Kunst- und Kulturgeschichte
Musik und Tanz
Den Startschuss für die besondere musikhistorische Entwicklung der Donaustadt gab wiederum Maximilian I., als er 1498 mit der Formation einer eigenen Hofkapelle eine höfische Tradition und den Ruf Wiens als „Welthauptstadt der Musik“ begründete. In der Hoffnung, für das habsburgische Hausorchester engagiert zu werden, machten sich seither Musiker aus ganz Europa auf den Weg nach Wien, wobei anfangs zunächst die Italiener im wahrsten Sinne des Wortes den Ton angaben. Unter der Anleitung von Claudio Monteverdi, der zu Beginn des 17. Jh. („Orfeo“, 1607) mit der Oper eine neue Musikgattung kreiert hatte, und anderer namhafter italienischer Musiker hatte die Hofkapelle fortan aufwändig gestaltete Barockopern zu inszenieren. Anlässlich der Vermählung von Leopold I. wurde dafür eigens ein hofinternes Opernhaus mit 5.000 Plätzen gebaut. Es eröffnete 1667 mit der Uraufführung der von Marc Antonio Cesti komponierten Oper „Il pomo d’oro“, der viele weitere triumphal gefeierte italienische Opernvorstellungen folgten.
Nachdem das Musiktheater im Zuge der Zweiten Türkenbelagerung zerstört, 1709 durch das Kärntnertortheater ersetzt und 1741 um die Singbühne des frühen Burgtheaters ergänzt worden war, machten erstmals deutschsprachige Talente von sich reden und hören. Eines der ersten war Christoph Willibald Gluck, der 1754 dauerhaft nach Wien gezogen war und dort in den folgenden zwei Jahrzehnten seine Reformopern (z. B. „Orpheus und Eurydike“, 1762 oder „Alceste“, 1767) präsentierte. Obgleich diese Werke damals nur mäßigen Erfolg erzielten, sollten sie großen Einfluss auf die sog. Erste Schule der Wiener Klassik nehmen. Deren berühmtester Vertreter war Wolfgang Amadeus Mozart, der 1782 von Salzburg nach Wien übersiedelte, um sich dort als freier Komponist zu verdingen. Nicht zuletzt, weil der auf italienische Opern abonnierte kaiserliche Hofkapellmeister Antonio Salieri ihn misstrauisch beäugte, konnte sich Mozart mit seiner Musik in Wien zu Lebzeiten nicht dauerhaft durchsetzen. Gleichwohl ging das seinerzeit von Textdichter Emanuel Schikaneder geleitete Freihaustheater (später Theater an der Wien) 1787 mit Mozarts „Zauberflöte“ in die erste Spielzeit, wobei der Hausherr selbst das Libretto beisteuerte.
Anders als Mozart (gest. 1791) genoss sein
musikalischer Mentor und Freund
Joseph Haydn (1732–1809) sofort großes Ansehen. Der Schöpfer der
seinerzeit als Kaiserlied veröffentlichten deutschen Nationalhymne
tat sich in erster Linie mit Sinfonien, Klaviersonaten und
Kompositionen für Streichquartette hervor. Die beeinflussten nicht
nur das Werk von Mozart, sondern auch den jungen Ludwig van Beethoven, der 1797 vom Rhein an
die Donau zog und das berühmte Dreigestirn der Ersten Schule der Wiener Klassik komplettierte.
Als nächster Komponist von späterem Weltrang betrat Franz Schubert die musikhistorische Bühne
seiner Heimatstadt. Für die Komposition seiner Lieder hatte er dem
Volk aufs Maul geschaut und sich vom zeitgenössischen Wiener Lied
der Vorstadtheurigen inspirieren lassen. Dennoch blieben Schubert
und nach ihm die Romantiker Bruckner und Brahms der – wie man es
heute nennen würde – klassischen E-Musik verpflichtet. Die war seit
Beginn des 19. Jh. nicht mehr dem blaublütigen Publikum
vorbehalten, sondern in öffentlichen Konzerten gegen Entgelt zu
goutieren, weil nun auch wohlhabende Bürger als Mäzene auftraten.
Nach dem Vorbild Frankreichs und Englands, wo bereits Jahrzehnte
zuvor kommerzielle Konzertsäle ihre Pforten geöffnet hatten, wurde
1812 die Gesellschaft der
Musikfreunde gegründet. Der Musikverein kümmert sich bis
heute um die Organisation klassischer Musikveranstaltungen, zu
denen er bis zur Fertigstellung eines ersten eigenen Konzertsaals
in den 1830er Jahren in die beiden Hoftheater, aber auch in Salons,
Badesäle und Gasthäuser einlud. Angesichts der Nachfrage dieses
„neuen Marktes“ formierten sich mehrere klassische Berufsorchester,
darunter 1842 die berühmten Wiener
Philharmoniker.
Das musikalische Wien 2010 und 2011 stand bzw. steht ganz im Zeichen von Gustav Mahler. 1860 im böhmischen Kalischt geboren, kam Mahler 15-jährig nach Wien, um dort am Konservatorium Komposition und Klavier zu studieren. Nachdem er seit 1880 mit Sinfonien und Liedern, darunter z. B. die „Lieder aus des Knaben Wunderhorn“, reüssiert hatte, wurde er 1897 zum Dirigenten des Orchesters der Wiener Hofoper berufen. Er avancierte kurz darauf zu deren künstlerischem Direktor, leitete eine Opernreform ein, indem er die Oper erstmals als Gesamtkunstwerk aus Musik, Schauspiel, Bühnenbild und Licht deklarierte, und inspirierte die nächste Wiener Komponistengeneration, namentlich Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton von Webern. Obwohl die Hofoper unter seinen Fittichen einen enormen Aufschwung erlebte, geriet er in der zeitgenössischen Wiener Kulturszene zunehmend in die Kritik, worauf er 1907 seinen Hut und wenig später den Dirigentenstab an der Metropolitan Opera in New York in die Hände nahm. Als er bald darauf den Tod seiner Tochter zu beklagen hatte und selbst an einem Herzleiden erkrankte, kehrte er kurz vor seinem Tod am 18. Mai 1911 nach Wien zurück. Die Tochter stammte übrigens aus seiner 1902 geschlossenen Ehe mit der schönen Alma Mahler-Werfel (1879–1964), die als Femme fatale des Fin de Siècle galt. Sie hatte eine Affäre mit Walter Gropius, den sie später heiratete, bevor sie sich in dritter Ehe mit dem Dichter Franz Werfel verband. Anlässlich von Mahlers Geburts- und Todesjahr wurde bzw. wird in Wien mit Ausstellungen, Konzerten und Stadtrundgängen an den großen Wahlsohn erinnert, der auf dem Friedhof in Grinzing vis-à-vis von Tochter Maria und Alma Mahler-Werfel seine letzte Ruhe fand. (Wer in Wien auf Mahlers biografischen Spuren wandeln will, kann von der Website des WienTourismus die von Anna Ehrlich abgesteckte Mahler-Route herunterladen: www.wien.info.)
Gleichzeitig wurden immer mehr (Wahl-)Wiener Komponisten von der
leichten Muse geküsst, sodass die zweite Hälfte des 19. Jh.
als Goldene und das erste Drittel des
20. Jh. als Silberne Operettenära in
die lokale Musikgeschichte eingegangen sind. Nachdem Josef Lanner
und Johann Strauß Vater den Walzer
im Dreivierteltakt „erfunden“ hatten und Franz von Suppé 1860 mit
der Uraufführung der ersten Wiener Operette „Das Pensionat“
debütiert hatte, erfreuten und bewegten Carl Millöcker und
Walzerkönig Johann Strauß Sohn die
Wiener mit zahlreichen Operettenpremieren und Walzermelodien. Ihnen
folgten Franz Léhar, Emmerich Kálmán und Robert Stolz, deren
weltweit nachklingende Operetten „Die Lustige Witwe“ (Lehár), „Die
Csárdásfürstin“ (Kálmán) oder „Wiener Blut“ (Stolz) die Silberne
Ära repräsentieren.

Doch auch am Himmel der „klassischen E-Musik“ leuchteten seit dem Fin de Siècle wieder neue Sterne auf. Als Erster brillierte Gustav Mahler (siehe Kasten), dessen Lieder und Sinfonien gleichsam die Brücke zur Zweiten Wiener Schule schlugen, für die Arnold Schönberg, Alban Berg, Ernst Krenek und Anton von Webern stehen. Schönberg gilt als Pionier der Zwölftonmusik, einer neuen Kompositionstechnik, derer sich auch Berg und Krenek bedienten, die darüber hinaus durch den Inhalt ihrer Opern (z. B. Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“) von sich reden machten.
Als Kreneks Oper „Jonny spielt auf“, in der ein Farbiger die Hauptrolle spielte, am Silvesterabend des Jahres 1927 in der Wiener Staatsoper Premiere feierte, sammelten sich Nationalsozialisten und Deutschnationale zu Protestkundgebungen. Sie waren die Vorboten der fatalen politischen Entwicklung, die wenig später auch die Musik „gleichklingen“ und schließlich verstummen ließ. Während viele Wiener Musiker und Komponisten von den neuen Machthabern in die Flucht geschlagen oder gar ins KZ getrieben wurden, (be)hielten namhafte Kollegen, darunter Herbert von Karajan, Wilhelm Furtwängler oder Franz Léhar, in mehr oder minder kritischer Distanz zum System in Wien oder anderswo im nationalsozialistischen Deutschland die Stellung.
Obgleich Wien nach 1945 keine Komponisten von
Weltrang mehr hervorbrachte, konnte es dank seiner
traditionsreichen Musiktheater und Ausbildungsstätten,
hochkarätigen Orchester, Chöre und Solisten den Ruf als Metropole
der klassischen Musik behaupten und sich seit den 1980er Jahren
zudem als Aufführungsort von Musicals
(z. B. „Cats“, „Elisabeth“ oder „Phantom der Oper“)
profilieren.

Im selben Jahrzehnt setzte der 1957 in Wien geborene und 1998 in der Dominikanischen Republik tödlich verunglückte Popsänger und Deutschrapper Hans Hölzel alias Falco zu seinem kometenhaften Aufstieg an. Der postum zum Mythos verklärte Shootingstar eroberte mit Hits wie „Der Kommissar“ oder „Amadeus“ in Windeseile die europäischen und sogar die amerikanischen Charts und wird in seiner Heimatstadt durch regelmäßige Gedächtnisfeiern geehrt. Zu den Vertretern des Austropop zählen ferner die Liedermacher Wolfgang Ambros, Georg Danzer (gest. 2007) und Reinhard Fendrich, die bereits in den 1970er Jahren ihre Karrieren starteten und sich 1997 anlässlich einer Benefizgala zugunsten von Obdachlosen zur Gruppe Austria 3 zusammenfanden. Eigentlich nur für diesen einen Abend formiert, tourte das Trio danach mit großem Erfolg durch österreichische und deutsche Lande.
Politisch und sozial engagiert ist auch „Altrocker“ Kurti Ostbahn alias Willi Resetarits, der im wahrsten Sinne des Wortes als Integrationsfigur der Wiener Musikszene gelten kann. Der 2003 als Musiker in Pension gegangene und danach ins literarische Fach gewechselte Vater des 1995 eröffneten Wiener Integrationshauses (für Flüchtlinge) sang und spielte seit 1969 in unterschiedlichen Formationen und als Solist. Gesellschaftskritisches lassen auch der singende Universalkünstler André Heller, Marianne Mendt und das Wiener Urgestein Georg Kreisler verlauten, der mit seinen satirisch-bissigen Adaptionen des guten alten Wiener Liedes seit Jahrzehnten eine treue Fangemeinde um sich schart. Ebenso wie Kreisler, der nach gut 30 Jahren „Exil“ unterdessen wieder in Österreich (Salzburg) lebt und 2009 seine Memoiren publiziert hat, hatte auch Joe Zawinul 1959 seiner Heimatstadt den Rücken gekehrt und in den USA als Jazzmusiker Weltkarriere gemacht. 2004 kam er wieder und eröffnete in Wien einen Club namens „Joe Zawinuls Birdland“, bevor er schon im September 2007 auf dem Zentralfriedhof seine letzte Ruhe fand. Wien widmete seinem großen Sohn, dessen Club knapp ein Jahr nach seinem Tod Konkurs anmeldete, jüngst einen Park (mit Gedenkstein in Gestalt einer Klaviertastatur) im dritten Gemeindebezirk Landstraße, wo Zawinul 1932 als Sohn eines Arbeiters geboren und aufgewachsen war .
Mit der Eröffnung der „Electric Avenue“ im Museumsquartier, einigen Techno-Clubs und dem Tanzquartier Wien hat sich die „Welthauptstadt der Musik“ schließlich auch noch als Metropole der elektronischen Musik bzw. des modernen Tanzes etabliert.