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Kapitel 26

Auf der Fahrt zu den Greenfields berichtete ich Pépé von der Flasche Wein, die Mac für die Auktion gespendet hatte.

»Als mich Eli und Sunny am Sonntag baten, mich mal umzuschauen und zu sehen, was gestohlen wurde, dachte ich noch: Es ist doch seltsam, dass keine Flaschen auch nur ein Stück aus den Regalen herausgezogen worden sind«, sagte ich. »In dem Moment fragte ich mich, ob es vielleicht daran lag, dass der Dieb oder die Diebe Jacks Keller kannten – und ich ging davon aus, dass Nicole wahrscheinlich daran beteiligt war.«

»Jetzt glaubst du es nicht mehr?«, fragte Pépé.

»Jetzt glaube ich zu wissen, was geschehen ist. Nicole und Shane waren Partner – er kennt diesen Keller in- und auswendig. Mac sagte mir, Shane habe ihm die Flasche Latour vor ungefähr einem Monat gegeben. Vielleicht hat Shane Wein aus Jacks Keller gestohlen, als er dort Inventur machte. Da er die Datenbank pflegt, kann er dafür sorgen, dass der Bestand immer stimmt. Außerdem besitzt Jack dreißigtausend Flaschen. Das ist eine Menge Wein.«

»Warum dann aber ein Einbruchsdiebstahl, wenn er unbehelligt Wein stehlen konnte, ohne erwischt zu werden? Oder es jedenfalls so lange konnte, bis du den Zusammenhang mit dem Latour hergestellt hast«, sagte Pépé.

»Vielleicht hat Nicole Shane angestachelt, es zu tun«, sagte ich. »Obwohl ich nicht glaube, dass sie während des Einbruchs hier war. Das Abendessen mit Mick dauerte bis neun Uhr, und danach fuhr sie für den Rest der Nacht rüber zu Quinn. Er sagte, sie sei ungefähr zwischen zehn und halb elf eingetroffen.«

»Und zwischen neun und zehn?«

»Sunny wusste nicht, wann der Einbruch stattgefunden hat. Sie wusste nur, dass es nach Mitternacht war, als sie Jack suchte. Zu dem Zeitpunkt hat sie ihn bewusstlos im Weinkeller gefunden – allein. Er kann frühestens nach elf Uhr dorthin gegangen sein, denn sie ging ins Bett und ließ ihn noch die Nachrichten sehen.«

»Vielleicht kam Nicole nur vorbei, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war«, sagte Pépé. »Danach fuhr sie zu Quinn.«

Ich runzelte die Stirn. »Konnte sie das in einer Stunde schaffen? Von Mick zu Jack und dann zu Quinn fahren?«

»Sie kann Shane irgendwo anders getroffen haben. Oder ihn angerufen haben.«

»Du weißt doch, dass ihre Liaison beendet war. Ich glaube, Nicole war es, die Schluss gemacht hat. Der Zeitpunkt erscheint mir merkwürdig.«

Pépé lächelte. »Dir vielleicht, aber ich vermute, sie ließen sich durch ihre Gefühle nicht davon abhalten, gemeinsam ein Verbrechen zu begehen.«

»Oder die Gefühle kamen ihnen doch in die Quere, und Shane brachte Nicole nach dem Einbruch um«, gab Lucie zu bedenken.

»Lucie«, sagte er, »wir sollten mit all dem wirklich zum Sheriff gehen.«

»Das tun wir ja auch, nachdem ich festgestellt habe, ob in Jacks Keller eine Doppelmagnumflasche Latour fehlt.«

»Wie willst du das denn anstellen? Soviel ich weiß, hattest du nicht vor, irgendwelche so genannte Unterlagen bei Sunny abzuliefern.«

»Natürlich habe ich das vor. Das ist der Grund, weshalb wir dorthin fahren. Und es sind keine so genannten Unterlagen«, sagte ich. »Es ist die Vorlage für das Titelblatt des Auktionskatalogs. Wir benutzen eines von Mamas Gemälden des Weinguts. Sunny kümmert sich darum, dass der Katalog gedruckt wird, daher braucht sie es.«

Pépés Gesichtszüge wurden weich. »Kann ich mal sehen, welches Bild du ausgewählt hast?«

Ich langte nach hinten auf den Rücksitz und griff nach der Mappe. Die Fotografie des Ölgemäldes, eines meiner Lieblingsbilder, zeigte das Weingut im Herbst. Es war eine ihrer letzten Arbeiten, aus einer Periode, in der sie mit kräftigen, leuchtenden Farben und in eher impressionistischem Stil experimentierte.

Er starrte einen Moment darauf und klappte die Mappe zu. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Wie willst du es anstellen, dich im Weinkeller umzuschauen? Du kannst Sunny nicht sagen, was du vorhast.«

»Natürlich kann ich das. Ich komme mit meiner Geheimwaffe. Mit dir. Mit deinem Charme wirst du sie um den Finger wickeln.«

Er lächelte flüchtig. »Selbst wenn du recht haben solltest, dann beweist das noch lange nicht, dass Shane den Wein gestohlen hat. Oder dass Nicole etwas damit zu tun hatte.«

»Viele Leute, die wir kennen, kaufen Wein von Shane über seine Auktionen und seine Futures. Mac hat nie auch nur eine einzige Flasche Wein gesehen, die er gekauft hat. Was, wenn das Ganze lediglich ein Schwindel ist? Ein Schneeballsystem?«

»Lucie.« Pépé schüttelte den Kopf. »Ich sage dir, das ist gefährlich. Nicole wurde ermordet, und diese andere Frau starb, weil jemand an ihrem Auto herumgeschraubt hat. Schau dir den Weinkeller an, wenn du es unbedingt tun musst, aber danach sollten wir mit deinem Freund Bobby reden. Die Sache ist zu groß für uns.«

Ich bog in die Auffahrt der Greenfields ein. Die Sonne war endlich herausgekommen, und am Himmel zeigten sich Wolkenfelder. Ich bremste und parkte vor dem Haus.

»Sieht so aus, als seien beide weg«, sagte ich. »Keine Autos.«

»Vergiss deine Mappe nicht.« Pépé gab sie mir, während wir aus dem Wagen stiegen. »Wenn du gekommen bist, um über die Auktion zu reden, solltest du deine Unterlagen bei dir haben.«

»Da ist was dran.« Ich klingelte an der Haustür. »Ich glaube nicht, dass jemand zu Hause ist. Vielleicht sollten wir es beim Weinkeller versuchen.«

»Lass uns zuerst etwas gründlicher nachsehen. Ich gehe hintenherum. Du wartest hier für den Fall, dass doch jemand da ist«, sagte Pépé.

Er verschwand, und ich spähte durch eines der Seitenfenster. Im Haus bewegte sich nichts.

»Lucie!« Pépé gab mir Zeichen, ihm zu folgen. »Schau dir das mal an.«

Ein Gatter, an dem sich Winden emporrankten, markierte die Begrenzungen ihres fast ein Morgen großen Gartens. Es gab eine gepflasterte Terrasse, auf der die Gartenmöbel immer noch draußen standen, und einen kleinen Teich mit einer Trauerweide entlang der Grundstücksgrenze nahe dem Weg zu dem Haus, in dem sich der Weinkeller befand. In der Teichmitte schwamm irgendein großer, weißer Klumpen wie ein plumpes Seerosenblatt.

»Was ist das?«, fragte ich. »Sieht aus wie Papier.«

»Das ist Papier. Warte mal eben.« Pépé ging zum Grillplatz auf der Terrasse und nahm eine lange Fleischgabel und einen großen Metallspachtel, die am Grill hingen.

Er gab mir den Spachtel. »Mal sehen, ob wir herausfinden können, was es damit auf sich hat.«

Wir planschten mit unseren Werkzeugen wie kleine Kinder im Wasser und wirbelten es auf, bis die Papiermasse schließlich in Reichweite kam. Pépé spießte sie mit der Gabel auf, doch schon jetzt war mir klar, dass es Weinetiketten waren. Eine Menge Etiketten.

»Alles Château Dorgon«, sagte ich. »Glaubst du, dass die Flaschen im Teich liegen?«

»Das wäre logisch. Wer das hier getan hat, hat nicht bedacht, dass sich der Klebstoff auflöst und die Etiketten an die Wasseroberfläche steigen.«

»Aber weshalb den Wein hier abladen? Warum wurde er nicht getrunken oder ausgekippt, wenn man ihn loswerden wollte?«, fragte ich.

»Weil jemand ihn gar nicht loswerden wollte. Sie wollten ihn nur für einige Zeit verstecken«, sagte er.

»Sunny erzählte mir, Valerie habe Jacks Vater beschuldigt, den Franzosen Wein gestohlen zu haben, als er während des Kriegs in Bordeaux stationiert war«, sagte ich. »Sunny erzählte aber auch, es sei genau umgekehrt gewesen. Jacks Vater habe sein Leben riskiert, um den örtlichen Weingut-Besitzern zu helfen. Glaubst du, dass Valerie recht hatte – dass dieser Wein während des Krieges im Château Dorgon gestohlen wurde und dass Jack die ganze Zeit für seinen Vater gelogen hat?«

»Möglich ist aber auch, dass Jack die Wahrheit erzählt hat, wie er sie kannte«, sagte Pépé. »Vielleicht glaubte er, dass sein Vater den Franzosen wirklich geholfen hat. Dann tauchte Valerie auf und präsentierte eine völlig andere Geschichte, die sich ganz und gar nicht so nobel anhörte. Du weißt, einige Weingut-Besitzer wurden in Konzentrationslager geschickt.«

»Mein Gott! Und wenn er wirklich etwas dergleichen getan hat und Valerie dahintergekommen ist und Jack mit Erpressung gedroht hat, was dann?«, fragte ich. »Hat er dann an ihrem Auto herumgebastelt, oder hatte er jemanden, der es für ihn getan hat?«

»Möglich.«

Ich deutete auf die Etiketten. »Aber Jack würde diesen Wein nicht verstecken. Wenn er die Wahrheit erfahren hätte, würde er ihn vernichten wollen. Das hier hat jemand anderes getan.«

»Möglicherweise Shane«, sagte Pépé. »Oder vielleicht Sunny?«

»Sunny? Meinst du?« Ich starrte ihn an. War es womöglich das gewesen, worüber Shane und Sunny an jenem Tag gesprochen hatten, als ich sie zusammen beim Point-to-Point-Rennen getroffen hatte? »Komm! Lass uns versuchen, in den Weinkeller zu kommen.«

»Ich denke, wir sollten uns da mal umschauen.«

Ein mit Schieferplatten ausgelegter Pfad, der von Azaleen und Rhododendren gesäumt war, führte vom Teich zu dem kleinen Gebäude. Die Tür war immer noch nicht repariert worden, und an der Haspe hing ein neu wirkendes Vorhängeschloss. Ich zog daran. Abgeschlossen.

»Gib mir die Büroklammern von den Papieren aus deiner Mappe«, sagte Pépé. »Ich mache es auf.«

»Du willst das Schloss knacken?«

»Hast du eine bessere Idee?«

»Nee. Ich hatte nur nicht gedacht, dass du weißt, wie man das macht.«

»Ich werde es dir irgendwann mal beibringen«, sagte er. »Das ist gar nicht so schwer.«

Er bog eine der beiden Büroklammern im Neunzig-Grad-Winkel auf.

»Kannst du das mal bitte halten?« Er gab sie mir, bog die zweite Klammer auf und knickte diese in der Mitte zusammen.

Ich beobachtete, wie er sie in das Schlüsselloch stieß und sein Ohr an das Schloss legte. Während er an der Büroklammer wackelte, bewegte er seine Zunge von einer Seite zur anderen, als folge diese dem Zickzackkurs entlang den Schlossstiften.

Nach kurzer Zeit sagte er: »Gib mir bitte die andere Klammer.«

Ein paar Sekunden später zog er am Schloss, und es ging auf.

Ich rollte die Augen, als ich das zufriedene Lächeln auf seinem Gesicht sah. »Ladies first«, sagte er. »Aber lass uns schnell machen. Dies ist ein Einbruch. Schau dich um, und danach nichts wie weg hier.«

Ich knipste das Licht an, und Pépé stieß einen Pfiff aus. »Nicht schlecht, was?«, sagte ich.

»Da hat einer aber mächtig Geld hingelegt.«

»Da! Die Washington-Flasche!«, sagte ich. Sie stand abgesondert in einer kleinen Nische über der Bar, erfasst vom sanften Licht eines Punktstrahlers mit geringer Wattleistung. »Dann hat Nicole sie also doch nicht bekommen. Ich schätze, Jack oder Sunny haben sie nach dem Einbruch hierhergebracht.«

»Lass uns mal sehen, wo du den Latour gefunden hast«, sagte Pépé. »Und danach sollten wir verschwinden, denke ich.«

Die kleinen, glitzernden Punktstrahler, die ihr Licht auf die Wände und den Schieferboden warfen, ließen den Ort unangenehm theatralisch wirken. Wir gingen die freistehenden, nach Größe geordneten Gestelle entlang zu den Wandregalen mit ihren vom Boden bis zur Decke reichenden Ablagen, in denen sich die Weinflaschen befanden. Ich führte Pépé durch die schier endlosen, labyrinthartigen Reihen, bis wir zu den Bordeaux-Weinen kamen. Die Doppelmagnumflaschen befanden sich an einem gesonderten Ort, da sie nicht in die Standardregale passten.

Ich zeigte auf eine leere Stelle neben einer Doppelmagnumflasche Latour. »Ich wette, Shane hat sie von hier genommen.«

»Okay«, sagte er. »Jetzt gehen wir zum Sheriff.«

Das Geräusch der zuschlagenden Eingangstür – durchdringend, als sei sie von einem Windstoß erfasst worden – ließ mir das Herz in die Hose rutschen. Pépés und mein Blick trafen sich, und er legte einen Finger auf die Lippen.

»Bleib hier«, flüsterte ich. »Wahrscheinlich ist es Jack oder Sunny. Ich sage, die Tür sei offen gewesen, und ich wollte mit ihnen über die Unterlagen für die Auktion reden.«

Ich ging um die Ecke und trat in den Lichtkegel eines kleinen Scheinwerfers.

»Sieh mal einer an! Was machst denn du hier, Lucie?«

Shane Cunningham stand im Eingang, gekleidet, als komme er gerade vom Reiten. Er trug ein Jagdgewehr und schien wenig erfreut darüber zu sein, mich zu sehen.