4. Tag:

Uterga — Puente La Reina (7 km) — Los Arcos (39 km), 8. Juni

Frühmorgens, 6.30 Uhr, gehe ich los. Es ist schon warm, T-Shirt genügt. Der Weg führt mich durch Felder, gesäumt von Büschen und vielen unterschiedlichen Sommerblumen. Es geht an einem Mohnfeld vorbei, diesmal direkt neben dem Weg, sodass ich wieder stehen bleibe und unbedingt ein Foto von dieser wundervollen Landschaft mache. Von der Anhöhe habe ich einen beeindruckenden Blick auf das umliegende Land. Felder, Hügel, Berge, Wald — ruhig und absolut friedlich ist diese Landschaft. Als die Sonne über dem Hügel aufgeht, fühle ich mich richtig ergriffen. Die Natur in dieser einsamen, heilen Dimension habe ich so noch nicht erlebt.

Der Weg schlängelt sich wieder durch einsame Felder, bis nach circa einer Stunde der nächste kleine Ort in Sicht kommt. Zeit zum Frühstücken, und dieses Mal muss eine Fruchtschnitte reichen. Ich sitze auf einer Anhöhe auf einer Bank im Schatten und schaue in das Tal. Die Landschaft ist zum Malen, und ich genieße alles, nicht nur mein »Frühstück«.

Dann geht es weiter — der Rucksack ist immer noch zu schwer — durch den kleinen Ort in Richtung Puenta La Reina, das ich nach einer weiteren Stunde und fünf Kilometern erreiche. Eine kleine Stadt — alte Bauten, enge Gassen, Blumen geschmückte schmiedeeiserne Balkone, gepflasterte Gehwege. »Touristinformation« ist mein Ziel. Dort erstehe ich eine Karte von Puenta La Reina und die Information, wann und wo ich mit dem Bus, über Ciraqui und Estella, weiter nach Los Arcos komme. Da der nächste Bus erst um 13.40 Uhr fährt, habe ich noch fast drei Stunden Zeit, mir den Ort anzusehen.

Zuerst muss ich nun einen schweren Gang tun: Ich suche und finde ein Postamt. Seit gestern steht nämlich mein Entschluss fest, dass ich den entbehrlichen Teil meines Rucksackinhaltes nach Hause schicken will. Unter anderem befindet sich mein »Führer über Nordspanien« darunter, den ich aus praktischen Erwägungen kurzerhand mit dem Taschenmesser in drei Teile zerteilt habe, sodass ich nur die Teile über La Rioja, Kastilien-León und Galicien, die ich tatsächlich benötige, hier behalte und den Rest wegen seines erheblichen Gewichtes nach Hause schicke.

Im Postamt treffe ich den ersten unfreundlichen, gelangweilten Spanier, der mir widerwillig einen Paketkarton aushändigt, mir keine Auskunft über Portokosten gibt und schließlich für meine entbehrlichen Dinge, 2,9 Kilogramm schwer, die ich nach Hause schicke, eine horrende Geldsumme verlangt. Dafür hätte ich die Dinge glatt in Deutschland neu kaufen können!

Folgende Utensilien reisen ohne mich im Paket nach Hause:

1 Essbesteck

1 Taschenlampe

1 Regenschirm

1 T-Shirt

1 Top

1 langärmeliger Pullover

1 Laufshirt

1 ¾-Hose

1mal Rock + Top

1 Prospekt über Navarra

Teile des Spanienführers

Danach habe ich jetzt ein Rucksackgewicht von circa elf Kilogramm erreicht. Dazu kommen dann jeweils noch meine Jacke, die ich tragen muss, wenn es warm ist, und die jeweilige Tagesverpflegung, sodass ich morgens immer noch mit einem Gewicht von mindestens zwölf Kilogramm loslaufe. Wenn dann meine Seltersflaschen leer sind und die Verpflegung aufgegessen ist, verringert sich auch das Gewicht meines Rucksackes.

Endlich bin ich relativ frei, denn im Rucksack ist jetzt Platz, sodass ich diesen nun wieder problemlos schultern kann. Fröhlich marschiere ich zur Stadtbesichtigung los und sehe mir den Dom, die unglaublich schöne alte Brücke mit den Rundbögen und die Gassen mit den alten Häusern an. Es ist heiß, und ich habe Hunger. Mit Aprikosen, die ich an einem der vielen Pilgerbrunnen wasche, und frischem Brot gut versorgt, gehe ich zur alten Brücke, setze mich dort in den Schatten und genieße eine Siesta.

Frisch gestärkt, erstehe ich eine Stunde später noch ein neues Cappy, natürlich mit Jakobswegsymbol — gelbe Sonnenstrahlen — und gehe noch etwas durch die Stadt. Kinder in allen Altersstufen in Schuluniform laufen an mir vorbei, hübsch anzusehen in ihren karierten Hosen und Röcken. Schließlich geht eine Gruppe Kindergartenkinder an mir vorbei, die alle laut: »Buen camino!« rufen, als sie mich als Pilgerin erkennen. Ich bin sehr begeistert von dieser niedlichen Art der Aufmerksamkeit und genieße sie sehr.

Nun suche ich die Busstation, die ich mit zweimaligem Nachfragen auch relativ problemlos finde. Jedoch kommt der Bus nicht zum angekündigten Termin. Ich warte, und endlich trifft der Bus mit einer Viertelstunde Verspätung ein. Nachdem ich meinen Rucksack im Gepäckfach verstaut habe, zahle ich fünf Euro für circa vierzig Buskilometer und treffe die Engländerin aus der gestrigen Herberge wieder, mit der ich mich während der Fahrt angeregt unterhalte.

Die Bustour führt durch Ciraqui und Estella bis nach Los Arcos. Die Landschaft zeigt sich vielfältig, und ich genieße die »Stadtrundfahrt« und bedaure meine Entscheidung, Estella zu übergehen, denn die alten Bauten, die an mir vorüberziehen, faszinieren mich. Jedoch sind meine geplanten vier Wochen keine endlose Zeit, und das zwingt mich dazu, Kompromisse zu machen, und so steige ich in Los Arcos aus.

Um 15.00 Uhr ist es noch immer glühend heiß. Nach einer Pause mit Cappuccino, der übrigens im Gegensatz zu Pamplona erschwinglich ist, suche ich eine Unterkunft. Dem Wegweiser nach finde ich das hostal, die Pilgerherberge, in der ich mir wieder einen Stempel für meinen Pilgerpass abhole. Diesen Pilgerpass habe ich mir bereits vor meiner Abreise nach Spanien von zu Hause aus bei der »Fränkischen Jakobusgesellschaft Würzburg« per Internet bestellt. Dreißig Stempel haben in diesem Pilgerpass Platz, und heute bekomme ich nun meinen dritten Stempel, den ich stolz entgegennehme. Dieser Pilgerpass soll mich bis nach Santiago de Compostela begleiten und mir als Nachweis dafür dienen, dass ich meine Pilgerstrecke zurückgelegt habe.

Jedoch entscheide ich mich, weder im 4-Bett-Zimmer noch im 36-Personen-Schlafsaal zu übernachten. Etwas Luxus muss sein, und so suche ich weiter. Die erste Herberge, sündhaft teuer, die zweite voll ausgebucht, aber in der dritten werde ich fündig und beziehe mein Zimmer, zwar mit Duschbad nebenan, aber etwas kompromissbereit muss man schon sein.

Nach der obligatorischen Dusche sitze ich auf dem Platz vor der Kirche, schreibe Postkarten, genieße die Ruhe und warte, bis um 18.30 Uhr der Laden öffnet, in dem ich meine Verpflegung einkaufen kann. Am Abend füllen sich dann die Gassen, die Leute sitzen zusammen und reden, Kinder spielen, und das Ganze geht so bis circa 23.00 Uhr, bis Ruhe einkehrt.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
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