3. KAPITEL

 

Normalerweise ziehst du zum Joggen etwas anderes an«, sagte Carlos, als Robby durch das Wohnzimmer an ihm vorbeiging.

Ohne zu antworten, verschwand Robby in der Küche. Er hatte bereits nach dem Aufstehen eine Flasche Blut getrunken, also hatte er eigentlich keinen Hunger mehr. Die zweite Flasche war nur eine Vorsichtsmaßnahme, falls er der griechischen Göttin wirklich begegnen sollte. Manchmal reichte die altmodische Art von Lust aus, die Blutlust in einem zu wecken, und er wollte nicht, dass seine Fangzähne hervorsprangen und ihr Angst machten.

Er goss sich ein halbes Glas ein und wärmte es in der Mikrowelle auf.

Carlos kam in die Küche. »Dein Haar ist feucht. Hast du vor dem Joggen geduscht?«

Heute Nacht hatte er nicht vor, zu joggen. Er wollte nicht ganz verschwitzt bei ihrem Haus ankommen, besonders weil der Schweiß von Vampiren meistens einen Stich ins Rosige hatte, genau wie ihre Tränen. Wahrscheinlich lag das an der regelmäßigen Einnahme von Blut. »Ich gehe nur spazieren.«

»Ah. Ein Mitternachtsspaziergang. Das klingt herrlich.« Carlos sah ihn mit einem verschlagenen Lächeln an. »Ich glaube, ich komme mit.«

»Nay.«

»Ich gehe so gern am Strand entlang.«

»Verpiss dich.«

»Ich weiß, dass du darauf hoffst, sie wiederzusehen.«

»Ich weiß, dass du das weißt.« Robby nahm sein Glas aus der Mikrowelle und stürzte das Blut in einem Zug hinunter.

»Ich weiß auch, dass eine rote Rose im Garten fehlt.«

Erstaunt zog Robby eine Augenbraue nach oben. »Du führst Anwesenheitslisten über die Blumen?«

»Ich hatte selbst ein Auge auf die Rose geworfen. Ich wollte sie jemandem schenken, und du bist mir zuvorgekommen.«

Es interessierte ihn schon, was Carlos vorhatte, aber er fragte lieber nicht nach. Toni behauptete, Carlos wäre schwul, aber Ian war anderer Meinung. Als die beiden auf der Insel gewesen waren, hatten sie sich zehn Minuten lang darüber gestritten und waren dann ins Schlafzimmer gerannt, um sich wieder zu vertragen. Robby war zwei Stunden lang joggen gegangen, und bei seiner Rückkehr waren sie immer noch mit der Versöhnung beschäftigt.

Beim Gedanken an seine Vampirfreunde musste Robby schlucken. Ian, Jean-Luc und Jack waren außer sich vor Glück mit ihren sterblichen Frauen, aber würde es für ihn selbst auch ein solches Glück geben? Erstens müsste er eine Frau finden, die bereit war, sich in eine Kreatur der Nacht zu verlieben.

Zweitens müsste er ihr vertrauen. Wie sollte er wissen, was sie den Tag über tat? Er könnte es nicht ertragen, noch einmal von einer Frau, die er liebte, hintergangen zu werden. Was, wenn sie ihn satthatte und versuchte, ihm einen Holzpflock ins Herz zu treiben, während er in seinem Todesschlaf lag?

Und drittens gab es da ein Problem, das ihn am meisten störte. Einen Vampir zu lieben kam einem Todesurteil gleich. Er verstand nicht, wie seine Freunde den Gedanken ertragen konnten, eines Tages ihre Frauen im wahrsten Sinne des Wortes umbringen zu müssen, um sie zu verwandeln. Was war das für eine Liebe?

Was zum Teufel machte er da also gerade? Er stellte sein leeres Glas in die Spüle. »Das war keine gute Idee.«

»Alter, jetzt bloß nicht kneifen.«

Er warf Carlos einen genervten Blick zu. »Ich zögere nicht, weil ich Angst habe. Sie ist eine unschuldige Sterbliche. Sie verdient etwas Besseres als mich.«

»Klar, weil du ein widerliches geiferndes Monster bist, das ihr die Kehle herausreißen wird und ihre Leiche danach ins Meer wirft.«

»Willst du eine blutige Nase? Ich würde ihr nie etwas antun.«

»Ganz genau. Geh schon zu ihr, Miúdo.«

Robby sah an seiner Kleidung herab. Er hatte fünfzehn Minuten gebraucht, um zu entscheiden, was er anziehen sollte. Schließlich hatte er sich für ein Paar abgetragene Jeans, ein dunkelgrünes T-Shirt und einen marineblauen Kapuzenpullover, der mit dem grünen und blauen Tartan der MacKays gefüttert war, entschieden. Sein Haar hatte er mit einem Lederstreifen zusammengenommen. »Ich sehe nicht zu lässig aus?

»Du siehst gut aus. Schnapp sie dir, Tiger.«

Seltsame Wortwahl für einen Werpanther, dachte Robby. Er ging eilig aus dem Haus, ehe er seine Meinung ändern konnte. Statt die Steinstufen hinabzugehen, sprang er einfach vom Rand des Felsenufers und landete sauber auf dem Kieselstrand, der darunterlag. Selbst im trüben Licht des dreiviertelvollen Mondes konnte er den Felsen sehen, der Petra genannt wurde und der etwa eine halbe Meile entfernt in nördlicher Richtung lag. Er teleportierte sich dorthin und ging dann um ihn herum zum Strand von Grikos.

Was sollte er sagen? Er bezweifelte, dass sie etwas über sein Lieblingsthema hören wollte - welches Schwert man in welcher Situation verwendete. So ein Mist. Er war schrecklich außer Übung, wenn es darum ging, sich mit einer Frau zu unterhalten.

****

Olivia überlegte sich fünfzehn Minuten lang, was sie anziehen sollte, auch wenn ihre Auswahl auf die wenigen Dinge beschränkt war, die sie eingepackt hatte. Schließlich entschied sie sich für ein Paar Jeans und einen weichen Pullover. Dann bändigte sie ihre wilden Haare mit einer Klammer am Hinterkopf.

Ihre Großmutter schlief schon fest, als sie es sich auf dem Innenhof bequem machte und die drei Kerzen auf dem Tisch unter der Weinlaube ansteckte. Auf einen der Stühle stellte sie den alten Kricketschläger, mit dem Yaya ihre Teppiche klopfte.

Olivia hoffte, dass sie sich nicht selbst verteidigen musste, aber ihre Arbeit beim FBI hatte sie gelehrt, dass man sich nicht auf das Aussehen allein verlassen konnte. Als sie Otis Crump zum ersten Mal begegnet war, hatte es sie überrascht, wie harmlos und normal er wirkte. Doch unter seinem angenehmen Äußeren lauerte ein Monster, das dreizehn Frauen vergewaltigt, gefoltert und ermordet hatte.

Nein, in den nächsten Wochen drehten sich ihre Gedanken nicht um ihn. Sie war hier, um sich zu erholen und zu genesen. Er war ein Auftrag gewesen, weiter nichts, und der Auftrag war beendet. Er war für sie erledigt.

Sie konnte nur darum beten, dass sie auch für ihn erledigt war.

Olivia schlenderte zurück ins Haus, um sich eine Tasse heißen Tee zu kochen. Auf dem Weg aus der Küche griff sie nach der Rose und nahm sie mit nach draußen. Dann wartete sie weiter. Und wartete. Sie trank ihren Tee aus und ließ ihre Tasse auf dem Tisch stehen.

Den Rücken an die Mauer gelehnt, strich sie mit den Fingern über die samtigen Blütenblätter der Rose. Die Dornen hatte jemand entfernt, anscheinend war ihr heimlicher Verehrer sehr aufmerksam. Hoffentlich war es der geheimnisvolle Jogger. Aber warum kam er nicht?

Vielleicht war es noch zu früh. Oder vielleicht hatte er die Insel schon wieder verlassen, und die Rose war seine Art gewesen, sich von ihr zu verabschieden. Immerhin war in der letzten Novemberwoche die Touristensaison schon lange vorbei. Oder vielleicht war er doch nur einer Illusion entsprungen. Nachdem sie mit dem niedersten Abschaum der Menschheit in Form von Otis Crump zu tun gehabt hatte, wollte ihr Unterbewusstsein vielleicht etwas ausgleichen und erschuf einen gut aussehenden, ehrenhaften Helden.

Sie seufzte. Die vielen Jahre, die sie in Psychologievorlesungen verbracht hatte, forderten ihren Tribut. Meistens analysierte sie die Dinge so lange, bis nichts mehr einen Sinn ergab. Sie musste sich einfach entspannen und das Leben genießen. Zum Beispiel den Duft der Rosen. Einer Rose besonders. Sie hielt die Blume an ihre Nase und lächelte.

Doch dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf eine Gestalt, die von Süden her kam. Sie blickte durch das Teleskop, und ihr Herz machte einen Sprung. Er war es! Er war real und kein Traum.

In dieser Nacht joggte er nicht. Er ging mit entschlossenen Schritten auf sie zu und hob eine Hand zum Gruß, sodass ihr Herz noch einen Sprung machte. Er war noch so weit entfernt und trotzdem vollkommen auf sie konzentriert. Sein Sehvermögen musste extrem gut sein.

Obwohl sie ihn gar nicht kannte, trat sie jetzt auf die Mauer zu und winkte mit einer Hand, um seinen Gruß zu erwidern. Er fing sofort an zu laufen, und ihr Herz hämmerte mit jedem Schritt, der ihn näher brachte. Sein Blick schien nicht eine Sekunde von ihr zu weichen. Er schätzte sie ab, und es trieb ihr die Röte in die Wangen. War er aufgeregt, fühlte er sich zu ihr hingezogen? Oder bereute er bereits, was er getan hatte? Sie öffnete ihre Sinne, um seine Gefühle zu erspüren.

Nichts. In all ihren vierundzwanzig Lebensjahren war ihr noch nie ein Mensch begegnet, der nicht offen wie ein Buch vor ihr lag. Sie schloss die Augen und runzelte konzentriert die Stirn.

Nichts.

Sie öffnete die Augen, um sicherzugehen, dass er echt war. Jepp, er war fast bei ihr angekommen. Warum konnte sie ihn nicht spüren? Sie wusste immer, was die Menschen um sie herum empfanden. Sie wusste immer, wann sie logen.

Lieber Gott, war das schrecklich. Woher sollte sie wissen, woran sie bei diesem Mann war? Wie sollte sie ihm vertrauen? Eine Welle der Panik erfasste sie, und sie überlegte sich, ins Haus zu fliehen.

Doch dann sah sie sein Gesicht. Er war am Strand unter der Mauer stehen geblieben und sah mit einem eindringlichen, suchenden Blick zu ihr hinauf, als wüsste er nicht, was er denken sollte. Es ging ihm anscheinend genauso wie Olivia.

Und dann begegnete sie seinem Blick, und sofort durchfuhr sie eine Welle der Lust. Ihre Knie gaben unter ihr nach, so sehr wurde sie davon überrascht. Whoa. Sie hielt sich am Rand der Mauer fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Normalerweise reagierte sie nie so.

Ehrlich gesagt war sie sich nicht sicher, wie sie normalerweise reagierte. Sie hatte sich immer auf die Gefühle der anderen konzentriert, um zu wissen, wie sie mit ihnen umgehen sollte.

So etwas wie jetzt war ihr eigentlich noch nie passiert. Sie war in Gesellschaft eines anderen Menschen, aber allein mit ihren eigenen Gefühlen. Und ihr war nie klar gewesen, dass ihre Gefühle so... intensiv sein konnten. Vielleicht schienen sie ihr nur so, weil sie allein waren. Oder weil ihr die Situation so neu war.

Oder vielleicht lag es auch einfach an ihm.

Bei diesem Mann musste sie sich in Acht nehmen. Sie hatte keine Ahnung, was er empfand. Oder ob man ihm vertrauen konnte. Wie konnten normale Frauen so überleben? Es war beängstigend.

Und unglaublich aufregend.

Er hob eine Hand zum Gruß. »Guten Abend.«

Die leichte Brise trug seine Stimme zu ihr hinauf und umschmeichelte zugleich ihren Hals. Sie fühlte sich wie benommen vor Aufregung. Fast hätte sie gekichert.

»Sprichst du Englisch?«

Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut zu lachen. Sein Akzent war zum Niederknien. »Kommst du aus Schottland?«

»Aye. Und du... aus Amerika?«

In ihrem Bauch machte sich ein flatteriges Gefühl breit, allein ausgelöst durch sein Lächeln. Aufpassen. Du weißt nicht, ob man ihm vertrauen kann.

»Ich bin Robert Alexander MacKay.« Er neigte seinen Kopf und beugte sich vor.

Verbeugte er sich vor ihr? Sie unterdrückte ein Kichern und fragte sich, was der gut aussehende Schotte als Nächstes tun würde.

Er sah sie erwartungsvoll an. Grün, stellte sie befriedigt fest. Seine Augen waren grün, genau wie sie gehofft hatte. Und auch wenn sein Haar eine tiefrote Farbe hatte, waren seine Augenbrauen und sein Bart eher bräunlich.

»Und du?«, fragte er.

»Ja?«

»Vergib mir die Dreistigkeit, aber ich dachte, du hast vielleicht einen Namen, bei dem ich dich nennen könnte?«

Sie lachte. Ihr fielen gleich mehrere ein. Liebling, Liebe meines Lebens, Mitte meines Universums. Sie war so vertieft darin gewesen, ihn zu bewundern, dass sie vergessen hatte, sich vorzustellen. »Ich bin Olivia. Olivia Sotiris.«

»Ah. Dann habe ich mich geirrt.«

»Mit was?«

»Ich dachte, du bist eine griechische Göttin.«

Was für ein Schmeichler. Und wie schade, dass sie nicht feststellen konnte, ob er log oder nicht. Sie zeigte ihm die Rose. »Ist die von dir?«

»Aye.«

»Wohin hast du sie gelegt?«

Er hob seine Augenbrauen. »Auf die Treppe, mit einem Stein beschwert. Warum fragst du?«

Weil sie wissen musste, ob er ehrlich war. Ihr gefiel die Art, wie er seine Worte betonte, aber es wäre leichtsinnig, sich nur deshalb in einen Mann zu verlieben, weil seine Stimme wie Musik klang und sein Gesicht und sein Körper schön wie bei einer Statue waren. Sie roch an der Rose. »Sie ist schön. Vielen Dank.«

»Würdest du ein Stück mit mir spazieren gehen?«

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. »Ich... ich würde lieber hierbleiben. Du kannst dich zu mir setzen, wenn du magst.«

Sein Blick wanderte über das steile Felsenufer, das sie voneinander trennte, und seine Mundwinkel zuckten. »Ich nehme die Treppe.«

»Pass auf. Die Stufen sind steil. Und dunkel.« Ihr Herz begann zu rasen, als er auf der schmalen Treppe verschwand. Er kam zu ihr herauf!

Sie blickte zur Hintertür. Ihre Großmutter war allein und schlief. Was, wenn sie gerade einen Axtmörder zu sich herauf eingeladen hatte? Sie ließ die Rose auf dem Tisch liegen und griff nach dem Kricketschläger. Nicht nur ihre Arbeit für das FBI hatte sie so misstrauisch gemacht. Schon als kleines Kind war ihr klar geworden, wie oft die Menschen logen. Damals hatte sie gelernt, sich in Acht zu nehmen.

Als er den Absatz der Treppe erreichte, blieb er stehen und deutete auf den Schläger in ihrer Hand. »Willst du mir jetzt eins überziehen?«

Er war größer, als sie gedacht hatte. Und seine Schultern waren breiter. Sie schloss ihre Hände fester um den Schläger. »Ich rede normalerweise nicht mit Fremden. Ich sollte dich warnen, ich habe einen schwarzen Gürtel in Taekwondo.«

»Ich werde dir nichts tun, das kannst du mir glauben.«

»Ich weiß. Weil ich es nicht zulasse.«

Er betrachtete sie einen Augenblick lang eingehend, dann entspannten sich seine Züge zu einem angedeuteten Lächeln. »Du bist genau so mutig, wie du schön bist. Eine seltene Mischung.«

Mutig und schön. Das hatte ihr Großvater zu Yaya gesagt, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. »Ich möchte nicht unhöflich wirken, Mr MacKay. Eine Frau kann heutzutage nur einfach nicht vorsichtig genug sein.«

»Aye, das ist richtig.« Er betrachtete sie eingehend von Kopf bis Fuß, bevor er ihr wieder in die Augen schaute.

Verdammt. Sie wusste nicht, ob sie ihn schlagen oder ob sie wegrennen sollte. Ein Teil von ihr war aufgeregt und geschmeichelt. Ihre Haut war wie elektrisiert, als er sie mit seinen schönen grünen Augen betrachtete. Aber ein anderer Teil von ihr war auch nervös. Sie umklammerte den Schläger fester, nur für den Fall, dass er versuchte, sich auf sie zu stürzen. Es war so schwierig, seine Gefühle nicht lesen zu können. Eine Sekunde lang glaubte sie, zu sehen, wie sein Blick sich verdunkelte, aber dann drehte er sich nur zu ihrem Teleskop um und spähte durch das Sichtstück.

»Und, Olivia, was bringt dich nach Patmos?«

Sie mochte es, wie er ihren Namen mit seinem Akzent aussprach. »Ich besuche meine... Verwandten. Vier Onkel. Sie sind... riesig. Professionelle Wrestler.« Das Zucken seiner Mundwinkel machte ihr klar, dass er ihr nicht glaubte. »Und was ist mit dir?«

»Urlaub. Und Erholung. Ich war... verletzt, also habe ich versucht, mich hier wieder in Form zu bringen.«

Sie betrachtete seinen muskulösen Körper. »Ich würde sagen, das hast du geschafft.«

»Danke, dass es dir aufgefallen ist.«

Ihr Gesicht wurde ganz heiß. »Wie hast du dich verletzt?«

Er starrte schweigend die Bodenfliesen an.

»Tut mir leid.« Sie lehnte den Schläger gegen einen Holzbalken der Weinlaube. »Du musst natürlich nicht darüber reden...«

»Es ist einfach so passiert. Mein Job kann gefährlich werden.«

»Was machst du?« Als seine Stirnfalten sich vertieften, fühlte sie plötzlich das Bedürfnis, ihn zu trösten und ihn wieder zum Lächeln zu bringen. »Ich weiß! Du bist ein Stierkämpfer.«

»Ein schottischer Stierkämpfer?«

»Ja, mit einem rot karierten Umhang. Und kleinen Pailletten auf deinem Kilt. Davon werden die schottischen Bullen wahnsinnig.«

»Nay.« Robby musste lachen.

Ihr Herz weitete sich in ihrer Brust. Es fühlte sich gut an, seine trüben Gedanken zu verjagen. Sie schlenderte auf die weiß gekalkte Mauer zu, um sich neben ihn zu stellen. »Bist du ein Löwenbändiger?« Als er den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Rodeo-Clown? Schlangenbeschwörer?«

»Nay.« Er grinste, und seine grünen Augen funkelten.

»Okay. Dann wahrscheinlich ein Navy-SEAL.«

»Ich dachte, Seehunde wären immer schwarz.«

»Du weißt, was ich meine. Du könntest Mitglied einer besonders männlichen Eliteeinheit sein, die die Menschheit vor allen möglichen Formen des Bösen beschützt, unter anderem dem dreifachen Cheeseburger mit Speck.«

»Ich kann dir versichern, dass ich noch nie gegen einen Cheeseburger gekämpft habe.«

»Sicher, aber vielleicht gegen das Böse?«

Er erstarrte und blickte auf das Meer hinaus. Seine Stirn lag wieder in tiefen Falten.

Die feinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. »Du bist wirklich so etwas wie ein Soldat.«

Seine Brust hob sich, als er tief einatmete. »Aye.«

»Top Secret?«, flüsterte sie. »Kämpfst du gegen Terroristen?«

Einen Augenblick zögerte er. »Das könnte man so sagen.«

Sein Zögern, über das Thema zu sprechen, verriet ihr ziemlich deutlich, dass er die Wahrheit sagte. »Dann bist du gerade beurlaubt?«

»Aye.« Er stützte seine Handflächen auf die Mauer und trommelte dann mit langen Fingern auf den Lehm, ehe er nach einer Weile fortfuhr: »Mein Boss hat darauf bestanden, dass ich mir freinehme.«

»Du machst Witze. Deswegen bin ich auch hier. Mein Boss wollte auch, dass ich mir freinehme.«

Er drehte sich zu ihr um und betrachtete sie neugierig. »Warum? Was hast du angestellt?«

Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit ihm über ihre Arbeit zu sprechen. Sie war hier, um all das hinter sich zu lassen. Und außerdem machte es ihr mehr Spaß, diesen unglaublich gut aussehenden Mann zum Lächeln zu bringen. »Du hattest von Anfang an recht. Ich bin eine griechische Göttin. Zeus hat mir befohlen, ein Millennium oder zwei Pause zu machen.«

Wieder umspielte dieses wunderbare Lächeln seine Mundwinkel, und seine Augen funkelten. »Ich wusste es doch. Ein Blick in deine Augen, und ich will dich auf Knien anbeten.«

Ihre Wangen wurden warm. Sie flirtete normalerweise nicht so. Meistens hatte sie zu viel damit zu tun, die Gefühle ihres Gegenübers zu analysieren. Bisher war sie immer Beobachter gewesen und nie Teilnehmer. Das hier war neu und beängstigend, aber es machte so viel Spaß.

»Hier wird nicht gekrochen. Göttinnen finden das sehr nervig.«

»Wenn ich auf die Knie fallen würde, dann hätte ich dort etwas Besseres zu tun, als zu kriechen.«

Dieser Mann machte keine Umwege. Die Sache wurde ihr langsam zu heiß. »Ich arbeite für das FBI«, platzte sie heraus.

Erstaunt musterte Robby sie. »Wirklich?«

»Ja. Wir arbeiten wohl im gleichen Bereich, Mr MacKay. Wir fangen die bösen Jungs.«

Er legte seinen Kopf schräg und betrachtete sie. »Wo ist dein Einsatzgebiet?«

»Kansas City. Und deines?«

»Wo ich gebraucht werde. Hast du wirklich einen schwarzen Gürtel in Taekwondo?«

Zweifelte er an ihr? Sie stemmte eine Hand in ihre Hüfte. »Ich habe selbstverständlich eine gründliche Ausbildung in Selbstverteidigung, Mr MacKay.«

Olivia entdeckte ein Grübchen in seinem Mundwinkel. »Meine Freunde nennen mich Robby.«

Ihr Herz hämmerte. »Bin ich eine Freundin?«

»Aye.« Er streckte die Hand aus und berührte eine Haarsträhne, die sich aus der Klammer an ihrem Hinterkopf gelöst hatte. »Sind das natürliche Locken?«

»Ich fürchte, ja. Sie sind unmöglich zu bändigen.«

»Mir gefällt es.« Er zog an der Strähne, bis sie sich spannte, und ließ sie dann los. Sie sprang in ihre Korkenzieherform zurück. »Ein Mann könnte stundenlang mit deinen Haaren spielen.« Er berührte ihre Schläfe.

Verwirrt trat Olivia einen Schritt zurück. »Ich... ich sollte nach meinen Onkeln sehen. Möchtest du etwas trinken? Einen heißen Tee vielleicht?«

»Nichts für mich, danke.«

»Ich bin gleich wieder da.« Sie ging eilig ins Haus und stellte einen Kessel Wasser auf den Herd. Feigling, schalt sie sich selbst. Sie hätte sich von ihm berühren lassen sollen, vielleicht sogar küssen. Aber wie sollte sie ihm vertrauen? Sie fühlte sich so sehr zu ihm hingezogen, doch suchte er nicht bloß nach einer kurzen Affäre, um seinem Urlaub etwas Würze zu verleihen?

Sie war noch nie der Typ für Affären gewesen. Weil sie mit der Fähigkeit aufgewachsen war, Lügen sofort zu entdecken, war sie es gewohnt, allem aus dem Weg zu gehen, was nach Unaufrichtigkeit aussah. Außerdem blieb sie nur noch zwei Wochen auf der Insel. War das genug Zeit, eine ehrliche, bedeutsame Beziehung aufzubauen? Wagte sie überhaupt, es mit einem Mann zu versuchen, der für sie voller Geheimnisse war? Das Unbekannte war erschreckend, aber es konnte auch aufregend sein.

Sie spähte durch die Glasscheibe in der Hintertür. Er war immer noch auf dem Innenhof und vertrieb sich die Zeit damit, durch das Teleskop zu sehen. Robby MacKay, ein beurlaubter Soldat. Sie fragte sich, wie schlimm er verwundet worden war.

Sie brühte sich ihren Tee auf und nahm ihn mit auf den Hof hinaus. Und als er sie anlächelte, geriet ihr Herz ins Stottern. Sie war ernsthaft dabei, sich in ihn zu verknallen.

»Bist du sicher, dass du nichts trinken oder essen willst?«

»Ich habe gegessen, bevor ich hergekommen bin.« Olivia hatte sich an den Tisch gesetzt und ihm einen Platz angeboten.

Sie mochte es, wie sein rotes Haar im Licht der Kerzen leuchtete. Es schien ihr etwas zu lang für einen Soldaten, aber es war ordentlich zurückgebunden. »Wie lange bist du noch auf Patmos?«

»Noch etwa drei Wochen.« Er zögerte einen Augenblick, ehe er weitersprach. »Ich wäre jetzt schon so weit, zurückzukehren, aber mein Boss ist anderer Meinung. Er denkt, ich wäre traumatisiert oder so ein Unsinn.«

»Posttraumatisches Stresssyndrom.« Olivia nippte an ihrem heißen Tee. »Das kommt bei Soldaten sehr häufig vor.«

»Das ist viel Lärm um nichts. Ich weiß, das Leben ist nicht fair. Kein Grund, deswegen rumzuheulen.«

Sie sah ihn besorgt an. »Manchmal ist es gesünder, über die Dinge zu reden. Repression kann im Laufe der Zeit ernste Nebenwirkungen haben, und damit meine ich nicht nur Wutanfälle. Es kann zu Auswirkungen auf deine körperliche Gesundheit kommen.«

Er warf ihr einen genervten Blick zu. »Mir geht es ausgezeichnet. Und die Hölle wird zufrieren, ehe ich mich mit einem verdammten Psychologen unterhalte.«

Die Tasse in Olivias Hand begann zu zittern, und sie stellte sie schnell auf dem Tisch ab.

»Was ist los?«

All ihre wunderbaren Gefühle wichen mit einem Schlag der Realität. Sie hätte wissen müssen, dass es nicht von Dauer sein konnte.

Er kniff seine Augen misstrauisch zusammen. Dann sprang er auf. »Verdammt noch mal.« Er drehte sich wieder zu ihr um und sah sie entsetzt an. »Du bist Psychologin?«

Sie nickte langsam. »Die Hölle ist wohl gerade zugefroren.« Für sie beide.