Stadtgeschichte
Mittelalter
Was zwischen dem Abzug der Römer am Ende des 5. und der Stadtwerdung des mittelalterlichen Gemeinwesens in der Mitte des 12. Jh. auf dem heutigen Wiener Territorium vor sich ging, ist wegen der spärlichen Quellenlage nur schwer zu rekonstruieren. Allerdings zeichnet sich auf dem Hintergrund archäologischer und namenskundlicher Indizien ab, dass das von den Resten der römischen Befestigungsanlagen geschützte Areal weiterhin besiedelt, kriegerisch begehrt und nach den Hunnen von Langobarden, Awaren, Franken und Ungarn befehligt war.
Letztere meldeten seit dem ausgehenden 9. Jh. wiederholt und unmissverständlich ihr territoriales Interesse am Wiener Becken an. Von ihrem ersten Vorstoß erfährt die Nachwelt aus den „Salzburger Annalen“, deren Chronisten für das Jahr 881 Kämpfe zwischen Franken und Ungarn „apud weniam“ (vor Wien) protokollierten. Obgleich nicht mehr zu klären ist, ob sie mit dem vermutlich keltisch-illyrischen Wort weniam (Waldbach) die nachrömische Siedlung selbst oder lediglich das in ihrer Nähe plätschernde Flüsschen meinten, ist diese Eintragung als erste namentliche Erwähnung Wiens in die Geschichte eingegangen.
Die Einfälle der Ungarn in die südöstlichen Grenzgebiete des Ostfränkischen Reiches, aus dem schon bald das Heilige Römische Reich hervorgehen sollte, hielten bis zur Mitte des 10. Jh. an. Ihr Ende fanden die bisweilen apokalyptische Schreckensvisionen auslösenden Streifzüge erst im Jahre 955, als die ungarischen Reiterheere in der legendären Schlacht auf dem Lechfeld von den Truppen des späteren deutsch-römischen Kaisers Otto I. entscheidend geschlagen wurden.
Unter dessen Nachfolger Otto II. wurde die Südostflanke des Reichsgebiets 976 als Markgrafschaft ausgewiesen und den bayerischen Babenbergern zum Lehen übergeben. Nachdem diese zunächst in Klosterneuburg residiert hatten, verlegten sie das Machtzentrum ihres seit 996 unter dem Namen Ostarrichi firmierenden Herrschaftsgebietes um 1155 nach Wien und legten damit den historischen Grundstein für die Stadtentwicklung.
Wiens erster babenbergischer „Stadtherr“ hieß Heinrich II. und trug den Beinamen Jasomirgott, weil seine meistgebrauchten Worte „Ja, so mir Gott helfe“ gewesen sein sollen. Er war 1141 Markgraf von Österreich geworden, avancierte 1156 sogar zum Herzog und ließ 1155 auf dem heutigen Platz „Am Hof“ eine Pfalz errichten. Zeitgleich gründete er nahe der Freyung das erste Kloster Wiens (Schottenkloster). Neben Heinrich II. engagierten sich auch die Bischöfe von Passau für das Seelenheil von Bewohnern und Besuchern, indem sie den Umbau der bereits um 800 gegründeten Ruprechtskirche und die Errichtung der Pfarrkirche St. Stephan in Auftrag gaben.
Zu den Besuchern gehörten neben Kreuzfahrern
auf dem Weg ins Heilige Land eine wachsende Zahl von
Handlungsreisenden, sodass sich die herzogliche Residenz bis zum
Beginn des 13. Jh. zu einer kommerziell und kulturell
florierenden Stadt mit gut 8.000 Einwohnern gemausert hatte. Als
äußeres Zeichen des mittelalterlichen Urbanisierungsprozesses
umschloss seit 1200 eine mit vier Toren und 19 Türmen versehene
Mauer die kontinuierlich erweiterte Siedlung, der 1221 das
Stadtrechtsprivileg inklusive Stapelrecht verliehen wurde.
Letzteres verpflichtete auswärtige Kaufleute, ihre Waren in der
Stadt feilzubieten, und eröffnete den Einheimischen die Möglichkeit
zum lukrativen Zwischenhandel. Wegen seiner guten Anbindung an das
mittelalterliche Wirtschaftszentrum Venedig erklomm Wien damit
gleichsam aus dem Stand hinter Köln den zweiten Rang auf der Liste
der damals wichtigsten Städte im deutschen Sprachraum.
Im Mai 2010 wurde ein virtuelles Familienporträt der Habsburger ins Netz gestellt, das mit Hunderten von Bildern, Texten und Karten auf anschauliche multimediale Weise die Geschichte(n) der großen Herrscherdynastie erzählt (www.habsburger.net).
Angesichts dieser Standortvorteile, die durch die Ernennung zur
freien Reichsstadt (1237) noch vermehrt worden waren, verwundert es
kaum, dass Wien nach dem Tod des letzten männlichen Babenbergers
(1246) zum Zankapfel der Mächtigen wurde. Im Streit um die
Nachfolge konnte sich zunächst der böhmische König Ottokar Przemysl durchsetzen (1251). Der sah
sich gut 20 Jahre später mit den Herrschaftsansprüchen
Rudolfs von Habsburg konfrontiert,
der seit 1273 deutscher König war. Der Machtkampf wurde schließlich
in der Schlacht auf dem Marchfeld (1278) zugunsten des
Zweiten entschieden, womit die über Jahrhunderte andauernde
Habsburgerherrschaft eingeleitet wurde.
Sie begann mit einer städtebaulichen Offensive, die bis zum Ende des Mittelalters anhalten sollte. Noch unter Rudolfs Ägide wurden die bereits von König Ottokar in Auftrag gegebene Hofburg ausgebaut und bezogen und neue Klöster gegründet. Seine Nachfolger veranlassten mehrere Aus- und Umbauten der Stephanskirche und 1365 erhielt Wien auf Geheiß Rudolfs IV. die erste Universität. Abgesehen von diesen Großprojekten wurde auch sonst allerorts ge-, aus- und umgebaut, sodass es dem Zeitgeist entsprechend zu einer Gotisierung der Stadtlandschaft kam.
Während Wien sein äußeres Erscheinungsbild veränderte, prallten die Machtansprüche der Landesherren mit den Emanzipationsbestrebungen eines erstarkenden städtischen Bürgertums aufeinander. Beide Seiten verständigten sich auf die Verabschiedung einer Ratsverfassung, die die Einrichtung eines Bürgermeisteramtes (1282) und die Installation eines Stadtregiments vorsah, das sich seit 1396 (Ratswahlprivileg) zu jeweils einem Drittel aus „Erbbürgern“ (Patriziern), Kaufleuten und Handwerkern zusammensetzte. Konflikte zwischen diesen Gruppen waren bisweilen mit dynastischen Streitigkeiten der Habsburger verquickt, die erst mit dem Amtsantritt Albrechts II. im Jahre 1411 ein vorläufiges Ende fanden.
Während dieser Karriere machte, 1438 den Thron
von Böhmen und Ungarn bestieg und zum deutschen König gewählt
wurde, kündigten sich außen- und innenpolitische Probleme an, die
die Stadtgeschichte Wiens über das 15. Jh. hinaus überschatten
sollten. So hatten Wiens Kaufleute das Nachsehen, als sich der
Italienhandel mit der Verleihung des Stapelrechts an Passau und
andere oberdeutsche Städte seit Beginn des 15. Jh. nach Westen
verlagerte. Gleichzeitig geriet die zweite wirtschaftliche Säule
der Stadt, der Weinbau, wegen permanenter innerer Konflikte und
äußerer Bedrohungen ins Wanken. Erste Leidtragende der einsetzenden
Wirtschafts- und Finanzflaute waren wie so oft die Minderheiten.
Unter dem Vorwand, sie paktierten mit der religiösen
Hussitenbewegung in Prag, deren Anhänger nach der Hinrichtung ihres
geistigen Vaters Jan Hus (1369–1415)
plündernd durch die Nachbarlande zogen, fand 1421 das erste
Judenpogrom (Wiener Gesera) der
Stadtgeschichte statt. Es traf die etwa 800 Mitglieder der
jüdischen Gemeinde, die sich seit Beginn des 14. Jh. auf dem
Areal um den heutigen Judenplatz häuslich eingerichtet, religiös
institutionalisiert und als Geldverleiher ökonomisch etabliert
hatten. Auf Befehl Albrechts wurden
sie der Stadt verwiesen oder ermordet, ihre Häuser verkauft und die
Synagoge abgerissen.

1461 wurde Wien erneut von inneren Unruhen erschüttert, weil sich wieder einmal zwei Habsburger, die Brüder Friedrich III. und Albrecht VI., um den Platz in der Hofburg stritten. Die in die jahrelangen Auseinandersetzungen involvierten Wiener Bürger wechselten mehrfach die Seiten und einige von ihnen, darunter auch der Bürgermeister Wolfgang Holzer, mussten ihre Parteinahme am Ende sogar mit dem Leben bezahlen. Die Machtprobe nahm schließlich ein gewissermaßen „natürliches“ Ende: Albrecht starb und Friedrich konnte 1463 dessen Platz in der Hofburg übernehmen.
Es folgten gut 20 friedliche Jahre, in denen die Stadt zum Bistum (1469) und die Stephanskirche zur Kathedrale avancierte, die Wiener Universität großes Ansehen erlangte und eine Reihe von Kirchen ausgebaut wurden. Allerdings schwelte seit 1469 ein Konflikt zwischen Friedrich und dem Ungarnkönig Matthias Corvinus. Weil Friedrich dessen Wahl zum König nicht anerkennen wollte, drang Corvinus 1485 gewaltsam in die Hofburg ein und blieb dort bis zu seinem Tod im Jahre 1490 tonangebend. Danach leitete Friedrich aus der Ferne noch drei Jahre lang die Geschicke der Stadt, bis sein Sohn Maximilian I., seit 1486 König, 1493 seine Nachfolge antrat, ohne jedoch in Wien zu residieren. Während ein zentralistisch geführter landesfürstlicher Beamtenapparat seine Interessen vor Ort vertrat, mehrte der letzte deutsch-römische Kaiser des Mittelalters (seit 1508) durch diverse Kriege und eine Reihe geschickt eingefädelter Hochzeiten Besitz und Macht der Habsburger in Europa. Als besonders erfolgreich erwies sich die im Rahmen des Wiener Fürstenkongresses (1515) opulent gefeierte Doppelhochzeit zwischen den noch minderjährigen Abkömmlingen der Habsburger und der polnischen Jagiellonen, die seinerzeit über Ungarn und Böhmen herrschten.
Aufgrund des für die Habsburger glücklichen Umstands, dass einer der Bräutigame, der ungarische Thronfolger Ludwig, in der Schlacht bei Mohács gegen die Türken 1526 kinderlos starb, fiel die Macht über Ungarn und Böhmen Maximilians Enkel Ferdinand direkt zu.