ca. 2000 – mit Sean Casteel

 

 

F: Du hast einen exzellenten Sinn für Humor, der den Leser am Ball hält …

 

A: Ohne einen Sinn für Humor ist das Leben auf diesem barbarischen Planeten zutiefst unerträglich.

 

F: Ja, das verstehe ich gut. In deiner Einleitung zu Everything Is Under Control Harper, 1999 führst du eine Umfrage an, nach der drei von vier Leuten glauben, dass die Regierung an irgendwelchen Verschwörungen beteiligt ist. Weiterhin sprichst du davon, dass auch die Regierung den Leuten misstraut, die sie selbst regiert. Würdest du diesen Teufelkreis bitte erläutern?

 

A: Sicher. Die Leute misstrauen der Regierung aus einer Vielzahl von Gründen. Einige dieser Ursachen sind psychologisch, andere sind soziologisch. Dazu kommen wir später. Jetzt wollen wir nur auf diesen einen Grund eingehen, nämlich dass die Regierungen wiederholt dabei erwischt wurden, unverschämte Lügen zu erzählen – und zwar von sowohl republikanischen als auch demokratischen Administrationen, zurückreichend bis in die 50er Jahre. Es ist eine Tatsache, dass man auch noch früher einige reizend unverblümte Lügen finden kann. Letztendlich hat die Erkenntnis dessen einen großen Prozentsatz der Bevölkerung aufhorchen lassen.

 

F: Dann gehst zu der Behauptung über, dass die Regierung uns ebenfalls misstraut.

 

A: Die Regierung hat keine Ahnung, wer wir sind. Das ist, was ich die Bürde der Allwissenheit nenne. Von der Regierung wird angenommen, dass sie alles wisse, aber die von ihnen ausgeübte Macht gewährleistet, dass sie im Allgemeinen gar nichts weiß. Die Regierenden hören niemals etwas, das nicht zu ihren Vorurteilen passt, da sich einfach niemand traut, es ihnen zu erzählen. Das höchste Amt in der Regierung besitzt so unvorstellbar viel Macht, dass jeder davor Angst hat. Also erzählt ihm niemand die Wahrheit. Sie erzählen ihm einzig und allein Dinge, von denen sie denken, dass er deswegen nicht vor Wut explodiert. Den Leuten in den führenden Positionen werden also geschönte Lügen erzählt, die zuvor durch verschiedene Schichten von schmeichelhaften Lügnern gefiltert wurden, die wiederum von denen belogen wurden, die unter ihnen rangieren.

Ich habe über einen langen Zeitraum – vier Jahrzehnte – Workshops in Neurolinguistik und allgemeiner Semantik abgehalten. Regelmäßig habe ich die Zuhörer gefragt: „Hat irgendjemand hier jemals irgendeinem Mitglied der Regierung ohne Einschränkungen die volle Wahrheit gesagt?“ Niemand hat jemals die Hand gehoben. Niemand behauptete von sich, derart vertrauensvoll, gefügig und gehorsam zu sein. Jeder schwindelt ein wenig oder verbirgt etwas, wenn er mit der Regierung zu tun hat. Die Leute lügen so viel, wie sie denken, dass es zum Überleben notwendig sei – zum Weiterleben, ohne dieses Biest im Rücken zu haben. Die Regierung ist bewaffnet und gefährlich.

Deswegen hat die Regierung keine Ahnung, wer wir sind und was wir wollen. Also misstrauen sie uns zutiefst, denn jedes Mal, wenn sie ein neues Gesetz verabschieden, von dem sie denken, dass es uns gefallen würde, gefällt es uns nicht. Und so gehen sie fortwährend in Opposition zu uns. Und sie denken, dass wir kein Recht dazu hätten, uns in unsere eigenen Angelegenheiten einzumischen, da sie unsere vermeintlichen Herrscher sind. Wir sind lediglich die vermeintlichen Untertanen oder Leibeigene. Die Verfassung sagt, dass die Regierenden dem Volk dienen sollen, aber niemand von ihnen denkt so. Sie denken, dass sie unsere Gebieter seien und so verhalten sie sich auch.

 

F: Du sprichst auch darüber, dass die Reaktion der Regierung auf die eigene Unfähigkeit, uns zu vertrauen, darin liegt, uns noch weiter zu unterdrücken. Das verstärkt wiederum das Misstrauen der Leute, wodurch sich eine Art Teufelskreis ergibt.

 

A: Je mehr sie uns ausspionieren, desto paranoider werden die Leute deswegen. Wenn sie unser tiefstes Innenleben, sogar unseren Urin ausspionieren, dann befinden wir uns kurz vor der Stufe von Gestapo und KGB. Wir befinden uns im Reich Kafkas. Und je paranoider die Leute werden, desto mehr werden sie wahrscheinlich auf ihre feindlichen Gebärden zurückgreifen, wie zum Beispiel bei dem Anschlag in Oklahoma City. Und etwas sogar noch Schlimmeres wird dann auf uns zukommen. Die meisten Leute in diesem Land trauen der Regierung nicht, haben Angst vor ihr und wünschen sich, sie solle irgendwie verschwinden. In Übereinstimmung damit vertraut die Regierung auch uns nicht. Wie Bertolt Brecht einmal sagte: „Warum suchen sie sich keine anderen Leute, um sie zu regieren?“

Aber sie wollen sich keine anderen Leute suchen, um weiter zu regieren. Sie bestehen darauf, uns weiter zu regieren, selbst wenn sie uns nicht vertrauen. Also spionieren sie uns immer mehr aus, um zu sehen, ob wir uns zusammentun, um sie loszuwerden. Ich denke, dass die meisten von uns sie tatsächlich gerne loswerden möchten, aber nur ein paar Verrückte glauben, dass man dies mit Dynamit erreichen könnte. Die Regierung denkt jedoch, dass wir alle potentielle Bombenleger sind. Sie wissen, dass wir sie hassen. Sie wissen zum Beispiel, dass sich die meisten von uns nicht um Wahlen kümmern. Sie wissen bloß nicht, wann unsere passive Abneigung in eine gewalttätige Revolution umschlagen könnte. Das ist nicht völlig irrational. Wir wissen nicht einmal selbst, wie viele Timothy McVeighs135 in unseren Reihen sind.

 

F: Was ist mit der Idee, dass einige Leute irgendeine Art von Verschwörung brauchen, um ihre tägliche Misere zu rechtfertigen? Dass da draußen etwas lauert, das für ihr persönliches Leid verantwortlich ist?

 

A: Das nenne ich „das Spiel mit der Schuld“. Wenn man Probleme hat, gibt es zwei Herangehensweisen. Eine besteht in dem Versuch, das Problem zu lösen. Die andere besteht darin, jemanden zu finden, dem man die Schuld daran geben kann. Dann muss man nicht die Mühe in Kauf nehmen, die durch das Problemlösen entsteht. Und bei Menschen, die zum großen Teil ein Haufen Faulpelze sind, ist die zweite Herangehensweise wesentlich populärer. Versuche nicht das Problem zu verstehen und zu lösen, sondern suche dir einfach jemanden, denn du beschuldigen kannst. Aus diesem Grund gibt es so viele, völlig verrückte Verschwörungstheorien.

 

F: Wie viel Glauben schenkst du der Idee, dass echte Aliens in einige dieser Verschwörungen verwickelt sein könnten? Existieren für dich wirkliche Aliens und denkst du, dass sie mit der Regierung kollaborieren?

 

A: Ich denke, dass die sprachliche Form dieses Modells, die von Bill Cooper und William Moore und anderen dieses Schlages hervorgebracht wurde, eine wundervolle Metapher darstellt, einen großartigen Entwurf einer Science-Fiction-Geschichte. Aber ich kann es nicht wortwörtlich nehmen. Ich kann es einfach nicht glauben. In diesen Szenarien scheinen die Außerirdischen aus miesen Science-Fiction-Filmen der 50er Jahre zu kommen. Ich fände es leichter, daran zu glauben, dass die UFOs von Schneewittchen und den sieben Zwerge gesteuert werden … oder den drei Stooges …

Auf der anderen Seite hat die Idee, dass es gewisse Kräfte gibt, die wir nicht verstehen und die in einige Schwindeleien auf diesem Planeten involviert sind, eine gewisse Plausibilität. Je mehr man sich mit diesen Dingen beschäftigt, desto mehr kommt es einem so vor, dass jemand auf der anderen Seite die Fäden in der Hand hält. Ich fühle mich wie Thomas Henry Huxley, der große Agnostiker – ein Typ, der den Religionen sein ganzes Leben lang feindlich gegenüber stand. In einer Passage in einem seiner Essays sagt er sogar, wir seien alle wie Schachspieler, die Figuren seien die Phänomene des Universums, die Spielregeln seien die uns bisher bekannten Naturgesetze, aber der Gegenspieler bleibt weiter unsichtbar. Ich klassifiziere UFOs (überhaupt alles Paranormale) und Fort‘sche Phänomene als Aktionen dieses „Gegenspielers“, den wir bisher noch nicht verstehen.

 

F: Am Ende des Buches wünschst du dir, dass alle Verschwörungen, über die du geschrieben hast, ebenso leicht abzutun wären wie die Theorie über die zionistisch unterwanderte Regierung. Bei welchen Verschwörungstheorien fiel es dir schwer, sie abzulehnen? Welche zwei oder drei Theorien scheinen dir am plausibelsten?

 

A: Das Multi-Verschwörungs-Modell, das ich von Timothy Leary kenne. Später erzählte mir auch ein Bezirksstaatsanwalt davon – aus Santa Barbara denke ich –, den ich in Big Sur traf. Dieses Modell wird auch von dem Historiker Carl Oglesby verwendet.

Diese Theorie besagt, dass es in jeder Stadt, wenn sie einmal darüber hinausgekommen ist, ein Kaff wie im Wilden Westen zu sein – jede Stadt, die eine Bank, einen Supermarkt, einen Haufen Immobilien und einen Haufen Einwohner hat, selbst wenn sie noch keine Großstadt ist – immer mindestens 24 Gruppierungen gibt, die um die Vorherrschaft in der Stadt und den Löwenanteil des Grundbesitzes und des Profits kämpfen. Daher verschwört sich jede einzelne Gruppe gegen alle anderen.

Geht es dann um die Größe eines ganzen Bundesstaates, gibt es 24 oder vielleicht 30 entsprechend größere Verschwörungen. Auf der Ebene von Nationen gibt es dann Gott weiß wie viele Verschwörungen. Sie verschwören sich alle gegeneinander und sind allesamt gewillt, in ihren eigenen Interessen die Gesetze zu brechen. Sie lügen sogar. Ich weiß, dass man für paranoid gehalten wird, wenn man dies laut ausspricht, aber Banker und Politiker lügen tatsächlich gelegentlich.

Roberto Calvi, einer der Banker bei einer der größten Verschwörungen, der P2 Verschwörung in Italien, sagte einige Male: Lest The Godfather. Das wird euch zeigen, wie die Welt wirklich funktioniert.“ Mit anderen Worten agieren alle Machtgruppierungen im Grunde wie die Mafia. Und die Mafia ist keine gigantische, einheitliche Verschwörung. Sie ist eine Verschwörung oder eine Geheimgesellschaft von Leuten, die teils miteinander herumhängen und sich teils gegenseitig bekriegen. Calvi arbeitete eng mit der Mafia und mit arabischen Terroristen und internationalen Bankiers zusammen. Und er dachte, dass sie sich alle verhalten wie Don Corleone.

 

F: Du sprichst also über eine multiple Verschwörung, die vor allem darauf aus ist, möglichst viel Geld zu machen?

 

A: Genau das. Ich denke, dass es multiple Verschwörungen gibt, von denen sich gelegentlich fünf oder sechs zu einer Mega-Verschwörung zusammentun, um für einen gegebenen Zeitraum ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Allerdings sehe ich keinen Beweis dafür, dass sie seit Anbeginn der Zeiten bis zur Gegenwart zusammenarbeiten. Die meiste Zeit bekämpfen sie sich gegenseitig.

 

F: Betrachtest du alles als eine Verschwörung?

 

A: Nein. Irgendjemand beschuldigte mich einmal, dass ich behaupten würde, alles wäre subjektiv. Ich treffe keine Aussagen über „alles“. Ich treffe nur Aussagen über „einige, aber nicht alle“ Dinge. Ich habe den Verdacht, dass Verschwörungen auf diesem rückständigen und barbarischen Planeten ein weit verbreitetes Phänomen sind. Das geht sogar der Menschlichkeit voraus. Löwen verschwören sich – ein Löwe scheucht eine Herde Antilopen auf, um sie in eine bestimmte Richtung zu treiben, wo die anderen Löwen schon hungrig warten. Dabei handelt es sich um eine Verschwörung gegen Antilopen. Ich bin mir sicher, dass dies den Antilopen mächtig gegen den Strich geht. „Verdammte Löwen. Diesen Arschlöchern kann man keine Sekunde lang vertrauen.“

Ameisen verschwören sich. Sie erobern Territorien und vertreiben Eindringlinge. Ratten haben sehr energische Verschwörungen – wenn eine Ratte aus einem fremden Rudel in ihr Gebiet kommt, wird sie gejagt und getötet. Es ist wie bei der Mafia: „Wir mögen es nicht, wenn man sich durch unser Territorium bewegt.“

 

F: Ist es einer Verschwörung möglich, harmlos zu sein?

 

A: Darauf möchte ich eine „Ja, aber“-Antwort geben.

Der Unterschied zwischen einer Verschwörung und einer Gruppe, die sich über eine Verbundenheit definiert, ist folgender. Wenn meine Freunde und ich eine Gruppe bilden, definiert sich diese über Zugehörigkeit, wenn es unsere Feinde machen, dann ist es eine Gott verdammte Verschwörung. Verschwörungen durchziehen die Welt der Literatur, die Kunstwelt, usw. Marihuana gelangte durch Verschwörungen in die USA. Moderne „liberale“ Intellektuelle waren die erste und einzige Gruppe, die jemals geglaubt hat, dass Verschwörungen nicht existieren. Das ist wie zu behaupten, dass es niemals regnet oder schneit. Wir sehen demnach Dinge, die vom Himmel fallen, und missverstehen sie lediglich als Regen oder Schnee …