27. KAPITEL

 

Als sich am nächsten Tag die Sonne dem Horizont näherte, ging Olivia nervös neben J. L.s Bett auf und ab. Carlos wartete am Fußende, zum Angriff bereit, falls er J. L. davon abhalten musste, Olivia zu beißen. Sie hatte drei Gläser voll warmem Blut auf dem Nachttisch bereitgestellt. Emma hatte ihr empfohlen, auch Strohhalme danebenzulegen.

Die halbe Nacht hatten Olivia und Robby sich geliebt, ehe sie endlich in Schlaf gesunken war. Gegen Mittag war sie wieder aufgewacht. Es erschreckte sie nicht mehr, ihn reglos neben sich liegen zu sehen. Sie hatte sich geduscht und die saubere Kleidung angezogen, die er ihr aus ihrer Wohnung mitgebracht hatte.

Carlos sah auf seine Uhr. »Gleich ist es so weit.«

»Gefällt es dir, bei MacKay S&I zu arbeiten?«, fragte sie.

»Ja.« Carlos lächelte. »Überlegst du dir, dich um einen Job zu bewerben?«

»Vielleicht.«

»Angus ist ein guter Boss. Er war sehr hilfreich und verständnisvoll bei meinem... speziellen Problem.«

»Gewölle?«

»Wenn es so einfach wäre. Meine Art ist vom Aussterben bedroht. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, wurde zerstört und die meisten Werpanther dabei umgebracht.«

»Das tut mir so leid. Wie schrecklich.«

»Ich habe schon einige Reisen unternommen, um mehr meiner Art zu finden. Angus gibt mir nicht nur frei, damit ich reisen kann, er finanziert die Reisen auch.«

»Wo...« Sie verstummte, als J. L.s Körper sich aufbäumte.

Seine Brust weitete sich, als er tief einatmete. Er öffnete die Augen.

Sie beugte sich über ihn. »J. L.?«

Sein Kopf fuhr herum. In seinen braunen Augen glomm ein seltsames bernsteinfarbenes Glühen, das vorher nicht darin gewesen war. »Was... wo... aargh!« Er krümmte sich zusammen und presste gegen seinen Bauch.

»Das sind Hungerkrämpfe«, flüsterte Carlos.

Olivia wollte ihm erst die Situation erklären, ehe sie ihm ein Glas Blut in die Hand drückte. »J. L., du bist von Vampiren angegriffen worden. Sie hätten dich fast umgebracht. Die einzige Möglichkeit, dich zu retten, war...«

Er schrie und legte eine Hand über seinen Mund. Dann stöhnte er wieder vor Schmerzen.

Es war schmerzhaft für Olivia, die Qualen des Freundes mitanzusehen. »Es tut mir so leid. Wir mussten dich verwandeln, J. L. Nur so konnten wir dich retten.«

»Verwandeln?«, flüsterte er. Er schrie auf, als seine Fangzähne durch das Zahnfleisch schossen. Mit den Fingerspitzen berührte er vorsichtig die spitzen Zähne, und seine Augen weiteten sich. »Ich bin ein...?«

»Du bist ein Vampir, Alter.« Carlos war für klare Ansagen.

Olivia stiegen Tränen in die Augen. Der arme J. L. sah so schockiert aus. In der Vergangenheit hatte sie immer genau gewusst, wie er sich fühlte, jetzt war er leer. Es war, als hätte sie einen Teil von ihm im Austausch gegen sein Überleben für immer verloren. »Es tut mir leid, J. L. Du wärest fast gestorben, es war so knapp. Es schien der einzige Weg, dich zu retten.«

Er sah seine Hand an, mit der er seine neuen Fangzähne berührt hatte. An seinen Fingern klebte das Blut von seinem aufgerissenen Zahnfleisch. Er blähte seine Nasenlöcher. »Ich habe solchen Hunger.« Sein Blick richtete sich auf Olivia, und der bernsteinfarbene Glanz in seinen Augen verstärkte sich.

»Hier.« Sie hielt ihm ein Glas warmes Blut an den Mund. Es klirrte gegen seine Fangzähne, also steckte sie einen Strohhalm hinein. »Trink das.«

Er nahm einen zögernden Schluck, packte dann das Glas und stürzte den ganzen Inhalt hinunter. »Immer noch hungrig.«

Auch das zweite Glas leerte in einem Zug. Seine Fangzähne zogen sich zurück, und in seine Wangen kam wieder etwas Farbe.

»Ich habe noch ein Glas, falls du es brauchst.« Sie deutete auf den Nachttisch.

Er sah sie verwirrt an. »Es ist so seltsam. Das schmeckt mir wirklich gut.« Sein Blick wanderte durch das Zimmer. »Alles ist schärfer und deutlicher. Wo bin ich?«

»Romatech Industries«, antwortete Carlos. »Der Hersteller von synthetischem Blut, oder, in deinem Fall, das Delikatessengeschäft.«

»Kenne ich Sie?«

»Ich bin Carlos Panterra, Tagwache bei MacKay S & I. Und ich bin ein Werpanther.«

»Wow.« J. L. sah Olivia an. »Das ist kein merkwürdiger Traum? Ich bin wirklich ein Vampir?«

»Ich fürchte, schon.« Sie drückte ihm die Hand. »Ich habe Robby gebeten, es zu tun. Aber wenn es dir wirklich schlecht damit geht, gibt es auch einen Weg, den Prozess umzukehren und dich wieder sterblich zu machen.«

»Ich denke darüber nach, aber ich glaube, so geht es mir ganz gut.«

Erleichtert seufzte Olivia auf. »Ich hatte gefürchtet, du würdest mich hassen.«

»Nein.« J. L. schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Es war meine Schuld. Ich hätte nicht noch einmal zurückgehen sollen.«

»Was ist passiert?« Sie setzte sich neben ihn auf das Bett. »Kannst du dich erinnern?«

»Ich war im Krankenhaus, als Yasmine angerufen hat. Sie hat gesagt, sie ist in einer der Lagereinheiten eingesperrt, zusammen mit einem Haufen Vampire, und wenn ich sie nicht rette, wachen sie bei Sonnenuntergang auf und bringen sie um. Also bin ich so schnell ich konnte zurück, um sie zu retten. Es war doch noch Tag, und alle Vampire waren noch tot, dachte ich.«

Bei der Erinnerung an das schreckliche Ereignis fuhr sich J. L. fahrig mit der Hand durch sein dichtes schwarzes Haar. »Es war eine Falle. Einige der entflohenen Gefangenen waren mit ihr eingesperrt. Ich nehme an, die Malcontents hatten sie als Nahrungsquelle eingeplant. Sie haben mich angegriffen und mich bewusstlos geschlagen. Ich glaube, sie hatten gehofft, sich selbst zu retten, indem sie mich als Vorspeise anbieten.«

»Das muss schrecklich gewesen sein«, sagte Olivia leise.

»Ich dachte, es ist aus mit mir.« Dann lächelte er plötzlich. »Aber hey, es könnte schlimmer sein.«

»Du könntest ein Zombie sein?«

»Genau. Also, wann kann ich den Malcontents in den Hintern treten?«

Der Mann imponierte Carlos. »Immer mit der Ruhe, Alter. Zuerst musst du trainieren, wie du deine neuen Gaben benutzt.«

»Superkräfte!« J. L. grinste. »Klasse.«

****

Robby war im Sicherheitsbüro von Romatech zur Strategiebesprechung, als er Olivia auf einem der Bildschirme entdeckte. Sie kam gemeinsam mit Carlos und J. L. auf das Büro zu. Er hatte früher am Abend nach dem neuen Vampir gesehen und war erleichtert gewesen, ihn und Olivia guter Dinge vorzufinden.

Robby öffnete die Tür, um sie hereinzulassen, und stellte J. L. dann den anderen vor.

»Wenn du bei MacKay S & I arbeiten möchtest, bieten wir dir gerne eine Stelle an«, sagte Angus.

J. L. schüttelte ihm die Hand. »Das wäre prima. Danke.«

»Alles ist in Ordnung«, flüsterte Olivia Robby zu. »Er freut sich über die Verwandlung.«

»Wow, das konnte ich hören.« J. L. war beeindruckt von seinen neuen Fähigkeiten. Er durchquerte den Raum und betrachtete die Waffen in der vergitterten Waffenkammer. »Ihr habt hier ein paar erstklassige Schwerter.«

»Wir haben uns entschieden, zurück nach Kansas City zu teleportieren«, verkündete Robby. »Wir glauben, dass Casimir noch in der Nähe ist, besonders weil sein neuer Kumpel, Otis, dort nach Olivia sucht.«

Olivia runzelte die Stirn. »Ich nehme an, ich soll den Köder spielen, um ihn anzulocken?«

»Nay.« Robby wollte davon nichts wissen. »Mir wäre eine andere Lösung lieber.« Er nahm ihre Hand. »Aber für den Anfang beziehen wir in Barkers Büro im Gebäude des FBI Stellung.«

»Ich komme mit euch«, sagte J. L. »Ich weiß noch nicht, wie man sich teleportiert, aber fechten kann ich.«

Sie bewaffneten sich. Robby stellte sicher, dass Olivia zusätzlich zu ihrer Pistole einen Dolch einsteckte.

Er zog Handschuhe an, um ihre Pistole mit silbernen Kugeln zu laden. »Die bringen einen Vampir nicht um, aber es tut höllisch weh und verlangsamt seine Reaktionen.«

»Danke.« Sie schob die Waffe in ihr Halfter.

In eine der Hosentaschen steckte Robby eine Silberkette. Schon vor Monaten hatte er gelernt, dass er sich mit der Kette teleportieren konnte, solange sie nicht seine nackte Haut berührte oder um seinen Körper gewickelt war. »Das ist vielleicht die große Nacht. Wenn es mir gelingt, diese Kette um Casimir zu schlingen, kann er uns nicht mehr entkommen.«

»Und du bekommst endlich die Rache, nach der du dich so lange sehnst.« Olivia berührte sein Gesicht. »Sei vorsichtig, ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«

Er küsste ihre Stirn. »Olivia, du wirst dich noch eine lange, lange Zeit mit mir abgeben müssen.«

Olivia rief ihren Vorgesetzten mit eingeschaltetem Lautsprecher an. Robby teleportierte sie in Barkers Büro, und Connor nahm J. L. mit. Angus und Emma kamen mit Carlos an.

Als Barker seinen Angestellten J. L. sah, klopfte er ihm auf den Rücken. »Sie sehen gut aus.«

»Danke.« J. L. spähte ins Hauptbüro. »Alle anderen sind schon nach Hause gegangen.«

»Jepp.« Barker führte sie alle ins größere Büro. »Sie glauben, dass wir alle entflohenen Gefangenen gefunden haben. Aber Otis ist natürlich noch draußen. Irgendwelche Pläne, wie wir ihn finden?«

»Vielleicht hat Yasmine ihre Kreditkarte noch einmal benutzt.« J. L. ging zu seinem Arbeitsplatz. »Ich sehe nach.«

»Ich helfe ihm.« Olivia folgte.

»Wissen wir, mit wie vielen Vampiren wir rechnen müssen?«, fragte Barker.

Das war eine gute Frage. Sie hatten früher am Abend abgeglichen, was sich in der Lagereinheit abgespielt hatte. Drei Malcontents war es gelungen, sich zu teleportieren, dazu noch Casimir und Otis. »Wir glauben, dass es insgesamt fünf sind, aber Casimir könnte noch weitere Anhänger zur Verstärkung anfordern.«

Auf ihrer Seite hatten sie fünf Vampire, J. L. eingerechnet, dazu zwei Formwandler und Olivia.

»Wir könnten auch Verstärkung rufen«, schlug Emma vor. »Jack, Ian, Dougal und Jean-Luc würden uns nur zu gern helfen.«

»Das machen wir.« Angus nickte seiner Frau zu, und Emma zog ihr Handy aus der Tasche, um die Anrufe zu erledigen.

Robby sah zu Olivia. Sie saß an ihrem Arbeitsplatz und schaltete gerade ihren Computer ein. »Ich werde nicht zulassen, dass Olivia als Köder benutzt wird. Otis hat vielleicht schon gelernt, sich zu teleportieren. Wenn er sie in seine Finger bekommt, kann niemand sagen, wohin er sie bringt. Wir würden sie nie finden.«

Jack und die anderen tauchten auf. Robby stellte sie Barker vor, und Angus erklärte ihnen die Sachlage.

»Robby!« Olivia klang aufgeregt. »Ich habe gerade eine E-Mail von Yasmine bekommen.«

Schnell rannte er zu ihr, die anderen ihm dicht auf den Fersen.

»Sie hat die Nachricht von ihrem Blackberry aus geschickt«, erklärte Olivia ihnen. »Sie hat geschrieben: ›Hilf mir, Olivia. Sie bringen mich um. Ich schreibe, damit sie mich nicht hören. Komm ins alte Lagerhaus am Pier 6 beim Fluss‹.«

»Das ist eine Falle«, stellte Connor fest.

»Aye. Otis wird dort auf dich warten. Wir können dich nicht gehen lassen«, bekräftigte Robby.

Olivia runzelte die Stirn. »Ich bin nicht vollkommen hilflos, weißt du.«

»Du bist einem Vampir nicht gewachsen. Sie haben Yasmine nicht anrufen lassen, weil sie nicht wollen, dass wir uns zu ihrer Stimme teleportieren.« Robby schien keinen Widerspruch zu dulden.

»Ich habe ein Büro am Pier 6 gefunden«, sagte J. L., während er auf seiner Tastatur schrieb. »Wir können dort anrufen und uns hinteleportieren.«

Anerkennend klopfte Angus dem Neuen auf den Rücken. »Lad, du wirst dich bei MacKay S&I gut machen.«

J. L. lächelte. »Lasst mich einfach bei einem von euch mitkommen.«

»Und was soll ich machen?« Olivia blickte in die Runde.

»Ich bleibe hier bei Ihnen«, sagte Barker.

»Na gut.« Robby trat zurück und zog sein Schwert. »Ruf die Nummer per Lautsprecher an, J. L.«

Alle Vampire zogen ihre Schwerter und warteten auf den Leitfaden, mit dem sie sich teleportieren konnten. Das Telefon klingelte.

»Pass auf dich auf«, sagte Olivia zu Robby.

»Mach dir keinen Kopf. Endlich kann ich Rache nehmen.«

»Kansas City Exports«, sagte eine weibliche Stimme am Telefon. »Was kann ich für Sie tun?«

Robby und seine acht Gefährten teleportierten sich in ein kleines Büro mit einer kreischenden Frau darin. Angus löschte rasch ihre Erinnerungen, und sie alle rasten aus dem Bürogebäude und auf das alte Lagerhaus zu.

Ohne ein Wort zu sagen, teilte Angus sie in drei Gruppen zu drei Personen ein, ehe sie das Gebäude betraten. Angus führte seine Gruppe nach rechts, Jack nahm seine mit nach links, und Robby führte Connor und J. L. den breiten Gang in der Mitte hinab.

Über ihnen tanzten Staubflocken im fahlgoldenen Licht der schwachen Lampen. Die Luft war abgestanden und muffig. Robby ging an mehreren Reihen aufgestapelter Holzkisten und Kartons vorbei, ehe er einen offenen Bereich in der Mitte des Lagerhauses erreichte.

In der Nähe eines Kistenstapels fanden sie Yasmine. Sie war an einen Stuhl gefesselt. Eindeutig eine Falle. Sie konnte Olivia keine Nachricht geschrieben haben, wenn ihre Arme auf dem Rücken gefesselt waren.

Schwerter klirrten plötzlich aneinander, und Robby wusste, dass die Gruppen von Angus und Jack angegriffen wurden.

Robby ging mit Connor und J. L. langsam auf die offene Fläche zu.

»Hilfe! Sie wollen mich umbringen!«

»Das hast du letztes Mal auch gesagt!«, rief J. L. zurück.

»Es tut mir leid. Die Gefangenen haben gesagt, sie bringen mich um, wenn ich niemand anderen finde, an dem die Vampire trinken können.«

»Und dazu hast du mich ausgesucht?« J. L. starrte sie wütend an.

»Bitte!«, rief Yasmine. »Ich habe solche Angst. Ich wusste nicht, dass Otis zum Vampir werden würde!«

»Komm ihr nicht zu nahe, Lad.« Connor warnte J. L. eindringlich.

»Keine Sorge. Ich werde ihr nie wieder vertrauen.«

Ihr Blick wanderte zwischen den Männern hin und her, dann trat Verzweiflung in ihre Augen. »Wo ist Olivia? Ich habe ihm Olivia versprochen.«

»Er wird sie nie bekommen.« Wie gut, dass Olivia in Sicherheit war, dachte Robby.

Yasmine hob ihr Kinn. »Ist mir nur recht. Sie wird Otis nie so sehr lieben, wie ich es tue. Ich kann ihn glücklich machen...«

»Du dumme Schlampe! » Otis kam hinter den Kisten hervor und schlug Yasmine mit dem Handrücken ins Gesicht. »Du hast schon wieder versagt.«

»Otis. Ich tue alles für dich.«

Voller Zorn stürzte J. L. auf Otis zu, aber im selben Moment teleportierte er sich.

»Verdammt!«, rief J. L. frustriert.

Yasmine lachte. »Du wirst ihn nie erwischen. Er ist zu klug für dich.«

Connor rannte hinter die Kisten, um zu sehen, ob sich dort ein weiterer Vampir versteckte.

Fassungslos betrachtete J. L. seine Kollegin. »Was ist bloß dein Problem? Wie kannst du einem Monster wie ihm helfen?«

»Otis braucht mich. Er hat gesagt, ich bin anders als die anderen. Er sagt, ich bin etwas Besonderes. Er hasst andere Frauen, aber mich liebt er.«

J. L. schnaubte verächtlich. »Er liebt Olivia.«

»Nein!« Yasmine zerrte an ihren Fesseln. »Er sagt, ich werde für immer bei ihm sein. Ich muss ihm nur dabei helfen, Olivia in den Wahnsinn zu treiben.«

»Du bist hier die Wahnsinnige!«

»Genug.« Robby hob eine Hand. Das Klirren der Schwerter in der Ferne war verklungen. Er wirbelte um die eigene Achse, sah sich im ganzen Lagerhaus um und konzentrierte sich dann wieder auf Yasmine. »Ist Casimir hier?«

»Warum sollte ich dir irgendetwas verraten? Otis hasst dich. Ich habe ihm gesagt, dass Olivia mit dir ausgeht, und deshalb sollte ich die Apfel in ihre Wohnung legen, um sie zu bestrafen.

Ich bin es, die ihn wirklich liebt. Wenn ihm das klar wird, wird er mich in einen Vampir verwandeln. Nicht Olivia. Und dann werden wir für immer zusammen sein.«

»Er benutzt dich nur, Yasmine.« Sie davon zu überzeugen würde wahrscheinlich Jahre dauern, dachte J. L. resigniert.

Connor kam hinter den Kisten hervor. »Die Luft ist rein.«

»Er liebt mich!«, schrie Yasmine. »Otis liebt mich.«

»Genug!« Connor schoss einen Blitz vampirischer Energie auf sie, und sie sackte bewusstlos in ihrem Stuhl zusammen, »Wow.« J. L. kam aus dem Staunen nicht mehr raus. »Das müsst ihr mir unbedingt beibringen.«

Connor zuckte mit den Schultern. »Bei den Frauen wird dich das nicht sehr beliebt machen.«

Die anderen Vampire tauchten plötzlich neben ihnen auf.

»Wir haben zwei umgebracht«, berichtete Angus.

»Wir haben einen erwischt«, sagte Jack.

»Bravo.« Eine Stimme ertönte plötzlich über ihnen. Casimir trat von einem der Balken hoch über ihren Köpfen und kam hinabgeschwebt, um auf dem Kistenstapel zu landen. Er hielt sein Schwert in der rechten Hand. Sein langer Mantel konnte nicht verbergen, dass sein linker Arm in einem unnatürlichen Winkel abstand. Er trug einen Handschuh an seiner linken Hand und hielt sie gekrümmt an seine Brust. »Es hat bloß neun von euch gebraucht, um drei meiner Männer umzubringen. Wie ausgesprochen mutig.«

Robby fasste mit einer behandschuhten Hand in seine Tasche, um die Silberkette zu packen. Er teleportierte sich auf den Stapel Kisten und zog die Kette heraus.

Casimir richtete sein Schwert auf ihn. »Du meinst, du kannst Rache nehmen? Falsch gedacht, MacKay. Ich habe eine neue Methode gefunden, dich zu foltern, und die Wunde wird tief sein. Es ist nämlich so: Otis hat dem Asiaten letzte Nacht, während ich von ihm getrunken habe, sein Handy gestohlen.«

J. L. tastete hektisch seine Taschen ab. »Er hat recht. Es ist nicht mehr da.«

Casimir lachte in sich hinein. »Ich frage mich, ob die bezaubernde Olivia einen Anruf von ihrem Freund entgegennimmt? Wenn sie es getan hat, hat Otis sich bereits zu ihr teleportiert.«

Robby gefror das Blut in den Adern.

»Was machst du jetzt, Robby?« Casimirs Spott war unerträglich. »Du kannst einen armseligen Versuch unternehmen, mich umzubringen, oder du kannst an die Seite deiner Frau eilen, nur um zu sehen, dass du zu spät gekommen bist, um sie noch zu retten.«

****

Olivia ging unruhig in Barkers Büro auf und ab und schwankte zwischen Wut und Sorge. Sie sorgte sich um Robby und J. L., aber sie war auch wütend, weil man ihr nicht erlaubt hatte, mitzukommen.

»Entspannen Sie sich.« Barker saß hinter seinem Schreibtisch. »Es geht den beiden sicher gut.«

»J. L. ist noch nicht daran gewöhnt, ein Vampir zu sein. Er sollte noch nicht in die Schlacht ziehen.« Ihr Handy klingelte, und sie sah auf das Display. »Du liebe Güte, das ist J. L.«

Sie klappte ihr Telefon auf. »Hallo?« Sie warf Barker einen besorgten Blick zu. »J. L.? Bist du da?«

»Ich bin hier, mein Schatz.«

Als Olivia die Stimme erkannte, wirbelte sie herum. Otis stand mit J. L.s Telefon in der Hand mitten im Büro.

»Du solltest dich schämen, mein Schatz.« Otis setzte eine verletzte Miene auf. »Wir waren doch im Lagerhaus verabredet. Aber ich hatte Glück, ich wusste noch einen anderen Weg, um dich zu finden.«

Sie ließ das Telefon fallen und zog ihre Waffe.

Barker sprang auf und zog ebenfalls seine Pistole.

Ungerührt davon trat Otis auf sie zu. »Jetzt können wir endlich zusammen sein.«

Als Barker auf ihn schoss, verschwand er einfach. Olivia wirbelte herum. Wo war der Kerl?

Dann hörte sie ein Stöhnen, das von Barker stammte. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz, und er brach auf dem Boden zusammen. Otis stand an seiner Stelle, ein blutiges Messer in seiner Hand.

»Sie haben dich nicht sehr gut beschützt, was?« Er steckte sein Messer in seinen Gürtel.

Voller Wut, die plötzlich aus ihr herausbrach, schoss Olivia. Daneben.

Otis war in Vampirgeschwindigkeit in Deckung gegangen. Sein Körper sauste so schnell durch den Raum, dass seine Umrisse verschwammen. Er schlug ihr die Waffe aus der Hand. Sie sprang zurück und zog ihren Dolch.

Otis lächelte. »Du magst Messer auch? Ich wusste, wir passen perfekt zusammen.«

Sie stürzte sich auf ihn und stach nach seiner Brust, aber er verschwand noch einmal. Plötzlich war er hinter ihr, hielt sie fest gegen seine Brust gedrückt und riss ihr den Dolch aus der Hand.

Olivia stieß ihm den Ellbogen in die Rippen und trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß. Als sein Griff sich lockerte, befreite sie sich und rannte dorthin, wo ihr Dolch auf dem Boden lag-

Doch sie konnte ihm nicht entkommen. Er warf sich von hinten auf sie, brachte sie zu Fall und drückte sie nach unten. Ehe sie zu Atem kommen konnte, hatte er sie auf den Rücken gedreht. Sie versuchte ihn zu schlagen, aber er fasste nach ihren Handgelenken und hielt sie gegen den Boden gedrückt.

»Endlich.« Sein Atem ging in schweren Stößen. »Jetzt gehörst du für immer mir.« Triumphierend warf Otis seinen Kopf zurück. Seine Fangzähne kamen zum Vorschein.

Doch Olivia gab noch nicht auf. Sie stieß ihm ihr Knie fest zwischen die Beine. Er stöhnte kurz auf und hob sie dann hoch, nur um sie wieder gegen den Boden zu stoßen.

Ein dumpfer Schmerz breitete sich in ihrem Kopf aus. Gerade rechtzeitig erkannte sie, wie er sich ihrem Hals näherte. Sie wehrte sich, aber er war zu stark.

Da zuckte er zusammen und wich zurück. »Was?« Entsetzen lag in seinem Blick. »Du bist markiert. Du hast dich von einem anderen beißen lassen?«

»Ich werde nie dir gehören. Niemals.«

»Du Schlampe!« Er zog das Messer aus seinem Gürtel.

Plötzlich legte sich eine silberne Kette um den Hals des Vampirs, und er schrie vor Schmerzen auf. Das Messer fiel ihm aus der Hand.

Robby zog die Kette fester zusammen, und die Haut von Otis begann zu brutzeln. Er riss das Monster von Olivia los.

»Sein Messer«, knurrte Robby. Er brachte Otis mit einem Ruck zum Stehen, die Silberkette immer noch fest um seinen Hals gespannt.

Olivia entdeckte Otis' Messer auf dem Boden neben sich, griff danach und rappelte sich auf. »Das ist für all die Frauen, die du gequält und getötet hast!« Sie stieß es tief in seine Brust.

Und im nächsten Moment verwandelte sich Otis zu Staub.

Mit einem Scheppern fiel das Messer aus ihrer kraftlosen Hand auf den Boden. Robby ließ die Kette fallen und nahm sie in seine Arme.

Obwohl er sie ganz fest hielt, fing Olivia an, zu zittern.

»Es ist vorbei, Liebes.« Er umarmte sie. »Er wird dir nie wieder etwas tun.«

»Ist es wirklich vorbei? Hast du Casimir umgebracht?«

»Nay. Ich habe mich für deine Rettung entschieden.« Robby küsste sie auf den Kopf. »Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«

Hinter dem Schreibtisch ertönte ein Stöhnen.

»Du liebe Güte, Barker! » Olivia rannte hinter den Schreibtisch und fand ihren Chef, der zusammengekrümmt auf dem Boden lag. Blut quoll aus einer Wunde, aber er war nicht bewusstlos. »Ihnen geht es gut?«, murmelte er undeutlich.

»Ja.« Sie tastete nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch. »Ich rufe einen Krankenwagen.«

Robby hielt sie auf. »Das musst du vielleicht nicht. Barker, heilen Sie, wenn Sie sich verwandeln?«

»Ich glaube schon. Aber ich habe viel Blut verloren. Es tut mir leid, Olivia. Ich war keine große Hilfe. Ich war weggetreten.«

Sie drückte seinen Arm. »Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen.«

Im Raum tauchten noch mehr Vampire auf.

J. L. rannte auf Olivia und Barker zu. »Geht es euch beiden gut?«

»Otis hat Barker in den Rücken gestochen«, erzählte Olivia ihm.

Connor trat vor. »Ich kann ihn zu einem Vampir-Arzt in Boston teleportieren. Dort wird er sich bestimmt erholen.«

»Oh, danke.« Olivia nickte Connor zu, der gleich darauf mit dem Verletzten verschwand.

Olivia umarmte J. L. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Habt ihr Yasmine gefunden?«

»Oh ja.« Er verzog das Gesicht. »Die Frau ist wahnsinnig. Wir haben sie von der Polizei mitnehmen lassen.«

»Was ist mit Casimir?«, fragte Robby.

Angus seufzte. »Der Bastard hat sich sofort teleportiert, als du weg warst.« Er deutete auf einen Staubhaufen auf dem Boden. »Ich nehme an, das war Otis?«

»Aye. Olivia hat ihn umgebracht.« Robby lächelte sie an.

»Wir haben es gemeinsam getan.«

Die beiden schmiegten sich eng aneinander. »Wir sind ein furchterregendes Paar.«

»Ich glaube, wir werden bald Nachwuchs in der Familie bekommen.« Angus freute sich sichtlich über diese Entwicklung.

Und Emma grinste. »Oh, ich hoffe es.«

Olivia legte eine Hand an Robbys Wange. »Soll das ein Antrag sein?«

»Nicht hier.« Er küsste sie auf die Stirn. »Aber ich weiß den perfekten Ort.«

Sie lächelte. »Das ist ein Date.«