24. KAPITEL

 

Am nächsten Abend beschäftigte Olivia sich in ihrer Wohnung mit Saubermachen und der Wäsche. Sie bereitete sogar eine Moussaka zu. Alles, um nicht darüber nachzudenken, dass Freitagabend war, der Abend, an dem sie eigentlich einen Antrag von Robby erwartet hatte.

Jetzt wusste sie es besser. Er hatte geplant, ihr alles zu beichten.

Das Thema machte ihr langsam zu schaffen. Auf der Fahrt zurück nach Kansas City hatten J. L. und Barker sich ununterbrochen über Vampire unterhalten. J. L. fand ihre übermenschlichen Fähigkeiten beeindruckend. Barker war dankbar, dass es Gute gab, die gegen die Bösen kämpften. Sie hatten eine gute halbe Stunde damit verbracht, zu spekulieren, was die Malcontents als Nächstes vorhatten, und dann noch eine halbe Stunde mit Vermutungen darüber, wie die CIA vertuschen wollte, was geschehen war.

Als sie endlich im Büro angekommen waren, wollte Olivia nur noch schreien. Wenigstens hatten sie und J. L. den Nachmittag damit verbracht, einige Verwandte von Yasmine zu verhören. Anscheinend hatte eine von Yasmines Schwestern sie vor zwei Tagen gesehen. Sie behauptete, nicht zu wissen, wo Yasmine sich versteckt hielt, hatte ihrer Schwester aber ihre Kreditkarte geliehen.

Nach weiteren Nachforschungen hatten sie herausgefunden, dass diese Kreditkarte an einem Geldautomaten auf der Kansas-Seite von Kansas City benutzt worden war. Sie hatten in der Umgebung nach ihr gefragt - ohne Ergebnis.

Olivia war erschöpft, als sie am Abend endlich zu Hause angekommen war, aber sie beschäftigte sich dennoch. Wenn sie nur einen Augenblick innehielt, würden ihre Gedanken sich Robby zuwenden, und damit kam der Schmerz zurück.

Wie konnte sie eine Beziehung mit einem Vampir führen? Er konnte nie einen Tag mit ihr verbringen. Oder eine Mahlzeit. Er wurde nie alt. Und was bedeutete das für sie? Alterte sie einfach immer weiter, bis sie ihn verlor? Sollte sie nie Kinder bekommen? Wollte er sie in seine dunkle Welt locken und zu einer von ihnen machen?

Sie schauderte. Liebe sollte einem Freude und Leben bringen, nicht Dunkelheit und Tod.

Zu den Nachrichten verspeiste sie Moussaka und Salat. Und dann erkannte sie die Szene auf dem Bildschirm und vergaß, weiterzuessen. Ein Helikopter zog über den Farmhäusern in Nebraska seine Kreise. Der Reporter berichtete, dass zehn Menschen von einem neuen, tödlichen Grippevirus getötet worden waren. Die Öffentlichkeit wurde gewarnt, sich von der Gegend fernzuhalten. Man glaubte, dass das gleiche Grippevirus auch für acht Tote in South Dakota verantwortlich war.

Olivia legte ihre Gabel hin. Die Malcontents hinterließen eine Spur mitten durchs Land. Sie betete dafür, dass die Kinder überlebten.

Als die Sonne unterging, schloss sie alle Jalousien und fragte sich, wo Robby sein mochte. Wachte er gerade aus seiner Totenstarre auf? Verbrachte er die Nacht auf der Jagd nach Casimir und den Malcontents?

Als ihr Handy klingelte, war sie gerade dabei, den Abwasch zu erledigen. Sie trocknete sich schnell die Hände ab und hoffte insgeheim, dass es Robby war. Im selben Moment überkam sie Furcht. »Hallo?«

»Liv, stell die Nachrichten an.« J. L. war am Apparat »Schnell.«

Sie ging zu ihrem Fernseher. »Wenn es um die Vertuschung geht, die habe ich schon...« Ihr Atem stockte.

Auf dem Bildschirm erschien eine Aufnahme des Staatsgefängnisses in Leavenworth. Eine Überschrift lautete: »Acht Gefangene entkommen«.

»Siehst du es?«

»Ja.« Olivia drehte den Ton lauter.

Der Nachrichtensprecher berichtete von einem seltsamen Vorfall in Leavenworth. Acht der berüchtigtsten Insassen waren einfach aus ihren Zellen verschwunden. Die Wachen rätselten, was passiert sein konnte.

»Denkst du, was ich denke?«, fragte J. L. »Was, wenn sie teleportiert wurden?«

Olivia sank auf ihr Sofa. »Du meinst, die Malcontents haben sich zu ihnen teleportiert und sie mitgenommen?« Sie schloss einen Moment die Augen. Von Robby wussten sie, dass Casimir vorhatte, seine Armee zu stärken. Und wenn er keine bösen Vampire finden konnte, machte er sich welche. Wo ließen sich böse Menschen leichter finden als in einem Staatsgefängnis?

Der Nachrichtensprecher fuhr mit seinem Bericht fort. »Aktuelle Meldung: Die acht Insassen, die entkommen sind, konnten identifiziert werden. Wenn Sie einen dieser Männer sehen, benachrichtigen Sie sofort die zuständigen Behörden. Nähern Sie sich ihnen nicht. Sie sind extrem gefährlich.«

Er verlas die Namen, während die Bilder der Gefangenen auf dem Bildschirm erschienen. »Und der letzte Gefangene - Otis Crump.«

Ihr war, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen.

»So ein Dreck!«, rief J. L. »Olivia, du musst raus aus deiner Wohnung. Geh direkt zur Arbeit. Wir treffen uns dort.«

Sie sah Otis' Foto auf dem Bildschirm wie gebannt an. Er war frei. Mehr als nur frei, denn wenn Casimir ihn befreit hatte, war er vielleicht bald auch ein Vampir. Otis' Behauptung, dass sie dazu bestimmt waren, auf ewig zusammen zu sein, nahm eine finstere neue Bedeutung an.

Er war hinter ihr her. Und wenn es ihm gelang, sie zu finden, würde sie entweder tot sein... oder untot.

»Liv!«, brüllte J. L. ins Telefon. »Bist du da?«

Zum Glück holte J. L. sie aus ihrer Erstarrung. »Ich bin hier. Ich bin auf dem Weg. Bis bald.«

Sie rannte in ihr Schlafzimmer, um sich Socken und ihre Sportschuhe anzuziehen. Dann schnallte sie sich ihr Pistolenhalfter über die Jeans. Ihr Herz klopfte wild. Otis konnte schon auf dem Weg zu ihrer Wohnung sein. Wenn er am Leben war, dann im Auto. Wenn er bereits ein Vampir war, konnte er sich direkt in ihr Wohnzimmer teleportieren.

Sie warf sich ihre Jacke über und steckte ein weiteres Magazin für ihre Waffe in die Tasche. Wie schnell konnte man zum Vampir werden? Sie hatte keine Ahnung. Konnten Kugeln einem Vampir etwas anhaben? Sie hoffte, dass sie es nie herausfinden musste.

Gerade raste sie zurück ins Wohnzimmer, als plötzlich eine Gestalt auftauchte und ihr Herz vor Freude schneller schlagen ließ.

»Oh Gott, Robby!« Sie presste ihre Hand gegen die Brust. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«

»Du bist in großer Gefahr.«

»Ja, ich weiß.« Sie eilte an ihm vorbei zur Ablage neben der Eingangstür. »Otis Crump ist vielleicht schon auf dem Weg hierher.«

»Ich bin hier, um dich in Sicherheit zu bringen.«

»Nein, danke.« Sie nahm ihre Handtasche und ihre Schlüssel.

Robby kam mit großen Schritten auf sie zu. »Du musst dich von mir beschützen lassen.«

»Das glaube ich kaum.« Sie öffnete die Tür und trat auf die Veranda davor.

»Was machst du da?« Seine Augen waren vor Entsetzen weit aufgesperrt. »Du kannst nicht alleine gehen.«

»Das wollen wir erst sehen.« Sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu und verriegelte sie. Danach eilte sie die Treppe hinab und musste sich ein Grinsen verkneifen. Das hatte sich erstaunlich gut angefühlt.

Auf dem Weg zu ihrem Wagen geriet sie ins Straucheln, als Robby vor ihr auf dem Parkplatz auftauchte. Er trug dieses Mal keinen Kilt. Seine schwarze Cargohose und das schwarze T-Shirt schmiegten sich an seinen muskulösen Körper. Die Lederriemen über seiner Brust bedeuteten wahrscheinlich, dass er sein Claymore auf dem Rücken trug. Sein Blick war grimmig entschlossen.

Verdammt, er sah so gut aus. Und sosehr sein Machogehabe sie auch aufregte, sie musste zugeben, er hatte eine rohe Männlichkeit an sich, die ihr Herz zum Flattern brachte. Es war nicht leicht, den Blick abzuwenden und auf den Wagen zuzugehen, aber es gelang Olivia.

Er folgte ihr. »Vielleicht verstehst du nicht, wie ernst die Lage ist. Wir wissen, dass es Casimir und seine Anhänger waren, die den Gefangenen bei der Flucht geholfen haben.«

»Das habe ich mir schon gedacht.« Sie drückte auf ihren Schlüssel, um ihren Wagen zu entriegeln.

»Dann solltest du wissen, dass die Malcontents gerade dabei sein könnten, die Gefangenen in Vampire zu verwandeln, auch den Bastard, der von dir besessen ist.«

»Ich weiß.« Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus.

Er lehnte sich gegen die Wagentür, damit sie blockiert war. »Ich kann dich an einen sicheren Ort bringen, wo kein Vampir dir zu nahe kommen kann.«

»Du auch nicht?«

Eigentlich hatten sie kaum noch Zeit zum Diskutieren, dachte Robby verzweifelt. »Du hast keinen Grund, Angst vor mir zu haben. Ich würde dir nie wehtun.«

»Sag das meinem gebrochenen Herzen«, murmelte sie.

Seine Augen funkelten leuchtend grün. »Es gibt keinen Grund für dich, zu leiden. Wir könnten zusammen sein. Du musst mich nur so annehmen, wie ich bin.«

»Das kann ich im Augenblick nicht. Geh bitte zur Seite, damit ich hier wegkomme.«

»So ein Mist«, murmelte er und trat einen Schritt zur Seite. »Verdammt noch mal, Weib. Wenn du mich liebst, bleibst du mir treu ergeben. Du hast kein Recht, mich hinterrücks zu erdolchen.«

Hatte sie richtig gehört? Er warf ihr vor, etwas falsch zu machen? Wie konnte er es wagen? »Wenn du mich liebtest, wärest du ehrlich gewesen!«

In seinen Augen funkelte Schmerz. Robby sah fahl und blass aus. Ihr Herz zog sich in ihrer Brust zusammen. Verdammt, ihr war nicht klar gewesen, dass es ihm genauso wehtat wie ihr. Normalerweise wusste sie genau, was andere Leute empfanden.

Mit zitternder Hand öffnete sie die Wagentür.

»Wo willst du hin?«, fragte Robby, während sie einstieg.

»Zur Arbeit.« Sie schloss die Tür und ließ den Motor an.

Olivia fuhr aus ihrer Parklücke und trat dann mit einem Ruck auf die Bremse, als Robby plötzlich auf dem Beifahrersitz auftauchte. »Mein Gott, würdest du aufhören, mich zu erschrecken? Was machst du hier?«

Gelassen nahm er die Schwerthülle von seinem Rücken. »Ich muss dich beschützen.«

»Ich brauche deinen Schutz nicht.«

»Niemand kann dich so gut vor einem Vampir schützen wie ein Vampir.« Er lehnte sich zurück und legte seinen Gurt an. »Wo genau fahren wir hin?«

»Zum FBI, und ich habe dich nicht eingeladen.«

»Ich könnte dich in einer Sekunde dorthin teleportieren. Das würde Zeit und Benzin sparen.«

Ohne darauf einzugehen, trat sie aufs Gaspedal. In der Nacht gab es nur wenig Verkehr, sie würden schnell durchkommen.

»Whelan und sein Team sind in Leavenworth«, berichtete Robby, als sie einen Wagen überholte. »Und Angus und Connor sind ebenfalls dort. Wenn es irgendwelche Hinweise gibt, finden die beiden sie.«

Sie beschleunigte, um über eine gelbe Ampel zu kommen.

»Der sicherste Ort für dich ist der Silberraum bei Romatech«, fuhr Robby fort. »Er ist komplett mit Silber ausgekleidet, damit kein Vampir sich hinein- oder herausteleportieren kann.«

»Ihr könnt euch nicht durch Silber teleportieren?« Sobald die Frage ihre Lippe verlassen hatte, schlug sie sich in Gedanken vor die Stirn. Sie wollte ihn doch vollkommen ignorieren. Seine Besessenheit, unbedingt ihr Retter zu sein, nervte gewaltig. Sie war kein dummer Schwächling. Sie konnte sich selber retten.

»So ist es ihnen gelungen, mich letzten Sommer gefangen zu nehmen«, erklärte Robby ihr. »Sie haben mich mit silbernen Ketten gefesselt. Wir können uns nicht durch sie hindurchteleportieren. Und wenn Silber unsere nackte Haut berührt, verbrennt es das Fleisch.«

Armer Robby. Und er hatte sich nicht selbst retten können. Verdammt. Seine Befürchtungen waren nicht übertrieben oder aus der Luft gegriffen. Er war einfach nur realistisch.

»Ich könnte dich in einer Sekunde zu Romatech teleportieren. Dort wärest du in Sicherheit.«

»Ich laufe nicht davon. Ich verstecke mich nicht. Und ich werde nicht zulassen, dass du meine Entscheidungen für mich triffst.«

Diese Frau war ein verdammt harter Brocken, dachte Robby amüsiert. »Ich versuche dir das Leben zu retten.«

»Bist du dir da sicher? Hast du nicht vor, mich eines Tages zu verwandeln?«

Er war einen Augenblick still, ehe er sie von der Seite anschaute. »Soll das heißen, du willst bei mir bleiben?«

Was hatte sie da schon wieder gesagt? »Das war eine hypothetische Frage. Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Jedenfalls wäre es natürlich deine Entscheidung, ob du zum Vampir werden willst. Ich würde hoffen, dass wir zuerst Kinder bekommen könnten, dazu müsstest du nämlich sterblich sein.«

Jetzt machte er auch noch Witze. »Müsstest du dazu nicht auch sterblich sein?«

Er erklärte ihr rasch die Methode, die Roman Draganesti entwickelt hatte, um es den Vampirmännern zu erlauben, Kinder zu zeugen.

Olivia fuhr ohne ein Wort dazu zu sagen einfach weiter. Sie könnte mit Robby Kinder haben. Er wollte Kinder mit ihr haben. Er beschrieb Romans Kinder als größtenteils sterblich. Sie waren tagsüber wach und aßen richtiges Essen. Sie hatten nur ein paar besondere Gaben.

Das störte sie nicht. Sie war selbst mit einer besonderen Gabe aufgewachsen und hatte immer gewusst, dass ihre Kinder sie von ihr erben konnten. Trotzdem schwieg sie, bis sie das Gebäude des FBI erreicht hatten.

Als sie auf dem Weg ins Gebäude waren, warnte Olivia ihn: »Mit dem riesigen Schwert lassen die dich hier nicht rein.«

»Das werden wir sehen.« Er löste das Claymore von seinem Rücken und legte es auf den Schreibtisch des Sicherheitsbeamten.

»Was zum Teufel...?« Der Beamte sah ihn misstrauisch an, doch dann lichtete sich seine Miene plötzlich. »Gehen Sie durch den Metalldetektor, Sir. Ich reiche Ihnen den Regenschirm auf der anderen Seite.«

»Danke.« Robby sah sie selbstzufrieden an.

Unverwandt starrte sie zurück und reichte dem Beamten dann ihre Waffe. Nachdem sie durch den Metalldetektor gegangen war, bekam sie die Waffe wieder. Während sie ihre Pistole in ihr Halfter steckte, schlenderte Robby durch den Metalldetektor. Er ging los.

Der Beamte schaltete in aller Ruhe den Alarm aus und reichte Robby sein Schwert. »Einen schönen Tag noch.«

»Danke.« Robby schwang sich sein Claymore auf den Rücken.

»Ich dachte, ihr benutzt Gedankenkontrolle nur, wenn ihr einen wirklich guten Grund habt.« Robby schien es damit nicht so genau zu nehmen.

»Ich hatte einen. Ich weiche dir nicht von der Seite.« Er schlenderte auf den Aufzug zu. »Du bist im ersten Stock, richtig?«

Sie drückte auf den Knopf nach oben. »Woher weißt du?«

»Ich war schon einmal hier.« Die Türen des Aufzugs öffneten sich, und er bedeutete ihr, zuerst einzusteigen.

Sie drückte den Knopf für den ersten Stock. »Was hat den Metalldetektor losgehen lassen?«

»Vielleicht der Dolch an meinem Bein oder das Schnappmesser in meiner Hosentasche. Oder die Silberkette in der anderen Tasche.«

»Brennt es nicht, wenn du die Kette herausnimmst?«

»Ich habe ein Paar Handschuhe in einer anderen Tasche. Wenn sich die Gelegenheit bietet, Casimir gefangen zu nehmen, lasse ich ihn auf keinen Fall entkommen. Er wird sterben.«

»Du willst immer noch Rache.«

»Aye.«

Vielleicht konnte sie ihn auf diese Weise loswerden. »Warum machst du nicht Jagd auf Casimir? Möchtest du das nicht lieber tun, als bei mir den Babysitter zu spielen? Ich bin hier in Sicherheit.«

In seinem Blick spiegelten sich tiefe und aufrichtige Gefühle. »Ich lasse dich nicht allein.«

Sollte das heißen, er vernachlässigte seinen Rachefeldzug, um sie zu beschützen? Er liebt mich wirklich. Sie sah ihn an, und ein bittersüßer Schmerz der Sehnsucht erfüllte ihr Herz. Oh Gott, sie liebte ihn immer noch. Sie hatte ihn immer geliebt.

In seinen Augen glomm ein rotes Leuchten auf.

»Warum geschieht das?«, flüsterte sie. »Warum werden deine Augen rot?«

Die Türen des Aufzugs öffneten sich, und er wendete sich ab und schloss kurz die Augen.

Nur Sekunden später war seine Augenfarbe wieder von natürlichem Grün.

Im Büro ging es geschäftig zu. Jeder zur Verfügung stehende Special Agent war abberufen worden.

J. L. kam mit einem erleichterten Grinsen auf sie zu. »Gott sei Dank bist du hier.« Er schüttelte Robby die Hand. »Danke, dass Sie auf Olivia aufgepasst haben. Komm mit, Barker will dich sehen.« Er führte sie ins Büro ihres Vorgesetzten.

Es war völlig unnötig, dass J. L. und Barker beide außer sich vor Entzücken waren, weil Robby sie mit seiner Anwesenheit beehrte, fand Olivia. Sie hatten viele Fragen, und Robby berichtete, dass die Vampire und das Stake-out-Team der CIA in Leavenworth waren. Die Malcontents hatten sich nicht die Mühe gemacht, die Videos der Überwachungskameras zu löschen, sie wussten also ohne jeden Zweifel, dass Casimir und seine Anhänger für den Gefängnisausbruch verantwortlich waren.

Angus und Connor verhörten die Wachen. Manchmal konnte ein Vampir es per Gedankenkontrolle schaffen, dass ein Sterblicher seine verlorenen Erinnerungen zurückbekam. Sie hofften, etwas Nützliches zu finden.

»Wenn Casimir die Gefangenen in Vampire verwandelt, wie lange dauert das?«, fragte Barker.

»Eine Nacht verbringen die Verwandelten im Koma«, antwortete Robby. »Und in der nächsten Nacht wachen sie als Vampire wieder auf.«

»Es ist nicht abzusehen, wann sie die Verwandlung vornehmen werden«, sagte Olivia. »Sie verbringen vielleicht die erste Nacht damit, ein passendes Versteck zu finden.«

»Irgendeine Ahnung, wo das sein könnte?«, fragte J. L.

»Wenn wir die hätten, wären wir schon dabei, anzugreifen«, sagte Robby trocken. »Dank Teleportation könnten sie überall sein. Das Beste, was wir tun können, ist, alle Sterblichen zu verhören, die die Gefangenen kennen und denen sie vertrauen. Vampire brauchen tagsüber die Dunkelheit, und es ist ihnen lieber, Sterbliche in ihrer Nähe zu wissen, die sie beschützen.«

Barker deutete auf den großen Raum vor seinem Büro, wo die Special Agents fleißig arbeiteten. »Ich habe auf jeden der entflohenen Häftlinge zwei Männer angesetzt. Sie gehen alle Kontakte durch und stehen mit der Polizei vor Ort in Verbindung.«

»Otis könnte Yasmine bitten, ihm zu helfen«, sagte Olivia. »Oder den verschwundenen Wachmann, Joe Kitchner.«

»Ich überwache die Kreditkarte, die sie benutzt«, sagte J. L. »Wenn sie irgendwo Geld ausgibt, erfahren wir davon.«

»Irgendwann wird Otis zu Olivia kommen.« Barker sah sie an. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn J. L. und ich die Nacht in Ihrer Wohnung verbringen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich tun?«

»Passen Sie auf sich auf.« Barker packte seinen Laptop ein. »Bleiben Sie bei Mr MacKay.«

»Das wird sie.« Robby war die Zuversicht in Person.

Als Barker und J. L. gemeinsam das Büro verließen, wurde Olivia unruhig. »Ich werde nicht hier herumsitzen und nichts tun.«

Mit einem Blick zur Couch in Barkers Büro machte Robby einen wenig nützlichen Vorschlag. »Ich wüsste, wie wir uns die Zeit vertreiben können.«

Sie verdrehte die Augen. »Ich werde arbeiten.« Olivia ging an ihren Arbeitsplatz, und Robby folgte ihr. Die anderen Special Agents betrachteten den Fremden misstrauisch, als er an ihnen vorbeiging.

Er nahm sich den Stuhl von J. L., rollte ihn in ihre Kabine und setzte sich neben sie. Erst fand sie seine Nähe ablenkend, aber je länger sie ihre Notizen über Yasmine und Joe durchgingen, desto mehr gewöhnte sie sich an ihn. Er war aufmerksam und gründlich.

Einmal strich er ihr eine Locke aus dem Gesicht und steckte sie ihr hinters Ohr. Sie erstarrte, aber er lächelte nur und sagte, sie verstelle ihm die Sicht auf den Schreibtisch.

J. L. rief an, um zu berichten, dass in ihrer Wohnung nichts Besonderes vorgefallen war. Sie hatten die Auflaufform mit Moussaka im Kühlschrank gefunden und sie aufgegessen.

Nach einer Stunde voller Sackgassen, was Yasmine betraf, wendeten Olivia und Robby ihre Aufmerksamkeit Joe zu. Laut einigen Nachbarn, die in der Nähe von Joes Bruder lebten, war er ein paarmal dort gesehen worden. Der Bruder war in der Nachbarschaft nicht sehr beliebt, weil er gern laute Partys schmiss, die die ganze Nacht dauerten.

»Vielleicht hat er eine ›Herzlichen Glückwunsch zum Gefängnisausbruch‹-Feier gegeben«, überlegte Robby und rief die Nummer an. Es klingelte sechsmal, ehe der Anrufbeantworter sich einschaltete.

»Wir könnten hinfahren«, schlug Olivia vor.

»Teleportation ist schneller.«

»Darin bin ich noch nicht so gut.«

»Ich bin gut genug für uns beide.« Sein Lächeln wirkte vertrauenerweckend. »Ich kann dich in eine andere Welt versetzen.«

Ihre Wangen wurden warm. »Ich nehme den Wagen.«

»Komm mit mir. Wetten, du traust dich nicht?«

Das letzte Mal, als sie gewettet hatten, hatte sie die ganze Nacht großartigen Sex gehabt.

Robby beugte sich nahe zu ihr. »Wir können es nicht hier tun, wo vielleicht jemand etwas merkt. Wir müssen allein sein.«

Ihr Gesicht glühte. Verdammter Kerl. Er verführte sie noch einmal. »Barkers Büro.«

»Gut.« Er nahm sich den Zettel mit der Telefonnummer des Bruders und ging ihr in Barkers Büro voran. Dort gab er die Nummer in sein Handy ein.

»Okay, es klingelt.« Seine Zeichen waren eindeutig. Sie sollte näher zu ihm kommen.

Langsam schritt sie auf Robby zu.

Bevor Olivia sich wehren konnte, hatte er seine Arme um sie gelegt und zog sie eng an sich. Sie keuchte auf, als sie seinen harten Körper an ihrem spürte. Ihr Herz fing an, zu rasen.

Er neigte seinen Kopf und strich mit seiner Nasenspitze über ihre Schläfe. »Leg deine Arme um mich.«

»Muss ich?«

»Willst du auf dem Weg verloren gehen?«

Nein, das wollte sie nicht, also legte sie vorsichtig ihre Arme um seinen Hals. »Und du meinst, das ist ungefährlich?«

»Ungefährlicher als deine Fahrkünste.«

»Was? Ich...« Sie hielt inne, als sie den roten Schimmer in seinen Augen bemerkte. »Warum werden deine Augen immer rot?«

»Weil...« Er sah auf sein Handy. »Der Anrufbeantworter ist dran. Halt dich gut fest.«

Das tat sie, und alles um sie herum wurde schwarz.