Verfluchung per Definition

 

 

Diese Fragmente stammen aus einem Buch, das ich Authority and Submission96 nannte und 1964 zu schreiben begann. Als fünf Verleger hintereinander das Buch abwiesen, gab ich das Schreiben von Büchern für volle sechs Jahre auf und schrieb nur kürzere Sachen. In jenen Tagen war ich sehr pessimistisch und masochistisch.

Einige Teile von Authority and Submission wurden umgeschrieben und in Illuminatus! und Der neue Prometheus eingearbeitet.

 

Das am meisten und unbarmherzigsten verfluchte, ausgeschlossene, verurteilte, ignorierte, unterdrückte, brutalisierte, beraubte und diffamierte aller verfluchten Dinge ist das individuelle menschliche Wesen. Sozial-Ingenieure, Statistiker, Psychologen, Bürokraten, Soziologen, Marktforscher, Vermieter, Industrielle, Bankiers, Gouverneure, Kommissare, Könige, Präsidenten usw. zwängen dieses verfluchte Ding fortwährend in sorgfältig ausgearbeitete Blaupausen und sind genervt davon, wenn dieses verfluchte Ding dann nicht in die zugewiesenen Steckplätze passt. Die Theologen nennen dies eine Sünde und versuchen es zu „reformieren“. Der Gouverneur nennt es einen Kriminellen und versucht es zu „bestrafen“. Die Psychologen nennen es neurotisch und versuchen es zu „heilen“. Doch das verfluchte Ding wird immer noch nicht in ihre Steckplätze passen.

Zufällig hörte ich einmal zwei Botaniker über ein verfluchtes Ding diskutieren, das frevlerisch auf dem Hof einer Universität gesprossen war. Einer behauptete, dass dieses verfluchte Ding ein Baum „ist“, und der andere behauptete, dass es ein Strauch „ist“. Beide hatten überaus gelehrte Argumente und als ich schon weiterging, diskutierten sie immer noch.

Für alle Zeiten wird die Welt verfluchte Dinge hervorbringen – Dinge, die weder Baum noch Busch, Fisch noch Geflügel, schwarz noch weiß sind – und kategorische Denker können die stachelige und vibrierende Welt sensorischer Fakten nur für eine tiefgehende Beleidigung ihres Karteisystems an Klassifikationen halten. Die schlimmsten aller dieser Fakten sind die, welche den „gesunden Menschenverstand“ missachten, diesen trostlosen Sumpf steinzeitalterlicher Vorurteile und matschiger Trägheit. Die gesamte Geschichte der Wissenschaft ist die Odyssee leicht verrückter Karteikartensammler, die stetig zwischen verfluchten Dingen und dem verzweifelten Jonglieren mit den eigenen Klassifikationen hin und her taumeln. Dies ist genau so, wie auch die Geschichte der Politik der vergebliche Epos einer langen Reihe von Versuchen ist, die verfluchten Dinge in Reih und Glied aufzustellen und sie in Regimentern marschieren zu lassen.

Jede Ideologie ist geistiger Mord, eine Reduktion dynamischer Lebensprozesse auf statische Klassifikationen. Jede Klassifikation ist eine Verfluchung, so wie jede Inklusion auch eine Exklusion ist. In einem geschäftig brummenden Universum, wo keine zwei Schneeflocken und keine zwei Bäume und auch nicht zwei Personen identisch sind – tatsächlich ist das kleinste subatomare Teilchen, das uns bekannt ist, von einer Mikrosekunde zur nächsten nicht einmal mit sich selbst identisch – ist jedes Karteikartensystem eine Illusion. „Oder, um es freundlicher auszudrücken:“, wie Nietzsche sagte, „wir sind alle bessere Künstler, als wir glauben.“

Es ist einfach zu erkennen, dass die Etikette „Jude“ im Nazideutschland ein Fluch war, doch tatsächlich ist die Etikette „Jude“ überall ein Fluch, sogar dort, wo es keinen Antisemitismus gibt. „Er ist ein Jude“, „sie ist ein Arzt“ und „er ist ein Dichter“ bedeuten für das Karteikartenzentrum des Kortex, dass meine Erfahrungen mit ihm oder ihr gleich meinen Erfahrungen mit anderen Juden, Ärzten und Dichtern sind. Damit wird die Individualität ignoriert, sobald die Identität bestätigt wurde.

Man kann diesen Mechanismus bei einer Party oder irgendeinem Platz, wo sich Fremde treffen, gut beobachten. Hinter freundlicher Kontaktaufnahme lauert die Vorsicht davor, dass jede Person bei allen anderen nach Etiketten sucht, die den anderen identifizieren und zugleich verfluchen. Letztendlich wird dann aufgedeckt: „Oh, sie ist eine Werbetexterin“, „Oh, er ist ein Bauingenieur“. Beide Seiten entspannen sich, denn von nun an wissen sie, wie sie sich zu verhalten haben und welche Rolle in dem Spiel eingenommen werden muss. Jeder ist zu 99% verflucht worden und der andere reagiert nur auf das eine Prozent, das von der Karteikartenmaschine etikettiert wird.

Gewisse Verfluchungen sind sozial und intellektuell natürlich notwendig.

Eine Sahnetorte, in das Gesicht eines Komikers geworfen, wird von Physikern verflucht, wenn diese die Torte auf Basis newtonscher Bewegungsgesetze analysieren. Diese Gleichungen erzählen uns, was wir über den Aufprall der Torte im Gesicht wissen wollen, aber nichts über die menschliche Bedeutung einer Tortenschlacht.

Ein kultureller Anthropologe, der die soziale Funktion des Komikers als Schamane, Hofnarr und Stellvertreter des Königs analysiert, erklärt das Tortewerfen als die Fortführung des Narrenfestes und die symbolische Ermordung des königlichen Doppelgängers. Das verflucht den Sachverhalt auf anderem Weg.

Ein Psychoanalytiker, der darin ein ödipales Kastrationsritual sieht, verflucht es auf eine dritte Weise und der Marxist, der darin ein Ventil für die unterdrückte Wut des Arbeiters gegen seine Chefs sieht, findet eine vierte Möglichkeit der Verfluchung.

Jede Verfluchung hat einen eigenen Wert und Nutzen, aber bleibt trotzdem so lange eine Verfluchung, bis wir ihre partielle und willkürliche Natur verstehen. Der Dichter, der die Torte im Gesicht des Komikers mit dem moralischen Verfall des Westens oder seiner eigenen verlorenen Liebe vergleicht, begeht eine fünfte Verfluchung, doch sind das verspielte Element und die Wunderlichkeit des Symbolismus in seinem Fall offensichtlich. Zumindest würde man das hoffen, wenn man die Kritiker liest, die bisweilen Zweifel an diesem Punkt kundtun.

Die menschliche Gesellschaft kann entweder entsprechend den Prinzipien der Gewaltausübung (autoritär) oder den Prinzipien der Freiheit (libertär) strukturiert werden.

Gewaltausübung erfordert eine statische soziale Struktur, in welcher Personen als Überlegene oder Unterlegene agieren: eine sadomasochistische Beziehung.

Freiheit repräsentiert eine dynamische Sozialstruktur, in welcher Personen als Gleichberechtigte agieren: eine erotische Beziehung.

In jeder Interaktion zwischen Personen wird entweder Autorität oder Freiheit der dominante Faktor. Familien, Kirchen, Logen, Clubs und Unternehmen scheinen entweder eher autoritär oder eher libertär zu sein.

Wenn wir diesen Gedanken weiterdenken, wird offensichtlich, dass die kampflustigste und intoleranteste Form der Autorität der Staat ist, der es sogar heutzutage noch wagt, einen Absolutismus einzusetzen, den die Kirche schon vor langer Zeit aufgegeben hat, und einen Gehorsam zu erzwingen, der mit der beschämenden Inquisition vergleichbar ist. Jede Form des Autoritarismus „ist“ oder verhält sich zumindest wie ein kleiner „Staat“, selbst wenn er nur zwei Mitglieder hat. Freuds Bemerkung zu dem Effekt, dass eine Geisteskrankheit die Illusion einer einzelnen Person und Religion die Illusion von vielen Personen ist, kann verallgemeinert werden: Der Autoritarismus einer Person ist ein Verbrechen und der Autoritarismus mehrerer Personen ist ein Staat. Benjamin Tucker hat dies sehr sorgfältig beschrieben:

 

Aggression ist ein anderer Name für Regierung. Aggression, Invasion und Regierung sind austauschbare Begriffe. Die Essenz der Regierung meint Kontrolle oder den Versuch zur Kontrolle. Derjenige, der versucht zu kontrollieren, ist der Herrscher, ein Aggressor, ein Eindringling; und die Natur einer solchen Invasion verändert sich nicht, ob sie nun von einem Menschen gegenüber einem anderen Menschen ausgeübt wird, nach Art eines gewöhnlichen Verbrechens, oder von einem Mensch gegenüber allen anderen Menschen, nach Art der absoluten Monarchie, oder von allen anderen Menschen über einen Einzelnen, nach Art der modernen Demokratie.

Tuckers Gebrauch des Wortes „Invasion“ ist bemerkenswert präzise, wenn man bedenkt, dass er diesen Text fünfzig Jahre vor Entdeckung der Ethologie geschrieben hat.

Jeder Akt der Obrigkeit bzw. Autorität ist in der Tat ein Eingriff bzw. eine Invasion in die Psyche und das physische Territorium eines anderen.

Jede wissenschaftliche Tatsache wurde früher einmal verdammt. Jede Erfindung wurde als unmöglich abgestempelt. Für einige Orthodoxe war jede neue Entdeckung ein Nervenschock.

Jede künstlerische Innovation wurde als Betrügerei und Narrheit abgetan. Das gesamte Netz der Kultur und des „Fortschritts“ und alles auf dieser Erde, was von Menschen gemacht und nicht durch die Natur gegeben wurde, stellt die konkrete Manifestation des Widerstandes einiger Personen dar, die nicht bereit waren, vor einer Autorität zu buckeln. Wir würden nicht mehr besitzen, nicht mehr wissen und nicht mehr sein als der erste affenähnliche Hominide, wenn es die Rebellischen, Aufsässigen und Querdenker nicht gegeben hätte. Wie Oscar Wilde es treffend auf den Punkt bringt: „Gehorsamverweigerung ist des Menschen erste Tugend.“

Das menschliche Gehirn, das es liebt, als das erstaunlichste Wahrnehmungsorgan im Universum beschrieben zu werden, ist ein noch viel erstaunlicheres Organ, wenn es um Unterdrückung und Zurückweisung geht. Diese nackten Tatsachen unserer ökonomischen Spiele sind leicht zu durchschauen, doch Konservative – also gewöhnliche Leute, die jeden Tag ihres Lebens von diesen Tatsachen profitieren – schaffen es, sich dieser Tatsachen nicht bewusst zu werden oder sie durch die rosarote Brille zu betrachten.

(Gleichermaßen ignorieren die Revolutionäre die deutlichen Zeugnisse der Geschichte über den naturgemäßen Fluch der Revolution; über Gewalt zu Chaos und dann in Gestalt einer neuen Tyrannei zum Ausgangspunkt zurück.)

Wir müssen uns daran erinnern, dass „Gedanke“ Abstraktion bedeutet. In Einsteins Metapher ist die Relation zwischen einer sensorischen oder instrumentellen Tatsache und unserer geistigen Rezeption dieser Tatsache nicht wie die Relation zwischen Rinderfleisch und Rinderbouillon, also wie eine einfache Extraktion und Verdichtung. Wie Einstein weiter ausführen würde, ist es wie die Relation zwischen unserem Regenmantel und dem Ticket, das wir erhalten, wenn wir den Regenmantel an der Garderobe abgeben. Mit anderen Worten, menschliche Wahrnehmung bedeutet zu kodieren, viel mehr noch als fühlend wahrzunehmen.

Das Netz der Sprache oder der Mathematik oder einer Kunstrichtung oder irgendeines Systems menschlicher Abstraktion verleiht unseren geistigen Konstrukten nicht die Struktur des originalen Sachverhalts, jedoch die Struktur des symbolischen Systems, in welchem wir kodieren – genauso wie ein Kartograf ein Land nicht mit der Farbe Violett angibt, weil das Land tatsächlich violett ist, sondern weil der Code dies erfordert. Doch blendet jeder Code gewisse Dinge aus, verzerrt bestimmte Dinge und bewertet wieder andere Dinge über.

Nijinskis berühmter Fenstersprung am Höhepunkt von Spectre d´une Rose wird am besten in dem Notationssystem von Ballettchoreografen kodiert; die verbale Sprache würde bei dem Versuch, diese Information zu übermitteln, stark ins Taumeln kommen. Malerei und Bildhauerei können die Magie eines Augenblicks hervorragend festhalten, doch auch nur die eines Augenblicks. Die physikalische Gleichung Kraft = Masse x Beschleunigung hebt einen Aspekt hervor, den andere Codes nicht greifen können, doch verliert es alles außerhalb dieses einen Aspekts. Jede Wahrnehmung wird von gewohnten Kodierungsmustern beeinflusst, geformt und strukturiert – neurosemantische Spielgewohnheiten des Wahrnehmenden.

Jede Form von Autorität ist eine Funktion des Kodierens und bestimmter Spielregeln. Die Menschen sind immer wieder aufgestanden und haben mit Mistgabeln bewaffnet gegen Armeen mit Kanonen gekämpft; auch haben sich die Menschen den schwächsten und tatterigsten Unterdrückern sanftmütig gefügt. Das alles hängt von dem Umfang ab, in welchem Kodierungen die Wahrnehmung beschränken und Konditionierungen die physischen (und „geistigen“) Reflexe verzerren.

Auf den ersten Blick scheint es so, dass Autorität nicht existieren würde, wenn entweder alle Menschen Feiglinge wären oder kein Mensch ein Feigling wäre. Die Autorität floriert allerdings dermaßen, weil die meisten Menschen Feiglinge und einige wenige Diebe sind. Genau genommen werden die inneren Dynamiken von einerseits Feigheit und Unterwürfigkeit und andererseits von Heldenmut und Rebellion dieser Tage selten bewusst umgesetzt, weder von der herrschenden noch von der dienenden Klasse.

Unterwürfigkeit wird nicht nur mit Feigheit gleichgesetzt, sondern mit Tugendhaftigkeit. Rebellion nicht mit Heldentum, sondern mit Bösartigkeit. Für die römischen Sklavenhalter war Spartakus kein Held und die gehorsamen Sklaven waren auch keine Feiglinge; Spartakus war ein Schurke und die gehorsamen Sklaven waren rechtschaffen. Die gehorsamen Sklaven dachten ebenso darüber. Der Gehorsame hält sich selbst immer eher für tugendhaft als für feige.

Wenn Autorität Unterwürfigkeit voraussetzt, dann erfordert Befreiung Gleichheit; Autorität entsteht dort, wo einige Personen anderen gehorchen, und Freiheit existiert dort, wo Menschen anderen Menschen nicht gehorchen. Zu sagen, dass Autorität vorherrscht, bedeutet damit, dass Klassen und Kasten, Unterdrückung und Ungleichheit existieren.

Zu sagen, dass Freiheit existiert, bedeutet, dass eine Klassenlosigkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit besteht. Autorität führt durch das Aufteilen von Menschen in Klassen zu Zweiteilung, Zerrüttung, Feindseligkeit, Angst und Uneinigkeit. Freiheit führt uns dadurch, dass sie uns alle gleichberechtigt behandelt, zu einem Interessenverband, einer Einheit, Sicherheit und zu Zusammenschluss. Wenn die Beziehungen zwischen Personen auf Autorität und Nötigung basieren, werden Menschen voneinander entfernt; basieren sie auf Freiheit und Nicht-Aggression, werden sie zusammengeführt. Die Tatsachen sind offensichtlich und unumstößlich. Wenn Autoritarismus nicht diese eingebaute, vorprogrammierte Double-Bind-Struktur eines Endlos-Spieles besäße, hätten wir ihn schon vor langer Zeit abgeschafft und durch Liberalismus ersetzt.

Der durchschnittliche Pazifist beschwert sich über Krieg, wenn junge Männer von alten Männern, die in ihrem bürokratischen Zuhause am Schreibtisch sitzen und selbst kein Risiko eingehen, in den Tod geführt werden … und hat damit das Wesentliche nicht begriffen. Wer fordert, dass die Alten in ihren eigenen Kriegen kämpfen sollten oder dass die Führer der Krieg führenden Nationen am ersten Tag der Schlacht an die Front geschickt werden sollten, zielt auf einen vermuteten „Sinn für Gerechtigkeit“ ab, den es einfach nicht gibt.

Für den typischen, unterwürfigen Bürger einer autoritären Gesellschaft ist es normal, offensichtlich und „natürlich“, dass er sich älteren und dominanteren Männchen unterwirft und sein Leben riskiert, ja sogar gegen seine Verwandtschaft vorgeht – auch in Angelegenheiten, die ungerecht und eklatant absurd sind.

Der Mechanismus, mit dem Autorität und Unterordnung in den menschlichen Verstand eingepflanzt werden, zeigt sich im Kodieren der Wahrnehmung. Das, was zu dem Code passt, wird akzeptiert; alles andere ist dazu verflucht, ignoriert, zur Seite gestoßen und – wenn das alles nicht hilft – vergessen zu werden. Eine noch schlimmere Form der Verfluchung ist jenen Dingen vorbehalten, die nicht ignoriert werden können. Diese werden so lange mit projizierten Vorurteilen beschmiert, bis sie sich, zur Unkenntlichkeit verkümmert, in das System einpassen, klassifizieren und verscharren lassen. Das ist genau das, was jedem verfluchten Ding geschieht, das zu beharrlich und stachelig ist, um gänzlich exkommuniziert werden zu können. Wie Josiah Warren anmerkte: „Es ist gefährlich, neue Sachen allzu schnell zu verstehen.“ Beinahe immer haben wir sie nicht verstanden. Wir haben sie getötet und mumifizieren die Reste.

Ein Monopol auf die Bedeutung von Kommunikation zu besitzen, definiert die herrschende Elite wahrscheinlich präziser als das bekannte Marxsche Rezept eines „Monopols auf die Produktionsmittel“. Seit Menschen ihr Nervensystem durch Kommunikationskanäle wie z.B. das geschriebene Wort, Telefon, Radio, TV, Internet usw. weiterentwickeln, kontrollieren diejenigen, die diese Medien kontrollieren, auch einen Teil des Nervensystems eines jeden Gesellschaftsmitglieds. Der Inhalt dieser Medien wird Teil des Inhaltes jedes einzelnen Verstandes.

In ungebildeten Gesellschaften sind Tabus über das gesprochene Wort zahlreicher und drakonischer als in jeder fortgeschritteneren Gesellschaft.

Mit der Erfindung der Schriftsprache – Hieroglyphen, ideographische oder alphabetische Systeme – wurden die Tabus dann auf dieses Medium übertragen. In diesen Systemen wird sich weniger darum gesorgt, wovon die Leute sprechen, und mehr darum, worüber sie schreiben. (In einigen der ersten Kulturen, die eine Schriftsprache entwickelten, so wie z.B. in der Kultur der alten Ägypter und Mayas, wurde das Wissen über die Hieroglyphen als religiöses Geheimnis behandelt, das lediglich den Hohepriestern und der königlichen Familie vorbehalten war.)

Der gesamte Prozess wiederholt sich endlos: Jeder weitere Entwicklungsschritt in der Kommunikationstechnologie wird stärker tabuisiert als die vorangegangenen. In Amerika hört man heutzutage selten, dass jemand für gesprochene Obszönitäten oder Blasphemie bestraft wird. Es gibt allerdings immer noch die strafrechtliche Verfolgung von Literatur, in zunehmendem Maße interpretieren höhere Gerichte die Gesetze jedoch auf liberale Weise und Schriftsteller fühlen sich so sicher, dass sie nahezu über alles schreiben können. Die Filmwirtschaft wächst auf ähnlich dezentralisierte Weise wie die Literatur, obwohl auf diesem Gebiet immer noch hitzige Gefechte stattfinden. Fernsehen, das neueste Medium, bleibt noch in steinzeitliche Tabus verpackt. (Wenn ein TV-Experte eine Majestätsbeleidigung gegenüber dem dominanten Männchen begeht, einem gewissen Richard Nixon, dann wird dieser Übertritt sehr schnell von einem seiner Gefolgsleute gemeldet und der gesamte Stamm – außer der anders denkenden Minderheit – schreit nach Einhaltung der Tradition.) Wenn sich nun ein effizienteres Medium entwickelt (Internet?), werden sich die Tabus des Fernsehens zurückentwickeln.