17. Tag:

Villafranca Del Bierzo — Pedrafita (23 km), Pedrafita — Biduedo (16,7 km), 21. Juni

Morgens um 7.10 Uhr stehe ich nach kurzem Suchen an der Bushaltestelle, die keine ist, vor der Pizzeria. Im Passantengespräch kläre ich noch, auf welcher Straßenseite ich warten muss, und schließlich, so gegen 7.40 Uhr, kommt der Bus wirklich. Inzwischen habe ich schon, im Regen stehend, gefrühstückt, wie immer Baguette, und mit den zwei spanischen Männern, die ebenfalls warten, gesprochen. Der eine versichert mir, dass der Bus gleich kommt, und der andere, der auf einem umgedrehten Stein (mit der trockenen Seite nach oben) Platz genommen hat, wünscht mir: »Guten Morgen!« So steige ich schließlich, völlig durchnässt, in den Bus nach Pedrafita ein.

Ich hatte mich entschieden, diese 23 Kilometer mit dem Bus zu fahren, da aus meinen Unterlagen zu erkennen war, dass es ein sehr steiler Anstieg auf den 1300 Meter hohen Berg ist. Dieser Bus fährt nicht den Ort an sich an, sondern umfährt diesen und auch nachfolgende Orte. Er hält auf der Hauptstraße, sodass die Beförderung relativ schnell geht, weil er nicht an so vielen Haltestellen stoppen muss.

Und wirklich, der Bus fährt die gesamte Zeit bergauf. Ich sehe am Straßenrand die Pilgerkolonnen nach oben schwitzen und bin froh über meine Entscheidung. Im Bus treffe ich auch wieder Bekannte, so zum Beispiel einen Mann aus Dänemark, mit dem ich an einem Abend in einer Herberge ein sehr interessantes Gespräch hatte. Man kann sich hier also gar nicht aus dem Weg gehen und trifft sich immer wieder.

In Pedrafita angekommen, denke ich, ich bin im Kühlschrank: Es ist kalt, höchstens zehn Grad, dazu Dauerregen und Wind. Na, so hatte ich mir Spanien eigentlich nicht vorgestellt! Also ziehe ich zu meiner bereits dreifachen Ausrüstung (Top, Shirt mit langem Arm, Regenjacke) noch die Fleecejacke an, trinke einen café con leche, und weiter geht es. Immer noch bergauf führt mich der Weg bis O Cebreiro, und jetzt schwitze ich auch wieder. Um mich herum sehe ich so gut wie gar nichts. Es regnet ohne Unterlass, und Berge und Wälder hängen voller Wolken und Nebel. Ich fühle mich so, als sei ich im November in Norwegen oder Irland gelandet, aber nicht im Juni in Spanien. Meine Hände über den Walking-Stöcken sind so kalt, dass ich Handschuhe hätte gebrauchen können. Aber es nützt nichts, ich muss weiter.

Schließlich komme ich nach O Cebreiro. Am Ortseingang gibt es eine beeindruckende Pilgertafel, auf der ich folgenden Spruch lese, der dort nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Italienisch, Spanisch, Französisch und Englisch zu finden ist. Das ist der deutsche Wortlaut:

Im Volksmund heißt es:
Ein deutscher Pilger, der sich im
nebelverhüllten Tal des Valcarce
verirrt hatte, hält inne und hört,
von weit oben kommend, den Klang
einer Dudelsackmelodie.
Es war ein »Alala«, das hier
ein Schäfer spielte.
Jener geheimnisvolle Klang
brachte den Pilger bis zum
heiligen Gral.

Anschließend betrachte ich noch die Tafel über den Verlauf der Jakobspilgerwege in Europa, die mich an Größe und Umfang sehr beeindrucken. Das Netz der Pilgerwege erstreckt sich durch ganz Europa und führt vom Norden über Norwegen und Schottland bis nach Süden durch Dänemark, Deutschland, Frankreich bis zur Südspitze Italiens, bis nach Südspanien und Südportugal. Diesen Umfang hätte ich nicht erwartet! Ich staune einfach und denke darüber nach, welche Routen sich eventuell für mich weiterhin zum Erwandern lohnen würden.

Der Ort O Cebreiro an sich besteht aus wenigen sehr alten, mit Natursteinen gebauten Schiefer gedeckten Häusern, einer Kirche, einigen Souvenirshops und Gasthäusern. Ich stärke mich, wärme mich vor dem Kaminfeuer in der Gaststätte auf und muss, als ich den Ortskern suche, feststellen, dass ich bereits alles gesehen habe.

Irgendwie habe ich nun am Ortsausgang den Pilgerpfad verpasst und laufe die Straße entlang bis Linares. Das gefällt mir gar nicht, da die Autos um mich herumsausen und ich sehr genau auf den schmalen Seitenstreifen achten muss. Es geht wieder einmal bergauf, und es regnet noch immer. Neben der Kapuze meiner Jacke sehe ich so gut wie nichts, zumal die Straße auch noch jede Aussicht verdeckt. So macht das alles keinen Spaß.

Schließlich erreiche ich den nächsten Ort, Hospital Da Condesa, der so klein, schmutzig und hässlich ist, dass ich mich nicht entscheiden kann, hier zu bleiben. Also weiter! Der Weg schlängelt sich wie fast immer hoch und runter, durch Büsche und Gestrüpp, und es geht über Matsch durchtränkte Wege. Immer wieder muss ich um Riesenpfützen herumgehen, an Miniflüssen entlanglaufen und Matschwüsten mit schlickeriger, rotbrauner Erde durchqueren.

Als ich endlich im nächsten Ort, Padornelo, ankomme, gibt es dort nur von Kuhmist verschmutzte Straßen und Wege, einen frei laufenden Riesenschäferhund, der mich jagt, und eine Herberge, die bereits voll ist. Privatquartiere sehen sehr suspekt und muffig aus. Inzwischen ist es fast 17.00 Uhr, ich bin nass und müde. Jedoch treffe ich hier einen Pilgerbekannten aus León wieder, mit dem ich ein Schwätzchen halte und der sich entschlossen hat, hier in der Herberge zu bleiben. Auch er ist vom Wetter nicht begeistert und meint etwas sarkastisch, dass er, wenn er das vorher gewusst hätte, sicher einen Taucheranzug nach Spanien mitgenommen hätte. Mit Humor ist eben alles besser zu ertragen!

Trotzdem entscheide ich, weiterzugehen, und es geschieht ein Wunder: Gegen 18.30 Uhr finde ich kurz vor dem nächsten Ort eine private Herberge, in der ein sehr schönes Zimmer frei ist. Die Wirtin, eine freundliche Frau meines Alters, begrüßt mich herzlich, nicht ohne ein wenig mitleidig auf meine völlig durchnässte Kleidung zu blicken. Mir ist inzwischen alles egal; ich bin angekommen und habe eine Bleibe. An und für sich hatte ich heute vorgehabt, einen Pausentag einzulegen, doch daraus ist nichts geworden.

So verbringe ich den Abend im Gasthaus, ruhe mich aus und esse zum ersten Mal ein Pilgermenü für 8,50 €. Dieses besteht aus einer Hühnersuppe mit Nudeln, die sich hervorragend zum inneren Aufwärmen eignet. Danach gibt es Salat mit gebratenem Rindfleisch und als Nachtisch tarta de Santiago, einen sehr schmackhaften Mandelkuchen. Dazu werden Brot und Rotwein gereicht und sind im Preis inbegriffen. Dieses schmackhafte und reichliche Essen belebt mich wieder, und als dann noch zwei finnische Frauen vom Nachbartisch, englisch sprechend, mit mir Konversation suchen, bin ich voll zufrieden mit diesem anstrengenden Tag, trotz des schlechten Wetters.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
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