14. Tag:

Rabanal del Camino — El Acebo (17 km), 18. Juni

Als ich kurz nach 7.00 Uhr aus meiner Unterkunft heraustrete, ist es wieder einmal kühl, dazu kommt ein heftiger Wind, und am Himmel sind noch immer dicke Wolken. Ich laufe in voller Regenausrüstung, gut mit Verpflegung und Getränken ausgestattet, denn unterwegs wird es heute wohl kaum etwas zu kaufen geben.

Der Weg ist schmal und beschwerlich, denn es gilt, beginnend bei circa 500 Metern einen Pass mit 1650 Metern Höhe zu erklimmen. Je weiter ich nach oben komme, desto nebliger wird es, sodass ich die Berge leider nicht erkennen kann. Unter meinen Füßen rutschen die Steine hin und her, ich laufe über schieferartige Steinplatten, die in mehr oder weniger viel Lehmboden eingebettet sind. Immer wieder muss ich an großen Pfützen vorbei, denn in den letzten Tagen hat es viel und zum Teil heftig geregnet. Zurzeit muss ich wieder einmal jeden meiner Schritte vorsichtig setzen, und ich bin aufs Neue froh, dass ich mit richtigen, knöchelhohen Wanderschuhen mit fester Sohle ausgerüstet bin.

Neben meinem Wanderweg zeigt sich eine grün-bunte Natur, die mit Büschen aus Ginster und Heckenrosen, aber auch mit Heidepflanzen, die zum Teil eine Höhe von erstaunlichen zwei Metern erreichen, bewachsen ist. Immer wieder komme ich an »Steingärten«, Steinformationen unterschiedlichster Art vorbei, die mit blühenden Flechten und kleinen Pflanzen mit sternförmigen Miniblüten in Weiß, Rosa und Gelb bewachsen sind. Der Blüten- und Farbenreichtum ist auch heute wieder phänomenal, auch wenn leider die Sonne nicht darauf scheint. Die Sonne ist zwar inzwischen aufgegangen, aber sie schafft es nicht, sich gegen den Nebel durchzusetzen. Ich laufe weiter, immer bergauf, bin trotz der kalten Luft schweißüberströmt und muss immer wieder Halt machen, um Luft zu schöpfen. Erst gegen 11.00 Uhr lichtet sich der Nebel und ich habe eine unglaubliche Aussicht auf die Bergkuppen rundherum. Die Berge sind vielfach mit grünen Büschen und gelbem Ginster, der von weitem leuchtet, bewachsen. Es gibt aber auch kahle, braune Stellen, die unbewachsen oder vielleicht in den letzten Jahren einem Feuer zum Opfer gefallen sind. Es sieht so aus, als sei die Erde wie eine Tischdecke zigmal gefaltet worden, sodass die Gebirgsketten in verschiedenen Richtungen miteinander verschachtelt sind. Diese atemberaubende Aussicht begleitet mich nun für längere Zeit.

Mein Aufstieg ist sehr Kräfte zehrend, und ich muss immer wieder Pausen machen. Schließlich erreiche ich das Cruz de Ferro, das Eisenkreuz, das den höchsten Punkt markiert. Hier soll man seinen »Sorgenstein« von zu Hause ablegen, so erzählt man sich, und man wird erleichtert weitergehen können. Rund um den Platz des Cruz de Ferro sieht es aus, als hätte eine Wandergruppe ein Ausflugsziel erreicht. Zig verschiedene Pilgergruppen fotografieren sich und das Panorama und sind froh, einen großen Teil des Aufstiegs geschafft zu haben. Auf mich kommt hier auf einmal wieder eine Pilgerbekannte zu, die Frau, mit der ich in León auf den Bus gewartet habe. Sie hat mich sofort erkannt und bittet mich nun, ein Foto von ihr und ihrer derzeitigen Gruppe zu machen. Den Gefallen tue ich ihr gern und nutze auch für mich die Gelegenheit, indem ich sie bitte, mich zu fotografieren, was sie gerne macht. Anschließend machen wir noch eine kleine Pause zusammen und halten ein Schwätzchen, bis ihre Begleiter aufbrechen wollen und sie dann weiterwandert. Ich jedoch dehne meine Pause noch ein wenig aus, bis ich wieder bei Kräften bin.

Von dort aus geht es weiter, häufig immer noch aufwärts. Ich kämpfe mit den vielen Steinen auf dem Weg und mit der Anstrengung des Aufstieges. Erst gegen 13.00 Uhr beginnt der Abstieg, doch der gestaltet sich noch schwieriger. Der Weg ist so uneben und steil, voller verschieden großer Steine, dass ich Mühe habe, meine Füße so zu setzen, dass ich nicht umknicke. Wieder einmal bin ich sehr froh, dass ich meine Walking-Stöcke dabei habe und diese mich unterstützen.

Auch der Abstieg ist ständig von einem Bilderbuchpanorama begleitet, doch ich kann es nur in den Pausen genießen, da der Weg meine volle Konzentration erfordert. Zum Schluss fühle ich mich so überanstrengt und genervt, dass ich mich entscheide, die letzten beiden Kilometer auf der den Wanderweg kreuzenden Straße zu gehen, was sich für mich als absolut richtig erweist. So erreiche ich, auf einer ebenen Straßenfläche gehend, gegen 14.30 Uhr wieder einigermaßen bei Kräften den kleinen Ort El Acebo, mein heutiges Etappenziel.

Der Ort an sich besteht aus einer kleinen Straße, um die herum links und rechts eine Häuserreihe mit alten Steinhäusern gebaut ist. Die Suche nach einem Zimmer gestaltet sich heute schwierig, denn entweder die Auskunft heißt: completo, also voll ausgebucht, oder das Zimmer ist sehr teuer. Erst im dritten Anlauf bekomme ich ein Zimmer mit einem herrlichen Ausblick auf die Berge, inklusive Extrabad und Frühstück für 21,00 €. Das ist o. k, und ich bin froh, als ich mich auf meinem Bett ausstrecken kann. Diese Etappe war so richtig anstrengend, und ich schlafe tief und fest, um mich auszuruhen. Danach hänge ich erst einmal meine noch feuchte Wäsche vom gestrigen Tag zum Trocknen ins Fenster.

Als ich später durch den Ort laufe, um mir alles anzusehen, komme ich mit einer jüngeren Schweizerin ins Gespräch, die auch ein Quartier sucht. Diese erzählt mir, dass sie sich etwa alle vier Tage ein Zimmer leistet, um so endlich einmal wieder ausschlafen zu können. Die restlichen Nächte verbringt sie aus Kostengründen in den Pilgerherbergen, wo sie jedoch nie so recht zum Ausschlafen und zur Ruhe kommt. Ich kann ihr meine Pension nur empfehlen und beschreibe ihr, wie sie dorthin kommt. Dankend nimmt sie dieses Angebot an und geht auch dorthin.

Im Ort finde ich alles, was ich brauche, zwei Lokale für café con leche und zum Essen und einen Supermarkt, um meinen Proviant für den nächsten Tag einzukaufen. Die Zeit scheint in diesem Ort vor langem stillgestanden zu sein, denn es gibt viele sehr alte Häuser, aus Lehm und den hier typisch unterschiedlich großen Steinen gebaut. Viele weisen Holzveranden und Holztreppen auf, die fast alle einen windschiefen und abenteuerlichen Eindruck hinterlassen. Das müsste die deutsche Baubehörde sehen, die würden den Ort sofort stilllegen! Aber in Spanien geht es merkwürdigerweise; hier leben Menschen in diesen Häusern in diesem ruhigen, friedlichen Ort, 1600 Meter hoch gelegen, mit einem traumhaften Blick rundherum.

Heute bin ich nicht mehr viel zu anderen Tätigkeiten in der Lage. Für kurze Minuten liege ich windgeschützt in der warmen Abendsonne auf einer Wiese und fange fast an zu schwitzen. Als ich jedoch wieder hochkomme, pfeift der Wind wie zuvor kalt um mich herum, und ich finde es so ungemütlich und bin so müde, dass ich früh zu Bett gehe, um für den nächsten Tag gerüstet zu sein.

Wenn nicht jetzt, wann dann?
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