KAPITEL VIER

Sie saßen beim Frühstück am Küchentisch. Draußen schien bereits die Sonne, das gelbe Geschirr auf der Anrichte spiegelte die Strahlen und warf sie zur Decke hinauf. Peter bestrich seinen Toast mit Butter und redete dabei ununterbrochen; er beklagte sich darüber, dass sein Bericht an die Seltenheitskommission, das British Birds Rarity Committee, erneut abgewiesen worden war. Felicity gab sich interessiert, ohne sich groß auf das zu konzentrieren, was er sagte. Darin hatte sie Übung. Als junger Mann hatte Peter sich zu Höherem berufen gefühlt; er hatte als einer der besten Nachwuchswissenschaftler gegolten. Jetzt jedoch, kurz vor der Rente, musste er feststellen, dass die einschlägigen naturgeschichtlichen Institutionen seine Qualifikationen nicht anerkennen wollten. Felicity fand die Art, wie er mit seiner Enttäuschung umging, stillos und unsouverän: Er machte abfällige Bemerkungen über seine Kollegen am Institut und ihren Mangel an wissenschaftlicher Präzision, und andere Vogelkundler jagten in seinen Augen nur blindlings seltenen Vögeln hinterher, ohne zu erkennen, wie wichtig es war, das heimatliche Gebiet in seiner Gesamtheit zu erforschen. Felicity wusste, warum er so verbittert war, und wünschte ihm von ganzem Herzen, dass sein Talent doch noch Anerkennung fand. Wie wunderbar es doch wäre, wenn er praktisch vor der Haustür einen aufsehenerregend seltenen Vogel entdeckte oder innerhalb der Universität befördert würde. Trotzdem ärgerte sie sich über seine ständigen Klagen. Mitunter ertappte sie sich sogar bei der Überlegung, ob er tatsächlich der großartige Mann war, für den sie ihn hielt, als sie ihn geheiratet hatte. Doch dann sah sie ihn an, sah die Sorgen und die Traurigkeit in seinem Gesicht und kam sich illoyal vor. In solchen Momenten strich sie ihm dann mit einem Finger über die Wange oder gab ihm mitten im Satz einen Kuss und entlockte ihm damit ein überraschtes Strahlen, das ihn gleich zwanzig Jahre jünger aussehen ließ.

«Wann kommen die anderen?» Seine Frage riss sie aus ihren Gedanken. Er schien sich zu freuen. Die schlechte Laune war anscheinend schon fast wieder verflogen. Manchmal hatte Felicity das Gefühl, dass er sich auf seine Freunde viel mehr freute als auf sie. So aufgeregt war er ihretwegen schon lange nicht mehr gewesen.

Sie hatte gerade an Lily Marsh gedacht, die junge Referendarin, und sich gefragt, ob sie das Mietangebot wohl annehmen würde. Im Nachhinein erst war ihr aufgefallen, dass sie gar nicht über Geld geredet hatten. Vielleicht war Lily ja deswegen so überstürzt verschwunden. Vielleicht hatte sie angesichts des hübschen, wenn auch recht einfachen Gartenhäuschens geglaubt, sich die Miete ohnehin nicht leisten zu können. Schließlich studierte sie ja noch. Felicity überlegte, ob sie James einen Brief mit in die Schule geben sollte, eine freundliche und doch klare Mitteilung, wie hoch der Mietpreis sein würde. Sie war gerade dabei gewesen, diesen Brief im Kopf zu formulieren, als Peter seine Frage stellte.

Peters Geburtstagsessen: ein Ritual. Jedes Jahr wurden dieselben drei Freunde dazu eingeladen. «Ich habe ihnen gesagt, dass wir um acht essen und vorher noch zum Leuchtturm gehen können.» Der Spaziergang zum Leuchtturm war ebenfalls Teil des Rituals.

Felicity hörte den Postwagen draußen, und gleich darauf fielen ein paar Umschläge durch den Briefschlitz auf den Dielenboden. Sie überließ Peter seinem Toast und stand auf, um die Post zu holen. Alle Briefe waren für ihn. Auf dreien der Umschläge erkannte sie die Schrift ihrer Kinder. Sie legte ihm die Briefe auf den Küchentisch, und er schob sie ungeöffnet in seine Aktentasche. Das machte er immer so: Seine Post öffnete er grundsätzlich erst im Büro. Früher hatte Felicity sich manchmal gefragt, ob er wohl etwas zu verheimlichen habe, hatte sich eine zweite Ehefrau ausgemalt, eine heimliche zweite Familie. Doch es war einfach nur Gewohnheit. Er dachte gar nicht weiter darüber nach.

Jetzt schloss er die Aktentasche und stand auf. Peter hatte James versprochen, ihn bis zur Bushaltestelle vorn an der Straße mitzunehmen, und rief die Treppe hoch, er solle sich beeilen. Es gab etliche Taschen zu verstauen, und in der ganzen Aufregung wurde fast noch das Pausenbrot vergessen. Und Felicity hatte nun doch keinen Brief mehr an Lily Marsh geschrieben. Fast hätte sie James, der bereits zum Auto trottete, hinterhergerufen: Sag Miss Marsh, sie soll mich wegen des Gartenhauses anrufen. Doch dann hätte Peter bestimmt wissen wollen, worum es dabei ging, und sie konnte ihn nicht noch länger aufhalten. Außerdem wäre er mit Sicherheit gleich dagegen. Sie musste ihm von dem Plan in einem weniger angespannten Moment erzählen, und so verbannte sie Lily Marsh einstweilen aus ihren Gedanken. Schließlich fuhr der Wagen los, und es war wunderbar still im Haus.

Felicity machte sich noch einen Kaffee und schrieb ihre Einkaufsliste für den Bauernladen. Sie hatte die Mahlzeiten für das Wochenende bereits ganz genau geplant. Selbstverständlich gab es einen Kuchen, der bereits gebacken und glasiert war. Ein Jammer, dass die drei älteren Kinder alle zu weit weg wohnten und nichts davon haben würden. Für den heutigen Abend hatte sie eigentlich ein provençalisches Rindsragout vorbereitet, dunkel und üppig, mit Oliven und Rotwein geschmort. Es stand bereits in der Speisekammer und brauchte nur noch einmal erwärmt zu werden. Doch jetzt hatte sie eine andere Idee. Der Tag war viel zu warm für Rindfleisch. Falls Neil, der Metzger, zwei frische Hühner hatte, würde sie dieses spanische Gericht zubereiten, mit Zitronenscheiben, Rosmarin und Knoblauch. Das war sehr viel leichter und dazu noch wunderbar aromatisch und mediterran. Samuel würde begeistert sein. Sie würde den langen Tisch auf der überdachten Terrasse decken, Reis und einen großen grünen Salat dazu servieren, und dann wäre es fast so, als säßen sie draußen zwischen Orangenbäumen und Olivenhainen.

Manchmal, wenn sie sich mit den anderen Müttern unterhielt, die ständig bei ihr vor der Tür standen, um ihre Söhne abzuliefern oder Felicitys Sohn irgendwohin mitzunehmen, fragte sie sich, ob sie nicht doch etwas verpasste, weil sie nicht arbeitete. Die anderen Frauen waren immer ganz verblüfft, wenn sie hörten, dass Felicity den ganzen Tag zu Hause war. Aber was hätte sie denn tun sollen? Vor der Heirat hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, berufliche oder anderweitige Erfahrungen zu sammeln. Sie besaß keine Qualifikationen, keine besonderen Begabungen. Und außerdem war es für Peter lebenswichtig, dass sie ihn entspannt und ausgeruht erwartete und sich um ihn kümmerte, wenn er nach den täglichen beruflichen Enttäuschungen nach Hause kam. Er konnte es unmöglich ertragen, dass sie ihm auch noch Konkurrenz machte. Völlig unvorstellbar, wenn sie eine erfolgreiche Anwältin oder Geschäftsfrau geworden wäre und sich womöglich selbst noch ein paar berufliche Meriten verdient hätte! Bei dem Gedanken musste sie lächeln.

Im Bauernladen war es kühl, die Tür zum Hof stand offen, es roch nach Kühen und nach Gras. Felicity war die erste Kundin des Tages. Neil war noch damit beschäftigt, sein Kühlregal einzuräumen. Das schwere Holzbrett, das Hackbeil und die langen, scharfen Messer waren noch sauber und unbenutzt. Er wog die Hühner aus und verstaute sie in Felicitys Einkaufstasche.

«Es sind keine Freilandhühner.» Er wusste, dass Felicity sich für solche Dinge interessierte. «Aber immerhin aus Bodenhaltung, nicht aus der Legebatterie. Man schmeckt den Unterschied gleich.»

«Das Schweinefleisch, das Sie mir letzte Woche verkauft haben, war übrigens auch ganz vorzüglich.»

«Ach», sagte Neil. «Alles eine Frage der Zubereitung, Mrs Calvert, und der Aufzucht. Ich schneide es doch nur zu.»

Auch das war ein Ritual. So wie Peter jeden Tag seine Post mit ins Büro nahm und sich jedes Jahr dieselben drei Freunde zum Geburtstag einlud, führte Felicity allwöchentlich genau dieses Gespräch mit Neil. Er trug ihr die Einkaufskiste zum Wagen und legte dann augenzwinkernd noch ein paar Würstchen dazu.

«Wie ich höre, feiert Doktor Calvert dieses Jahr einen ganz besonderen Geburtstag.»

Und wie so oft fragte sich Felicity, weshalb ihr Metzger eigentlich so gut über ihr Leben Bescheid wusste.

 

Als sie gerade die Tür aufschloss, klingelte drinnen das Telefon, und sie ließ die Einkäufe in der Einfahrt stehen und eilte gleich ins Haus. Es war Samuel Parr.

«Ich wollte nur fragen, ob ich heute Abend irgendetwas mitbringen kann. Einen Nachtisch vielleicht?»

«Nein», sagte Felicity. «Nicht nötig. Wirklich nicht.»

Sie ertappte sich bei einem Lächeln. Samuel machte ihr immer gute Laune. Und auch an ihn dachte sie in letzter Zeit ziemlich oft.

Später, als die Hühner bereits im Ofen schmorten und das ganze Haus nach Zitrone, Olivenöl und Knoblauch duftete, klingelte das Telefon erneut. Felicity saß mit der Zeitung und einer weiteren Kanne Kaffee draußen und genoss die letzte ruhige Stunde, ehe sie nach Hepworth fahren musste. James hatte nach der Schule noch seinen Schachclub, und sie hatte versprochen, ihn abzuholen. Über den Feldern zum Meer hin flimmerte die Hitze, und der Leuchtturm wirkte fast durchscheinend in der Ferne. Als sie das Telefon hörte, eilte Felicity ins Haus. Sie war barfuß. Die Steinplatten auf der Terrasse waren so glühend heiß, dass es fast brannte unter den Sohlen, die Fliesen in der Küche waren kühl, dass es prickelte. Vor Erregung schnappte sie kurz nach Luft.

Sicher war es eins der Kinder, doch als sie sich meldete, wurde am anderen Ende der Leitung aufgelegt. Felicity wählte 1471, um sich die Rufnummer durchgeben zu lassen, doch der Anrufer hatte seine Nummer unterdrückt. Das war in letzter Zeit häufig vorgekommen. Sie fragte sich, ob sie Peter davon erzählen sollte. In der Nachbarschaft war bereits zwei Mal eingebrochen worden. Vielleicht waren das ja Kontrollanrufe, um zu sehen, ob jemand im Haus war. Doch im Grunde wusste Felicity bereits, dass sie Peter doch nichts davon sagen würde. Sie hatte es sich schließlich zur Lebensaufgabe gemacht, Sorgen und Unannehmlichkeiten von ihm fernzuhalten.

Sie trank ihren Kaffee aus und schaute zum Meer hinüber. Sie würde ein Bad nehmen, beschloss sie, mit dem teuren Badeöl, das sie beim letzten Ausflug in die Stadt bei Fenwick’s gekauft hatte. So konnte sie noch ein wenig entspannen, bevor der Abend losging.