1. KAPITEL

 

Robby MacKay hatte eine mörderische Wut im Bauch, als er auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt im Central Park war. Die friedliche Umgebung trug nichts dazu bei, seine gewaltlüsternen Gedanken zu vertreiben. Auf einem still daliegenden Teich glitzerte das Mondlicht und spiegelte sich am Ufer in den Aluminiumrümpfen der umgedrehten Ruderboote, die dort in Reihen lagen. Das Bootshaus in Ufernähe war leer, kein Geräusch war zu hören. Robby bemerkte es nur, weil er nach Anzeichen auf einen Hinterhalt Ausschau hielt.

Er und seine Begleiter blieben vor einer Treppe stehen, die einen dunklen Abwasserkanal hinabführte. Am Ende der Treppe befand sich ein Tunnel, in dem ein Malcontent auf sie wartete. Und auf seinen Tod, wenn Robby seinen Willen bekam.

Zusammen mit Zoltan und Phineas ging Robby die Stufen hinab. Angus MacKay und seine Frau Emma eilten in Vampirgeschwindigkeit über den Hügel, um das andere Ende des Tunnels im Auge behalten zu können.

»Ich habe gesagt... du sollst allein kommen«, hörten sie es aus der Dunkelheit des Tunnels heraus flüstern.

Phineas blieb auf halbem Weg die Treppe hinab stehen und legte eine Hand an den Griff seines Schwertes. »Du versuchst seit Monaten, mich umzubringen, Stan. Natürlich habe ich ein paar fiese Typen mitgebracht. Eine falsche Bewegung, und sie machen Stroganoff aus dir.«

Nachdem er sich fast dreihundert Jahre lang von nichts anderem als Blut ernährt hatte, war Robby sich nicht sicher, wie Stroganoff aussah, aber es verschaffte ihm eine grimmige Befriedigung, als fieser Typ bezeichnet zu werden.

Leider war er im Augenblick kaum mehr als ein tollpatschiger Schwächling. Jeder Schritt fühlte sich an, als versinke er in nassem rutschigem Sand. Letzte Nacht hatte man die Schienen und Verbände von seinen Füßen und Händen entfernt, und er hatte behauptet, sofort wieder einsatzfähig zu sein. Doch das stimmte leider nicht ganz, und deswegen konnte er nur hoffen, dass er nicht die Treppe hinabfiel.

In der Zwischenzeit war der andere fiese Typ, Zoltan Czakvar, in Vampirgeschwindigkeit die Treppe hinabgesaust und an der Steinmauer rechts vom Tunneleingang in Stellung gegangen.

Der Russe hatte zuvor am Telefon versichert, dass er allein zu dem Treffen mit Phineas kommen würde. Robby und die anderen vermuteten eine Falle, die Frage war nur, wo? Den Malcontents musste klar sein, dass Phineas nicht ohne eine Gruppe der guten Vampire zur Verstärkung in den Central Park kommen würde. Hatten die Malcontents geplant, sie im Park anzugreifen, oder hofften sie darauf, dass die Vampire ihr Hauptquartier bei Romatech Industries unterbewacht und angreifbar zurückließen? Jedenfalls wussten die Vampire, dass sie keine andere Wahl hatten, als sich aufzuteilen, sowohl Phineas als auch Romatech mussten bewacht werden.

Robby hatte darum gebeten, der Gruppe zugeteilt zu werden, die in den Central Park ging. Er witterte dabei die beste Gelegenheit, einen der Malcontents umzubringen. Einer konnte seinen Rachedurst zwar nicht stillen, aber es war ein guter Anfang. Er hatte es bis an den Fuß der Treppe geschafft und ging nun links vom Eingang in Position.

»Yo, Stan«, rief Phineas dem Russen zu, »zahlst du Miete für den Tunnel oder was?« Er zog sein Schwert. »Komm raus, auf dich wartet meine kleine Freundin«, sagte er mit verstellter Stimme, die ihn wie einen Gangster klingen ließ.

Der russische Vampir, mit schwarzen Cargohosen und einer schwarzen Kapuzenjacke bekleidet, kam langsam aus dem Tunnel heraus. Er hatte sich die Kapuze über den Kopf gezogen, sodass sein Gesicht nicht zu sehen war, doch das eisige Blau seiner Augen funkelte im Verborgenen, während er seinen Blick nervös in alle Richtungen wandern ließ. Er zuckte zusammen, als Zoltan sein Schwert zog und das Mondlicht die Klinge nur wenige Zentimeter von der Schulter des Russen entfernt zum Glänzen brachte.

Robby tat es ihm gleich. Er griff hinter sich, um sein Claymore aus der Hülle an seinem Rücken zu ziehen. Als er merkte, dass die Kraft in seinen Fingern nicht ausreichte, packte er den Schwertgriff mit beiden Händen. Womöglich ließ er die Waffe noch fallen und schlug sich dabei eine Kerbe in den eigenen Dickschädel. So ein Mist. Es wäre besser gewesen, ein leichteres Schwert mitzubringen. Er ließ das Claymore sinken und stützte es mit der Spitze auf den Boden.

Der Russe hob seine Hände, um sich zu ergeben. »Ich bin nicht gekommen, um zu kämpfen. Ich habe keine Waffe.«

»Und er ist allein.« Emma kam aus dem Tunnel und sprintete die Treppe hinauf, bis sie neben Phineas zum Stehen kam. »Der Tunnel ist sauber.«

Auch Angus trat aus dem Tunnel heraus und steckte dann sein Claymore in die Hülle auf seinem Rücken. Er tastete den Russen von hinten ab und trat danach vor ihn, um das Gleiche noch einmal zu tun. Dann riss er dem Russen die Kapuze vom Kopf und trat einen Schritt zurück, um ihn finster anzustarren. »Stanislav Serpukhov. Was hast du vor?«

Robby erstarrte beim Anblick der kurzen weißblonden Haare des Mannes. Er hatte ihn schon einmal gesehen. Seine frisch verheilten Finger zuckten am Griff seines Schwertes. »Du warst dabei. In der Höhle.«

Stanislav wirbelte zu ihm herum und riss seine Augen weit auf. »Du?« Er stolperte rückwärts auf die erste Treppenstufe. »Du lebst?«

In Robbys Gedanken flackerten die Erinnerungen auf. Bilder seiner Folterknechte mit ihren höhnisch verzerrten Gesichtern. Der Gestank seines eigenen verbrannten Fleisches. Das Knacken gebrochener Knochen. »Du verdammter Bastard. Du warst dabei.« Mit beiden Händen packte er das Schwert, um es nach oben zu reißen.

»Robby, hör auf!«, befahl Angus.

»Er war dabei!« Robby sprang auf den Russen zu, der die Treppe bis an den Absatz hinaufstolperte.

»Ich habe gesagt, hör auf!« Angus legte eine Hand gegen Robbys Brust und seine andere um Robbys Arm und zwang ihn, das Schwert zu senken.

Robby starrte seinen Ururgroßvater, der nur wenige Jahre älter aussah als er selbst, wütend an. »Ich will Rache. Du kannst mich nicht aufhalten.«

Beschwörend starrte Angus zurück. »Ich erwarte, dass du meinen Befehlen folgst.«

Ohne darauf einzugehen, riss Robby sich von Angus los und hielt wieder auf den Russen zu. »Ich weiß jetzt, wer du bist und wo ich dich finden kann.«

»Ich will keinen Ärger.« Stanislav rückte dichter zu Phineas.

Der junge schwarze Vampir sah ihn fassungslos an. »Was zum Teufel machst du da, Alter? Glaubst du, ich beschütze dich? Du hast versucht, mich umzubringen.«

»Das wollte ich nicht«, murmelte Stan. »Jedrek hat gesagt, ich muss dich umbringen... sonst bringt er mich um. Aber er ist jetzt tot. Alle, die den Befehl gehört haben, sind tot. Deswegen muss ich dich jetzt nicht mehr umbringen, glaube ich jedenfalls.«

»Das ist wirklich nett von dir.« Phineas schüttelte fassungslos den Kopf.

»Mir hat nicht gefallen, was Casimir dir angetan hat...«

»Aber du hast trotzdem einfach nur zugesehen«, knurrte Robby. »Du hast mich mit Silberketten an den Stuhl gefesselt. Hat dir der Gestank meines verbrannten Fleisches gefallen?«

»Njet. Aber eines sage ich dir: Wenn sie mich dabei erwischen, wie ich hier mit dem Feind rede, werden sie mir Dinge antun, gegen die deine Folter aussieht wie... wie ein Spaziergang im Park. Statt dreißig Silberstücken werden sie mir dreißig Stücke Fleisch abnehmen, und das erste davon ist meine Zunge.«

»Dann lass mich dich sofort umbringen und dir das Leid ersparen!« Robby sprang auf die Treppe zu, und prallte im selben Moment gegen den ausgestreckten Arm von Angus.

»Genug, Jungchen«, zischte Angus leise. Er drehte sich zu dem Russen um. »Hast du vor, deinen Meister zu hintergehen?«

»Wenn du damit Casimir meinst, dem bin ich erst begegnet, als er nach Amerika gekommen ist und behauptet hat, von da an unser Anführer zu sein. Ich bin kein Mörder. Das war ich noch nie. Ich war... Bauer. Ich habe bei den russischen Vampiren gelebt, weil ich Russe bin, und sie haben mir beigebracht, wie man hier lebt.«

»Und du hast gelernt, wie man Sterbliche umbringt«, knurrte Robby.

»Ich habe noch nie jemanden umgebracht.« Stan versuchte seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich ernähre mich von Sterblichen, das stimmt. Aber ich habe noch nie einen umgebracht.«

»Erwartet der, dass wir ihm glauben?« Zoltan schnaufte verächtlich.

»Du hast gut reden. Du hast in der Schlacht bei DVN meinen besten Freund umgebracht. In South Dakota habe ich einen weiteren Freund verloren. Ihr Vampire tut so, als wäret ihr... moralisch überlegen, aber im Krieg seid ihr es, die die meisten Opfer fordern.«

Phineas legte den Kopf zur Seite und verzog sein Gesicht. »Das ist kein schlechter Einwand. Wir haben denen den Hintern versohlt.«

Stans Worte beeindruckten Angus nicht im Geringsten. »Sie sind verdammt noch mal böse. Sie haben es verdient, zu sterben.«

»Kann ich ihn dann jetzt endlich umbringen?«, murmelte Robby.

»Du hast zwei Minuten, Stan. Rede.«

»Und dann darf ich ihn umbringen?«, fragte Robby ein wenig lauter.

Angus warf ihm einen genervten Blick zu.

»Ich bin vor sieben Jahren nach Amerika gekommen«, setzte Stanislav an. »Ich und drei Vampirfreunde aus Moskau. Wir wollten... ein neues Leben, ohne Tyrannei und Schrecken. Wir haben uns an den Zirkel in Brooklyn gewendet, um Englisch zu lernen. Wir hatten gehofft, Arbeit zu finden, und wollten eines Tages unser eigenes Haus, um darin zu leben...«

»Der amerikanische Traum.« Phineas tat, als würde er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. »Ich bin ganz gerührt.«

Stan warf ihm einen finsteren Blick zu. »Alles, was wir dort gefunden haben, war noch mehr Tyrannei. Ivan Petrovsky ließ sich sterbliche Frauen bringen, um von ihnen zu trinken und sie zu missbrauchen. Wenn wir uns seinen Befehlen nicht beugten, brachte er sie um. Er hat so viele getötet, und er hat auch die Vampirfrauen missbraucht. Ich war froh, als Katya und Galina seinem Leben ein Ende gesetzt haben.«

»Du hast dich also einfach bloß mit den falschen Leuten eingelassen.« Phineas verdrehte die Augen. »Wo habe ich das schon einmal gehört?«

»Meine Freunde und ich haben es gehasst, den Malcontents, wie ihr sie nennt, zu gehorchen, aber wir wussten auch, wenn wir einen Fluchtversuch wagen, bringen sie uns um. Ich habe in der Schlacht zwei Freunde verloren. Und letzte Nacht...« Stan wendete sich ab. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Mein letzter Freund ist gestorben. Nadia hat ihn umgebracht, weil er ihr zu blond war.«

Phineas zuckte zusammen. »Harte Sache.«

»Ist das nicht die, die Toni erstechen wollte?«, fragte Emma, und Zoltan nickte.

»Nadia ist eine wahnsinnige Schlampe, und Casimir hat ihr die Leitung des Zirkels übertragen.«

»So ein Mist. Und was willst du von uns?« Phineas deutete auf Stans weißblondes Haar. »Haarfarbe? Ich bin mir nicht sicher, ob du das wert bist.«

»Ich will Asyl. Wenn ihr mich vor den Malcontents versteckt, sage ich euch alles, was ich weiß.«

Die Vampire schwiegen, während sie über das Angebot des Russen nachdachten.

»Vertraut ihm nicht«, flüsterte Robby. »Er hat nichts getan, während die mich gefoltert haben.«

»Robby hat recht.« Angus sah den Russen streng an. »Du hast uns nie einen Grund gegeben, dir zu vertrauen.«

Nervös blickte Stan sich um. »Habt ihr die Umgebung abgesucht? Sind wir allein?«

»Ja«, antwortete Emma. »Was kannst du uns sagen? Weißt du, wo Casimir sich versteckt hält?«

»Ihr habt ihm eine Menge Angst eingejagt. Er hat gedacht, Apollos Gelände ist geheim, aber ihr wusstet davon. Und er hat auch gedacht, der Campingplatz in South Dakota ist sicher, aber ihr habt ohne Vorwarnung angegriffen. Ich verstehe nicht, wie ihr von dem Campingplatz wissen konntet.«

Robby wurde langsam nervös. »Er versucht uns auszuhorchen. Er arbeitet immer noch für die anderen. Lasst mich ihn sofort umbringen.«

»Nein!« Stan hob seine Hände. »Bitte. Ich weiß, wie es läuft. Ivan, Katya, Galina, Jedrek - die sind alle tot. In South Dakota habt ihr über sechzig Malcontents umgebracht. Casimir wird verlieren. Er muss verlieren. Er ist böse.«

»Nette Ansprache«, sagte Zoltan. »Wo ist Casimir?«

»Er hatte Angst, dass ihr ihn findet, wenn er in Amerika bleibt, also ist er zurück nach Russland. Er ist sehr wütend und schreit nach Rache. Er wird zurückkommen.«

»Wann?«

Stan schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er hat in South Dakota zu viele Männer verloren. Und dann hat er selber noch mehr umgebracht, weil er glaubt, einer seiner Männer hat ihn hintergangen und euch unseren Aufenthaltsort verraten. Er ist jetzt... paranoid. Er vertraut niemandem, und viele seiner Anhänger sind ihm davongelaufen und verstecken sich. Er ist in sehr schlechter Verfassung und muss als Erstes seine Armee wieder aufbauen.«

Robby lehnte sich nahe an Angus. »Wir sollten ihm nachgehen und ihn kaltmachen, solange er noch geschwächt ist.«

Angus nickte und wendete sich dann an den Russen. »Wir wissen deine Informationen zu schätzen. Natürlich müssen wir erst sicherstellen, dass sie auch der Wahrheit entsprechen...«

»Dann nehmt ihr mich mit?«

»Letztendlich, vielleicht.« Angus verschränkte seine Arme. »Erst einmal will ich, dass du zurück zu deinem Zirkel in Brooklyn gehst und uns weiterhin mit Informationen versorgst.«

»Du willst, dass ich für euch spioniere.« Stan fuhr sich mit der Hand durch sein weißblondes Haar. »Weißt du, wie gefährlich das ist? Wenn die mich erwischen...«

»Wir wollen nicht, dass du für uns stirbst«, unterbrach Angus ihn.

»Sprich nicht für andere«, murmelte Robby.

»Wenn du auch nur ein Anzeichen von Gefahr witterst«, fuhr Angus unbeirrt fort, »musst du dich sofort in Sicherheit teleportieren. Danach rufst du uns an, und wir bringen dich an einen sicheren Ort. Phineas gibt dir seine Handynummer. Lern sie auswendig. Was sagst du dazu?«

Stan atmete tief durch. »In Ordnung. Ich mache es.«

»Gut.« Angus wendete sich an Phineas. »Er wird dir Bericht erstatten. Nimm ihn mit und denkt euch gemeinsam einen Plan aus.«

»Ja, Sir.« Phineas nahm Stan am Arm. »Los geht's.« Er teleportierte sich und nahm den Russen dabei mit.

Robby schüttelte den Kopf. »Ich hätte ihn umbringen sollen.«

»Nay. Er ist als Spion viel mehr wert.«

»Wir können ihm nicht trauen«, wendete Robby ein. »Casimir hat ihn vielleicht als Doppelagenten geschickt. Ich hätte ihn umbringen sollen.«

»Robby.« Emma kam, die Stirn in Falten gelegt, die Treppe hinab. »All das Gerede vom Töten - das sieht dir so gar nicht ähnlich. Ich weiß, dass sie dir schreckliche Dinge angetan haben, und es bricht mir das Herz, aber...«

»Ich will dein Mitleid nicht«, knurrte Robby. »Und ich bereue nicht, was passiert ist. Es hat mir verdammt noch mal die Augen geöffnet. Wir hätten alle Malcontents schon vor Jahren umbringen sollen. Ich schlage vor, wir teleportieren uns sofort nach Moskau und machen Jagd auf Casimir.«

»Das werden wir.« Angus deutete auf Zoltan. »Ruf Mikhail in Moskau an. Frag ihn, ob er etwas Neues von Casimir weiß.«

»Verstanden.« Zoltan ging die Treppe hinauf und zog dabei ein Handy aus der Tasche seiner schwarzen Lederjacke.

»Wenn es in Moskau noch dunkel ist, teleportieren wir uns sofort dorthin«, sagte Angus zu seiner Frau. »Wenn nicht, erst einmal nur bis zu unserem Schloss in Schottland.«

Emma nickte. »Ich hoffe, Stanislav hat die Wahrheit gesagt.«

»Es wird so gut wie unmöglich werden, Casimir in Russland zu finden«, knurrte Robby. »Das Land ist riesig, und er kennt sich dort viel besser aus als wir. Ich denke, wir sollten uns aufteilen...«

»Robby«, unterbrach Angus ihn, »Lad, du kommst nicht mit.

»Natürlich komme ich mit. Meine Verletzungen an den Händen und Füßen sind verheilt...«

»Nay. Ich merke doch, dass du noch damit zu kämpfen hast, Lad. Du bist langsam und schwach.«

Das war das Letzte, was Robby jetzt hören wollte. »Verdammt noch mal, Angus. Meine Heilung schreitet schnell voran, das weißt du genau. Sobald wir Casimir aufgespürt haben, bin ich bereit...«

»Ich sagte, du kommst nicht mit.«

Robby umklammerte den Griff seines Schwertes so fest, dass seine frisch verheilten Finger anfingen, wehzutun. »Das kannst du nicht mit mir machen. Ich habe das Recht, Rache zu üben.«

»Du denkst an nichts anderes mehr, Lad. Du bist wie besessen.«

»Und viel zu wütend«, fügte Emma hinzu.

»Natürlich bin ich wütend!«, brüllte Robby sie an. »Die verdammten Bastarde haben mich zwei Nächte lang gefoltert.«

»Du musst deine Wut überwinden«, mischte Emma sich besänftigend ein.

»Glaub mir, meine Wut wird wie durch Zauberhand verschwinden, sobald ich diese Bastarde vernichtet habe.«

»Lad, du bist zu unberechenbar. Ich befehle dir hiermit, dir eine Weile freizunehmen.«

Diese Worte waren unmissverständlich. Angus war der Geschäftsführer von MacKay Security & Investigation und Robbys Boss. Und er hatte ihn geschaffen. Angus hatte ihn verwandelt, als er auf dem Schlachtfeld von Culloden im Sterben lag, deswegen empfand Robby eine sehr enge Bindung zu ihm. Seine Loyalität und Treue Angus gegenüber hatten ihn während seiner Gefangenschaft und der Folter gestärkt. Es war ihm gelungen, den Schmerz zu ertragen, ohne seine Familie und seine Freunde zu verraten.

Aber er hatte auch mehr als genug Geld zur Seite gelegt. Er musste nicht für MacKay S & I arbeiten. Er konnte sich allein auf die Suche nach Casimir machen.

»Ich sehe genau, was in deinem Kopf vor sich geht, Lad.« Angus unterbrach seine Gedanken. »Denk nicht einmal darüber nach. Du bist zu wütend, um dich selbst auf den Weg zu machen. Und du bist noch zu schwach. Das ist eine tödliche Mischung. Du bringst dich dabei um.«

»Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten ist herzerwärmend.«

»Robby.« Emma berührte seinen Arm. »Wir glauben an dich. Du brauchst bloß eine Weile, um dich zu erholen. Mehr verlangen wir nicht.«

Seine Wut verflog, und Robby musste insgeheim zugeben, dass die beiden recht hatten. Vielleicht wäre eine Woche Urlaub nicht so schlecht. Er konnte Gewichte stemmen und seine Muskeln stärken, um sich dann auf die Suche nach Casimir zu machen und ihn umzubringen. »In Ordnung. Ich... denke darüber nach.«

»Wunderbar.« Emma lächelte. »Ich weiß genau, wo wir dich hinschicken. Der Meister des Zirkels an der Westküste hat dich in ihre Ferienanlage in Palm Springs eingeladen. Das ist ein Luxusresort mit Spa, nur für Vampire.«

Hatte er richtig gehört? »Ein... Spa?«

»Ja. Sie haben dort nur die beste und neueste Ausstattung. Whirlpools, die deinen Händen und Füßen guttun werden. Gut ausgebildete Physiotherapeuten. Ein beheiztes Schwimmbecken in Wettkampfgröße. Ein riesiger Fitnessbereich...«

»Kann man dort auch Kampfsport üben, und Fechten?«, fragte Robby. Er konnte etwas Übung mit seinem Schwert gebrauchen.

»Na ja, sie sind dort eher auf Pilates und Yoga spezialisiert.« Bevor Robby etwas sagen konnte, hob Emma eine Hand, um seine Einwände abzuwehren. »Jetzt hör mir mal zu. Das sind ausgezeichnete Übungen für Beweglichkeit und Balance. Das kannst du im Augenblick sehr gut gebrauchen.«

»Und glaubst du, ich kann Casimir umbringen, indem ich dreißig Sekunden lang eine Yogaposition halte?«

»Fängst du schon wieder davon an. Diese Besessenheit ist nicht gesund, Robby. Du hast Glück, noch am Leben zu sein. Du musst wieder lernen, den Augenblick zu genießen. Yoga kann dir dabei helfen, zu entspannen und deine Mitte zu finden.«

»Ich glaube nicht, dass ich die verloren habe.« Er berührte seinen flachen Bauch.

»Wenn du kein Yoga lernen willst, bitte«, fuhr Emma ihn an. »Ich habe mir ihre Broschüre angesehen, sie bieten viele Wege an, inneren Frieden zu finden. Es gibt eine hydrothermische Massage in der Grotte der tropischen Gelassenheit, oder eine belebende Wickelpackung mit ätherischen Ölen. Wann hattest du das letzte Mal ein Ganzkörperpeeling?«

Belustigt schaute Robby zu seinem Chef. »Weißt du, wovon sie redet?«

Doch Angus hatte kein Mitleid. »Zeig etwas mehr Respekt vor älteren Leuten.«

»Machst du Witze? Ich bin ein paar Jahrhunderte älter als sie.«

»Stimmt.« Emmas Mundwinkel zuckten. »Aber als ich Angus geheiratet habe, bin ich damit zu deiner Ururgroßmutter geworden.«

»Stiefgroßmutter«, berichtigte Robby sie und hob dann eine Augenbraue. »Oder richtiger, böse Stiefgroßmutter.«

Sie lachte. »Das mag sein, ich erwarte nämlich von dir, dass du mindestens drei Monate lang in dem Spa bleibst.«

»Was?« Robby starrte die beiden fassungslos an. »Das kann nicht euer Ernst sein. Wenn ich drei Monate lang nicht mit dem Schwert trainiere, bin ich dienstunfähig.«

»Sie haben außerdem einen ausgezeichneten Psychologen, ebenfalls ein Vampir...«

»Nein!«, unterbrach Robby sie. Jetzt verstand er, warum sie ihn in dieses verdammte Spa zwingen wollten. »Ich gehe zu keinem Psychologen.«

»Lad«, setzte Angus an, »du leidest an posttraumatischem...«

»Ich weiß verdammt gut, was ich durchlitten habe. Ich muss damit keinem Psychologen die Ohren vollheulen. Das wäre vollkommene Zeitverschwendung.« Auf keinen Fall würde er über das reden, was mit ihm geschehen war. Warum in aller Welt sollte er jedes schmerzhafte, peinliche Detail auch noch beschreiben? Das wäre bloß eine neue Folter. Nein, es war viel besser, die ganze Sache einfach hinter sich zu lassen und diese Schweine umzubringen.

Emma atmete tief ein. »Wenn wir das Ganze zu einem Befehl machen...«

»Dann kündige ich«, unterbrach Robby sie erneut. Er konnte auch allein Jagd auf Casimir machen.

Angus sah seine Frau mitfühlend an. »Ich wusste, dass er mit deinem schicken Spa nichts anfangen kann, aber du hast es immerhin versucht.« Er blickte zu Robby. »Wir wollen nicht, dass du kündigst, Lad. Wir wollen nur, dass es dir wieder besser geht, deinem Körper, und auch deinem Geist.«

»Ich bin nicht verrückt.«

»Nay, aber du bist furchtbar wütend und dadurch zu labil für die Arbeit. Du würdest nicht nur dein eigenes Leben riskieren, sondern auch das Leben von jedem, der mit dir zusammenarbeitet.«

So ein Mist. Robby rieb die Spitze seines Schwertes gegen den gepflasterten Boden. Angus wusste genau, wie er ihn treffen konnte. Er würde das Leben seiner Freunde niemals aufs Spiel setzen. »Vielleicht lasse ich mich auf einen kurzen Urlaub ein. Mehr nicht.«

»Gut. Du kannst unser Schloss in Schottland benutzen oder nach Paris gehen. Jean-Luc stellt dir sein Haus zur Verfügung.«

»Das hängt mir zum Hals heraus«, murmelte Robby. Er war zehn Jahre lang der Anführer des Sicherheitsteams von Jean-Luc in Paris gewesen.

»Jack hat gesagt, du kannst in seinem Palazzo in Venedig wohnen.« Angus hatte anscheinend noch einige Angebote zu machen.

»Wollt ihr mich alle loswerden?«

»Wir wollen alle, dass es dir bald besser geht«, sagte Emma eindringlich. »Roman bietet dir seine Villa in der Toskana oder die neue auf Patmos an.«

»Patmos?« Da war er noch nie gewesen.

»Das ist eine griechische Insel«, erklärte Angus. »Soll sehr schön dort sein.«

»Dort hat der Heilige Johannes seine Offenbarung über das Ende der Welt gehabt«, fügte Emma hinzu.

»Wie tröstlich.« Robby zuckte mit einer Schulter. »In Ordnung. Ist ja auch egal. Ich gehe für eine oder zwei Wochen hin.«

»Vier Monate.« Angus blieb hart.

Robby sperrte den Mund empört auf. » Was? Ins Spa sollte ich nur drei Monate.«

»Im Spa gibt es einen Therapeuten«, rief Angus ihm in Erinnerung. »Alleine wirst du mehr Zeit brauchen. Du kannst natürlich deine Meinung, was die Therapie angeht, immer noch ändern...«

»Nein. Verdammt noch mal, nein.«

»Dann also vier Monate. Alle Kosten werden übernommen. Und du bekommst deinen üblichen Lohn. Dagegen kannst du nichts einwenden, Lad.«

Emma lächelte. »Wir sehen uns zu Weihnachten wieder. Es wird dir dann schon viel besser gehen.«

Ein Lachen blieb ihm förmlich in der Kehle stecken. Das war kein Urlaub. Sie schickten ihn ins verdammte Exil. Als Gefangenen auf eine Insel, wie Napoleon. Andererseits, Napoleon war es schließlich auch gelungen, von seiner ersten Insel zu entkommen. Robby müsste es doch noch viel einfacher haben. Für einen Vampir, der sich teleportieren konnte, war so eine Flucht ein Kinderspiel. Und niemand musste je davon erfahren.