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Kapitel 3

Quinn war im Labor direkt neben dem Weinkeller, als ich um Viertel nach drei erschien. Ich hatte mir ein weites Sweatshirt und bauschige Hosen angezogen. Er musterte mich von oben bis unten wie eine Ware auf dem Flohmarkt, die einem ein Händler aufzuschwatzen versucht. »Sollten Sie nicht im Bett sein?«

»Wäre ich das, würde ich dort doch nur darüber nachdenken, wie weh es tut. Wie dem auch sei, ich bin zu unruhig, besonders weil wir noch den Cabernet ernten müssen. Haben Sie schon die Messungen durchgeführt?«

»Das habe ich gerade vor. Wollen Sie mitkommen?«

»Natürlich.«

Der einzige Wein, der in diesem Jahr noch geerntet werden musste, war der Cabernet Sauvignon, die berühmteste Rotweintraube der Welt. Die bekanntesten und meistgefragten Cabernets kommen aus Bordeaux, einem Ort, den Gott an seinem besten Tag geschaffen hat, indem er ihm perfektes Klima, sonnenreiche Tage und jene Art steinigen Bodens beschert hat, auf dem Weinreben besonders gut gedeihen.

Anders als die Franzosen benennen die Amerikaner ihre Weine eher nach der Weinsorte als nach der Region, und so sind der französische Bordeaux, der amerikanische Cabernet Sauvignon und das, was die Engländer Claret nennen, allesamt der gleiche Wein. Die meisten sind Verschnitte von mehr als einer Weinsorte – gewöhnlich Merlot oder Cabernet Franc, obwohl manchmal auch etwas Verdot oder Malbec hinzugegeben wird. Die Kunst eines Winzers besteht darin, genau auszutüfteln, wie viel von welcher Sorte beigemengt werden muss, um den perfekten Wein zu erhalten – wobei gesetzlich vorgeschrieben ist, dass der Anteil ›anderer‹ Weinsorten nicht mehr als fünfundzwanzig Prozent betragen darf, sonst ist die Bezeichnung Cabernet Sauvignon nicht erlaubt.

Quinn war der geborene Tüftler, und ich wusste, dass er bereits über unseren Verschnitt nachgrübelte, obwohl wir die Trauben noch gar nicht geerntet hatten. Den Merlot hatten wir vor ein paar Wochen eingebracht und den größten Teil in Fässern gelagert, doch jenen Teil, den wir mit dem Cabernet zu verschneiden gedachten, hielten wir in Tanks aus Edelstahl.

»Lassen Sie uns in diesem Jahr etwas PV kaufen«, hatte Quinn seinerzeit gesagt. »Ein paar Tonnen. Das wird dem Wein eine schöne granatrote Farbe verleihen.«

»Wir kaufen nicht den Petit Verdot von irgendjemand anderem. Ich will nicht, dass ein fremdes terroir in unseren Wein kommt. Sie wissen doch, dass wir nur unsere eigenen Trauben nehmen«, hatte ich gesagt.

Terroir war der undefinierbare Faktor X eines Weins – wörtlich bedeutet es ›Geschmack des Landes‹, und er unterscheidet jeden Wein vom anderen. Ändert sich der Boden oder die Region, führt das zu einer Veränderung des Weins. Im Frühling hatten wir auf sechs Hektar neue Varietäten gepflanzt, worunter sich auch etliche Morgen Petit Verdot befanden – doch es würde noch drei Jahre dauern, bis wir dort die ersten Trauben ernten konnten.

»Geben Sie doch endlich Ihren Purismus auf«, hatte er gesagt. »Ich rede von fünf Prozent. Es wird den Wein völlig verändern, und trotzdem ist es immer noch unser terroir. Sie wissen, dass ich recht habe. Sie stellen sich nur auf die Hinterbeine, weil Ihre Mutter es so gehandhabt hat.«

Es schmerzte immer noch, dass er meinen Plan, das Weingut genauso zu führen wie meine Mutter, einmal als ›Weg zum beruflichen Selbstmord‹ bezeichnet hatte. Ich war stolz darauf, wie es ihr und Jacques gelungen war – mit nur wenig Hilfe von Lelands Seite –, uns Reputation zu verschaffen. Quinn freie Hand zu lassen würde dazu führen, dass er alles umkrempelte – er würde Reifungsprozesse verkürzen und sämtliche Tricks benutzen, die ihm moderne Technologien boten.

»Die Weine, die sie und Jacques gemacht haben, waren einige unserer besten Jahrgänge«, hatte ich geantwortet, verärgert darüber, dass er meine Mutter angeführt hatte, um seine Vorstellungen durchzusetzen. »Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir heute einen so guten Ruf genießen.«

»Es waren einige der besten Jahrgänge«, hatte er geantwortet. »Wir werden bessere produzieren.«

Ich gab nach, doch ich hatte eisern darauf bestanden, dass die Rebstöcke aus Virginia stammen mussten. Ich kannte einige Weingüter, die Weintrauben in Kalifornien kauften und ihren Wein deshalb ›American wine‹ nennen mussten. Wir produzierten Virginia-Wein – in diesem Punkt war ich unnachgiebig.

»Ich nehme das Refraktometer. Wenn Sie alles andere nehmen, fahre ich den Gator rüber zur Traubenpresse«, sagte er jetzt. »In fünf Minuten hole ich Sie ab.«

Er fuhr mit dem Gator vor, einem Geländefahrzeug, das aussah wie eine Mischung aus Golfauto und Traktor, und ich kletterte auf den Beifahrersitz. Die leichte Brise war wie eine Streicheleinheit für meinen geschundenen Körper, der Himmel war makellos blau, und die Sonne strahlte hell und klar. In der Ferne schienen die Blue Ridge Mountains mit dem Himmel verschmolzen zu sein, sodass man nur schwer sagen konnte, wo das eine endete und das andere begann.

Quinn bog in den südlichen Zufahrtsweg ab. »Als Sie fort waren, hat Bonita angerufen«, sagte er. »Aus Mexiko.«

Während der letzten paar Monate hatte er mit Hectors Tochter zusammengelebt, bis ihr Vater starb. Hector und dessen Frau Sera mochten Quinn einigermaßen, doch sie waren altmodische Eltern, die es nicht guthießen, dass ihre einundzwanzigjährige Tochter mit einem Mann zusammen war, der fast zwei Jahrzehnte älter war als sie. Vor allem nicht mit einem, der keine Anstalten machte, aus ihr eine ehrbare Frau zu machen.

»Hat die Beerdigung endlich stattgefunden?«, fragte ich.

Obwohl ich Sera einen Platz auf unserem Privatfriedhof angeboten hatte, mit der Sicht auf die Berge, die er so sehr geliebt hatte, wollte sie ihn unbedingt nach Mexiko zurückbringen. Bonita hatte alles arrangiert. Vor zwei Wochen waren sie abgereist.

Ich hatte sie zum Flughafen gefahren und zugeschaut, wie Sera, zerbrechlich wie ein Vögelchen und doch willensstark wie ein Stier, und Bonita, ganz mädchenhafte Sinnlichkeit und Verführung, die Sicherheitskontrolle am Dallas Airport passiert hatten. Als sich Bonitas und mein Blick trafen, direkt bevor sie im nur für die Passagiere reservierten Bereich verschwanden, wusste ich, dass ich mich möglicherweise für immer von beiden verabschiedet hatte. Quinn hatte ich nie davon erzählt.

»Ja, sie haben irgendein katholisches Riesenfest mit der ganzen Familie veranstaltet.« Er nahm eine Kurve zu scharf, und ich krallte mich an meinem Sitz fest. »Ich glaube nicht, dass sie zurückkommen.«

Wir hatten die große Apfelplantage erreicht. Die Bäume waren voll, und der Wilde Wein, der am Zaun emporrankte, hatte bereits eine rubinrote Farbe angenommen.

Er hätte genauso gut über das Wetter oder jemanden sprechen können, der ihm das Herz gebrochen hatte. Bei Quinn wusste man nie, wo man dran war.

»Hat sie gesagt, dass sie nicht zurückkommen wollen?«, fragte ich.

»Nein. Hat überhaupt nicht viel gesagt.«

»Ich glaube auch nicht, dass sie zurückkommen«, sagte ich. »Macht es Ihnen etwas aus?«

»Sie meinen wegen Bonita?«

»Ich meine kaum wegen Sera. Die hätte Sie am liebsten gehäutet, gekocht und anschließend als Fressen für die Kojoten am Zaun aufgehängt.«

»Das hätte sie wohl gerne.« Er grinste. »Ich weiß nicht. Erst lässt mich Angie hängen, jetzt Bonita. Irgendwie hat es nicht geklappt. Sie hatten recht, dass es keine gute Idee ist, sich mit jemandem zusammenzutun, mit dem man auch zusammen arbeiten muss.«

Die Sache mit Angie, einer früheren Klassenkameradin von mir, die als Tänzerin in einem Nachtclub gearbeitet hatte, hatte ich fast vergessen. Auch diese Beziehung hatte nicht lange gedauert.

An der ersten Markierung des Cabernet-Bereichs bog er ab und stellte den Motor aus.

»Habe ich das gesagt?«

Obwohl die Sonne hinter ihm stand, schaute er mich etwas unsicher an, als müsse er sich stark konzentrieren. Sein Blick suchte meinen, und ich entdeckte in ihm – genau wie er es in meinen Augen sehen musste – das unausgesprochene Eingeständnis, wie prekär zuweilen unsere eigene Beziehung war.

»Ja«, sagte er. »Das haben Sie.« Er kletterte aus dem Gator und meinte: »Dann fangen wir mal an.«

Er nahm das Refraktometer aus der Brusttasche, ein teleskopähnliches Gerät, das wir benutzten, um den Brix-Wert zu messen. Ich nahm die anderen Dinge, die wir benötigten – wiederverschließbarer Plastikbeutel, kleiner Eimer, Zylinder mit Gradeinteilung. Während wir die Reihe der Weinstöcke entlanggingen, holte er ein Springmesser hervor, schnitt hier und da einzelne Trauben heraus und stopfte sie in den Beutel, den ich hielt.

»Verdammt!« Er kniete sich neben das Gitterwerk am Boden. »Die Murmeltiere fressen die unteren Trauben. Ich dachte, die Burschen hätten gewusst, dass sie die da unten abschneiden sollen.«

»Reden Sie mit Manolo«, sagte ich. »Sorgen Sie dafür, dass er die Arbeiter daran erinnert. Sie haben es vergessen.«

Er wischte eine schläfrige Wespe weg, die vom fermentierenden Saft bereits betrunken war.

»Wir haben genug für die Probe«, sagte er, nahm den Beutel und zerquetschte die Trauben. Als er genügend Saft hatte, schüttete er ihn in den Zylinder. »Manolo ist nicht mehr wie früher bei der Sache.«

»Er hat schon als Kind für uns gearbeitet. Praktisch von dem Tag an, als er aus Mexiko kam. Ich werde mit ihm reden.« Ich goss ein paar Tropfen Saft auf das Messprisma des Refraktometers.

Quinn hielt das Okular gegen die Sonne. »Einundzwanzig Komma zwei. Bis Montag müssten es zweiundzwanzig sein, denn der Altweibersommer mit seinem schönen Wetter sollte halten. Hier, schauen Sie mal, auf welchen Wert Sie kommen.«

Die Bestimmung des Brix-Wertes war die wichtigste Messung, da bei ihr der Zuckergehalt der Trauben gemessen wurde, aufgrund dessen wiederum festgelegt wurde, wann es Zeit für die Lese war. Sie erlaubte es uns auch, Berechnungen über den zukünftigen Alkoholgehalt anzustellen, wenn wir aus den Trauben Wein machten. Da die Regierung in Washington strikte Standards vorgab, wie viel Alkohol in jeder Weinsorte enthalten sein durfte, konnten wir uns in diesem Punkt keinen Fehler erlauben.

Ich beobachtete, wie der Refraktometerspiegel auf- und abwanderte, bis er sich bei einundzwanzig Komma zwei einpegelte. »Ich komme auf denselben Wert wie Sie.«

»Lassen Sie uns noch ein paar Trauben in der Nähe des Merlot-Bereichs messen«, sagte er. Deren Brix-Wert lag zwar höher, aber immer noch unter der Marke von zweiundzwanzig. Daher beschloss Quinn, dort am Montag zu ernten und den Rest am Dienstag.

Auf dem Rückweg zur Weinkellerei sagte er: »Sie sind ziemlich schweigsam gewesen. Ich weiß, dass Sie einen harten Tag hinter sich haben. Wenn Sie wollen, kann ich bei Ihnen zu Hause vorbeifahren und Sie dort absetzen.«

»Mit mir ist alles in Ordnung. Ich muss nur ständig an Valerie Beauvais denken. Ich wüsste nur zu gerne, was sie mir erzählen wollte.«

»Worüber?«

»Sie sagte gestern Abend auf Mount Vernon etwas über den Wein, den Jack Greenfield für die Auktion gestiftet hat. Fragte mich, wie ich ihn dazu bekommen habe, uns den Margaux zu überlassen. Und nach dem Abendessen sagte sie mir, ich wüsste doch gar nicht, was ich da habe und dass das mit der Provenienz zu tun hat.«

»Was soll damit sein?«

»Keine Ahnung. Sie wollte es mir erst erzählen, wenn sie hier ist.«

»Und jetzt kann sie es nicht mehr.« Am Geräteschuppen riss er das Steuer des Fahrzeugs herum und hielt an. »Seit Ryans Kolumne in der Washington Tribune erschienen ist, hat das Telefon nicht mehr stillgestanden. Alle Welt will jetzt etwas über die Auktion und den Washington-Wein wissen.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Wie konnte Valerie etwas über Jacks Wein wissen, das er selbst nicht wusste?«

Er stieg vom Gator und reichte mir die Krücke. »Fragen Sie ihn doch.«

»Wenn ich das tue, ist er beleidigt. Ryan meinte, sie wäre eine Schwindlerin.«

»Dann würde ich Jack vertrauen und die ganze Sache vergessen.«

»Wahrscheinlich am besten so.«

Er schenkte mir einen Blick, aus dem die Überzeugung sprach, dass ich mich nicht daran halten würde, und fuhr in Richtung Weinkeller davon. Ich nahm den Mini und machte mich auf den Weg zum Fox and Hound.

An der Stelle der Atoka Road, an der Valeries Auto in den Fluss gestürzt war, hielt ich an. Wo die Straßenkreuzer des Sheriffs und die Rettungswagen geparkt hatten, war das hohe Gras niedergewalzt, und die Büsche waren zerstört. Der Asphalt war über eine lange Strecke aufgerissen, und es sah aus, als habe sich hier die Achse und das Fahrgestell ihres Wagens in den Straßenbelag gegraben, nachdem sich das Rad gelöst hatte. Die Spur – hässlich wie eine Narbe – endete, wo ihr Geländewagen die Straße verlassen hatte, wobei er sich wahrscheinlich überschlagen hatte, bevor er in der Flussmitte gelandet war.

Ich hielt mir mit einer Hand den Mund zu und überlegte, ob es für Valerie wie ein Alptraum im Zeitlupentempo gewesen war oder ob es so schnell ablief, dass sie gar nicht mitbekam, was da passierte. Es schien, als hätte sich das Rad an der denkbar schlechtesten Stelle gelöst – mitten in einer Haarnadelkurve – und als habe Valerie die Kontrolle über den Wagen verloren. Bestimmt hatten die Leute vom Sheriff’s Department oder dem CRU das Rad bereits gefunden, was ihnen helfen würde, sich ein Bild vom Rest der Geschichte zu machen.

An jedem anderen Tag boten die Wälder und der Fluss einen wunderschönen Anblick – eine Szenerie, die ein reizvolles Motiv in einem Reiseprospekt hergab. Ich sprach ein Gebet für Valerie und stieg wieder ins Auto. Drei Minuten später hatte ich den Parkplatz des Fox and Hound erreicht.

Auch wenn man nicht gewusst hätte, dass die Besitzer, Grace und Jordy Jordan, anglophil waren, hätten das rote Telefonhäuschen und das Londoner Taxi neben dem Eingang als Hinweis genügt. Die Jordans besuchten England jedes Jahr für eine von Jordys historischen Entdeckungsreisen, doch sie brachten auch Antiquitäten mit. Altes englisches Porzellan und Kunstgegenstände, um ihre eleganten Zimmer und Ferienhäuser zu dekorieren.

Ich fand Jordy in seinem Büro hinter dem Foyer. Grace hatte den Eingangsbereich kürzlich in salbei-, creme- und nussfarbenen Tönen neu eingerichtet, nachdem sie sich in London bei ihrem letzten Besuch des Victoria and Albert Museums in einige Textildrucke von William Morris verliebt hatte. An den Wänden hingen Ölgemälde mit englischen Jagdszenen. In einer großen Portmeirion-Vase auf dem Konsolentisch standen getrocknete Blumen, die nach Zimt und Nelken dufteten.

Jordy war Anfang sechzig, grauhaarig, onkelhaft und gemütlich wie ein bequemer Lesesessel. Er legte eine Ausgabe des Majesty-Magazins zur Seite, als er mich sah. Er wirkte müde.

»Hallo, meine Liebe. Setzen Sie sich. Würden Sie bitte die Zeitungen da vom Sessel nehmen und mir geben?«

Ich nahm einen Stapel The Guardian und The Times von einem mit Chintz bezogenen Queen-Anne-Sessel und reichte sie ihm, bevor ich mich vorsichtig auf die Kante setzte. Das Schmerzmittel begann, seine Wirkung zu verlieren, und die Schnitte auf meinem Rücken brannten wieder.

»Wir hatten hier den ganzen Tag nichts als Aufregung«, sagte er. »Ein paar Gäste haben vorzeitig ausgecheckt, was ja auch kein Wunder ist, wenn man fast den ganzen Nachmittag die Leute vom Sheriff’s Department um sich herum hat, die die Habseligkeiten dieser armen Frau aus dem Cornwall Cottage weggeschafft haben. Unsere Gäste erwarten schließlich Ruhe und Diskretion.«

»Sie war auf dem Weg zu mir, um zu reden, als ihr Auto von der Straße abkam«, sagte ich. »Wäre es möglich, mal einen Blick in das Häuschen zu werfen?«

Jordy schüttelte den Kopf. »Der Sheriff hat den Ort für die Spurensicherung wie mit Weihnachtsgirlanden abgesichert. Nicht mal ich darf es mir ansehen.« Er verschränkte die Arme über dem Bauch. »Wir hatten ein Ehepaar, das es ab morgen gebucht hatte. Ich habe dort heute Nachmittag angerufen und erklärt, dass wir sie den Weg hinunter ins Devon verlegen müssten. Genauso exklusiv und sogar größer. Sie fragten nach dem Grund, und da habe ich natürlich die Wahrheit gesagt. Daraufhin haben sie die Reservierung storniert.«

»Abgesichert für die Spurensicherung? Geht der Sheriff denn nicht davon aus, dass es ein Unfall war?«, fragte ich. Was hatten sie am Fluss gefunden? Oder in Valeries Auto?

»Anscheinend nicht«, sagte er. »Natürlich tut es mir leid, dass sie tot ist, aber dieses Absperrband wird unsere Gäste beunruhigen, bis es wieder verschwunden ist. Furchtbar störend. Obwohl wir auch den ganzen Tag eine Menge Anrufe wegen dieser Auktion bekamen, die Sie Ende des Monats veranstalten. Dank Ihnen sind wir an jenem Wochenende bereits ausgebucht. Für den Fall, dass jemand absagt, haben wir sogar schon eine Warteliste. In der Tribune habe ich die Kolumne über diese Flasche Wein gelesen, die Thomas Jefferson für George Washington gekauft hat. Eine tolle Geschichte. Und eine wahrlich generöse Spende von Jack Greenfield.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Jordy, Valerie Beauvais war auf dem Weg zum Weingut, um sich diese Flasche Wein anzuschauen, bevor sie an der Middleburg Academy einen Vortrag halten sollte.«

Er schnalzte mit der Zunge. »Was für ein Jammer! Ich habe gehört, dass Sie sie gefunden und aus dem Wagen gezogen haben.« Sein Blick wanderte zu meiner Krücke. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Lucie?«

»Ich bin hart aufgeschlagen, als ich im Fluss ausgerutscht bin, aber es wird schon wieder. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich hier trotzdem ein wenig umsehe? Das Absperrband für die Spurensicherung rühre ich nicht an.«

Er legte die Fingerkuppen aneinander. »Wonach suchen Sie?«

»Ich weiß nicht. Vermutlich gar nichts.«

»Geht es um diese Flasche Wein?« Er lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und beobachtete mich.

»Valery wollte mit mir über irgendetwas reden. Was es auch gewesen sein mag, sie hatte keine Gelegenheit mehr dazu. Ich schätze, mich juckt es einfach, das ist alles.«

Jordy und Jack Greenfield spielten gemeinsam Poker mit einer Gruppe von Männern, die als die Romeos bekannt waren. Der Name stand für ›Retired Old Men Eating Out‹, und durch sie verbreiteten sich Klatsch und Tratsch schneller, als ein heftiger Wind ein Feuer während der Trockenperiode weitertreiben konnte. Ich hatte gerade seine Neugierde geweckt, und er wusste, dass ich bewusst vage geantwortet hatte. Bei der nächsten Pokerrunde würde das Thema bestimmt auf der Tagesordnung stehen.

»Nur zu.« Sein Lächeln war höflich. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass Sie etwas finden, aber Sie dürfen sich gerne umschauen.«

»Danke!« Ich stand auf. »Ich sehe, dass Sie eine Ausgabe ihres Buchs haben.«

Sein Sessel quietschte, als er sich mit ihm drehte, um das Buch von einem Ahorn-Gateleg-Tisch zu nehmen. »Hier. Sie können es behalten, wenn Sie wollen. Stellen Sie es in Ihre Wein-Bibliothek in den Probierraum.«

»Sie wollen es nicht zurückhaben?«

Jordy wirkte peinlich berührt. »Meine Liebe, es tut mir leid, schlecht von einer Toten zu reden, aber man kann es einfach nicht lesen.«

Ich nahm das Buch und dankte ihm. Er brachte mich bis zur Eingangstür.

»Haben Sie heute Morgen gesehen, wie sie abfuhr?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Sie erschien nicht einmal zum Frühstück. Das war schon überraschend, denn Gracie hatte einen ihrer preisgekrönten englischen Brotaufstriche aufgeboten.« Er klopfte sich auf den Bauch. »Einer reicht schon, um es bis zum Mittagessen auszuhalten. Dem Mittagessen des nächsten Tages.«

Ich gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange, und er schloss die Tür. Doch während ich zum Cornwall Cottage ging, bemerkte ich, wie sich die Spitzengardine in seinem Büro bewegte. Jack Greenfield würde ganz gewiss von meinem Besuch erfahren.

Im verblassenden Nachmittagslicht schimmerte das Absperrband der Spurensicherung um das Häuschen. Ich ging so dicht wie möglich heran, legte meine Hände wie eine Schutzbrille um die Augen und spähte durchs Fenster. Glücklicherweise waren die Gardinen nicht zugezogen.

Das Wohnzimmer war aufgeräumt, als würden neue Gäste erwartet. Das Schlafzimmer war eine andere Sache. Die Bettdecken auf dem riesigen Bett waren zurückgeschlagen und die Laken ein wirres Durcheinander und verdreht. Eine antike Steppdecke lag auf dem Boden. Ich ging hinüber zum Fenster der Miniküche. Auf der Anrichte standen eine Dose mit Nüssen und mehrere leere Weinflaschen. In der Kaffeemaschine befand sich eine halbvolle Kanne.

Das war alles. Jordy hatte recht – es gab nichts zu finden, zumal die Leute vom Sheriff’s Department hier bereits gründlich aufgeräumt hatten. Ich ging den mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Weg zum Parkplatz zurück.

Das Gummipolster meiner Krücke stieß auf etwas Hartes, das sich in einer Spalte zwischen zwei Steinen verklemmt hatte. Ich schaute auf die Erde. Es war ein Stück Metall – etwas Rundes und Glanzloses. Ich bückte mich und hätte es fast aufgehoben.

Zum Glück tat ich es nicht, denn bei näherer Betrachtung sah es stark nach der Radmutter eines Autos aus.