29. Tag:

Santiago de Compostela, 3. Juli

Heute ist die unbeschwerte Zeit vorbei, denn es gilt zuerst zu klären, ob der Flug am morgigen Tag planmäßig stattfinden wird. Weiterhin muss die Pensionsrechnung bezahlt werden, und den Weg zum Flughafen, circa zwölf Kilometer, muss ich planen. Hier steht die Entscheidung schon fest: Ich werde mir mit einem Pilgerfreund zusammen ein Taxi leisten. Dieser fliegt eher als ich und weiter bis Madrid. Dadurch muss ich zwar ein wenig länger am Flughafen auf den Abflug meiner Maschine warten, komme aber mit meinem Gepäck bequem, sicher und preisgünstig zum Flughafen.

Also alles geplant, und nun kann ich mich mit meiner persönlichen Tagesgestaltung beschäftigen. Da es heute schon wieder — oder besser gesagt — immer noch regnet, plane ich einen Museumstag, denn hier gibt es eine Fülle von Möglichkeiten.

Zuerst besuche ich das Museum, das zur Kathedrale gehört und das in meinen Augen ein unbedingtes Muss ist. Neben kirchlichen Heiligtümern wie alten Kleidungsstücken, Steinfiguren, Kreuzen und Bildern, besteht die Möglichkeit, auf die Veranda der Kathedrale zu gelangen, von wo man einen wundervollen Ausblick hat. Ich genieße diese neuen Perspektiven auf den Vorplatz der Kathedrale und auf die alten Bauwerke. Weiter besteht ein Zugang zur Schatzkammer mit alten Münzen und sakralen Gegenständen. Als drittes gibt es im Kathedralenkomplex den Zugang zu einem alten Palast, der aus dem 12. Jahrhundert stammt. Ich bin überwältigt von den riesigen Dimensionen, den drei Stockwerken, die jeweils Zugang zur Kathedrale haben. Von hier aus ergeben sich Ausblicke auf den Vorplatz der Kathedrale, die wunderschön sind. Ich kann sehen, dass es schon damals Festhallen und daran angrenzend kleine Zimmer für Gäste oder die dort wohnenden Menschen gab. Weiterhin finde ich einen Kamin, Licht- und Lüftungsschlitze, Sitzbänke in den Fensternischen. Auch gibt es einen Baderaum und eine Küche, und ich stelle mir vor, wie die Leute früher hier wohl gelebt haben. Diese Dimension vor allem des Palastes hat mich sehr beeindruckt. Offensichtlich gab es schon vor tausend Jahren sehr bemerkenswerte Architekten.

Als ich diesen Palast verlasse und auf den Platz vor der Kathedrale trete, regnet es, diesmal kräftig. Offensichtlich ist es richtig, wenn man von Santiago sagt, dass es der regenreichste Ort in ganz Spanien sein soll. Im Regen herumzulaufen, macht mir keinen Spaß, und nun beschließe ich für mich, eine kleine Pause auf meinem Zimmer einzulegen, SMS nach Hause zu schreiben und mich ein wenig auszuruhen.

Am Nachmittag führt mich dann mein Weg zur Kirche bei mir um die Ecke, San Martin Pinario, die auch eine ungeheure Größe hat. Offensichtlich ist hier in Santiago alles überdimensioniert.

Diese Kirche besitzt circa acht verschiedene riesige Altäre, Gold besetzt und etwa zehn Meter hoch. Zudem gibt es geschnitzte Holzsitzbänke von einer sagenhaften Vielfalt und Schönheit. Auf jeder Bank werden unterschiedliche Personen dargestellt, die so lebensnah ins Holz geschnitzt wurden, dass sie fast lebendig erscheinen. Auch dieser Kirche ist ein Museum angegliedert, in dem man Bilder, sakrale Gegenstände sowie eine alte Apotheke besichtigen kann und wo man nähere Informationen zu den caminos, den Pilgerwegen, erhält. Das alles habe ich fast per Zufall gefunden, und ich bestaune das Innere der Kirche aus dem ersten Stock, wo sich auch das Museum befindet und wo sich ein Blick auf das Innere des Kirchenschiffes ergibt.

Der Bildung nicht genug, zu guter Letzt habe ich mir La casa de la Troja vorgenommen, ein Haus in der Straße, in der ich wohne. Dieses dreistöckige Haus aus dem 17. Jahrhundert wird komplett eingerichtet mit Requisiten aus dem 18. Jahrhundert gezeigt. Eine junge Spanierin gibt für eine andere Dame und mich auf Englisch eine Führung mit Erklärungen, die ich noch hinterfragen kann. So erzählt sie, dass dieses Haus eine der ersten Möglichkeiten war, in Santiago für eine gewisse Zeit ein Zimmer zu mieten. So haben hier Schriftsteller und Studenten gewohnt und sind in ihrem Werdegang von der Stadt Santiago und deren geistlichem Hintergrund stark beeinflusst worden. Auch höre ich, dass die Galicier sehr von den Engländern und Iren geprägt wurden und genauso eine eigene Sprache haben wie Leute in anderen spanischen Provinzen, wo man, beispielsweise rund um Barcelona, catalan spricht. Beeindruckt und mit viel Interesse nehme ich diese Informationen und den Anblick der Wohnweise des 18. Jahrhunderts auf.

Die Stadt Santiago de Compostela bietet jedoch noch viel mehr, nämlich ein Galizisches Museum, ein Kunstmuseum usw. Also, reizvoll und interessant ist es allemal, auch wenn mich im Laufe meiner Tage hier die ständig neuen, zum Teil per Bus kommenden Touristenströme stören. Oder ist es einfach so, dass ich nach langen Wochen des einsamen Wanderns die Menschenmengen nicht mehr so gut vertragen kann? So genau weiß ich es selber nicht. Auf jeden Fall bin ich inzwischen mit den Gedanken schon viel zu Hause. Es ist eben doch eine lange Zeit, die ich von zu Hause fort bin. Ich freue mich wieder auf mein gewohntes Umfeld und vor allem auf die Menschen, mit denen ich zusammen lebe. Ich brauche jetzt, nach der langen Zeit in der Fremde, dringend wieder etwas Vertrautes, eben mein Zuhause.

Der Abend verläuft für mich ruhig, ich esse zum letzten Mal, in einer der Seitenstraßen, ein Pilgermenü für 8,00 €, bestehend aus Gemüsesuppe, Pommes frites und Fleisch und einer Apfelsine als postre, was so viel wie Nachtisch bedeutet. Dazu gibt es eine halbe Flasche Wein im Krug und zwei große Stücke Brot, wie hier immer üblich. Danach laufe ich noch einmal durch die nun erleuchtete Altstadt und lasse mich von der unwirklich erscheinenden, in grünlichem Licht angestrahlten Kathedrale faszinieren. Ich versuche diesen Anblick in meinem Kopf zu speichern — im Fotoapparat habe ich ihn schon lange — , um ihn später immer wieder abrufen zu können. Vielleicht gelingt es mir.

Um ruhig schlafen zu können, packe ich heute Abend noch meinen Rucksack, der richtig voll ist, da ich doch das eine oder andere für meine Familie und mich mitnehme; ein kleines Mitbringsel muss sein und macht Freude. Es ist 0.30 Uhr, als ich endlich das Licht ausmache und jetzt auch müde genug bin, dass ich sofort einschlafe.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
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