11. Tag:

León — Hospital de Órbigo (34 km) — Astorga (16 km), 15. Juni

Heute Morgen bin ich um 7.45 Uhr auf dem Weg zum Busbahnhof, um bis Villadangos del Páramo (21,8 km) mit dem Bus zu fahren. Ich erstehe für 1,30 € mein Ticket und habe dann noch Zeit, um einen café con leche — mein Frühstück — zu mir zu nehmen. Um 8.20 Uhr bin ich am Bussteig 4, wie angesagt, und mein Bus kommt nicht! Dafür spreche ich mit zwei Frauen, Pilgerinnen, die bis Hospital de Órbigo, 16 km vor Astorga, fahren wollen. Da der Bus noch nicht da ist, haben wir Zeit, uns zu unterhalten.

Eine der Frauen — kurze, graumelierte Haare, Brille, drahtig und freundlich, mit bayerischem Dialekt — erzählt, dass sie seit dem 22. Mai 2007 unterwegs ist. Sie ist am Anfang des Jakobsweges, in St. Jean de Pied de Port, also in Frankreich vor den Pyrenäen, gestartet, hat mit viel Blessuren die anstrengenden Auf- und vor allem Abstiege in Gewitter und Hagel überstanden und ist bisher nur gelaufen. Auch die Mesetas, die Strecke zwischen Burgos und León, haben ihr sehr gut gefallen, denn in Dörfern, die noch aus Lehmhäusern bestehen, scheint die Zeit stillgestanden zu sein, und die Leute leben noch so wie im letzten Jahrhundert. Auch ist sie von der Landschaft, vor allem vom ersten Teil, der Weite der Weizenfelder, begeistert.

Als ich sie frage, warum sie unterwegs ist, antwortet sie mir, dass sie das schon seit Jahren vorhatte, nur nie so lange Urlaub bekommen habe, und erst jetzt sei es für sie möglich. Nun müsse sie heute das erste Mal fahren, da sie eine Grippe habe und eine Pause brauche.

Inzwischen ist die Zeit vergangen, es ist 8.45 Uhr, fast eine halbe Stunde, nachdem mein Bus hätte fahren sollen, aber mein Bus kommt nicht! Doch schließlich fährt der Bus nach Hospital de Órbigo vor. Ich entscheide mich kurzfristig, mitzufahren, will beim Busfahrer meine zusätzliche Strecke nachbuchen, doch das ist nicht möglich. Also schnell zurück zum Schalter, vordrängeln, einen Stempel für den ausgefallenen Bus und eine Nachbuchung der weiteren Strecke für 1,00 €. Ohne die Hilfe eines netten, englisch sprechenden Spaniers in der Nachbarschalterreihe wäre das alles so schnell nicht möglich gewesen. Inzwischen haben meine neuen Pilgerbekannten auf mein Gepäck aufgepasst und versucht, den Busfahrer daran zu hindern, loszufahren. Als ich dann im Dauerlauf auf den Bus zu rase, erzählen sie mir, dass der Busfahrer nicht mehr hätte warten wollen und fast mit meinem Gepäck abgefahren wäre. Na, das hätte mir gerade noch gefehlt! So sitze ich nun, Schweiß gebadet, im Bus und fahre — Planänderung! — bis Hospital de Órbigo, um dann die 16 Kilometer bis Astorga zu laufen.

Kurz kehre ich mit den anderen in der Herberge von Hospital de Órbigo ein und bin von dem wundervollen Innenhof mit Fototapete und gemütlichen Sitzgruppen ganz begeistert. Alle sind unglaublich freundlich; ich erhalte meinen Pilgerstempel und ein ausgiebiges, preisgünstiges Frühstück, sitze in der Sonne und fühle mich nur wohl.

In der Herberge erhalte ich im Gespräch auch eine interessante Information zum Namen des Ortes Hospital de Órbigo. Im Laufe der letzten Jahrhunderte, in denen die Pilger seit tausend Jahren diesen Weg beschreiten, wurden auch viele von ihnen auf dem Pilgerweg krank. So entstanden im Laufe der Zeit mehrere Hospitäler, in denen die Pilger ausruhen konnten und gesund gepflegt wurden. Aus diesen Hospitälern wurden dann im Laufe der Jahrhunderte kleine Ortschaften, wie man heute noch an den Namen der Orte, wie Hospital Inglés, Hospital de la Cruz, Hospital da Condesa etc. erkennen kann.

Kurz nach 10.00 Uhr gehe ich, mit guten Wünschen und Buen camino versehen, los. Die Landschaft ist wundervoll, und ich bin wieder über weite Strecken von den wild wachsenden und blühenden Blumen am Wegesrand völlig fasziniert. Immer wieder stoppe ich, um Fotos zu machen, zum x-ten Male. Diese Mischung aus Rot, Weiß, Blau, Lila, Gelb in Getreide macht mir so viel Freude, dass ich mich nicht satt sehen kann. Es hat schon seinen Grund, dass dieser wundervolle Weg zum Weltkulturerbe erklärt wurde, sodass er ursprünglich und ohne menschliche Einwirkungen, wie z.B. Gift spritzen, belassen wird, wo es nur möglich ist.

Immer wieder führt der steinige Weg auf Anhöhen, sodass unglaubliche Panoramaausblicke rundherum auf die Berge möglich sind. Diese Weite der Täler, diese Ausblicke faszinieren mich. Das Leben ist schön, und ich habe mich nie so lebendig wie zurzeit gefühlt. Zwischendurch laufe ich durch fast kniehohes Gras, sodass ich meine Walking-Stöcke gar nicht benutzen kann. Ich fühle mich wie im Dschungel, umgeben von Schmetterlingen.

An der nächsten schattigen Stelle raste ich und spreche mit einer jungen Frau aus der Tschechei, die relativ gut deutsch spricht. Diese junge Frau ist auf der Reise mit ihrer Freundin zusammen unterwegs. Jedoch hat die junge Tschechin, Anfang dreißig, klein und zierlich, bereits mehrere Reisen hinter sich. Sie arbeitet immer für ein Jahr, spart sich so ihr Reisegeld zusammen und fährt dann wieder für circa ein Jahr los. Meist ist sie zu Fuß unterwegs, wie hier am Jakobsweg auch. Man trifft hier interessante und unternehmungslustige Menschen. Der Jakobsweg ist eben international!

Heute gibt es bei mir etwas Besonderes zu essen: tiefgekühltes »Bauernfrühstück«, in Form gefroren, bestehend aus Kartoffeln und Ei, gut gewürzt, das ich mir gestern gekauft habe. Endlich mal eine Abwechslung zu dem sonst üblichen Baguette, gut zu essen und enorm sättigend und zudem noch preisgünstig.

Inzwischen ist das Wetter wieder besser, leicht windig, und die Sonne wärmt angenehm, als ich meinen Weg fortsetze. Von weitem sehe ich schon die beiden Türme der nächsten Kathedrale: Astorga ist in Sicht. Jedoch muss ich zuerst durch die Vororte laufen, und der Weg zieht sich wie ein endloses Gummiband bis in die Stadt hinein. Zum Schluss muss ich noch eine große Anhöhe erklimmen, ich habe keine Lust mehr und meine Füße tun weh. Schließlich komme ich in der Herberge an und stelle dort fest, dass es auch 2-Bett-Zimmer mit Etagenbetten gibt und nagelneue, gepflegte Sanitäranlagen. Ich bleibe für 6,00 € pro Nacht und kann nun endlich meinen mitgebrachten Schlafsack ausprobieren. Mein Zimmer hat kein Bettzeug, dafür aber ein Waschbecken, was ich bereits als Komfort betrachte.

Mit einem kleinen Stadtplan versehen, gehe ich etwas trinken und erkunde dann den Ort Astorga. Am meisten genieße ich, dass ich meine Wanderstiefel und Strümpfe gegen die Sandalen ausgetauscht habe und meine schmerzenden Füße sich zusehends erholen.

Auch hier in Astorga gibt es eine wundervolle Kathedrale, ein Meisterwerk mittelalterlicher Baukunst. Ich gehe die alten Stadtmauern entlang auf der Suche nach Resten der römischen Ausgrabungen, die aber schwer zu finden und nicht zu besichtigen sind. Schade!

Den Abend verbringe ich zum Teil in der Herberge, wo ich mich mit mehreren Pilgern unterhalte. Auch nutze ich den kostenfreien Internetzugang, um einige Mails an die Familie und Freunde zu schreiben. Später sitze ich dann noch in den Mauernischen der alten Stadtmauer draußen und bewundere den absolut wundervollen Sonnenuntergang, die Wolkenformationen und lasse mich von den letzten Sonnenstrahlen wärmen.

Die Nacht schlafe ich allein in einem 2-Bett-Zimmer, die Herberge ist offensichtlich bei weitem nicht ausgebucht, genieße die neuen und sehr gepflegten Sanitäranlagen und fühle mich wohl. Mein Schlafsack erweist sich als warm genug und praktisch, und als ich gegen 23.00 Uhr im Bett liege, bin ich rundherum zufrieden, denn es ist ruhig, und ich schlafe tief und fest und ohne Störung, obwohl ich in einer Pilgerherberge bin.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
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