6. KAPITEL

 

Das ist einer von diesen Augenblicken, dachte Robby bei sich, als er neben Olivia am Strand entlangschlenderte. Einer dieser seltenen, perfekten Augenblicke, an die er sich noch in hundert Jahren erinnern würde. Sollte er so lange leben. Sobald er die Insel verlassen hatte, stieg er wieder in den unerbittlichen Kampf gegen die Malcontents ein. Danach sehnte er sich seit Wochen, aber zum ersten Mal seit langer Zeit war er dort glücklich, wo er sich gerade befand.

Ein fast voller Mond schien über das Meer und brachte die dunklen Wellen zum Funkeln. Der Mond warf einen Schatten hinter Olivia, und Robby hielt sich deshalb nahe an den Tamarisken, die ihre Schatten über den von Olivia legten und hoffentlich sein Geheimnis verbargen.

Die Luft war frisch und kühl, und die Brise streichelte mit ihrem Duft nach Salz und Olivia über sein Gesicht. Er atmete tief ein und genoss ihren Duft. Blutgruppe A negativ, vermischt mit Rosenseife. Der Duft von Wolle aus ihrem dicken gestrickten Pullover. Ein Hauch Zitrone, der ihren Händen anhaftete, und auch den seinen, nachdem er eines ihrer gefüllten Weinblätter zerquetscht hatte.

Es war eine unangenehme Situation gewesen, als Olivias Großmutter ihm das Essen anbot, doch er war zufrieden mit seiner Reaktion. Er hatte nicht zu viel Verdacht erregt. Alles in allem hatte es ihm Spaß gemacht, wie die gewitzte Großmutter ihn so offensichtlich verkuppeln wollte. Und die enge Bindung zwischen den beiden Frauen, die sich gegenseitig beschützen wollten, beeindruckte ihn sehr. Selbst jetzt sah er, wenn er sich umblickte, wie Mrs Sotiris sie durch das Teleskop beobachtete.

Die frische Luft wirbelte Olivias lockige Haare durcheinander. Sie erzählte ihm von ihrer Kindheit und den Familienreisen, die sie jeden Sommer unternommen hatten, aber ihr wehte immer wieder eine Haarsträhne in den Mund. Sie steckte sie sich hinters Ohr, und im nächsten Moment löste sich eine andere Strähne.

»Lass mich.« Zärtlich strich er ihr die Strähne zurück und ließ seine Finger dann dort verweilen und fuhr den Umriss nach. »Du hast Glück, dass deine Familie sich so nahesteht.« Sie hätten ohne jeden Zweifel etwas dagegen, wenn sie sich mit einem Vampir einließ.

»Was ist mit deiner Familie?« Sie neigte ihren Kopf ein wenig zur Seite, als er mit den Fingern ihren Hals entlangfuhr.

Er legte seine Fingerspitzen an ihre Halsschlagader. Ihr Puls klopfte unter seinen Fingern, ein so erotisches Gefühl, dass sein Zahnfleisch anfing, zu kribbeln, und sein Fleisch anschwoll. Robby trat zurück und ließ seine Hände sinken. Reiß dich zusammen. Es brauchte nicht viel, um seine Lust auf Olivia zu entfachen, und er konnte nicht riskieren, dass sie seine rot glühenden Augen bemerkte. »Aus meiner Familie lebt bis auf meinen Großvater niemand mehr.«

»Das tut mir so leid. Es muss sehr... einsam für dich sein.«

Seine Brust zog sich zusammen, als ihm plötzlich etwas klar wurde. Er war tatsächlich einsam. Und auch wenn er gute Freunde hatte, gab es Dinge, die ein Mann nicht mit anderen Männern besprach.

Zum Beispiel das Bedürfnis, geliebt zu werden. Ein Mann würde ihn auslachen und es Schwäche nennen. Teufel, er selbst hielt es auch für eine Schwäche. Er war stolz darauf, nicht auf andere angewiesen zu sein. Er hatte die Rolle des stolzen starken Kriegers so lange gespielt, dass er nichts anderes mehr kannte.

Und dann war er auf einmal völlig hilflos und gedemütigt gewesen, als die Malcontents ihn gefoltert hatten. Seine Unabhängigkeit hatte sich als Illusion herausgestellt. Allein sein Stolz hatte die tiefe Leere in ihm überdeckt.

Er sah zu Olivia hinüber, die ihn neugierig betrachtete. Komisch, sie versuchte nicht einmal, ihn zu therapieren. Trotzdem war es genau das, was gerade geschah. Er sah Dinge, die ihm nie zuvor aufgefallen waren. Ein warmes Gefühl der Zärtlichkeit schwoll in seiner Brust an und dämpfte die lodernde Lust in ihm. Allmächtiger, er machte sich wirklich etwas aus dieser Frau.

Wie sollte er die Sache angehen? Wann sollte er ihr die Wahrheit über sich verraten? »Ich habe gehört, es gibt eine harte Konkurrenz darum, wer dein Herz gewinnen wird.« Hart? Schlechte Wortwahl. Er vermied es, an sich hinabzusehen.

Zum Glück winkte Olivia ab. »Das ist bloß meine Großmutter. Ich interessiere mich für keinen der Männer hier so richtig.«

»Dann habe ich eine Chance?«

»Trittst du im Wettbewerb an?« Olivia stockte der Atem.

»Aye. Wärest du... interessiert?«

Ihre Wangen färbten sich zartrosa. »Vielleicht. Aber eins muss klar sein: Ich habe hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich bin. Ich gebe meinen Beruf nicht auf.«

»Das würde ich nie von dir verlangen.« Sie setzten ihren Spaziergang fort, und Robby verschränkte dabei die Hände auf dem Rücken, um sie nicht zu berühren, während sie neben ihm herging. »Was genau machst du beim FBI?«

»Verhöre und Analysen von Kriminellen, zum größten Teil. Als ich noch mit meiner Masterarbeit beschäftigt war, habe ich einige Insassen des Huntsville-Staatsgefängnisses in Texas befragt. Ich habe einen Mann im Todestrakt dazu gebracht, einige ungelöste Mordfälle zu gestehen. Darüber wurde in allen Lokalzeitungen berichtet. Als das FBI mir einen Job angeboten hat, habe ich sofort zugeschlagen. Ich wollte meine Gabe schon immer für etwas Wichtiges einsetzen.«

»Dann solltest du damit nicht aufhören.«

»Sag das meinen Eltern. Sie wollen, dass ich mir eine nette kleine Praxis in einer netten Vorstadt nehme und mich nur noch mit der richtigen Art psychisch kranker Menschen abgebe.«

»Es gibt eine richtige Art?«

»Die gewaltfreie Art oder vielmehr Leute, die sich nur selbst verletzen wollen. Essstörungen, oder«, sie sah ihn eindringlich an, »nette Kerle, die unter posttraumatischem Stress leiden.«

Wollte sie absichtlich die schöne Stimmung verderben? »Ich leide nicht.«

»Robby, du bist gefoltert worden. Davon erholt man sich nicht so einfach.«

»Es geht mir gut.«

»Wie lange ist das her?«

Er zuckte mit einer Schulter. »Letzten Sommer.«

Robby sah förmlich, wie ihr Gehirn arbeitete. »Das war ja gerade erst. Du hast gesagt, sie... haben dir die Knochen gebrochen?«

Er wackelte mit den Fingern. »Alles verheilt.« Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinab. »Und einsatzbereit.«

»Spiel die Sache nicht so herunter. Dein Körper hatte kaum Zeit, zu heilen. Mental...«

»Olivia«, unterbrach er sie und sprach dann sanfter weiter: »Liebes, ich will nicht darüber reden. Wir alle müssen mit schlimmen Dingen fertigwerden. Ich bin mir sicher, bei deiner Arbeit hast du schon viel Schreckliches gesehen.«

Als der Gedanke an das Monster aufflackerte, zuckte sie zusammen, sah dann auf den Boden und drehte die Spitze ihres Sportschuhs im Sand. »Manchmal ist es schwer, zu sehen, was für schreckliche Dinge ein Mensch einem anderen Menschen antun kann. Aber das weißt du wohl aus erster Hand.«

»Aye.«

Eine Anspannung überfiel sie, und Olivia wendete sich ab.

Er berührte ihre Schulter, aber sie war so weit weg, dass sie ihn nicht mehr zu bemerken schien. »Alles in Ordnung, Olivia?«

»Ich denke, schon«, flüsterte sie. »Hier kann er mich nicht finden.«

»Wer?«

Sie schüttelte sich und sah Robby dann entschuldigend an. »Nichts. Ich möchte nicht darüber reden.«

»Ah.« Er erinnerte sich an ihre Worte von letzter Nacht. »Ich habe vor Kurzem von einem Experten gehört, dass Verdrängung im Laufe der Zeit schwerwiegende Nebenwirkungen haben kann. Sogar deine körperliche Gesundheit kann beeinträchtigt werden.«

Warnend kniff sie die Augen zusammen.

»Vielleicht solltest du es mit einem Therapeuten versuchen.«

Sie boxte ihn gegen den Arm.

»Och.« Er rieb sich den Arm. »Jetzt bin ich wirklich traumatisiert.«

»Ich sage dir was. Ich therapiere uns beide.«

»Ich würde lieber noch einmal von dir geschlagen werden.«

»Es wird nicht wehtun. Nur ein paar Fragen, und du musst sie nicht laut beantworten.« Olivia schubste ihn spielerisch.

»Dann weißt du aber nicht, ob ich geantwortet habe.«

»Du musst nicht antworten. Denk einfach darüber nach.« Sie verschränkte die Arme über ihrem cremeweißen Pullover. »Als ich die Kriminellen für meine Masterarbeit befragt habe, habe ich mir eine Reihe Fragen ausgedacht, damit ich herausfinden kann, was sie zum Ticken bringt.«

»Du willst mich wie einen Verbrecher verhören?«

Seine Unterbrechung schien ihr nicht zu gefallen. »Lass mich ausreden. Ich habe herausgefunden, dass der Durchschnittskriminelle nicht die Geduld hat, eine lange Liste mit Fragen zu beantworten, besonders wenn er daraus keinen Vorteil zieht. Also habe ich sie auf drei Fragen zusammengestrichen. Nur drei.«

»Lass mich raten.« Er trat näher auf sie zu. »Was ist deine Lieblingsfarbe?«

Auf die kleine Ablenkung ging sie kopfschüttelnd ein. »Grün. Wie deine Augen.«

Sein Herz weitete sich. »Ich mag deine Augen auch.«

»Ich weiß, was du vorhast. Du versuchst mich abzulenken.«

»Dann muss ich mich mehr anstrengen.« Er berührte ihre Wange.

»Erste Frage: Was willst du mehr als alles andere auf der Welt?«

Das war einfach. Rache. »Nächste Frage?«

Sie hob ihre Augenbrauen. »Bist du schon fertig?«

»Aye. Ich weiß, was ich will.«

Sie legte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn. »Es muss dir sehr wichtig sein.«

»Ist es. Wie hast du die Frage beantwortet?«

Der Anflug eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen. »Wenn du es nicht verrätst, verrate ich auch nichts.«

»Gerissenes Weib«, murmelte er.

Ihr Lächeln wurde breiter. »Frage Nummer zwei: Was macht dir mehr Angst als alles andere auf der Welt?«

Dabei zu versagen, Rache zu üben. »Fertig.«

»Das war schnell.«

»Aye.« Er würde seine Rache an den Bastarden, die ihn gefoltert hatten, bekommen. Sie würden für jeden Schlag, jede Verbrennung, jeden Knochenbruch bezahlen.

»Na gut, also«, fuhr sie fort, »die letzte Frage hat wieder mit der ersten zu tun, darüber, was du mehr als alles andere willst. Wenn es dir gelingt, macht dich das zu einem besseren Menschen?«

Robby erstarrte und atmete tief ein. Verdammt noch mal. Er drehte sich um und blickte aufs Meer hinaus. Er wollte nicht darüber nachdenken. Er wusste, dass es bei seinen Plänen nicht Auge um Auge ging. Sie hatten ihn nicht umgebracht, aber das hatte er mit ihnen vor. Und mehr noch - er hatte vor, es zu genießen.

Würde ihn das zu einem besseren Menschen machen? Er schloss kurz die Augen. Das war egal. Sie hatten es verdient, zu sterben. Sie waren böse, und die Welt war ohne sie ein besserer Ort.

Erst jetzt bemerkte er, wie sich seine Hände zu Fäusten geballt hatten. Er brauchte Rache. Das war sein Lebenssinn. Sie hatte ihm Antrieb gegeben, sich körperlich zu erholen. Mit jedem Schritt, den er joggte, jedem Gewicht, das er stemmte, stellte er sich vor, wie er Rache nahm. Wie er Casimir umbrachte. Wie er alle Malcontents, die ihn gefoltert hatten, umbrachte, alle, die nur zugesehen hatten, wie er Schmerzen und Demütigung erlitt. Sie mussten alle sterben.

Machte ihn das zu einem besseren Menschen? Mit einem Stöhnen entspannte er seine Hände. Nein.

»Robby?« Sie berührte seinen Arm. »Ist alles in Ordnung?«

Er drehte sich um, damit er sie ansehen konnte, sie genau betrachten, sich jeden bezaubernden Zentimeter ihres Gesichts merken. Wie war es ihr möglich, so tief in sein Inneres vorzudringen? Sie ließ ihn Dinge sehen, die er nicht sehen wollte. Sie sorgte dafür, dass er es wert sein wollte, mit ihr zusammen zu sein. »Olivia.«

»Ja?«

Er konnte ihr Herz heftig klopfen hören, ihren Puls rasen, und er sehnte sich danach, sie zu berühren. »Wie kannst du so jung und schon so weise sein?«

»Ich fühle mich nicht weise.« Ihr Gesicht rötete sich. »Ich... ich kann kaum klar denken.«

Er legte einen Finger an ihren Hals und fühlte dort die pochende Ader. »Ich sollte das nicht tun.«

»Meinst du... mich berühren?« Sie klang atemlos. »Das ist schon in Ordnung.«

»Olivia.« Er legte eine Hand an den Ansatz ihres Halses. »Ich fange gerade erst an.« Er zog sie fest gegen seine Brust und beugte sich über sie, um ihren Mund zu erobern.

Für einen kurzen Moment wurde sie starr vor Überraschung, und er hielt kurz vor ihren Lippen inne. Ihr schneller Atem strich federleicht über seine Haut, und er wollte verzweifelt von ihr kosten.

»Olivia«, flüsterte er. Er war schon so verdammt nah.

Und dann spürte er genau den Augenblick, in dem sie sich ergab. Ihr Körper drängte sich gegen seinen. Als er seinen Mund gegen ihren presste, schloss sie die Augen. Ihre Lippen schmiegten sich aneinander, und Robby genoss diese weiche Fülle.

Er schlang einen Arm um sie, damit er sie näher an sich ziehen konnte. Selbst durch die dicke Wolle ihres Pullovers hindurch konnte er spüren, wie rund und fest ihre Brüste waren. Er legte seinen Kopf schräg, sein Kuss wurde fordernder und lockte sie, ihre Lippen zu öffnen.

Mit einem süßen Seufzen hießen ihre Lippen ihn willkommen, und er neckte die kleine Öffnung mit seiner Zunge. Ihr Atem ging rasch, als wäre sie schnell gelaufen, und sie drückte ihre Brüste gegen seinen Oberkörper. Mit jeder Berührung schwoll sein Glied fester an, und seine Lust drohte die letzten Reste seiner Selbstkontrolle zu durchbrechen.

»Robby«, flüsterte sie. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und rieb ihre Wange an seinem stoppeligen Kiefer.

Sein Herz schien zu schweben. Er drang in ihren Mund ein und kostete sie mit seiner Zunge. Und ihre Erwiderung, ihr Saugen an seiner Zunge war fast mehr, als er ertragen konnte.

Seine Erektion wurde härter und drückte schmerzhaft gegen seine Jeans. Er fuhr mit den Händen an ihrer Wirbelsäule hinab bis zu der köstlichen Kurve in ihrem Kreuz, dann über die herrliche Rundung ihres Hinterteils. Er breitete seine Hände aus und zog sie fest gegen seine Härte.

Erregt stöhnte Olivia auf, doch gleich darauf löste sie sich von Robby.

»Olivia.« Durch seine Augen färbte ihr Gesicht sich von rosig zu dunkelrot. Sanft drückte er ihr Gesicht gegen seine Brust, um seinen rot glühenden Blick vor ihr zu verbergen.

Sie schmiegte sich an ihn und atmete flach und schnell. Vorsichtig öffnete er die Spange, mit der sie ihre langen Locken bändigte, und vergrub dann sein Gesicht in ihrer faszinierenden Haarpracht. Ihre Haare waren so weich, so seidig an seiner Haut. Er zwang sich, die Kontrolle zu behalten, doch der Kampf war schon verloren, als er sich vorstellte, wie voll, schwarz und seidig das Haar zwischen ihren Beinen sein musste.

Geduld. Er musste sie langsam und vorsichtig umwerben. Das richtige Timing war besonders wichtig, sonst könnte er sie wieder verlieren.

Aus der Ferne ertönte ein schepperndes Geräusch. Robby drehte sich um und entdeckte Olivias Großmutter, die neben dem Teleskop stand und einen großen Metalllöffel gegen einen Topf schlug.

»Was ist das?« Olivia sah sich zum Haus um und erschrak. »Oh Gott, es tut mir leid. Ich habe vergessen, dass sie uns beobachtet.«

Als Robby einen Schritt zurücktrat und Olivia losließ, hörte das Scheppern auf. »Anscheinend ist Runde eins damit beendet.«

Olivia drehte sich mit einem schüchternen Lächeln zu ihm um, aber es wandelte sich sofort in ein Stirnrunzeln. »Ist alles in Ordnung? Deine Augen sind gerötet.«

Schnell wendete er sich ab. »Ich glaube, ich habe Sand hineinbekommen.« Er hasste es, sie zu belügen, also wechselte er schnell das Thema. »Soll ich dich nach Hause begleiten?«

Sie sah sich nach ihrer Großmutter um und schüttelte dann den Kopf. »Du hast dich für einen Abend genug verhören lassen. Und du solltest lieber schnell nach Hause gehen, um dir die Augen auszuwaschen.« Der Wind fegte ihr die Haare ins Gesicht, und sie schob sie zurück.

»Hier.« Er reichte ihr die Spange aus Schildpatt, die er ihr aus dem Haar genommen hatte, und riss die Augen auf, als sie die Kralle öffnete. »So was, sieh sich einer die Zähne an dem Ding an. Bohrt dir das nicht Löcher in den Kopf?«

Mit einem Lachen drehte sie sich die Haare am Hinterkopf zusammen. »Nein.«

Er trat näher, um dabei zuzusehen, wie sie die Spange verschloss.

Amüsiert betrachtete sie ihn. »Machst du dir Sorgen um meine Sicherheit?«

»Ich werde nicht zulassen, dass dir auch nur ein Haar gekrümmt wird. Darf ich dich morgen Nacht wiedersehen?«

Ihre Wangen färbten sich rosig. »Ja.«

»Gut.« Er drückte ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. »Ich warte hier, um sicherzugehen, dass du gut nach Hause kommst.«

»Gute Nacht.«

Er betrachtete ihren eleganten Gang, als sie am Strand zurücklief, ihr Haar, das hoch an ihrem Hinterkopf aufgesteckt war, und ihren schlanken eleganten Hals. Sein Blick senkte sich auf ihre runden Hüften, die sich mit jedem Schritt wiegten. Er krümmte seine Finger und erinnerte sich daran, wie sich ihr Hinterteil angefühlt hatte. Gott sei Dank waren die Knochen in seinen Fingern gut verheilt. Es gab Zeiten, in denen ein Mann mit seinen Fingern einer Frau viel Gutes tun konnte.

****

Als Olivia am Mittwochmorgen aufwachte, dachte sie nur an Robby. Sie kuschelte sich unter ihre Decken, schloss die Augen und erinnerte sich an jedes köstliche Detail dieses unglaublichen Kusses. Erst hatte er sie an sich gezogen, als hätte er die Kontrolle über sich bereits verloren, dann war er vor ihren Lippen verweilt wie ein Mann, der verzweifelt versuchte, seine Kontrolle wiederzuerlangen. Sein Kampf hatte in ihr das Bedürfnis geweckt, ihn über die Schwelle zu stoßen.

Sie musste seine Gefühle nicht lesen. Sein Begehren und seine Leidenschaft standen deutlich in jeder Bewegung seiner Lippen und jeder Berührung seiner Hände. Sein Verlangen war ihr nicht entgangen, so wie er sie gegen seine Härte gezogen hatte. Schockierend, aber auch so aufregend.

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Robby hatte auch etwas Liebes an sich. Etwas Vertrauenerweckendes, bei dem sie sich sicher fühlte, auch wenn ihre Fähigkeit, Lügen zu entdecken, bei ihm nicht funktionierte.

Langsam gefiel es ihr sogar, dass sie seine Gefühle nicht lesen konnte. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie geküsst und dabei nur ihre eigenen Gefühle wahrgenommen. Bisher hatte das Begehren, das ein Mann aussendete, ihr eigenes Verlangen erstickt, und nie hatte sie ihre eigenen Gefühle gespürt. Auf einmal war es nur noch um sie gegangen. Jedes Schaudern, jedes Kribbeln, jedes Gefühl, das ihr Herz zum Pochen brachte - alles war aus ihr selbst gekommen. Es gefiel ihr. Sie wollte noch mehr.

Sie wollte Robby.

Seufzend setzte sie sich auf. Von Liebe konnte sie nicht sprechen. Sie kannte diesen Mann erst seit ein paar Tagen. Sie konnte sich nicht so schnell verliebt haben, oder doch?

Warum nicht?, rügte sie eine innere Stimme. Robby MacKay war ein unglaublich gut aussehender, sexy, faszinierender Mann. Und er will dich. Man müsste aus Stein sein, um darauf nicht zu reagieren.

Aber vielleicht reagierte sie einfach nur auf sein Verlangen? Oder vielleicht war sie nur fasziniert von ihm, weil sie ihn nicht lesen konnte? Sie stand auf und machte sich auf den Weg ins Badezimmer. Sie machte sich schon wieder alles mit ihrer Analyse kaputt.

Hoffentlich war ihre Großmutter nicht mehr wütend auf sie. Letzte Nacht, nachdem sie die Treppe zum Innenhof emporgestiegen war, hatte Eleni sie streng angesehen.

»Anständige Leute wären um diese Zeit längst im Bett«, hatte sie geschnaubt. Dann war sie ins Haus und in ihr Schlafzimmer gestapft.

Olivia wagte sich in die Küche. Ihre Großmutter saß am Tisch und knabberte an Brot, Oliven und Fetakäse. Sie war von einer Aura aus Sorge und Beunruhigung umgeben, aber Wut konnte Olivia nicht entdecken.

Lächelnd stand Eleni auf. »Setz dich und iss, Kind. Ich mache dir eine Tasse Tee.«

»Danke.« Olivia schnitt sich ein Stück Brot ab und griff dann nach dem Honigtopf.

»Ich bin heute früh beim Bäcker gewesen und habe gefragt, ob irgendwer etwas von einem Haus auf der anderen Seite von Petra weiß, das einem Ausländer gehört.«

Olivia legte die Stirn in Falten, während sie sich Honig auf ihr Brot schmierte. »Du spionierst wegen Robby?«

»Natürlich.« Eleni stellte eine Tasse Tee vor sie hin. »Glaubst du nicht, du solltest etwas mehr über einen Mann wissen, den du küsst?«

»Ich weiß einiges über ihn.«

»Kennst du seine Adresse?«

Damit sie nicht antworten musste, biss Olivia von ihrem Brot ab.

»Ich nehme das als Nein.« Eleni setzte sich ihr gegenüber.

»Ich weiß die wichtigen Dinge.«

»Zum Beispiel, wie viel auf seinem Konto ist?« Ihre Großmutter steckte sich einen Krümel Feta in den Mund.

»Er hat eine feste Anstellung. Und er ist ein lieber, rücksichtsvoller Mann.«

»Er hat dich befummelt wie ein... ein Tintenfisch, mit Saugnäpfen an deinem Hintern.«

Olivia lachte, doch Eleni war nicht zum Spaßen zumute.

»Das war kein Scherz, junge Dame. Du kennst diesen Mann kaum, und ihr habt... Ich hoffe, dass du dich nicht aus Gewohnheit so benimmst.«

»Tue ich nicht. Glaub mir. Ich... ich weiß nicht, wie es passiert ist. Ich habe mich noch nie vorher so vergessen.«

Elenis Blick wurde weicher. Offensichtlich spürte sie, dass ihre Enkelin die Wahrheit sagte. »Liebst du ihn?«

Versonnen atmete Olivia ein und langsam wieder aus. »Ich weiß es nicht. Meine Gefühle für ihn sind so stark, aber als Psychologin habe ich auch ernste Zweifel, ob man sich so schnell verlieben kann.«

Eleni winkte ab. »Es ist keine Wissenschaft, sondern Liebe.«

»Ein wenig Wissenschaft hat schon damit zu tun«, widersprach Olivia. »Chemie, Hormone, Pheromone...«

»Und wie reagieren deine Hormone?«

Olivia zuckte zusammen. »Sie sprengen die Skala.«

»Und die Chemie?«

»Hochexplosiv. Wir könnten die halben Vereinigten Staaten mit Strom versorgen.«

Die Tatsachen sprachen für sich. »Du bist dabei, dich zu verlieben.«

»Es geht zu schnell.«

»Dann mach langsamer.«

»Wir fliegen in zwei Wochen zurück nach Houston.« Olivia trank von ihrem heißen Tee.

»Das ist jede Menge Zeit. Außerdem kann er auch nach Houston kommen. Das muss er, wenn er um deine Hand anhalten will.«

Olivia prustete ihren Tee über den Tisch, ergriff aber sogleich eine Serviette und wischte alles wieder auf. »Wer spricht denn vom Heiraten?«

»Ihr habt doch wohl nicht vor, in Sünde zusammenzuleben?«

»Ich habe den Mann gerade erst kennengelernt.«

»Gestern Nacht sah es so aus, als würdet ihr euch schon gut kennen.«

Olivia aß noch etwas von ihrem Brot. »Ich fühle mich... extrem zu ihm hingezogen. Aber ich kenne seine Gefühle nicht, ich weiß nicht, was er für mich empfindet.«

»Kind, er hat dich angefallen wie ein Bär. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass er dich attraktiv findet.«

»Das bedeutet nicht, dass er mich heiraten will.«

»Wenn er auf den Honigbaum klettern will, muss er.«

Ihre Großmutter hatte wirklich die nettesten Vergleiche. »Bei dir klingt er wie Winnie Puuh.«

»Hm. Ich hoffe er ist mit mehr Intelligenz gesegnet.« Eleni deutete auf den Kühlschrank. »Er hat sein Essen nicht mitgenommen.«

»Ich kann es ihm heute Abend geben.«

»Wir können es ihm auch jetzt bringen.« Eleni stand auf und begann den Tisch abzuräumen. »Ich habe in der Bäckerei herausgefunden, in welchem Haus er wohnt.«

»Was hast du sonst noch herausgefunden?«

Eleni stellte den Käse und die Oliven zurück in den Kühlschrank. »Das Haus gehört einer reichen amerikanischen Familie, den Draganestis, und sie haben jede Menge Freunde, die dort kommen und gehen. Von deinem Robby hat kaum jemand etwas gesehen, aber sie kennen alle einen Mann namens Carlos, der ebenfalls dort lebt. Und jetzt zieh dir etwas an, damit wir loskommen.«

Dreißig Minuten später stand Olivia in Jeans und ihren schönsten Kaschmirpullover gekleidet an der Tür einer eleganten Villa und klopfte. Töpfe mit üppig blühenden Geranien flankierten die Seiten der rustikalen, antiken Holztür. Das Haus war frisch gekalkt und blendete fast in der Morgensonne. Das geflieste Dach sah neu aus, genau wie die gepflasterte Auffahrt.

Eleni hatte darauf bestanden, als Anstandsdame mitzukommen. Sie trug eines ihrer besten schwarzen Kleider, und sie klammerte sich an einen Leinenbeutel voller in Folie verpackter Speisen.

Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und ein junger Mann spähte zu ihnen hinaus. Er ließ ein strahlendes Lächeln aufblitzen, als er sie erkannte, öffnete die Tür dann weit und lehnte seinen langen schlanken Körper gegen den Türrahmen.

»Guten Morgen.« Wahrscheinlich war dieser Mann Carlos, dachte Olivia. »Wir sind hier, um mit Robby MacKay zu sprechen.«

Er nickte. »Sie müssen Olivia und Eleni Sotiris sein.«

Olivia bemerkte einen leichten Akzent. »Ja, sind wir. Hat Robby Ihnen von uns erzählt?«

Sein Lächeln wurde breiter, bis er sehr weiße Zähne zeigte. »Menina, jeder auf der Insel weiß von Ihnen.«

Menina. Nicht ganz Spanisch, aber nahe dran. »Sind Sie... Portugiese?«

»Brasilianer. Aus Rio.« Er zwinkerte. »Wenn Ihnen mal nach Samba ist, bin ich Ihr Mann.«

»Ah. Das merke ich mir.«

Er schnüffelte, und sein Blick wanderte zu Elenis Leinenbeutel. »Ist das Lamm? Es duftet köstlich.«

»Es ist wirklich köstlich«, verkündete Eleni. »Meine Enkelin ist eine ausgezeichnete Köchin.«

»Sie kommen genau rechtzeitig. Ich bin am Verhungern.« Der Mann trat zurück und bedeutete ihnen, einzutreten. »Bitte, kommen Sie herein.«

»Danke.« Olivia trat, gefolgt von ihrer Großmutter, in einen schmalen Eingangsbereich. Sie bemerkte eine große Ikone des Apostels Johannes, dem Schutzheiligen von Patmos, an einer Wand. »Sind Sie im Urlaub hier, Mister...?«

»Panterra. Aber Sie können mich Carlos nennen. Und nein.« Er führte sie in ein großes Wohnzimmer. »Ich arbeite hier, genau wie Robby.«

Olivia sah sich im leeren Zimmer um. »Wo ist Robby?«

»Er ist gerade nicht zu sprechen. Er... musste geschäftlich nach Horos.«

Das war eine Lüge. Olivia erstarrte und sah zu ihrer Großmutter. Dem Blick auf Yayas Gesicht nach zu urteilen hatte auch sie es lesen können. »Wann erwarten Sie ihn zurück?«

»Heute Abend. Irgendwann nach Sonnenuntergang.«

Das war die Wahrheit. Olivia fragte sich, was Robby den ganzen Tag lang zu tun hatte. Das Wohnzimmer war geschmackvoll eingerichtet, aber nicht mit kostbaren Kunstschätzen oder etwas anderem dekoriert, was die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen erklärt hätte. »Arbeiten Sie für die gleiche Firma wie Robby? MacKay Security & Investigation?«

»Ja. Stellen Sie über uns Nachforschungen an, Olivia?« Er drehte sich um, und seine bernsteinfarbenen Augen funkelten.

»Ich hatte nur gehofft, Robby zu treffen.«

»Glauben Sie mir, Menina, er wird es bedauern, Sie verpasst zu haben.« Carlos führte sie in die geräumige Küche, die in Blau und Gelb eingerichtet war.

Eleni stellte den Leinenbeutel auf den Küchentisch und begann die in Folie gewickelten Pakete herauszunehmen. »Die sollten in den Kühlschrank, und wenn Sie etwas davon essen wollen, dann sollten Sie es im Ofen heiß machen.«

»Ja, Ma'am.« Carlos neigte seinen Kopf, und sein langes schwarzes Haar fiel nach vorn und verdeckte sein Gesicht. »Wir werden uns genau an Ihre Anweisungen halten.«

»Hmm.« Eleni beugte sich zu ihrer Enkelin und flüsterte: »Ich habe noch nie so viele Wachmänner gesehen, die dringend einen Haarschnitt brauchen.«

Obwohl ihre Großmutter leise gesprochen hatte, war Carlos doch kein Wort entgangen. Doch er lachte nur und strich sich das schulterlange schwarze Haar hinter die Ohren. In jedem seiner Ohrläppchen glänzte ein goldener Ring.

Er nahm die Pakete mit Speisen und begann sie im Kühlschrank zu stapeln. »Wollen Sie, dass ich Robby eine Nachricht überbringe?«

»Eigentlich nicht.« Olivia nahm den leeren Beutel. »Ich komme heute Abend wieder.«

»Gut.« Carlos lächelte, als er die Kühlschranktür schloss.

Die ganze Situation schien Carlos zu belustigen, das spürte Olivia, aber da war auch noch etwas anderes. Aufregung. Erwartung. Und unter allem ein Anflug von Täuschung.

Die beiden Frauen gingen wieder nach Hause. Eleni war ungewöhnlich still auf dem Weg, und Olivia spürte, wie sehr sie sich sorgte.

»Bist du müde, Yaya? Ich kann uns ein Taxi rufen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehe jeden Tag so viel. Es tut mir gut.« Sie verstummte wieder und sah düster hinab auf die Straße.

»Es ist schade, dass wir Robby nicht getroffen haben«, murmelte Olivia. »Findest du es auch seltsam, dass es in dem Haus zwei Wachmänner gibt? Ich habe nichts gesehen, was beschützt werden müsste.«

»Carlos hat wegen Robby gelogen«, sagte Eleni.

»Ich weiß.« Was hatte Robby für eine Aufgabe, die man vor ihr geheim halten musste?

»Irgendetwas ist an Carlos seltsam«, flüsterte Eleni. »Aber ich weiß nicht, was es ist.«

»Ich gehe heute Abend noch einmal hin und finde es heraus.«

»Bist du sicher, dass es ungefährlich ist?« Eleni machte sich wirklich Sorgen um sie.

Olivia streichelte ihr den Rücken. »Ich habe eine umfassende Ausbildung in Selbstverteidigung. Ich kann auf mich aufpassen.«

****

Am Abend, nachdem die Sonne untergegangen war, schlenderte Olivia in Richtung von Robbys Haus am Strand von Grikos entlang. Ein voller Mond hing schwer am Himmel und brachte die Wellen zum Funkeln. Die Brise war kühl, und sie war froh, dass sie eine Jacke über ihren Pullover gezogen hatte. Sie ging um Petra herum - oder Kallikatsou, wie die Ortsbewohner ihn auch nannten - und entdeckte das Haus, das sie am Morgen besucht hatte. An seiner Rückseite befand sich ein eindrucksvoller Garten und Steinsäulen. Sie betrachtete das felsige Ufer und suchte nach Stufen, die zum Haus hinaufführten.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine plötzliche Bewegung war, einen schwarzen Schatten, der vom steilen Ufer hinabzufliegen schien und mit einem dumpfen Aufprall im Sand landete.

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie blinzelte, womöglich hatte sie sich das nur eingebildet. Aber sie erkannte eine Katze. Eine riesige schwarze Katze.

Ein Panther? Auf Patmos? Das Tier hatte sie entdeckt und knurrte sie mit gefletschten Zähnen an.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, aber sie musste die Nerven bewahren. Sie war in Lebensgefahr. Diesem Jäger konnte sie nicht davonlaufen. Sie hatte keine Waffen, und ihre Kampfkünste würden sicher nicht ausreichen, um sich vor den tückischen Klauen und weiß leuchtenden Zähnen zu retten.

Die riesige Katze beobachtete sie aus goldenen Augen und kam dann mit einer langsamen und eleganten Bewegung ihrer riesigen Pfoten einen leisen, tödlichen Schritt auf sie zu.

Auf keinen Fall durfte sie sich wie Beute verhalten, fiel ihr ein. Sie starrte die Katze an und schrie dann, so laut sie nur konnte. Fauchend näherte sich die Katze.

Es gab nicht viele Möglichkeiten. Sie konnte das Felsenufer nicht schneller als eine Katze erklimmen. Und sie wollte auf keinen Fall auf das Vieh zugehen. Blieb nur noch das Meer. Kalt und tückisch, mit einer starken Unterströmung, die der Vollmond verursacht hatte.

Sie konnte nur hoffen, dass der Panther kein kaltes Wasser mochte.