Kimk, 21 Jahre«, sagte er munter. Anschließend zerstörte er den Parcours. Er riss erst eine der Kriechtonnen aus ihrer Verankerung, zerrte das Netz zu Boden, als er versuchte, wie Garsid darüberzubalancieren, und sprang gegen Ende dermaßen heftig gegen die höhere Wand, dass diese auseinanderbrach. Die Soldaten der Zweiten Kompanie mussten den Kurs erst einmal wiederherstellen. Kertz lachte über das ganze Gesicht. »Ich will trotzdem Soldat werden. Stellt Euch mal vor, Leutnant, was ich bei den Feinden alles kaputt machen kann!« Jetzt lachten auch die anderen nicht mehr nur über, sondern auch mit Jeo Kertz, und selbst Leutnant Fenna musste grinsen. Dennoch bekam Kertz null Punkte gutgeschrieben.

Der Zehnte war der gutaussehende Spöttische mit dem Spitzbart und der geschmackvollen Kleidung, den Fenna für den Adeligen gehalten hatte. Aber er wurde überrascht: »Gerris Resea, 25, aus Ferbst.« Mit nur halb geöffneten Augen absolvierte Resea den neu aufgebauten Parcours so zügig, dass es zwar zu zwei Punkten reichte, Fenna aber das Gefühl nicht loswurde, dass auch drei Punkte leicht im Bereich des Möglichen gewesen wären. Ein kurzer Blick auf Hobocks Liste bestätigte ihm, dass Resea ganz oben auf der Liste der Unbequemen stand. Nicht durch Faulheit, sondern durch Überheblichkeit würde dieser Mann zum Problem werden. »Ich werde Soldat, weil die Armee jetzt mehr denn je gute Leute dringend brauchen kann.« Fenna unterdrückte ein höhnisches Schnauben. Borniertheit hatte er noch nie ausstehen können.

Der Elfte war Fenna vorher in der Reihe nicht aufgefallen, aber als er nun vortrat, war deutlich zu sehen, dass er sogar kräftiger und athletischer gebaut war als sämtliche Soldaten der Zweiten Kompanie. Seine Haut war dunkler als die der anderen, seine Augen glühten wie schwarze Edelsteine. »Sensa MerDilli aus Diamandan.« MerDilli übersprang zwei Fässer auf einmal, stürzte im Netz, flankte geradezu übermenschlich über die höhere der beiden Bretterwände und stürzte ein zweites Mal beim Versuch, zwei der gespannten Seile auf einmal zu überspringen. Ihm zuzuschauen war ein Erlebnis, aber er war noch zu ungebändigt, um wirklich effektiv zu sein. Fenna sah unglaublich viel Arbeit auf sich zukommen. »Ich will Soldat werden, weil ich auch schon zum Feldzug wollte wie der Glatzkopf«, sagte MerDilli, ohne groß aus der Puste zu sein. »Leider ist Diamandan so weit weg. Bis ich endlich in Endailon ankam, war das Heer schon abgerückt. Ich bin hinterher, konnte es aber nicht mehr einholen. Seitdem drücke ich mich im Norden herum und warte auf eine Gelegenheit. Als Leutnant Hobock mich dann ansprach, wusste ich: Das ist es!« Lement sprach sich kurz mit Fenna ab und vermerkte dann drei Punkte.

Der Zwölfte war das genaue Gegenteil des Elften. Während MerDilli männlich wirkte wie ein Krieger, der sich auch alleine durchzusetzen verstand, war der Zwölfte zwar ein Junge, sah aber hübsch und zart aus wie ein Mädchen. Er trug die dunklen Haare kurz, aber seltsamerweise betonte dies sein weibliches Gesicht nur noch mehr. »Tadao Nelat, 19, aus Ferbst«, hauchte er mit zarter Stimme. Und dann machte er sich an den Hinderniskurs. Er schlängelte sich sehr geschmeidig durch die Fässer, tänzelte eleganter als alle anderen durch die Netzmaschen, glitt unter den Hürden hindurch wie ein Tänzer oder eine Tänzerin – aber für beide Hinderniswände brauchte er jeweils mehr als fünf Sandstriche. Lement konnte ihm nur einen Punkt gutschreiben, aber immerhin. »Ich möchte Soldat werden«, flötete Nelat abschließend, »weil meine Eltern sagen, dass das einen Mann aus mir machen wird.« Niemand lachte, denn alle hatten gesehen, dass Nelat auf dem Parcours Potenzial bewiesen hatte.

Das Gesicht des Dreizehnten glich dem einer Krähe: Wie bei einem Schnabel schienen sämtliche Züge sich in der Nase zuzuspitzen. Selbst seine Haare sahen ein wenig wie Federn aus. »Jamu Scapedo, 24, aus Galliko.« Auch Scapedo balancierte über das Netz. Im Sprinten schien er der bislang Schnellste von allen zu sein. Lement verzeichnete volle drei Punkte. Scapedo grinste zufrieden. »Ich will Soldat werden, weil ich so viele Affenmenschen wie möglich töten möchte. In Galliko ist man viel zu zaghaft, man hat dauernd Schiss vor irgendwelchen Gegenangriffen. Aber hier in Carlyr ist man anders drauf. Hier hat man gesehen, zu was die Affen in der Lage sind. Von hier aus könnte man einen Vorstoß machen, der sich wirklich gewaschen hat.«

Der Vierzehnte war wieder ein Gegensatz zum Dreizehnten: Während Scapedo aggressiv und schneidig wirkte, machte der Dreizehnte einen ausgesprochen harmlosen und freundlichen Eindruck. Er trug den flaumigen Schnauzbart eines Heranwachsenden und hatte ein weiches, kinnloses Gesicht. »Bertus Plankett aus dem hübschen Dörflein Jeckist, mitten in der Ebene zwischen Hessely und Ferbst. Stets zu Diensten. 22 Jahre bin ich jung.« Beinahe gemütlich trabte Plankett über den Parcours, mühte sich unvorteilhaft über die Wände, schaffte aber alles mit schneckenhafter Gelassenheit. Er lächelte sogar, als er abschließend erklärte: »Ich will Soldat werden, weil man da tolle Erfahrungen machen kann. Man lernt neue Leute und Gegenden kennen. Man lernt etwas. Und das Essen soll auch gar nicht schlecht sein, habe ich mir sagen lassen.« Lement gab ihm einen Punkt.

Jetzt waren nur noch drei übrig. Der Fünfzehnte schien immerhin das militärische Grüßen schon ordentlich verinnerlicht zu haben. Er war bleich und dünn wie ein Geschöpf, das in Kellern lebt. »Bujo Stodaert, 22 Jahre, aus Hessely, meldet sich zur Dritten Kompanie, Zweites Bataillon Festung Carlyr, Leutnant Fenna. Ich beginne.« Mit Elan und vorbildlicher Haltung absolvierte Stodaert den Kurs mit zwei Punkten. Er hätte auch drei Punkte sammeln können, wenn er sich nicht vor und nach jedem einzelnen Hindernis wie ein Turner aufgerichtet und das Kinn und die Arme heischend in die Höhe gereckt hätte. Sein Hohlkreuz beim Springen imponierte allen.

»Melde den Kurs als gemeistert«, sagte er anschließend steif. »Bewerbe mich um eine Anstellung als königlicher Soldat, weil jeder junge Mann, der die Annehmlichkeiten eines Lebens auf dem Kontinent in Anspruch nimmt, die gleichzeitige Verpflichtung besitzt, dem Land zurückzuzahlen, was es ihm an Möglichkeiten bereitstellt. Bitte deshalb auch gehorsamst auf jegliche Soldzuteilung verzichten zu dürfen. Der Dienst für die Krone soll mir des Lohnes genug sein, Leutnant Fenna.« Fenna nickte so ernst, wie es ihm möglich war.

Der Sechzehnte hatte ein Gesicht, das Leutnant Fenna auf Anhieb gut gefiel. Einnehmend, aber nicht anbiedernd. Gut aussehend, aber uneitel. Er war unrasiert und hatte störrische dunkelblonde Haare. »Fergran von den Holtzenauen aus Schlehen im Larnwald. 25 Jahre.« Das also war der Adelige. Er gab sich redlich Mühe und überwand seine offensichtliche Abneigung, unter den Hürden oder durch die Fässer auf dem Boden herumzukriechen und sich schmutzig zu machen. Zerzaust stellte er sich wieder auf und bekam von Lement zwei Punkte. »Ich will zur Armee, weil ich glaube, dass meine medizinischen Kenntnisse hier von Nutzen sein könnten.«

Leutnant Fenna zog die Augenbrauen hoch. »Du willst nicht Soldat werden, sondern Stabsheiler?«

Von den Holtzenauen lächelte. »Beides. Ich kann kein guter Stabsheiler werden, wenn ich die Soldaten und ihre Lebensbedingungen nicht kenne.«

Fenna nickte und fragte sich, was dieser Mann auf der Liste der Unbequemen zu suchen hatte. Hobocks Einschätzungen schienen ihm ohnehin nicht immer ganz nachvollziehbar zu sein. Vielleicht verhielten sich die Männer ihm gegenüber aber auch anders.

Der Letzte in der Reihe war der mit den roten Hektikflecken im Gesicht. Er stotterte vor Zackigkeit. »Yinn Hanitz aus Kikikikimk. Aus Kimk natürlich. Verzeihung! 26 Jahre alt.« Auffällig an Hanitz war, dass sein Gesicht bereits durch mehrere Narben nicht verunstaltet, aber doch deutlich geprägt wurde. Er hatte Augen, die tief in schattigen Höhlen zu liegen schienen, und stürzte sich mit Feuereifer in den Parcours. Die hohe Wand ging beinahe ein zweites Mal zu Bruch. Das letzte quer gespannte Seil riss von den Pflöcken. Aber drei Punkte waren der Lohn für die dadurch erreichte hohe Geschwindigkeit. »Ich will Soldat in der Festung Carlyr werden, weil ich schon oft als Zivilist hier gewesen bin. Ich habe früher als Händlergeselle Holz nach Carlyr liefern geholfen, und die Festung hat immer einen großen Eindruck auf mich gemacht. Auch jetzt fühle ich die Erhabenheit dieses Ortes und seine einzigartige Lage – wie ein Damm, der die Felsenwüste vor dem brandenden Meer aus Affenmenschenleibern abschließt.«

Fenna nickte und stellte sich vor der Reihe auf. »So weit, so gut, Männer!« Er ließ sich von Lement die Punkteliste aushändigen. »Wir haben nur zwei Nuller, fünf Einser, fünf Zweier, vier Dreier und einmal sogar einen Vierer: Garsid, der einen neuen Weg über das Netz erfunden hat. Das ist doch schon recht vielversprechend. Was ich euch vorher nicht gesagt habe, und zwar absichtlich nicht gesagt habe, ist, dass ich drei von euch heute nach Hause schicken muss. Wer also den Parcours zu lässig angegangen ist, hat sich das selbst zuzuschreiben. In der Armee ist Lässigkeit immer ein Fehler, immer! Aber keine Sorge, noch ist alles offen. Wir werden noch zwei weitere kleine Übungen durchführen, sodass auch diejenigen, die bislang schlecht abgeschnitten haben, zwei weitere Chancen erhalten. Wir werden jetzt kämpfen, so, wie ihr hier steht, immer zwei gegeneinander. Es gibt keine Regeln, außer dass keine Waffen benützt werden dürfen und der Kampf sofort beendet ist, sobald einer der beiden Kontrahenten mit einer Hand oder einem Knie den Boden berührt. Alles verstanden? Dann dürfen Nilocas Deleven und Mails Emara jetzt vortreten, zu mir.« Ursprünglich hatte Fenna vorgehabt, stumpfe Waffen aus dem Zeughaus zu holen. Aber nachdem ihm die Unterschiedlichkeit der Männer deutlich vor Augen geführt worden war, hatte er beschlossen, die Verletzungsgefahr zu reduzieren.

Deleven und Emara traten vor, und ihr Kampf begann. Emara sah kein Tageslicht gegen Deleven, der ihm blitzschnell die Füße unter dem Leib wegtrat, ihn auffing und ihn beinahe sanft auf den Boden ablegte, vielleicht, damit die hübsche Tracht nicht schmutzig wurde.

»Null Punkte für Emara, einen Punkt und eine Runde weiter für Deleven«, sagte Fenna, während Lement alles notierte. »Weiter geht’s.«

Der Kampf des dicken Behnk gegen Breff Adirony Teppel endete mit einer Überraschung: Teppel lag gekrümmt am Boden, und Behnk griente selig. Kaum dass Fenna den Kampf freigegeben hatte, war Behnk dem deutlich älteren Teppel mit dem Kopf voran in den Bauch gestürmt. Und so verdiente sich Alman Behnk seinen ersten Punkt und war eine Runde weiter.

Der dritte Kampf wurde wie auch schon die Parcoursübung von Garsid dominiert. Ildeon Ekhanner hinkte noch etwas von seinem Sturz auf dem Hinderniskurs, und Garsid nutzte das gnadenlos aus, trat Ekhanner gegen das schmerzende Bein und zwang ihn so auf beide Knie. Ekhanner war anschließend richtig wütend auf Garsid und musste von seinem Freund Breff Teppel, der ja ebenfalls ausgeschieden war, beruhigt werden.

Kampf Nummer vier zog sich in die Länge. Der junge Jovid Jonis wich dem Riesen Kindem lange aus. Kindem wurde immer wütender. Es war ihm anzusehen, dass er Jonis zerreißen würde, wenn er ihn nur zu packen bekäme. Aber nach einem besonders heftigen Vorstoß stellte Jonis ihm ein Bein, und Kindem schlitterte auf ein Knie. Er sprang auf und wollte Jonis packen, doch Leutnant Fenna ging dazwischen. Der Kampf war vorüber.

Der fünfte Kampf ging schnell. »Scheusal« Kertz gegen den Spötter Resea. Kertz griff an, Resea packte ihn, hebelte ihn aus, und Kertz landete auf dem Hosenboden. »Die Kampfpaarungen sind zufällig und ungerecht«, sagte Resea hinterher in Richtung Fenna. »Gegen einen anderen hätte der Stinker vielleicht eine Chance gehabt.«

»Vieles im Leben ist ungerecht«, entgegnete Fenna knapp. »Die Nächsten!«

Kampf sechs. Der kräftige MerDilli gegen den mädchenhaften Nelat. Aber auch hier gab es wieder eine Überraschung. Nelat wich aus und ohrfeigte MerDilli. Das brachte diesen dermaßen auf, dass er die Übersicht verlor. Er wurde ein zweites Mal geohrfeigt, dann rutschte er bei einem Wendemanöver aus, musste sich mit einer Hand am Boden abstützen und war ausgeschieden. »Das gibt es doch gar nicht!«, sagte er fassungslos. Nachdem Tadao Nelat sich dann noch in aller Form bei ihm für die Ohrfeigen entschuldigt hatte, war er noch fassungsloser, aber immerhin kein bisschen wütend.

Viele der Zuschauer, sowohl aus Fennas zukünftiger Kompanie als auch aus der Zweiten, lachten. Fenna verzeichnete, dass seine Maßnahmen in der Festung ordentlich für Stimmung sorgten. Der Oberst war jedoch nicht mehr hinter seinem Fenster zu sehen. Das Lazarettmädchen auch nicht.

Der nächste Kampf wurde ungewöhnlich brutal. Jamu Scapedo drosch dem vollkommen harmlos wirkenden Bertus Plankett in einer blitzschnellen Links-rechts-Kombination beide Fäuste ins Gesicht. Plankett fiel um wie vom Blitz getroffen und war tatsächlich ein paar Momente weggetreten. Fergran von den Holtzenauen löste sich aus der Reihe und half dem benommenen Plankett wieder auf. Einige der Grünhörner murrten. Leutnant Fenna sagte nichts, denn er hatte keine Regeln für die Kämpfe festgelegt, um die Männer besser kennenlernen zu können.

Anschließend war von den Holtzenauen selbst an der Reihe, gegen den steifen Bujo Stodaert, der auch sofort eine vorbildliche Faustfechthaltung einnahm. Lächelnd parodierte der Adelige diese Haltung, und so umkreisten sie einander mit hochaufgerichteten Oberkörpern, kreisenden Fäusten und angewinkelten Beinen, was wieder für allgemeines Gelächter sorgte. Schließlich griff Stodaert an und deckte von den Holtzenauen mit Hieben ein. Der packte sich jedoch den Gegner und brachte ihn mit einer Beinschere zu Fall. Noch in der Niederlage bewahrte Stodaert jedoch die Fassung und gratulierte dem Sieger mit einer Verbeugung.

»In Ordnung«, sagte Fenna. »Hanitz hat keinen Gegner, weil wir eine ungerade Zahl an Bewerbern haben. Er wird also das Vergnügen haben, gegen mich persönlich anzutreten. Kleine Strafe dafür, als Letzter aus den Unterkünften gekommen zu sein, wenn ein Leutnant zum Appell ruft. Also an die Arbeit, Hanitz. Du hast ausdrückliche Erlaubnis, einen Vorgesetzten zu verprügeln. Das würde ich mir an deiner Stelle nicht entgehen lassen.«

Die roten Flecken in Hanitz’ Gesicht verstärkten sich zu Purpur. Fenna griff schreiend an, fintierte jedoch nur. Als Hanitz ebenfalls kreischend ausweichen wollte, wurde er von Fenna mit einem Fußfeger erwischt. Er wäre unweigerlich gestürzt, doch Fenna hielt ihn fest und aufrecht. »Ich will nicht ungerecht sein. Du musst als Einziger gegen einen Offizier kämpfen. Also bekommst du noch eine Chance. Aber nur eine einzige. Nutze sie!«

»Jajajawohl, Leutnant.«

Hanitz agierte jetzt etwas umsichtiger. Die übrigen Männer schauten gespannt zu. Leutnant Fenna demonstrierte ein paar Tricks, die er sich während vierzehn Jahren Militärdienst in Chlayst angeeignet hatte. Er tänzelte vor und zurück. Täuschte mit rechts an und knuffte Hanitz mit links. Wehrte unentschlossen vorgetragene Schläge wie Patschehändchen ab und ging so nahe heran an den Mann, dass er Hanitz mit der Brust nach hinten stoßen konnte. Schließlich versuchte Hanitz es mit einem Sturmangriff, der auf Fennas Beine zielte. Fenna sprang hoch und landete auf Hanitz’ gekrümmtem Rücken. Hanitz ging zu Boden. Jetzt durfte nur noch Fenna bei der Landung nicht ebenfalls mit Knie oder Hand den Boden berühren, und er schaffte es, zwar strauchelnd, aber halbwegs aufrecht.

»Gut«, sagte er, wieder mehr außer Atem, als ihm lieb sein konnte. »Dann haben wir jetzt noch acht Mann – die Liste geht also auf, bis ein Sieger feststeht. Deleven und Behnk zur zweiten Runde.«

Weiter ging es. Eine ausgesprochen ungleiche Paarung. Aber wieder gelang dem Dicken das Unwahrscheinliche: Er stürmte los wie ein Ochse und schob den überrumpelten Deleven so lange rückwärts vor sich her, bis dieser über einem der quer gespannten Parcoursseile zu Fall kam. Allgemeine Heiterkeit brandete auf. Selbst Nilocas Deleven musste nach ein paar Augenblicken der Verdutztheit lachen. Der kleine, dicke Alman Behnk ließ sich mit hochgereckten Armen feiern wie ein großer Held.

Im zweiten Kampf der zweiten Runde ließ Garsid dem jungen Jonis keine Chance. Garsid vollendete das, was Yinn Hanitz in der ersten Runde bei Leutnant Fenna versucht hatte: einen Angriff mit Oberkörper und Armen auf die Beine des Gegners. So tauchte er unter der Deckung des Jungen durch und hob ihn an den Knien in die Luft. Er schmetterte ihn allerdings nicht zu Boden, sondern ließ ihn langsam umkippen, bis Jonis mit den Händen den Boden berührte. Einige auch aus der Zweiten Kompanie applaudierten für dieses ansehnliche Manöver.

Der dritte Kampf: Gerris Resea gegen Tadao Nelat. Diesmal kam Nelat mit seinen Meidbewegungen und Ohrfeigen nicht weiter. Resea packte einfach eine von Nelats Händen und drückte sie auf den Boden. Auch eine Idee, auf die bislang noch niemand gekommen war.

Der letzte Kampf der zweiten Runde: Jamu Scapedo gegen Fergran von den Holtzenauen. Erneut ging Scapedo mit unbarmherziger Härte vor. Er schlug und trat nach dem Adeligen, dass diesem nichts anderes übrig blieb, als zurückzuweichen. Schließlich gelang es dem Mann aus Galliko, den Adeligen zu stellen. Dieser wich geschickt zwei wilden Schwingern aus, wurde aber von Scapedos Ellenbogen an der Schläfe getroffen. Scapedo setzte nach und stieß von den Holtzenauen mit beiden Händen hart gegen die Brust. Der Adelige strauchelte rudernd nach hinten – da sprang Scapedo hinterher und trat ihm mit dem Fuß ins Gesicht. Von den Holtzenauen stürzte, blieb kurz liegen, mühte sich dann aber wieder hoch.

»Meine Güte, Scapedo, das sollen Übungskämpfe sein, keine Gemetzel!«, ermahnte Fenna den Gallikoner.

Der blieb uneinsichtig. »Ihr habt gesagt: Keine Regeln!, Leutnant. Ich mache nur das, was mir befohlen wurde.«

»Dann sollte ich vielleicht einschränkend hinzufügen: keine Regeln, aber auch keine schwerwiegenden Verletzungen. Alles in Ordnung mit dir, von den Holtzenauen?«

Der Adelige schüttelte sich. »Mein Gesicht muss hier noch irgendwo herumliegen. Aber sobald ich es gefunden habe, bin ich wieder einsatzbereit, danke der Nachfrage, Leutnant.«

»Also schön.« Fenna brachte wieder Ordnung in die durcheinandergeratene Reihe. »Die dritte Runde beginnt. Alman Behnk gegen Garsid.«

Der kleine, dicke Behnk war immer noch im Rennen. Jetzt stand ihm der in jeder Hinsicht überlegen scheinende Glatzkopf Garsid aus Galliko gegenüber. Die beiden musterten sich, Garsid finster, Behnk grinsend wie ein Honigkuchenpferd. Plötzlich stürmte Behnk los und schmiss sich mit voller Wucht gegen Garsid. Der wollte noch ausweichen, konnte dem massigen Leib aber nicht mehr entkommen. Beide purzelten übereinander zu Boden. Aber Behnk lag oben.

»Er hat den Boden zuerst berührt! Er hat den Boden zuerst berührt!«, plapperte Behnk aufgeregt. »Auch mit der einen Hand! Ich hab’s genau gesehen, ich war ja ganz nahe dran.«

»Aber deine Knie, Behnk …«, wandte Fenna ein, der sich, genau wie die meisten anderen, das Lachen nicht mehr verkneifen konnte.

»Neinneinnein, seine eine Hand, die linke, war mit dem Handrücken auf dem Boden, bevor meine Knie ebenfalls …«

»Er hat recht«, sagte Garsid. »Meine Linke war vor seinen Knien am Boden. Es ist zwar nicht zu fassen, aber er hat wohl gewonnen.« Selbst der sonst so grimmig wirkende Garsid zeigte beinahe so etwas wie Belustigung.

»Damit steht also der erste Finalist fest: Alman Behnk«, vermerkte Fenna. Selbst der Schreiber Lement – eifrig mit Notieren und Übertragen von Punkten beschäftigt – gluckste vor Vergnügen. »Fehlt noch einer: Gerris Resea gegen Jamu Scapedo.«

Jetzt hielten alle den Atem an. Würde Scapedo wieder übertrieben hart vorgehen? Anfangs sah es so aus. Wilde Fausthiebe verfolgten Resea, der tänzelnd auswich und leise zu lächeln schien. Dann schlug Resea plötzlich zurück. Beinahe ansatzlos. Scapedos Kopf wurde dreimal nach hinten getrümmert, aber er blieb auf den Beinen. Es folgte ein echter Faustkampf ohne Handumwicklungen. Bloße Finger gegen harte Schädel. Fenna hatte sich als junger Rekrut bei so etwas einmal die Hand gebrochen, und er wusste, wie gefährlich das war. Er wollte gerade dazwischengehen, als der Kampf plötzlich endete. Resea drehte sich unvermittelt in die Deckung des Gegners hinein, bis er Rücken an Bauch stand – und dann hebelte er Scapedo über sich hinweg. Scapedos Beine beschrieben einen weiten Bogen durch die Sonne. Alle Zuschauer blinzelten geblendet. Dann krachte Scapedo schmerzhaft auf den sandigen Hofboden.

»Ich hätte dir den Arm brechen oder auskugeln können«, sagte Resea freundlich. »Ich hätte dich auch auf dem Rückgrat landen lassen können oder es dir während des Überschlages mit dem Knie brechen. Aber ich wollte nur, dass du das weißt.«

Scapedo war viel zu verwirrt, um wütend zu werden. Er schien die Orientierung verloren zu haben und eierte etwas herum, bis Fenna ihn einfing und wieder ins Glied zurückstellte.

»Somit steht das Finale fest: Alman Behnk gegen Gerris Resea. Feuert sie ruhig an, Männer!«

Behnk hatte als klarer Außenseiter mehr Anfeuerer auf seiner Seite als der stutzerhafte Resea. Der kleine, dicke Mann aus Hessely schien diese Momente auszukosten wie selten zuvor etwas im Leben. Er stand im Finale eines Kampfturniers im Hof der Festung Carlyr unter lauter angehenden Soldaten der Königin. Die Leute riefen seinen Namen. »Behnk! Behnk! Behnk! Behnk! Behnk!«

Resea schaute sich das Spektakel eine Weile lang an, dann sagte er: »Das ist doch lächerlich«, beugte sich hinunter und berührte mit einer Hand den Boden. Stille setzte ein.

»Du gibst auf, Resea?«, fragte Fenna scharf.

»Ja. Ich habe keine Lust, den armen Klops zu vermöbeln.«

»Die Frage ist: Bist du überhaupt in der Lage, den ›armen Klops‹ zu vermöbeln? Garsid hat es auch nicht geschafft.«

»Jederzeit«, lächelte Resea kalt. »Und ohne die Hände zu benutzen.«

»Das gibt es doch nicht!«, begehrte jetzt Alman Behnk auf. »Ich akzeptiere das nicht! Ich will einen ordentlichen Kampf! Wenn ich verliere, ist doch in Ordnung. Aber ich will nicht aus Mitleid gewinnen.«

»Behnk akzeptiert dein Aufgeben nicht«, sagte Fenna zu Resea. »Also kämpft!«

Resea wandte sich wieder Behnk zu. Der stürmte mit hochrotem Gesicht auf ihn los. Resea wich aus, mit der eleganten Bewegung eines Tänzers – und stellte Behnk nicht nur ein Bein, sondern riss diesem mit seinem eigenen Fuß dermaßen heftig ein Schienbein weg, dass Behnk mit Gesicht und Armen zuerst aufschlug.

Niemand rührte sich. Dann stemmte Behnk sich hoch und lachte über das ganze Gesicht. »So ist es doch gut«, sagte er und spuckte Staub aus. »Ich bin Zweiter geworden! Ehrlicher Zweiter von siebzehn Teilnehmern!«

Die Grünhörner feierten ihn und klopften ihm auf die Schultern. Einzig Resea sagte in Fennas Richtung: »Lächerlich. Dieses ganze Turniersystem war lächerlich. Hätte ich gleich in der ersten Runde gegen Garsid antreten müssen, hätte ich wahrscheinlich verloren und null Punkte bekommen.«

»Du bist halt ein Glückspilz, Resea«, entgegnete Fenna. »So jemand kann es im Krieg und in der Armee weit bringen.«

Resea und Fenna maßen sich kurz mit Blicken. Dann gab Resea lächelnd klein bei und stellte sich dorthin, wo vorher die Reihe gewesen war. Nicht, weil er sich unterordnete, sondern weil er – das spürte Fenna genau – es jetzt noch nicht der Mühe wert befand, es auf eine echte Kraftprobe ankommen zu lassen.

Fenna musste brüllen, um sich in der allgemeinen Unordnung Gehör zu verschaffen. »Ruhe, Leute, und zurück in die Reihe! Genug gefeiert, noch gibt es ja gar nichts zu bejubeln. Ich habe noch eine dritte Übung für euch. Das bisherige Zwischenergebnis lautet« – Fenna ließ sich von dem flinkfingrigen Lement den entsprechenden Zettel aushändigen – »am besten schneiden bislang Garsid und Gerris Resea ab mit jeweils sechs Punkten, gefolgt von Jamu Scapedo mit fünf und Nilocas Deleven mit vier. Jeo Kertz hat bislang als Einziger null Punkte, aber auch Teppel, Ekhanner und Plankett haben nur einen und Emara, Kindem, Jonis, Nelat und Stodaert lediglich zwei. Diese neun müssen sich noch deutlich mehr anstrengen, denn wie gesagt: Die schlechtesten drei müssen die Festung heute auf Nimmerwiedersehen verlassen. Ich gehe also davon aus, dass jeder jetzt sein Bestes gibt.«

»Bekommt derjenige, der am Ende die allermeisten Punkte hat, eine Vergünstigung?«, fragte Jamu Scapedo.

»Mal sehen«, antwortete Fenna. »Wer heute insgesamt sehr gut abschneidet, macht natürlich von Anfang an einen herausragenden Eindruck. Alles Weitere behalte ich mir in Absprache mit meinen Vorgesetzten vor. Also los jetzt! Wir machen ein simples Wettrennen in drei Gruppen, zweimal sechs und einmal fünf Mann. Ihr lauft hier an der Westmauer los, rüber zur Ostmauer, schlagt dort an – Leutnant Hobock wird so freundlich sein, das zu überprüfen – und lauft zur Westmauer zurück. In der Reihenfolge, in der ihr an der Westmauer anschlagt, bekommt ihr Punkte, der Letzte bekommt null, der Erste fünf oder vier. Danach haben wir ein Endergebnis, und die drei, die keine Soldaten werden können, stehen fest. Noch Fragen?«

»Darf man unterwegs rempeln?«, fragte »Scheusal« Jeo Kertz.

»Nur im Rahmen des Nötigen, um sich durchzusetzen. Aber es soll kein Gerangel werden. Wer einem anderen ein Bein stellt oder sonst wie grob wird, bekommt null Punkte, verstanden? Die erste Sechsergruppe Aufstellung! Deleven, Emara, Behnk, Teppel, Ekhanner und Garsid. Alles bereit? Achtung, fertig, LOS

Nilocas Deleven gewann diesen Lauf mit Leichtigkeit. Er war schon an der Ostwand der Erste, der anschlug, und bereits auf dem Rückweg, als die anderen sich noch entfernten. Mails Emara gelang es im Endspurt mit weit ausgreifenden Schritten, Garsid auf den dritten Platz zu verdrängen. Danach rutschte Emara allerdings erst mal vollkommen ausgepumpt die Mauer herab. Vierter wurde unbedrängt Ildeon Ekhanner. Als die beiden Letzten lieferten sich deutlich abgeschlagen Breff Teppel und Alman Behnk einen Zweikampf der Schlusslichter, den Behnk auf den letzten Schritten verlor. Auch diese beiden gingen mit hochroten, verzerrten Gesichtern zu Boden.

Fenna schüttelte den Kopf. Die gelaufene Distanz hatte kaum hundert Schritt betragen. Beim Militär musste man lernen, meilenweit zu rennen.

Lement war schon wieder damit beschäftigt, Punkte zu verteilen, zu verrechnen und einzutragen.

Die zweite Gruppe trat an: Kindem, Jonis, Kertz, Resea, MerDilli und Nelat. Auch hier gab es einen überlegenen Sieger: Tadao Nelat, der in der Laufhaltung eines Mädchens, mit in Schulterhöhe erhobenen Händen, leichtfüßig wie auf der Flucht allen anderen davonrannte. Resea folgte als Zweiter, wirkte jedoch, als hätte er sich nicht richtig angestrengt. »Scheusal« Kertz war nach Nelat die zweite große Überraschung dieses Durchgangs: Er profitierte davon, dass er sich beim Rennen sehr sperrig gebärdete, keiner so richtig an ihm vorbeikam – und auch niemand ihn mehr als nötig berühren wollte. Kindem, Jonis und MerDilli ballten sich so in seinem Rücken, behinderten sich gegenseitig und kamen alle drei so gut wie gleichzeitig hinter Kertz an, mit leichtem Vorteil für MerDilli. Fenna entschied in Absprache mit Lement, dass der Hüne Ellister Gilker Kindem haarscharf Letzter gewesen war.

Jetzt fehlten nur noch fünf: Scapedo, Plankett, Stodaert, von den Holtzenauen und Hanitz.

Dieser letzte Lauf wurde zum Desaster.

Scapedo setzte sich von Anfang an ab, schlug an der Ostmauer an und begann gerade zurückzulaufen, als Yinn Hanitz als Zweiter dort ankam. Scapedo rannte in ihn hinein. Hanitz wurde regelrecht ausgehebelt, verlor den Boden unter den Füßen und knallte mit dem Kopf gegen die Mauer. Eine blutige Spur schmierend, rutschte er an ihr herunter.

Leutnant Hobock winkte den Lauf sofort ab, Stodaert und Plankett stoppten, von den Holtzenauen kümmerte sich um Hanitz. Scapedo jedoch rannte weiter, bis er von Fenna abgefangen wurde. »Was soll denn das, verflucht noch mal? Bist du krank im Kopf oder was?«

Scapedo versuchte sich loszureißen. »Er muss mir halt ausweichen, wenn er schon der Langsamere ist.«

Fenna spürte, wie ihm der Geduldsfaden riss. »Unsinn! Du kannst ausweichen, weil du den Sieg bereits in der Tasche hast. Du hast doch Punkte genug, da brauchst du nicht über Leichen zu gehen. Du bist eine Gefahr für alle anderen, ist dir das eigentlich bewusst?«

»Was interessieren mich denn die anderen? Wenn ich nicht in der kleinsten Gruppe hätte mitrennen müssen, hätte ich fünf Punkte holen können. Mit fünf Punkten wäre ich gleichauf mit Resea Punktbester von allen geworden! Aber ich durfte ja nicht, ich musste in der Versagertruppe mitlaufen.«

»Weil du am Anfang nicht rechtzeitig aus der Unterkunft gekommen bist – deshalb bist du bei den letzten fünf. Du hast dir alles ganz alleine zuzuschreiben – und jetzt werde ich dich rausschmeißen, weil du zu dämlich bist, das zu begreifen!«

Scapedo breitete fassungslos die Arme aus. »Rausschmeißen? Das kann doch nicht Euer Ernst sein! Ich habe nach den ersten beiden Übungen fünf Punkte gehabt! Ich bin mit Sicherheit der schnellste Läufer von allen! Ich bin einer der Besten überhaupt!«

»Du bist untragbar. Jemand wie du gehört in eine Haarjägerbande im Wildbart, aber auf keinen Fall in die Armee.«

»Ist das wirklich Euer Ernst, Leutnant? Guckt Euch doch mal die anderen Versager an. Wollt Ihr mit … Kindern und Fettsäcken und stinkenden Halbblinden gegen die Affenmenschen losschlagen?«

»Hier schlägt niemand los. Hier wird eine Festung bemannt, mit Disziplin und Kameradschaft. Und keiner versucht andauernd, seine Kameraden zu verletzen. Das ist mein voller Ernst. Pack deine Sachen und verschwinde!«

Scapedos Lippen bewegten sich zitternd. Er machte ein paar Schritte Richtung Mannschaftsunterkunft, dann drehte er sich um und sagte mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Das wird Ihnen noch leidtun! Das schwöre ich Ihnen, dass Ihnen das noch leidtun wird, Leutnant Fenna aus Chlayst!«

»Das interessiert mich keinen Deut, was du mir schwörst, du Spinner. Nun halte hier nicht unnötig den Betrieb auf und mach, dass du fortkommst!«

Zornbebend ging Scapedo seine Sachen holen. Fenna musterte seine Männer. Resea lächelte spöttisch. Die meisten anderen waren bleich und erschrocken.

Fenna ärgerte sich. Es war niemals gut, wenn ein Vorgesetzter sich auf Wortgefechte einlassen musste. Aber die Sachlage war kompliziert gewesen: Scapedo war noch kein vereidigter Soldat, dem man mit Disziplinierungsmaßnahmen drohen konnte. Es war besser, diesen ständigen Unruheherd aus dem Korps zu entfernen.

Die Frage war nun, wie es um Hanitz stand. Fenna ging zur Ostmauer hinüber. Leutnant Hobock, von den Holtzenauen, Plankett und Stodaert standen um den liegenden Hanitz herum. »Wie sieht’s aus?«

»Nicht gut«, sagte von den Holtzenauen. »Er hat das Bewusstsein verloren. Wir sollten ihn zum Lazarett hinübertragen.«

»Dann machen wir das. Was ist mit dir los, Plankett?«

Das Gesicht von Bertus Plankett war tränenüberströmt. »Ich hab’s genau mit angesehen. Sein Schädel hat … richtig geknirscht. Er wird doch nicht sterben, oder, Leutnant?«

»Hier stirbt niemand. Fasst mit an!« Zu viert trugen sie Hanitz hinüber ins Lazarett. Leutnant Hobock ging ihnen voraus. Die Stirn von Yinn Hanitz war eine einzige blutende Platzwunde. Das Blut lief ihm über Schläfen und Ohren und tropfte aus den Haaren auf den Hof.

Im Lazarett war es schattig und still. Es roch nach Äther, Schafgarbe und Melisse. Nur ein einziger Soldat aus der Zweiten Kompanie belegte ein Bett. Eine Sommererkältung hatte ihn niedergestreckt.

Die Frau, deren Gesicht sich Leutnant Fenna heute schon mehrmals eingeprägt hatte, kam sofort auf die Träger zugelaufen und wies dem Verwundeten ein Bett zu. Sie legten Hanitz so sanft wie möglich darauf.

»Ihr führt Euch ja gleich bei jedermann ein«, sagte sie zu Fenna, ohne ihn anzublicken. »Wie ist das passiert?«

»Er ist beim Rennen gestürzt und mit dem Kopf gegen eine Mauer gestoßen.«

Sie betastete Hanitz’ Schädel. »Das sieht nicht gut aus. Könnte gebrochen sein. Die kommenden Stunden werden den Weg weisen.«

Fenna hatte Gelegenheit, die Frau eingehender zu betrachten. Sie war weder Soldatin noch – wie es in Lazaretten gang und gäbe war – eine Schwester der Göttin Helele. Sie war jung und ausgesprochen schön. Ihr langes kastanienbraunes Haar wallte in Hunderten von welligen Kaskaden abwärts. Auch ihr Körper war sehr weiblich und zeichnete sich unter dem einfachen, bodenlangen Stoffkleid vielleicht sogar ein wenig mehr ab, als schicklich war. Fenna schätzte sie auf 24, vielleicht 25 Jahre. Ihre Augen waren ebenso kastanienbraun wie ihr Haar und von melancholischem Zuschnitt. In Chlayst hätte eine solche Frau wahrscheinlich als Liebesdienerin oder Tänzerin gearbeitet, vielleicht als Schauspielerin in einem der beiden Hafentheater – aber auf keinen Fall in einem Lazarett.

Fenna räusperte sich. »Ich möchte, dass er mit allen Ehren behandelt wird, obwohl er noch kein vereidigter Soldat ist. Falls die Festung für seine Behandlung nicht aufkommen möchte, werde ich sie von meinem eigenen Sold bezahlen.«

Jetzt sah die Frau ihn zum ersten Mal an. »Ich mache keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten. Macht Euch darüber keine Sorgen. Ich werde Euch wissen lassen, wie es um ihn steht.«

Fenna nickte. Das war eine deutliche Aufforderung zu gehen. Nach einem letzten Blick auf den bleich und blutig daliegenden Hanitz wandte er sich ab.

Von den Holtzenauen sprach die Frau noch einmal an. »Falls Ihr einen Assistenten benötigt – ich habe im Larnwald bei Schmetterlingsmenschen Heilkunde studiert.«

Die Frau sah auch ihn kurz an. »Das ist ungewöhnlich. Aber wie Ihr seht, ist zurzeit ausnahmsweise nicht viel los. Ich werde mich alleine kümmern können.«

Die fünf Männer verließen das Lazarett. Die Sonne draußen wirkte übertrieben hell nach der Schattenumfangenheit des Krankenzimmers.

»Ihr Name ist Ilintu«, raunte Leutnant Hobock Fenna zu, als sie wieder auf die Grünhörner zugingen, die gerade von Leutnant Sells daran gehindert wurden, sich zu schwatzenden Grüppchen zusammenzurotten. »Sie ist eine voll ausgebildete Heilerin. Als die Überlebenden des Feldzuges hier durchkamen, hat sie den Kranken das Sterben erleichtert. Aber sie hat nicht viel ausrichten können.«

»Die Überlebenden waren … vergiftet?«

»Ja. An Körper und Seele, hat Oberst Jenko mal gesagt.«

»Wie in Chlayst.« Der Kontinent war im Untergang begriffen. Das bestätigte sich immer wieder.

Fenna bedankte sich bei Leutnant Sells und übernahm wieder. »Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, aber es ist noch nicht klar, wann er wieder auf den Beinen sein wird. Ist Scapedo schon aus der Festung raus?«

»Noch nicht, Leutnant«, machte Nilocas Deleven Meldung.

»Egal.« Fenna überflog die Notizen und Punktierungen des Schreibers. »Wir müssen leider den letzten Lauf noch einmal wiederholen, weil wir keine eindeutigen Punkte vergeben konnten. Plankett, Stodaert, von den Holtzenauen – darf ich noch einmal bitten? Achtung, fertig, LOS

Die drei rannten noch einmal, und diesmal kam niemand jemandem in die Quere. Stodaert gewann, hochaufgerichtet und mit beim Rennen schneidend schwingenden Handkanten. Von den Holtzenauen, der nicht ganz bei der Sache zu sein schien, wurde Zweiter. Bertus Plankett kam schnaufend als Letzter an der Mauer an und vergaß sogar noch, diese mit der Hand zu berühren.

Lement händigte Fenna die Tabellen aus. »Somit haben wir ein Endergebnis. Gerris Resea hat als Einziger zehn Punkte erreicht, gefolgt von Nilocas Deleven und Garsid mit jeweils neun. Tadao Nelat ist mit sieben Punkten Viertbester.« Der mädchenhafte Nelat glühte auf vor Stolz. Mehrere Grünhörner brummten anerkennend. »Sechs Punkte hat Mails Emara. Fünf Punkte Sensa MerDilli. Vier Punkte haben Bujo Stodaert und Fergran von den Holtzenauen. Bis dorthin würde ich sagen, dass ich für einen ersten Tag mit den Leistungen zufrieden bin. Aber ab hier beginnen die Wackelkandidaten: Alman Behnk, Ildeon Ekhanner, Jovid Jonis und Jeo Kertz haben jeweils nur drei Punkte in drei Übungen erzielt. Das ist nicht gerade begeisternd, meine Herren. Breff Teppel und Ellister Kindem haben sogar nur zwei Punkte. Und Bertus Plankett hat nur einen einzigen. Immerhin, ist man beinahe versucht zu sagen. Bewerber Plankett – würdest du bitte vortreten?«

Plankett machte einen Schritt aus der Reihe. Er zitterte und war wieder kurz vorm Weinen. Er ahnte, was es bedeutete, wenn ein Leutnant »bitte« zu ihm sagte.

Fenna stellte sich vor ihm auf. »Die Punktierung ist eindeutig. Das Rennen am Schluss war deine letzte Chance, du hättest dich noch auf drei Punkte hinaufretten können, aber nichts dergleichen ist geschehen. Meiner Meinung nach bist du ein netter und gutherziger Mensch, Bertus Plankett. Aber in der Armee der Königin, noch dazu stationiert im Angesicht des Affenmenschenlandes, hast du nichts verloren.«

Planketts Kopf sank auf die Brust, aber er heulte nicht. »Ich wollte es … immerhin versucht haben«, sagte er heiser.

»Und das ist aller Ehren wert. Im Gegensatz zu Jamu Scapedo wirst du von mir nicht hinausgeworfen, sondern du hast lediglich die Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Dafür braucht man sich nicht zu schämen. Wie heißt nochmal das Dorf, aus dem du stammst?«

»Jeckist.«

»Geh nach Jeckist zurück und wähle dir einen Beruf, bei dem kein Blut von Mauern rinnt.«

Plankett nickte. Er gab Fenna die Hand, winkte den anderen zu, die ihm teilweise auf die Schultern klopften, und ging dann zu den Mannschaftsquartieren, um sein Gepäck zu holen. Er wirkte unbeschreiblich einsam, so aus der Menge der anderen Grünhörner herausgelöst.

»Männer!«, forderte Fenna die Aufmerksamkeit der Bewerber ein. »Da Yinn Hanitz bedauerlicherweise, obwohl sein Ergebnis mit drei Punkten nach zwei Übungen recht vielversprechend war, auf unbestimmte Zeit ausfallen wird und deshalb mindestens die Grundausbildung versäumt, ist die Auswahl hiermit abgeschlossen. Hanitz kann sich bei der nächsten anstehenden Rekrutierung wieder melden, für diesmal wird er allerdings wohl nicht mit dabei sein können. Ich begrüße euch also hiermit alle bei der königlichen Armee!«

Die Männer zögerten noch kurz, dann brach allgemeiner Jubel aus. Alman Behnk, »Scheusal« Kertz und Mails Emara jubelten am lautesten. Die beiden Freunde Teppel und Ekhanner fielen sich in die Arme und hoben sich gegenseitig hoch.

Fenna wartete einen Sandstrich, bis der Lärm abgeklungen war. Oberst Jenko tauchte jetzt wieder oben im Fenster auf. »Ich gehe davon aus, dass ihr in den nächsten Tagen eure Uniformen erhalten und vereidigt werdet. Bis dahin werde ich euch weiterhin in die Mangel nehmen. Wir lassen es für heute damit bewenden, der Tag war aufregend genug, aber morgen früh bei Sonnenaufgang steht ihr alle in Reih und Glied hier, und dann nutzen wir den Hinderniskurs richtig. Jeder wird zwanzig Runden absolvieren, und ich erzähle ihm dann, was ich von ihm halte. Also keine langen Feiern heute, kein Alkohol, kein Unfug. Ihr seid angehende Soldaten der Krone. Ich erwarte von euch, dass ihr morgen früh in blendender Verfassung seid. Wer es nicht ist, wird das zu bereuen lernen. Wegtreten!«

Die Männer salutierten und gingen nach links ab. Das hatte Leutnant Hobock ihnen beigebracht.

Fenna bedankte sich noch einmal bei Hobock und Sells. »Ohne eure Hilfe hätte ich ziemlich im Regen gestanden. Von mir aus können wir uns jetzt duzen.«

»Das geht ja schnell«, grinste Hobock. »Warte erst mal ab, bis ihr im Manöver genauso von Gollbergs Leuten fertiggemacht werdet wie wir sonst immer. Das wird uns zusammenschweißen.«

»Sind die so gut?«

»Die sind so gut«, sagte Leutnant Sells, »dass das Gerücht umgeht, Jenko hätte sie deshalb nicht zum Feldzug gelassen. Er wollte seine Vorzeigetruppe nicht verlieren.«

»Und Gollberg? Wollte der teilnehmen?«

»Aber selbstverständlich. Der hält sich fast nur in der Felsenwüste und dahinter auf. Kunststück allerdings: Sie haben ja Pferde und können allen Angriffen jederzeit davonpreschen.«

Aus dem Zeughaus besorgte sich Leutnant Fenna einen Schwamm und einen Eimer Wasser. Damit ging er zur östlichen Mauer hinüber und wusch Hanitz’ Blut ab. Doch sosehr er sich auch anstrengte – er hatte das Gefühl, dass ein rostiger Schatten zurückblieb. Ein Nachbild des Blutes.

Unterdessen kamen Bertus Plankett und Jamu Scapedo unabhängig voneinander mit ihren Siebensachen aus den Unterkünften. Bertus Plankett ging mit gesenktem Kopf zum Südtor, wurde hindurchgelassen und verschwand in Richtung der grünen Ebenen Hesselys. Scapedo jedoch blieb eine Weile auf dem Exerzierplatz stehen und betrachtete abwechselnd den schrubbenden Leutnant Fenna und den Hindernisparcours.

»Ich werde mich von Euch nicht abhalten lassen, Leutnant!«, rief er dann mit schneidender Stimme zu Fenna hinüber. »Ihr könnt ja hier in der sicheren Festung versauern. Ich jedoch gehe los und knöpfe mir die Dreckschweine vor. Ihr werdet meine Zeugnisse dort überall vorfinden: Jamu Scapedo war vor euch da!« Er schlenderte zum Nordtor und begehrte, hindurchgelassen zu werden. Das war jedoch nicht so einfach. Die Torwächter hatten Befehl, niemand ohne triftigen Grund ins Affenmenschenland passieren zu lassen. Es entstand ein Tumult. Scapedo war offensichtlich nicht gewillt, sich abweisen zu lassen.

Fenna seufzte. Er dachte kurz darüber nach, dem Grünhorn die Passage ins Affenmenschenland zu ermöglichen. Aber Hauptmann Gollberg und seine Reiter trieben sich dort herum, und Scapedos vorherrschende Eigenschaft schien es zu sein, seinen eigenen Leuten Schaden zuzufügen. Mit dem Eimer in der Hand und dem Schwamm im Eimer ging Leutnant Fenna zum Nordtor hinüber.

»Verschwinde durchs Südtor, Scapedo, wie alle anderen Abgewiesenen auch«, sagte Fenna schon von Weitem.

Scapedo wandte sich ihm wieder zu. »Das gibt es doch wohl nicht! Was ist denn die Aufgabe dieser Festung? Schaden von den Affenmenschen abzuwenden? Wird die Fellbrut hier beschützt, oder was soll das alles?«

»So, wie ich es verstehe, muss man sich den Durchgang nach Norden verdienen. Du aber hast dir nichts verdient.«

»Aber klar doch! Ich hab mich durchgesetzt! Nur Euch ist plötzlich eingefallen, dass wir hier wohl doch lieber Streichelfreunde sein wollen anstatt anständige Soldaten!«

»Pack dich jetzt endlich vom Hof, oder ich schmeiße dich eigenhändig raus.«

»Ohh, der Herr Leutnant will sich selbst die Finger schmutzig machen?«

»Ich habe ja noch keine vereidigten Soldaten unter mir.« Fenna bleckte beim Grinsen die Zähne. Diese Drohgebärde verfehlte ihre Wirkung nicht. Scapedo wirkte nun unsicherer. Dennoch dauerte das alles viel zu lange. Fenna spürte schon wieder Blicke auf sich gerichtet. Vom Südturm. Aus den Mannschaftsunterkünften. Aus der F & L. Dieser erste Tag führte ihn viel mehr in den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit, als dies normalerweise in Chlayst seine Art gewesen war. Fenna schrieb das den Strapazen der Reise zu. Sie steckten ihm tief in den Knochen und brachten ihn dazu, alles so schnell und drastisch wie möglich zu einem Abschluss bringen zu wollen, damit er sich hinterher endlich ausruhen konnte.

Jamu Scapedo gab nun nach und machte sich, undeutliche Verwünschungen ausstoßend, Richtung Südtor davon. Fenna atmete auf. Die Sonne über ihm war im Begriff, über dem westlichen Felsen zu verschwinden. Bald würde in der Festung der Abend dämmern.

In der Eingangstür zum Mannschaftsquartier lehnte nun wieder Gerris Resea und lächelte hämisch. Resea hatte heute zehn Punkte geholt, ohne sich zu verausgaben. Er war allen anderen Grünhörnern überlegen. An ihm würde sich entscheiden, ob Fenna es schaffen würde, eine Kompanie aus den Männern zu formen oder nicht.

»Noch Fragen, Resea?«, rief er zu ihm hinüber.

Reseas Lächeln wurde breiter. »Ihr habt die ganze Zeit den Eimer in der Hand behalten. Den hättet Ihr ihm übergezogen, wenn er weiterhin frech geblieben wäre, nicht wahr?«

»Das war der Plan.«

»Lernt man das beim Militär?«

»Man lernt zu siegen. Wenn du Schönheit sehen willst, bewirb dich beim Theater. Wenn du ein Vorbild sein willst, diene in einem Tempel. Aber wir sind hier in der Armee. Geh jetzt rein und ruh dich aus, Resea. Morgen wird ein weitaus härterer Tag als heute. Und an jedem weiteren Tag wird es noch ein kleines bisschen schlimmer.«

Resea nickte, grüßte andeutungsweise militärisch und zog sich in das Gebäude zurück. Fenna brachte Eimer und Schwamm ins Zeughaus zurück. Als er anschließend hinüberging zum Offiziersquartier, rief ihn von oben aus dem Fenster der Oberst an. Er lehnte im Fensterrahmen wie eine alte Frau, die neugierig auf die Straße hinausblickt. »Ich sehe, Ihr habt schon Spuren an der Mauer hinterlassen, Leutnant Fenna?«

»Ja. Tut mir leid. War ein dummer Übungsunfall.«

»Und Ihr habt drei aussortiert?«

»Ja. Einer hat sich verletzt. Einer war zu skrupellos. Einer war zu harmlos.«

»Gute Arbeit. Aber denkt immer daran: Allzu scharf macht schartig.«

»Ich werde es nicht vergessen.«

»Jetzt legt Euch erst mal aufs Ohr. Ihr seht ziemlich erledigt aus.«

Nichts anderes hatte Fenna heute noch vor.

Die Sonne versank hinter den angrenzenden Felsen. Die Festung wurde dunkler.