Logo-Merlot.jpg

Kapitel 11

Ich nahm noch mehr Ibuprofen und legte mich vor dem Treffen mit Amanda ein paar Stunden hin. Als ich aufwachte, hatten meine Kopfschmerzen nachgelassen, nicht jedoch mein Ärger. Ich war immer noch überzeugt davon, dass Valerie Beauvais etwas mit Jacks Entscheidung zu tun hatte, den Washington-Wein zurückzuziehen. Doch ich wusste nicht, wie oder warum. Und dann war da noch Nicole Martin und ihr Kunde mit Taschen voller Geld. Es heißt, jeder habe seinen Preis. Ich fragte mich, wo dieser bei Jack lag. Wenn Nicole ihm den Mond und die Sterne für diese Flasche bot, würde Jack dann das hoch geschätzte Erbstück seiner Familie verkaufen und einen gewaltigen Reibach machen – oder würde er sie behalten, wie er mir gesagt hatte?

Amandas Range Rover stand schon in Micks Auffahrt, als ich dort ankam, und ich parkte dahinter. Obwohl Mick und ich eine gemeinsame Grundstücksgrenze teilten, besaßen wir zusammen doch mehr als vierhundert Hektar Land, und daher war es nicht so, als könnten wir uns mal eben den Zuckertopf über den Gartenzaun reichen. Zwischen der Einfahrt zu meinem Grundstück und seinem lagen etwa anderthalb Kilometer.

Im Unterschied zu meinem Anwesen, das immer eine landwirtschaftlich genutzte Farm gewesen war, erinnerte mich Micks Gut mit seinen parkähnlichen Außenanlagen an ein englisches Herrenhaus. Tulpen-Magnolien und Hartriegel säumten die Privatstraße zu seinem Haus. Im Frühling blühten zwischen den Bäumen Reihen von Osterglocken und Tulpen. Der vorherige Besitzer hatte an allen Bäumen, die die geometrisch angelegten Gärten umgaben, Tafeln mit Informationen über deren Heimat aufstellen lassen. Mick hatte Kontakt mit dem Gärtner aufgenommen, der dies getan hatte, und ihm einen Job angeboten. Danach hatte er Sunny Greenfield gebeten, das Haus zu renovieren, und er hatte ihr dabei freie Hand gelassen, sodass er sich auf seine wirkliche Leidenschaft konzentrieren konnte – das Herrichten und Erweitern der ausgedehnten Stallanlagen. Außerdem hatte er das Anpflanzen von mehr als zehn Hektar Wein überwacht.

Bevor Mick nach Virginia gezogen war, hatte er Dunne Pharmaceuticals besessen, ein in Florida ansässiges Familienunternehmen, das er zu einem internationalen Mischkonzern ausgebaut und dann in einem Deal verkauft hatte, der die Titelseiten der führenden Wirtschaftszeitungen beherrscht hatte. Selbst wenn er zwei Leben lang keinen Finger mehr rühren würde, wäre er immer noch reicher als König Midas. Ich fragte mich, wie jemand, der derart ruhelos war, damit zufrieden sein würde, Vollblüter in Rennen zu schicken und sich mit dem Anbau von Weinreben zu beschäftigen. Oft hatte ich mich auch gefragt, was ihn wohl mehr faszinieren mochte: die romantische Idee eines Gentleman-Farmers in Virginia oder das tatsächliche Leben als solcher, der eines Tages aufwachen und feststellen würde, dass es ihn langweilte?

Eine Hausangestellte empfing mich an der Tür. »Mr. Dunne hält sich in den Ställen auf, Miss. Er bittet Sie, dort vorbeizuschauen, wenn Ihr Treffen mit Mrs. Heyward beendet ist. Sie wartet im Salon auf Sie. Sie kennen ja den Weg.«

Ich kam an einer gewaltigen silbernen Blumenvase mit mehreren Dutzend roten und weißen Rosen vorbei. Falls die englische Königin jemals auf einen Tee vorbeikommen sollte, würde sie sich sofort wie zu Hause fühlen. Sunny hatte an der Renovierung des Hauses bis zum Umfallen gearbeitet, und Mick hatte ihr bei den Ausgaben keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis war für meinen Geschmack zu bombastisch, doch Mick gefiel diese Art imposanter freiherrlicher Pracht, er schwelgte geradezu darin.

Den Salon hatte ich noch nicht gesehen, nachdem Sunny mit der Umgestaltung in männlichen Farbtönen Rostbraun und Königsblau fertig war. Perserteppiche bedeckten den Boden und betonten die prächtigen europäischen und amerikanischen Antiquitäten. Die Kunstgegenstände sahen aus, als hätte Sunny die Schätze eines führenden Museums ausgeliehen.

Amanda stand neben dem Kamin und starrte auf ein Porträt von George Washington. Als lässige Jagdkleidung trug sie Tweedblazer, Seidenbluse und enge Jeans. Ich stellte mich neben sie.

»Dieses Gemälde«, sagte ich, »ist das nicht …«

Sie nickte. »Ja. Gilbert Stuart.«

Vielleicht hatte Sunny es wirklich von einem Museum ausgeliehen. »Woher hat Mick es?«

»Sunny wollte es nicht sagen. Aber Mick hat einen Haufen Geld dafür hingeblättert. Wusstest du, dass Stuart über hundert Porträts von Washington gemalt hat? Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele davon gibt.«

»Ich auch nicht. Das hier ist fantastisch.«

»Deshalb möchte ich ja auch, dass die Auktion hier im Haus stattfindet und nicht in einem Zelt. Dieser Ort ist wundervoll.«

»Vielleicht ist das Zelt gar kein Problem mehr.«

»Wie meinst du das?« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Stimmt etwas nicht?«

»Wollen wir uns nicht setzen?«

Wir nahmen auf einem großen Rattansofa Platz, das mit einem kürbisfarbenen Brokatstoff bezogen war. Amandas übervoller Terminkalender und ihre Aktenmappe im Paisley-Muster, jetzt gefüllt mit jeder Menge Papieren, lagen auf dem Couchtisch.

»Jack Greenfield zieht die Washington-Flasche aus der Auktion zurück.«

Amanda schlug eine Hand vor den Mund, als würde ihr schlecht. Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, wirkte sie untröstlich. »Sunny hat kein Sterbenswörtchen davon erwähnt. Eben noch war ich mit ihr bei den Hundezwingern.«

»Vielleicht hat er es ihr nicht gesagt.«

»Mist!«

»Das kann man wohl sagen.«

»Warum hat er das getan?« Sie nahm die Mappe und öffnete sie. Dann machte sie sie wieder zu. »Verdammt, das kann er nicht tun!«

»Er kann es, und er hat es getan. Stattdessen gibt er uns eine Doppelmagnumflasche Château Pétrus.«

Sie machte ein Gesicht, als hätte ich gesagt, er habe uns eine Flasche Schierling angeboten. »Dieser Washington-Wein war die Hauptattraktion der Auktion. Ohne ihn können wir froh sein, wenn wir das Gäste-WC mit Besuchern füllen können.«

»Ich habe versucht, mit ihm zu reden, aber er ist fest entschlossen«, sagte ich. »Wir müssen irgendwie damit leben. Und wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir die Leute darüber informieren, dass die Flasche nicht mehr versteigert wird.«

Amanda ließ sich ins Sofa zurückfallen. »Das können wir nicht! Ich habe mit Gott und der Welt telefoniert und E-Mails ausgetauscht und mich mit diesem Wein gebrüstet, verdammt noch mal! Wir stehen doch wie die letzten Deppen da, wenn wir jetzt sagen: Hallo, wissen Sie was?«

»Noch dummer aber stehen wir da, wenn die Leute kommen, und wir haben nichts zu bieten«, sagte ich. »Ganz zu schweigen davon, wie wütend sie dann sind. Die glauben doch, wir hätten sie unter falschem Vorwand hierher gelockt.«

Sie schaute mich zornig an. »Mein Gott, was für eine Schweinerei! Hast du es Ryan schon erzählt?«

»Ich habe es niemandem erzählt. Nicht einmal Quinn.«

»Quinn.« Sie warf den Kopf zurück. »Ich habe da gerüchtweise etwas über ihn gehört.«

»Aha.«

»Ich hörte, Shane Cunninghams brandneue Flamme sei Quinns Exfrau.«

»Das ist lange her.« Zumindest wusste sie nicht, dass er betrunken zur Arbeit erschienen war.

»Und vor kurzem hat er in Leesburg fürchterlich getrunken. Hat sich total volllaufen lassen.«

»Wir kommen vom Thema Auktion ab«, sagte ich. »Quinns Liebesleben ist seine Privatsache.«

Amanda kniff die Augen zusammen. »Liebesleben? Ich dachte, sie wären geschieden. Willst du damit sagen, dass er seine Ex immer noch liebt? Wie interessant.«

»Kein Kommentar. Können wir wieder auf die Auktion zu sprechen kommen? Ich glaube nach wie vor, dass wir es den Leuten mitteilen müssen.«

»Lass mich erst mit Sunny reden, bevor wir irgendetwas unternehmen. Vielleicht schafft sie es, dass Jack es sich noch einmal überlegt.«

Sunny und Amanda waren eng befreundet. Was hatten wir auch zu verlieren?

»Viel Glück!«, sagte ich. »Er will, dass ich ihm die Flasche morgen Abend zu ihm nach Hause bringe. Könntest du vorher mit Sunny reden?«

»Oh, mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Sobald ich von hier weg bin, mache ich mich auf den Weg zu ihr.«

Zusammen gingen wir nach draußen. Amanda holte ihre Autoschlüssel hervor. »Ich lasse dich vor mir rausfahren«, sagte sie.

»Ich, eh, bleibe noch eine Weile hier.«

Sie lächelte. »Ach ja? Triffst du Mick? Seid ihr beide noch zusammen?«

»Er bat mich, bei den Ställen vorbeizuschauen, das ist alles.« Ich hoffte, sie würde es dabei bewenden lassen, doch ich lief rot an.

»Er ist kein schlechter Fang.« Sie stieg in ihren Range Rover. »Ich hörte, du wärst neulich hart geblieben, als die Orlandos dich gebeten haben, dein Grundstück für die Fuchsjagd zu sperren. Die haben vielleicht Nerven! Schön von dir, dass du ihnen gesagt hast, sie sollen sich zum Teufel scheren.«

Gab es irgendetwas über mich, das Amanda nicht wusste? So war das nun mal in einer kleinen Stadt, wir lebten hier auf dem Präsentierteller – obwohl das auch bedeutet, dass sich die Leute umeinander kümmerten. Nachbarn, die einfach vorbeikamen, um beim Umgraben des Gartens zu helfen, einen Baum zu fällen, das Auto aus einer Schneewehe zu ziehen oder etwas zu essen vorbeizubringen, weil jemand krank war. Ich wusste, dass ich nie in einer großen Stadt leben könnte, wo mir mein nächster Nachbar völlig fremd bleiben würde. Vielleicht war dies das Problem mit den Orlandos. Sie unterschätzten die Bindungen zwischen Familien, die hier schon vor dem Bürgerkrieg gelebt hatten.

»Ich mag es nicht, wenn man mich unter Druck setzt«, sagte ich.

Sie ließ den Motor an. »Was haben sie gesagt?«

»Was glaubst du?«

Amandas Blick wanderte zu meiner Krücke hinab. »Du bist genau wie deine Mutter, Lucie. Auch sie hatte Mumm in den Knochen.«

Sie fuhr davon, und ich ging zu den Ställen. Selbst wenn Amanda Sunny davon überzeugen konnte, mit Jack zu reden, glaubte ich nicht, dass er seine Absichten bezüglich des Washington-Weins ändern würde. Tatsächlich glaubte ich immer weniger, dass er mir den wahren Grund genannt hatte, weshalb er ihn zurückhaben wollte.

Der Wind hatte tagsüber gedreht und für kältere Luft gesorgt, die dem Himmel zu einem Coelinblau verhalf, wie ich es seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Die Hitze des Altweibersommers hatte sich für immer verabschiedet.

Ich liebte die wohlgeordnete Gelassenheit, die ich jedes Mal spürte, wenn ich Micks Ställe mit ihrem angenehmen Geruch nach Heu und Leder betrat. Seine Pferde führten ein reglementiertes Leben – vor allem jene, die noch ausgebildet wurden. Dennoch entschieden letzten Endes die Tiere, was sie zu tun bereit waren, und die Trainer waren klug genug, sie nicht zu irgendetwas zu zwingen. Micks Zucht umfasste Vollblüter, die er bei Rennen starten lassen wollte, einige Pferde für die Fuchsjagd und zwei Koppeln mit Poloponys. Für ihre Pflege hatte er einen Mitarbeiterstab von sechs Stalljungen und Trainern, die Tommy Flaherty, dem irischen Cheftrainer, unterstellt waren. Mick und Tommy hatten den gesamten Frühling und Sommer damit verbracht, die Renovierung von Scheunen, Ställen, Koppeln, Offenställen und Weiden zu überwachen, daneben das Anstreichen kilometerlanger Gatter, die das Land wie ein gigantisches Schachbrett unterteilten. Nachdem die Arbeiten jetzt beendet waren, sah das Ganze überwältigend aus.

Während ich zum Hauptstall ging, schaute ich auf die Uhr. Kurz nach halb fünf. Fütterungszeit. Für die Monate, in denen die Vollblüter trainiert wurden, hatte Tommy bestimmt, dass die Scheunen erst nach vier Uhr betreten werden durften.

»Diese Pferde sind Athleten«, hatte er mir einmal mit seiner melodischen Stimme erklärt. »Sie trainieren hart, Schätzchen, und sie brauchen ihr Nickerchen. Ich lasse nicht zu, dass sie irgendjemand dabei stört.«

Als Erstes besuchte ich mein Lieblingspferd – Black Jack –, einen Vollblüter, dessen glänzendes Fell seinem Namen alle Ehre machte. Sein Futterkübel sah noch voll aus, dennoch kam er zum Stallfenster, schnüffelte an meiner Hand und wartete auf einen Leckerbissen, als ich ihn rief. Einer der Stalljungen holte eine Mohrrübe aus der Tasche und gab sie mir.

»Haben Sie auch Äpfel?«, fragte ich. »Er liebt Äpfel.«

»Wenn Sie ihm einen Apfel geben, sabbert er sich voll. Er ist gerade erst gestriegelt worden.«

»Tut mir leid, Kumpel«, sagte ich zu Black Jack. »Du hast gehört, was der Mann gesagt hat.«

»Und was war das?«

Ich wirbelte herum. Da stand Mick und schien sich zu amüsieren.

»Dass Äpfel für Black Jack verboten sind.« Ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. Ich hätte die Hausangestellte bitten sollen, ihm auszurichten, dass ich nach dem Treffen mit Amanda zum Weingut zurückkehren musste. Ich hätte nicht hierherkommen sollen.

»Für die hübsche junge Dame machen wir eine Ausnahme, nicht wahr, Jackie-Boy?« Mick nickte dem Stalljungen zu, der abzog, um einen Apfel zu holen. »Nach diesem schmutzigen Apfel werden wir dich wieder schön machen, was?« Er rieb Jack die Nase, während mir der Stalljunge den Apfel gab.

»Wie war dein Treffen mit Amanda? Sie zieht diese Auktion wie eine blutige militärische Operation durch«, sagte er.

Ich hielt Black Jack den Apfel hin. Ganz Gentleman, der er war, vermied er es, an meinen Fingern zu knabbern, während er seinen Leckerbissen mit entblößten Zähnen und einem Funkeln seiner hübschen feucht-braunen Augen genoss.

»Jack Greenfield hat heute Nachmittag beschlossen, die Washington-Flasche zurückzuziehen. Er will sie behalten«, sagte ich.

Mick fuhr dem Pferd mit der Hand den Hals hinunter und begutachtete es. »Tut mir leid, das zu hören, aber es macht Sinn. Der wahre Wert dieser Flasche ist außerirdisch. Ich bin sicher, Jack hat das erst so richtig begriffen, seit sie dermaßen viel Aufsehen erregt.«

»Für mich macht das überhaupt keinen Sinn. Und auch nicht für die behinderten und obdachlosen Kinder, die dabei den Kürzeren ziehen.«

Er hörte auf, Black Jack den Hals zu tätscheln, und sah mich an. »Tut mir wirklich leid, dass du so wütend bist, aber du denkst mit dem Herzen, Lucie. Jack ist Geschäftsmann. Ich hätte es genauso gemacht.«

»Dann seid ihr eben beide Zyniker.« Ich ging zur Sattelkammer, stützte mich auf meine Krücke und suchte nach einem Tuch, mit dem ich mir den Saft des Apfels von der Hand wischen konnte.

Als ich zurückkam, zog mich Mick an sich und strich mir eine Locke aus den Augen. »Ich bin kein Zyniker, ich bin Realist. Iss heute mit mir zu Abend. Ich koche für uns. Du wirst geblendet sein von meinen kulinarischen Künsten.«

»Nein.« Ich wollte nicht, dass er mit mir flirtete, während ich wütend war. »Nein, danke!«

»Hast du schon anderweitige Pläne fürs Abendessen?« Er hielt mein Kinn mit beiden Händen fest, sodass ich nicht wegschauen konnte. »Ich denke nicht. Also abgemacht! Du isst bei mir. Neulich Abend habe ich mich scheußlich benommen, und ich möchte es wieder gutmachen.«

»Mick …«

»Bitte!« Seine Stimme in meinem Haar war weich. »Sag einfach Ja.«

Ich wusste, dass ich es bereuen würde. »Na gut«, sagte ich. »Ja.«

Ich machte mit ihm die Runde durch die Ställe, ehe wir zum Haus zurückgingen. Unsere letzte Station war der Stall für die Deckhengste und die Unterkunft von Dunne Gone, ein Fohlen mit weißer Blesse auf der Stirn. Tommy war gerade dabei, das Stroh mit einer Forke aufzulockern und den Stall auszumisten, als wir kamen.

»Hältst du ihr Sprunggelenk im Auge?«, fragte Mick.

»Doc Harmon kommt hier morgen als Erstes vorbei, wenn er seine tägliche Runde macht.«

»Gut. Der Hufschmied soll auch kommen. Er muss Casbahs hintere Hufe erneuern.«

»Habe mich bereits drum gekümmert.«

Mick nickte. »Bis morgen dann, Tommy.«

»Gute Nacht, Sir. Auf Wiedersehen, Miss Montgomery.«

Hand in Hand gingen wir zum Haus zurück. »Casbah wird am Samstag beim Point-to-Point-Rennen starten«, sagte Mick.

»Zusammen mit einer meiner anderen Stuten. Ich fände es schön, wenn du kommen würdest. Amanda wird wie üblich für Stimmung sorgen. Wir könnten uns dort treffen.«

Ich wusste – obwohl er es nicht sagte –, dass er davon ausging, dass seine Pferde das Point-to-Point-Rennen gewinnen würden, und das sollte ich mir ansehen.

»Ich bringe meinen Großvater mit«, sagte ich. »Er ist zu Besuch aus Paris gekommen. Ich glaube, du wirst ihn mögen.«

Wir hatten die Terrasse neben dem Swimmingpool erreicht. Wenn ich im letzten Frühling hier gewesen war, hatten er und ich viele Abende damit verbracht, von dieser Stelle aus die wunderschönen Silhouetten der Pferde zu betrachten, bis die Sonne hinter den Blue Ridge Mountains unterging und langsam Dunkelheit aufzog. Wenn ein Pferd ein Siegertyp ist, dann zeigt es das. Selbst aus der Ferne hatte ich die majestätische Eleganz von Micks Pferden erkennen können. Sie kannten ihre Bestimmung und wussten, was von ihnen erwartet wurde. Nachdem es jetzt kühler wurde, hatten Mick und Tommy die Routine der Pferde geändert, sodass sie nun die Tage draußen und die Nächte im Stall verbrachten. Heute Abend fehlte es mir, sie zu sehen.

Micks Hausangestellte hatte das Abendessen bereits vorbereitet – Steaks, junges Gemüse und ein Salat für uns beide. Mick musste nur noch alles untereinandermischen.

Ich betrachtete die Teller und das Besteck, das schon auf einem Silbertablett bereitlag. »Wann soll ich von deinen kulinarischen Künsten geblendet werden?«, fragte ich. »Wenn du den Tisch deckst oder wenn du das Zellophan von diesem umwerfenden Salat nimmst?«

Er grinste. »Wenn ich den Wein öffne. Komm! Ich habe da etwas, was du unbedingt probieren musst. Shane hat mir ein paar davon besorgt.«

Auf der Anrichte im Salon standen auf einem anderen Tablett eine Flasche Gevrey-Chambertin und zwei Biot-Weingläser. Ein Burgunder, diesmal von einem grand-cru-Weingut aus einem Gebiet in Frankreich, das als Côte d’Or bezeichnet wird – die Goldküste. Es würde sein, als trinke man Seide und Samt zusammen.

Ich sah ihm zu, wie er die Flasche entkorkte. »Dein Salon ist sehr schön. Sunny hat gute Arbeit geleistet.«

»Sie weiß, was mir gefällt«, sagte er. »Du musst dir mal anschauen, was sie oben aus der Gästesuite macht. In ein paar Wochen wird sie fertig sein, wenn Selena einzieht.«

Eine seiner Schwestern? Eine Cousine? »Wer ist Selena?«

»Meine Patentochter. Das jüngste Kind eines alten Familienfreunds aus Großbritannien.«

»Warum zieht sie hier ein?« Es gefiel mir nicht, dass ich wie eine eifersüchtige Freundin klang.

Er schien es nicht zu bemerken. »Sie hat in Europa eine Menge Preise als Turnierreiterin gewonnen.« Er reichte mir ein hellblaues Weinglas und stieß vorsichtig mit mir an. »Ihr Vater, Lord Tanner, war der Meinung, sie sollte in den USA ein paar Erfahrungen sammeln. Ich habe angeboten, dass sie hier wohnen kann, obwohl sie wahrscheinlich auch einige Zeit in Kentucky verbringen wird. Sie hat gerade Cambridge hinter sich gebracht und wollte sich sowieso ein Jahr Auszeit nehmen, bevor sie sich eine Arbeit sucht.«

Demnach war sie ungefähr so alt wie Mia – einundzwanzig.

»Hört sich an, als wäre es eine tolle Gelegenheit für sie.« Ich trank einen Schluck Wein.

Er nahm mir das Glas weg. »Du bist so durchschaubar«, sagte er und küsste mich auf den Mund. »Für mich ist sie wie eine Tochter.«

»Ich hasse es, durchschaubar zu sein«, sagte ich und erwiderte den Kuss. »Und es ist nett, dass du das für sie tust. Ich meine es ehrlich.«

»Komm!«, sagte er. »Es gibt da noch etwas, was ich tun möchte.«

Er brachte mich zu seinem Schlafzimmer, und wir rissen uns gegenseitig die Kleider vom Leib. Keine Zärtlichkeiten, keine Umarmung, kein Wort. Der Liebesakt war triebhaft und heftig, vielleicht weil seit dem letzten Mal Monate vergangen waren. Ich hätte nicht sagen können, was ihn trieb, doch mein eigenes stürmisches Verlangen resultierte aus einem Schmerz, der so tief in mir vergraben lag, dass es mir beinahe schon gelungen war, seine Existenz zu vergessen. Der leidenschaftliche Wunsch, geliebt zu werden – nein, verliebt zu sein –, flammte jedes Mal wie eine dumpfe Pein in mir auf, wenn er in mich drang, denn ich wusste, dass er mir keine Versprechungen geben wollte. Es vielleicht nicht einmal musste.

Was er in diesem Moment gab, erhielt er in gleichem Maße zurück. Aufrichtig, doch nicht von Dauer. Heißblütig, doch nicht vernarrt. Aus Wollust, nicht aus Liebe. Am Ende war es rein fleischlich und tröstlich, nichts weiter.

Als wir endlich genug voneinander hatten, legte er sich neben mich, stützte sich auf einen Ellbogen und zog mit dem Finger eine Linie von meiner Stirn die Nase hinab, zu den Lippen, zwischen meinen Brüsten entlang, dann tiefer, ließ den Finger einen Moment schweben, bevor er meinen empfindlichsten Punkt ansteuerte. Als halbiere er mich. Ich erbebte. Er hörte auf. »Was ist?«

»Nichts. Es war wunderschön«, sagte ich. »Wie immer mit dir.«

»Bleib heute Nacht hier, und es wird wieder so wunderschön sein.«

»Schrecklich gerne, aber ich muss zu Hause schlafen. Mein Großvater.«

»Du musst wegen deines Großvaters zu Hause schlafen?« Er schaute mich ungläubig an. »Kann er nicht für sich selbst sorgen?«

Ich zog ihn hinab und küsste ihn. »Natürlich kann er das. Aber er ist zweiundachtzig und erst gestern angekommen. Ich habe das Gefühl, ich müsste bei ihm sein.«

»Das heißt, du bist lieber bei ihm als mit mir zusammen …«

»Das ist nicht wahr, und das weißt du genau.«

»Komm!« Urplötzlich klang er fast geschäftsmäßig. »Lass uns etwas essen. Ich verhungere.«

Er stand auf und zog sich an. Ich sammelte meine Sachen von dort auf, wo er sie hingeschmissen hatte, und fand auch meine Krücke.

»Ich brauche ein paar Minuten, um mich zu sammeln.«

»Natürlich«, sagte er. »Komm nach draußen auf die Terrasse, wenn du fertig bist. Ich kümmere mich schon mal um den Grill.«

Wir aßen in seinem grandiosen Speisezimmer an einem Tisch, der für vierundzwanzig Personen gedacht war. Er stellte zwei silberne Kerzenleuchter an ein Tischende, und wir saßen uns gegenüber. Seine Speisezimmerstühle erinnerten mich an Thronsessel. Die Gemälde an den Wänden schienen in den Hintergrund zu treten, und die moosgrünen Vorhänge waren vor die Fenster gezogen worden, daher war es in dem Raum dunkel bis auf die flackernden Kerzen, die unter einem gelegentlichen Lufthauch zu tanzen begannen. Wir saßen in einem goldenen Lichtkreis und unterhielten uns leise.

»Ich hole eine zweite Flasche Wein«, sagte er.

»Ich muss noch fahren«, entgegnete ich. »Ich habe genug.«

»Dein Großvater wird schon zurechtkommen. Bleib über Nacht.«

Er öffnete die zweite Flasche, und ich ließ ihn mein Glas füllen. »Wenn wir nicht aufpassen, trinken wir noch deinen ganzen Keller leer.«

»Das wage ich zu bezweifeln.«

»Du kaufst eine ganze Menge, wie?«

Er grinste. »Und genieße es. Ich habe sogar angefangen, Futures zu kaufen. Von Shane.«

»Wann ist Shane denn in den Handel mit Futures eingestiegen?«

»Schon vor einer Weile. Er erzählte mir, er hätte die letzten Jahre damit verbracht, Beziehungen zu négociants in Bordeaux und ein paar Weinboutiquen in Kalifornien aufzubauen«, sagte Mick. »Im März war er in Frankreich zur Degustation von ›en Primeur‹. Schwärmte von Weinen, die er getrunken hat, also habe ich im Juli ein paar Kontrakte gekauft.«

Futures von Weinen legen – wie die Futures für irgendein anderes Produkt auf dem Markt – den Preis für einen Jahrgang fest, der sich noch in den Fässern befindet. Der Käufer setzt darauf, dass der Wein am Ende mehr wert sein wird, wenn er gereift und in Flaschen abgefüllt ist. Wenn sich dies als falsch erweist, jedenfalls ist es so bei Weinen, gibt es immer noch Plan B – man trinkt ihn. Doch da Futures, besonders die von Bordeaux-Weinen, bereits seit einer Weile auf dem Markt herumschwirrten, war es ein unreguliertes Geschäft. Da wurde wild spekuliert, und niemand überwachte, was geschah.

»Warentermingeschäfte sind riskant«, sagte ich. »Man kann jede Menge Geld dabei verlieren.«

»Ich liebe Risiken. Und ich kann es mir leisten, dabei zu verlieren.« Er blickte mir in die Augen, und ich war froh, dass ich ihn nie an einem Konferenztisch so lange anstarren musste, bis er die Augen niederschlug. In geschäftlichen Dingen, da hätte ich wetten können, war er gnadenlos, wenn er etwas erreichen wollte. Und auch er hatte Taschen voller Geld. Um zu bekommen, was er wollte, konnte er bei jedem Preis mithalten.

»Bist du sicher, dass Shane weiß, was er tut?«, fragte ich.

»Weshalb nicht?«, erwiderte er. »Er hat hervorragende Kontakte. Er hat mir eine Weineinkäuferin vorgestellt, mit der er zusammengearbeitet hat. Ich überlege, sie zu engagieren.«

Ich schob mein Weinglas zur Seite und beugte mich über den Tisch. »Du willst Nicole Martin engagieren?«

»Du kennst sie? Ja, ich werde es wohl tun. Warum?«

»Weißt du, wer sie ist?«

»Du scheinst zu glauben, ich wüsste es nicht.«

»Quinns Exfrau.«

Er ließ einen Teelöffel auf dem Tisch kreisen und beobachtete, wie das Silber im Kerzenlicht blitzte. »Ist das ein Grund, sie für untauglich zu erklären? Ich habe gehört, sie sei die Beste.«

»Nein, das ist kein Grund«, sagte ich. »Aber ich traue ihr nicht.«

»Bisher gibt es für mich keinen Anlass, ihr zu misstrauen«, sagte er. »Aber ich werde es mir merken.«

Ich stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Danke für das Abendessen!«

Er streckte eine Hand aus und hielt mich fest. »Bitte, geh nicht.«

»Mick …« Doch er zog mich bereits in seine Arme und flüsterte, ich müsse bleiben und er wolle mich noch einmal haben.

Der griechische Dichter Aeschylus hat gesagt, Wein sei der Spiegel des Herzens. Bei all dem Wein, den wir getrunken hatten, hätte ich ganz gewiss in der Lage sein müssen, in Micks Herz zu schauen. Doch an diesem Abend sah ich nur Schatten. Dennoch ließ ich mich von ihm in sein Schlafzimmer und zu den zerwühlten Betttüchern führen, die wir vor dem Abendessen verlassen hatten.

Der letzte zusammenhängende Gedanke, der mir kam, bevor wir miteinander schliefen und alle anderen Gedanken ausgelöscht wurden, war jener, dass wir es beide aus den falschen Gründen taten. Als ich in den Spiegel meines eigenen Herzens schaute, sah ich, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft einen Preis für meinen Leichtsinn würde zahlen müssen.

Und was Mick betraf, würde er nicht finden, was er in mir suchte. Er war ein Spieler, der das Risiko brauchte. Je waghalsiger, desto besser. Jetzt bewegte er sich in der Grauzone des Ankaufs von Wein-Futures bei Shane, und es war ihm egal, ob er sich dabei die Finger verbrannte. Und Shane hatte ihm diese skrupellose Nicole Martin vermittelt, eine Frau, die augenscheinlich genauso süchtig machte wie Heroin.

Aus dieser Beziehung zu ihr würde nichts Gutes erwachsen. Da war ich mir ganz sicher.