Träume vom Fliegen

 

 

Ein anderer Artikel aus meiner Zeit in Los Angeles (Magical Blend 1988).

Arlen war noch nicht krank und zum ersten Mal in meiner Karriere als Schriftsteller verdiente ich jedes Jahr genug, um mir über Geld keine Sorgen mehr machen zu müssen … meistens… (Einmal ökonomisch auf dem Boden aufgeschlagen, wie ich es 1972 war, verdient man niemals genug, um sich wirklich keine Sorgen mehr zu machen …)

 

Ich las kürzlich einen äußerst vergnüglichen Roman namens The Dream Illuminati29 von Wayne Saalman (Falcon Press, Santa Monica, 1988). Mr. Saalman wählte ein episches Thema – Träume vom Fliegen und der tatsächlichen Umsetzung dieses Traumes.

Historisch betrachtet erschienen Träume vom Fliegen im Kollektiven Unbewussten, bevor das Fliegen technisch realisiert wurde, und ich vermute, dass wir unsere Technologie weiser verwenden würden, wenn wir unsere Träume besser verstünden. In unseren Maschinen manifestiert sich der Stoff, aus dem unsere Träume sind. Eine Psychoanalyse unserer Kultur könnte sich demnach leicht aus einer Untersuchung darüber ableiten, wie wir Wissenschaft benutzen, um unsere Fantasien und Alpträume zu materialisieren.

Mr. Saalmans Science-Fantasy verwunderte mich: “Warum haben wir schon immer vom Fliegen geträumt und warum haben wir Flugmaschinen gebaut?” Diese Fragen erscheinen mir in einer Welt, in der jedes Jahr 200.000.000 Leute den Kennedy International Airport passieren, um den Atlantik in der einen oder anderen Richtung zu überfliegen, „äußerst“ wichtig, um tiefer gehend über sie nachzudenken.

Um das Tiefgründige zu verstehen, erscheint es häufig hilfreich, mit Hinweisen zu beginnen, die trivial sein mögen. Ich vermute, dass wir alle nachvollziehen können, was unsere Kinder jeden Samstagmorgen im Fernsehen schauen. Einer der populärsten Witze in animierten Cartoons zeigt den Protagonisten, der über eine Klippe geht, ohne zu bemerken, was er da eigentlich getan hat. Erhaben und unwissend geht er weiter – in der Luft – bis er bemerkt, dass er das „Unmögliche“ getan hat … und dann fällt er herunter. Ich bezweifle sehr, dass irgendein Leser diesen Vorgang nicht schon zumindest einmal gesehen hat. Die meisten von uns haben dies wahrscheinlich schon einige Hundert Male gesehen.

Es mag übertrieben erscheinen, in dieser grob skizzierten Form eines Hollywood-Klischees einen Jung´schen Archetyp zu erkennen, aber folgt mir einen Moment.

Wenn uns Hollywood diesen Mythos zeigen möchte, präsentiert es Superman, der mit „einem einzigen Satz über riesige Gebäude springen kann“ und einen Helden namens Luke Skywalker.

Das Tarot, diese verdichtete Enzyklopädie des Kollektiven Unbewussten, beginnt mit der Karte, die „Der Narr“ genannt wird, und der Narr wird als über eine Klippe gehend dargestellt – genau wie Donald Duck oder Wily Coyote in den Cartoons.

Lustige Koinzidenz, was?

Eine griechische Legende (die James Joyce als den Archetypen des Künstlerlebens interpretierte) erzählt uns von Dädalos und Ikaros: Dädalos, der in ein Labyrinth („Realität“) eingesperrt war, erfand Schwingen und flog über die Köpfe seiner Verfolger hinweg. Ikaros, der Sohn des Dädalus, flog zu nah an die Sonne Absolut heran und fiel zurück auf die Erde. Wie auch bei Porky Pig, der über eine Klippe geht, beinhaltet Ikaros´ Fall einen Symbolismus, den schon viele in ihren Träumen erlebt haben.

Der Orden der Sufis hat ein Herz mit Flügeln als Emblem (und der Ordo Templi Orientis nahm einen Kreis – sowohl die Leere als auch die Vollkommenheit symbolisierend – mit Flügeln). Der Ägyptische Gott der Weisheit, Thoth, besaß den Kopf einer geflügelten Kreatur, nämlich des Ibis. Sein griechisches Äquivalent, Hermes, wurde menschlicher porträtiert. Er hatte jedoch Vogelschwingen an seinen Sandalen.

Die Gebrüder Wright, welche uns allen das Fliegen ermöglichten, werden immer Lieblinge des Volkes bleiben – doch wie viele Leser erinnern sich an die Namen der Erfinder solch sagenhafter (jedoch erdgebundener) Vorrichtungen wie dem Fernseher, dem Staubsauger, dem Computer, dem Laser oder der modernen Innen-Toilette?

Während andere Genies scheinbar „von den Massen vergessen” wurden, heißt es immer noch: „Ich sagte es Wilbur und ich sagte es Orville, du wirst diese Kiste niemals vom Boden hochkriegen“, wenn es darum geht, einen Konservativen zu verspotten, der dem Grenzen setzt, was menschliches Geschick bewerkstelligen kann.

Seht ihr? Wir erinnern uns sogar an ihre Vornamen.

Ich vermute, dass ein Teil der Funktion des Fliegens in der Zerstörung unserer Konzepte von Limitierungen besteht. Das bringt uns zu der Erkenntnis, die Dr. John Lilly so eloquent in The Center of the Cyclone30 ausdrückte:

 

In der Psyche ist das, was man für wahr hält, wahr oder wird wahr, und zwar innerhalb der Grenzen, die experimentell oder empirisch entdeckt werden. Diese Grenzen sind aber Glaubenssätze, die es zu transzendieren gilt. In der Psyche gibt es letztlich keine Grenzen.

Der Dichter Hart Crane, der zu beschreiben versuchte, was Wilbur und Orville Wright für ihre Generation bedeuteten (er starb 1932), schrieb in Kitty Hawk31, dass er von Anfang an die „nahende Umklammerung“ des Mars spürte.

Nur geringfügige 30 Jahre später spazierte Neil Armstrong wie eine Figur aus der Fantasiewelt von Jules Verne über den Mond. Zehn Jahre später dringen unsere Instrumente bis zur Wüste des Mars vor, der „uns“ durch die Visionen von Edgar Rice Burroughs und Ray Bradbury bereits bekannt vorkommt. Wenn das nicht William Blakes berüchtigte Behauptung bestätigt, dass „dichterische Vorstellungskraft“ letztendlich „Gott“ meint, so legt es jedenfalls nahe, dass dichterische Vorstellungskraft eine andere Bezeichnung für „logische Vorhersehung“ darstellt.

Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, weshalb Dädalos auf Griechisch „Künstler“ bedeutet. Dädalus, Schöpfer von Labyrinthen, eingesperrt von denjenigen, denen er diente, … in einem Labyrinth, das er selbst erbaute – Dädalus, Erfinder von Flügeln, die ihn von der Erde in den „outer space“ hinaustrugen. Warum repräsentiert er Kunst statt Wissenschaft?

Gut, um dies zu verstehen, sollten wir uns daran erinnern, dass die Alten Griechen nicht zwischen „Kunst“ und „Wissenschaft“ unterschieden haben, so wie wir heute es tun. Das Genie eines Künstlers, sagte Aristoteles, liegt in seiner teçne, die Wurzel, von der unser Wort „Technologie“ abstammt. Ursprünglich jedoch bedeutet teçne Fertigkeit oder Handwerk oder die Fähigkeit, Dinge zu erschaffen, die nie zuvor existiert haben. Negative Entropie, das heißt Information.

Im Gegensatz dazu hielt man in unserem Zeitalter Strawinsky für „launisch“ oder „widersinnig“ (oder für „absichtlich rätselhaft“), als er sich selbst einen „Klangingenieur“ nannte. Ein Künstler, der sich selbst als eine Art Techniker sieht? Das ist ein für uns schwer zu begreifender Gedanke.

Schon ein paar Augenblicke der Reflexion werden zeigen, dass genauso viel präzises strukturelles Wissen in Stravinskys Musik gefunden werden kann wie in Roeblings Blaupausen der Brooklyn Bridge – das Bauwerk (als es neu war, fand man es „wundervoll“), welches Hart Crane als ein Symbol für die Einheit von Kunst und Wissenschaft interpretierte.

Die abendländische Besessenheit vom dichotomischen und dualistischen Denken wurde in letzter Zeit so häufig bloßgestellt, dass ich mich fast nicht mit diesem Punkt abzuquälen brauche. Ich würde einen etwaigen gemeinschaftlichen Ursprung von Kunst und Wissenschaft bevorzugen.

Musiker und Architekten, Poeten und Physiker – alle sind Erfinder neuer Realitäten. Diese Schöpfer können alle als späte evolutionäre Entwicklungen jenes Typus angesehen werden, der zuerst als Schamane auftrat. Denkt bitte daran, dass Schamanen in den meisten Kulturen als „die, welche sich durch die Luft bewegen“ bekannt wurden – genau wie unser gegenwärtiger Schamanen-Held Luke Skywalker.

Man sollte es nicht als zufällig oder willkürlich betrachten, dass Swift Laputa, die Heimat der Wissenschaftler, in den Himmel setzte, um die wildäugigen und utopischen Wissenschaftler seiner Zeit dafür herabzusetzen, dass sie nicht alle vier Füße auf dem Boden hatten. Aristophanes verfrachtete Sokrates in die Wolken, um auf ähnliche Weise die spekulative agnostische Philosophie herabzuwürdigen.

Der Weltraum scheint das natürliche Zuhause aller Nachkommen der Schamanen zu sein, ob sie nun Künstler, Philosophen oder Wissenschaftler genannt werden.

Die Ironien von Swift und Aristophanes und der Mythos des Falls von Ikaros und Donald Duck verweisen darauf, dass das Kollektive Unbewusste eine Macht beinhaltet, die entgegengesetzt zu unseren Träumen vom Fliegen steht. Diese Macht scheint unausweichlich. Wie Jung, der führende Forscher der kollektiven Psyche, aufzeigte, kommt in den Symbolen von Träumen und Mythen häufig eine unvermeidbare Polarität vor: ein „Gesetz der Gegensätze“, welches Jung mit dem chinesischen Konzept der Yin- und Yang-Energie verglich.

Jekyll trägt Hyde in sich; Liebe wird leicht zu Hass; Amor und Psyche erscheinen wieder als das Phantom der Oper und Margarete … und als King Kong und Fay Wray.

Im gegenwärtigen Kontext bedeutet das Gesetz der Gegensätze, dass wir uns danach sehnen aufzusteigen und dennoch Angst davor haben zu fallen. Unser „Inneres Selbst“ wird nicht nur von Orville Wright, der vom Kill Devils Hill in Kitty Hawk wie ein Vogel aufstieg, widergespiegelt, sondern auch von Simon Newcombe, dem großen Astronomen, der mathematisch „bewies“, dass ein solcher Flug unmöglich wäre.

Wie ich an anderer Stelle schon andeutete, resultieren Neophilie und Neophobie – die Liebe zum Neuen und die Angst vor dem Neuen – aus der Ur-Polarität der ersten Prägung des Neugeborenen. Dr. Timothy Leary nannte das den Bio-Überlebens-„Schaltkreis“ des Nervensystems – das orale Bio-Überlebens-System, wie ich es zu nennen vorziehe, da es das Immun-, Endokrin- und Neuropeptid-Subsystem  sowie das autonome Nervensystem beinhaltet. Dazu gehören grundsätzlich und ausschließlich Prägungen, die augenblicklich entweder basal erforschender Natur oder basal konservativer Natur sind. Das erklärt, denke ich, warum manche Babys „vor Freude glucksen“, wenn sie in die Luft geworfen und wieder aufgefangen werden, während andere vor Angst schreien. Kleinkinder, die diese Erfahrung des Fliegens mögen, hatten bereits die infophile Prägung und solche, die sich erschrecken, hatten die infophobe Prägung.

Natürlich kann das Universum weiter als bis zwei zählen (auch wenn aristotelische Logiker dies nicht können) und wenige von uns sind entweder reine Neophiliker oder reine Neophobiker. Vielmehr schwanken wir auf einem Grad zwischen Neophilie und Neophobie – zwischen Freude und Angst, zwischen Konservatismus und Experimentalismus, zwischen der Sehnsucht nach dem Aufsteigen und der Angst vor dem Fallen. Zu manchen Zeiten fühlen wir uns wie die Möwe Jonathan, überzeugt davon, dass „der wahre Himmel keine Grenzen kennt“, und versuchen immer höher und schneller zu fliegen. Zu anderen Zeiten sind wir der Reagan-ähnliche alte Vogel, der ängstlich davor warnt, dass man sich das Gehirn ruiniert und den traditionellen Sitten der Herden widerspricht, wenn man zu hoch und zu schnell fliegt.

(„Sagt Nein zum Aufsteigen!“)

Beide sind ein Teil von uns: Orville Wright, der in den Himmel hinaufsteigt, einer Zukunft entgegen, „in der kein Mann gewesen ist“, … und Simon Newcombe, der beweist, dass Orville dabei (genau wie Humpty Dumpty32) mit Sicherheit stürzen und zerschmettert werden wird.

Wie Joyce so poetisch schrieb:

 

My great blue bedroom, the air so quiet, scarce a cloud. In peace and silence. I could have stayed up there for always only. It’s something fails us. First we feel. Then we fall. I’ll seen him come down on me now under whitespread wings like he’d come from Arkangels. I sink I’d die down under his feet, humbly dumbly, only to washup.

 

Mein großes, blaues Schlafzimmer, die Luft so still, kaum eine Wolke. In Frieden und Ruhe. Ich hätte dort für immer und ewig wach bleiben können. Es ließ uns irgendetwas im Stich. Zuerst fühlen wir. Dann fallen wir. Ich sehen ihn, wie er auf mich zukommt, jetzt unter weiß-gefächerten Schwingen, als ob er von den Erzengeln kommt. Ich sinke, dass ich unter seinen Füßen sterben werde, demütig stumm, nur um abzuwaschen.33

 

Ungeachtet der Vielschichtigkeit der Traumbilder in diesem Textausschnitt – der irische Regen fällt, um zum irischen Fluss Anna Liffey zu werden, Luzifer und seine Heerscharen stürzen aus dem Himmel, der Fall von Adam und Eva und der von Humpty Dumpty, Maria empfängt den göttlichen Samen des Erzengels, Magdalena wäscht die Füße des Erlösers, der Heilige Geist steigt als Taube hernieder, um den Aposteln die Gabe der Zungen zu bringen, eine Hausfrau wäscht das Frühstücksgeschirr ab – beschwört Joyce unser tiefes Bewusstsein vor allem damit, dass die Schwerkraft „uns herunter zieht“. Auch beschwört er unser tiefes Verlangen danach, uns von dieser „Schleppe“ zu befreien und zurück in unser Zuhause über den Wolken aufzusteigen.

1988 schien der altägyptische und gnostische Glaube, dass unsere Herkunft und unsere Bestimmung weit über die Erde hinaus reichen, nicht länger wunderlich und seltsam wie noch in der vorherigen Generation. In Büchern wie Dr. Timothy Learys Info-Psychology34, Dr. Francis Cricks Cosmic Panspermia und Sir Fred Hoyles Evolution from Space35 wird ein Berg an Beweisen dargelegt, die deutlich darauf verweisen, dass das Leben nicht auf diesem Planeten begann, sondern von irgendwo aus dem Weltall hierher kam.

Obwohl sich die Interpretationen dieser brillanten Philosophen-Wissenschaftler in ihren Argumentationen voneinander unterscheiden, machen sie deutlich, dass die Evolution älter und universeller ist, als wir traditionell denken. Ihre Bücher hinterlassen den Verdacht, dass die orthodoxe biologische Anschauung, in der die Evolution auf der Erde als getrennt von der Evolution des Kosmos betrachtet wird, aus unausgesprochenen prä-kopernikanischen Annahmen über die Zentralität und Isolation der Erde resultiert.

Wir haben über die aufgeklärten und gelehrten Arbeiten von Leary, Crick und Hoyle hinaus jüngst das Anwachsen einer riesigen Menge „vulgärer“ und auf jeden Fall populärer Literatur erlebt. Dort wird die Behauptung erörtert, dass Ur-Astronauten diesen Planeten nicht mit allem Leben, bloß mit der (post-neandertalischen) Menschheit bevölkert haben. Anstatt die Mängel in den Argumenten dieser dem Anschein nach „kauzigen“ Literatur zu analysieren, wäre es meiner Meinung nach erhellender, sich zu fragen, warum dieser populäre Mythos den Massen eine unaufgeklärte und anthropozentrische Form jener Theorien anbietet, die wesentlich sachlicher in Arbeiten wie Info-Psychology, Cosmic Panspermia und Evolution from Space präsentiert werden.

Warum beschäftigen sich plötzlich sowohl ausgezeichnete als auch zweitrangige Geister mit extraterrestrischer Evolution, während sich völlig unbekannte zunehmend der Pop-UFOlogie annehmen?

Und warum, mag man sich als nächstes fragen, steht dieses Thema auch in dem schönsten, „eindringlichsten“ und wohl bekanntesten Science-Fiction-Film aller Zeiten im Mittelpunkt – Kubricks großartigem 2001?

Wenn eine Idee oder ein Archetyp gleichzeitig in gelehrten Wälzern, in Boulevardblättern, im Volksglauben, in neuen Kulten und in großer Kunst erscheint, vermutet man die Anwesenheit von dem, was Jung in seinem Buch Ein moderner Mythos. Von Dingen, die am Himmel gesehen werden „eine Verlagerung in der Konstellation der Archetypen“ nannte.

Meiner Meinung nach können wir das, was Jung meinte, in Begriffen der modernen Neurowissenschaft folgendermaßen erklären: Der „Dialog“ der DNA/DNS – die neuropeptide Sprache zwischen Genen und Zellen – bereitet uns auf einen neuen evolutionären Sprung vor.

In The Dream Illuminati spricht der Held rundheraus:

 

Ich realisierte, dass ich nur so frei war, wie ich es selbst dachte zu sein, und

dass es keine Grenzen für das Wie-Hoch-Wir-Fliegen-Können gab!

 

Hier erkennen wir wieder, dass der Archetyp des Fliegens unweigerlich mit der Idee des Transzendierens aller Grenzen verbunden ist. („Was man für wahr hält, ist wahr oder wird wahr…“)

Und wir müssen uns erneut fragen, ob sich hinter dem Konzept eines Donald Duck, der durch die Luft geht, bis er „sich erinnert“, dass dies in unseren momentanen Realitätstunneln offiziell „unmöglich ist“, mehr als kindliche Fantasie verbirgt.

Als Einstein 1904 begann, seine erste Arbeit zur Relativität zu schreiben, und die Gebrüder Wright ihr Flugzeug testeten, das nach vielen Fehlschlägen letztendlich funktionierte, „empfang“ – oder erschuf durch die Vorstellungskraft der Poesie – Aleister Crowley, der kontroverseste Mystiker unseres Zeitalters, ein Dokument, von welchem er stets behauptete, dass es die Kommunikation mit einer höheren Intelligenz gewesen war. Dieses Werk, das Liber Al oder Das Buch des Gesetzes genannt wird, behauptet, eine Botschaft von Nuit, der ägyptischen Sternen-Göttin, zum Inhalt zu haben. In Crowleys Kommentaren wird sie als das höchste Bewusstsein des Kosmos oder die Gesamtsumme aller synergetischen, interaktiven Intelligenzen der gesamten Raum-Zeit interpretiert. Unter anderem berichtete diese „Entität“ – oder Körperschaft:

 

Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern …

Ich bin über und in dir. Meine Ekstase ist in deiner. Meine Freude ist deine Freude zu sehen …

Ich bin um der Liebe Willen geteilt, für die Möglichkeit der Vereinigung …

Entfalte die Schwingen und erwecke die gewundene Herrlichkeit in dir:

Komm hinauf zu mir!

 

Natürlich sind viele Interpretationen dieser Verse möglich. Natürlich.

Nach der Lektüre einiger gegenwärtiger Wissenschaftler, die Evolution sowohl als terrestrisch als auch als extraterrestrisch betrachten, kann ich persönlich nicht mehr in die Worte des Liber Al schauen, ohne auf irgendeine Weise zu denken, dass die interstellaren Schöpfer, welche das Leben hier planten, als ein Signal zu uns gesendet wurden, wieder zu unserem Zuhause in den Sternen zurückzukehren – diesem „großen, blauen Schlafzimmer“, welches Joyce auf den letzten Seiten von Finnegans Wake so poetisch heraufbeschwört und in welchem sich der Astronaut David Bowman auf dem Höhepunkt von 2001 so plötzlich wiederfindet.

Natürlich sollte die Sprache der poetischen Mythen und die der Träume immer als analog und allegorisch betrachtet werden, keineswegs wortwörtlich. Nur eine Bedeutung darin zu sehen heißt, dass man „in die Grube hinunterfällt, genannt Weil und mit den Hunden des Grundes verendet“ (um Crowley erneut zu zitieren). Ein wirklicher Archetyp beinhaltet eine „unendliche“ – oder wenigstens eine riesige Menge an endlichen – Spiegelbildern.

Zum Beispiel habe ich, als ich am Morgen des 23. April 1968 erwachte, folgende Eindrücke meiner nächtlichen hermetischen Reise in meinem Traum-Tagebuch festgehalten:

 

Ich bin in einem Chicagoer Nachtclub, der einmal von John Dillinger beschützt wurde. Ich stelle fest, dass die derzeitigen Schirmherren ebenfalls Gangster sind. Sie betrachten mich mit Feindseligkeit und ich bekomme Angst. Ich versuche abzuhauen; sie versuchen mich aufzuhalten. Ich öffne eine Tür.

Ich finde mich selbst in der IRT Subway36 in New York wieder. Ich fahre im vordersten Wagen, beobachte den Tunnel von der Spitze des Zuges aus (wie ich es als kleiner Junge getan habe). Plötzlich sehe ich vor mir eine Steinmauer und ich realisiere, dass der Zug mit ihr zusammenstoßen wird und jeder Anwesende sterben wird, mich selbst eingeschlossen.

Ich bin aus der U-Bahn heraus und gehe durch Cicero, Illinois. Ein wütender Mob umzingelt mich. Sie wissen wahrscheinlich, dass ich vor kurzem am Martin-Luther-King-Marsch gegen Rassentrennung teilgenommen habe. Ich kann ihnen nicht entkommen. Plötzlich erkenne ich intuitiv, was zu tun ist. Ich schreie hinaus: „Elohim!“ und entfalte Schwingen und fliege über ihre Köpfe hinweg. Der Himmel ist wunderschön und ich fühle mich frei von allen Ängsten, in Frieden, allem gegenüber unergründlich erwartungsvoll.

 

Als ich aufwachte, dachte ich an Chestertons Beschreibung mystischer Erfahrungen. Er beschreibt sie als „absurde, gute Neuigkeiten“.

Zu der Zeit dieses Traumes war ich mit Chicagoer Freunden dabei, die John Dillinger Died For You Society37 populär zu machen – eine Parodie auf fundamentalistische Religionen, welche wie alle guten Parodien auch eine ernste Seite hat. Ich war von der Art und Weise fasziniert, wie gewisse Gesetzlose (wie Dillinger oder Jesse James oder Robin Hood) geradewegs dazu gezwungen werden, den archetypischen Mythos von Osiris, Dionysos, Adonis, Christus oder Dracula auszuleben.

Ich meditierte auch viel über die Art und Weise, in welcher das Leben jener Gesetzlosen, die diese Mythen nicht einmal annähernd „gelebt“ hatten, nachträglich mit den Vorstellungen des Volkes in Übereinstimmung gebracht wurde. Der erste Teil meiner Traumaufzeichnung konfrontierte mich mit der dunklen Seite des Archetypus und erinnerte mich daran, dass echte Verbrecher nicht die mythischen Figuren sind, so wie es ihnen die Vorstellungskraft der Poesie andichtet, sondern bösartige und Angst einflößende Soziopathen.

Im zweiten Teil des Traumes dringe ich in die Initiation des Untergrundes ein. Obwohl Symbole meines eigenen Lebens benutzt wurden (die U-Bahn), sehe ich mich selbst, wie ich die einzelnen Schritte Ishtars in das Land der Toten zurückverfolge, dann als Odysseus der Weisheit entgegen zum Hades segle, als Jesus und Dante in die Hölle hinabsteige usw. In der Alchemie wurde dies negrito genannt, was von Jung mit den anfänglichen Stufen der Psychotherapie verglichen wurde.

Gewissermaßen erscheint die Unterweltreise als die Umkehrung von und die Vorbereitung auf die Errungenschaft des Fliegens.

Dante musste durch die Hölle gehen, bevor er den Berg des Purgatorio erklomm und über den Wolken in den Himmel hinaufstieg. Rückblickend erfreut mich besonders die freudianische Scharfsinnigkeit meines Unterbewussten bei der Verwendung von „Unterwelt“-Figuren (Gangstern) zur Darstellung der mythischen Unterwelt .

Im dritten Teil des Traumes attackierten mich die traditionellen Dämonen des Zorns, personifiziert durch die Bürger von Al Capones Heimatstadt Cicero … vielleicht, weil mich die Leute dort draußen schon immer an die Dämonen des Zorns erinnerten, wann immer ich Umgang mit ihnen hatte. Ich entkam ihnen dadurch, dass ich einen Namen aus der Hebräischen Bibel ausrief, wodurch ich des Fliegens mächtig wurde, wie Dante oder Dädalos – aus der tiefen Grube hinauf zu den Sternen.

Das, was ich an diesen Traumfragmenten am seltsamsten fand, ist, dass ich nichts über die Kabbala wusste, bis ich sie 1968 selbst erlebte. Ich war verwirrt darüber, mit dem Namen Elohim aufzuwachen. Und ich war verwirrt über die Art und Weise, wie ich den Namen magisch in meinem Traum benutzte. Alles, was ich in jenen Tagen über diesen Namen wusste, war, dass er im ersten Kapitel der Genesis auftaucht und dass es zwischen Philologen und Theologen einen Streit darüber gab, ob er nun „Gott“ oder „die Götter“ bedeutet – das heißt, ob das erste Kapitel der Bibel ein übrig gebliebenes Fragment aus einer polytheistischen Phase des Judentums ist oder nicht.

Mehr als zwei Jahre nach diesem jungschen Traum begann ich, mich für die Kabbala zu interessieren und lernte schließlich, dass Elohim darin als großer Name der Kraft angesehen wird – benutzt zum Beispiel im Ritual der Säule der Mitte. Von jedem praktizierenden Kabbalisten wird erwartet, dass er es zumindest einmal am Tag ausführt. Der Zweck kabbalistischer Rituale im Allgemeinen und dieses Rituals im Speziellen wurde von Crowley einmal mit „den Verstand des Studenten senkrecht in die Unendlichkeit aufsteigen lassen“ definiert – über alle Grenzen hinweg.

Das wurde in meinem Traum durch die Metaphorik des Fliegens und die Überwindung der Schwerkraft symbolisiert, so wie auch in vielen anderen Träumen und Mythen. Der Traum von 1968 schien die Präkognition der kabbalistischen Arbeit zu beinhalten, die ich sehr ernsthaft dann ungefähr 1970-75 ausübte.

Natürlich erklären Rationalisten sofort, wenn es jemand zu behaupten wagt, dass ein Traum Präkognition beinhaltet, die Beziehung zwischen Traumbildern und später stattfindenden Ereignissen im Wachzustand sei „lediglich Zufall“. Wenn man den Schalter anknipst und das Licht geht an, dann würden Personen mit einer psychologischen Abneigung gegen die allgemein anerkannte Elektrizität vergleichsweise wahrscheinlich sagen, dass dies auch „lediglich Zufall” war.

Als ich 1968 diesen Traum oder diese Reihe von Träumen hatte, litt ich an einer mittelschweren Depression und den allgemeinen Symptomen von dem, was wir heute „Mid-life Crisis“ nennen, die Krise der Mitte des Lebens. Ich hatte einen sehr guten Job beim Playboy-Magazin, mit einem für die 60er Jahre exzellenten Gehalt, aber ich war annähernd 40 und wollte in Vollzeit schreiben. (Drei Jahre später, nachdem ich die kabalistischen Studien begonnen hatte, kündigte ich meinen Job und habe seitdem wirklich in Vollzeit geschrieben. Obwohl ich in einem üblichen Rahmen Schockerlebnisse, Enttäuschungen und Verluste erlebte, musste ich später nie wieder unter klinischer Depression leiden.)

Der Leser könnte es erhellend finden, diese Aufzeichnung mit dem Traum zu vergleichen, der in Joseph Campbells The Hero with a Thousand Faces38 beschrieben wird. In diesem Fall sah der Träumende ein geflügeltes Pferd, das sich einen Flügel gebrochen hatte und darum kämpfte zu fliegen und doch immerfort wieder auf die Erde zurückfiel. Campbell hat sich nicht einmal bemüht, diesen Symbolismus zu interpretieren. Er informiert uns lediglich darüber, dass der Träumende ein Poet war, den man zu niederer Arbeit zwang, um seine Familie zu unterstützen. Der Symbolismus erschließt sich augenblicklich.

In einem bestimmten Sinn besitzen wir alle gebrochene „Flügel“. Die Hauptaufgabe „geheiligter Institutionen“ wie organisierter Religion oder „freier“ Schulpflicht ist, endlich zu erkennen, dass unsere „Flügel“ tatsächlich brechen oder letztlich gekappt werden, bevor wir das Erwachsenenalter erreichen. Wie würde die Gesellschaft ansonsten die insektizierten Einheiten erhalten, die sie benötigt, um weiterhin die Zellen ihrer Bienenstock-Wirtschaft aufzufüllen?

Aber was wäre, wenn wir damit beginnen würden, wieder gesunde Sinnesorgane von poetischer Vorstellungskraft zu entwickeln … und zu fliegen? Was wäre, wenn wir „unsere Schwingen entfalten und damit die gewundene Herrlichkeit in uns“, wie das Liber Al verlangt? Ist es nicht vorhersehbar, dass die Gesellschaft mit der Wildheit reagieren würde, die Wayne Saalman in The Dream Illuminati beschreibt? (Denkt an die Laufbahnen von Dr. Wilhelm Reich und Dr. Timothy Leary…) Joyce nannte seinen sinnbildlichen Künstler nicht nur Dädalus, sondern Stephen Dädalus – nach St. Stephen39, dem Protomärtyrer, der von einer Vision berichtete und dafür zu Tode gesteinigt wurde.

Und erscheint es aus einer evolutionären Perspektive nicht letzten Endes segensreich, dass die Gesellschaft auf solche Weise reagieren würde? Jene unter uns, die keiner Nebenbeschäftigung als Märtyrer nachgehen, sollten die Kunst des Überlebens unabhängig von der Gesellschaft erlernen … und zwar sobald sie begreifen, wie sehr Neophobie elementarer Bestandteil von Vorrichtungen wie der „Gesellschaft“ und dem „Staat“ ist. Kurzum, wir sollten „vernünftig werden40“, sowohl in der sokratischen Bedeutung dieser Phrase, als auch in ihrer hartgesottensten Bedeutung auf den Strassen.

Neophobie dient als evolutionärer Kutscher, der die Neophilen dazu zwingt, sehr schnell sehr intelligent zu werden.

Dieses Thema ist unerschöpflich, nicht jedoch mein Platz und meine Zeit. Als einen finalen Bissen hermetischer Weisheit, biete ich euch die These 12 aus Aleister Crowleys Meisterwerk Magick an:

 

Der Mensch ist sich seiner eigenen Natur und seiner Kräfte unbewusst. Sogar seine Vorstellungen der eigenen Limitationen basieren auf den Erfahrungen der Vergangenheit; jeder Schritt in seiner Entwicklung erweitert sein Weltreich. Es gibt keinen Grund dafür, dem theoretische Grenzen zuzuordnen, was er sein könnte oder was er tun könnte.