Die Passion des Antichristen

 

 

Artikel 11. So ist die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in keinem Sinne errichtet auf der christlichen Religion; so trägt sie in sich kein Merkmal der Feindseligkeit gegen die Gesetze, Religion oder Riten der Muslime; so wie die genannten Staaten niemals in den Krieg ziehen oder einen Akt der Feindseligkeit gegenüber irgendeiner muslimischen Nation zeigen werden, wurde von den Parteien offiziell erklärt, dass unter keinem auf religiöser Meinung basierenden Vorwand jemals eine Störung der Harmonie zwischen den beiden Nationen zustande kommen soll.

(Treaty with Tripoli2, verfasst von John Adams,

Vizepräsident, 1796; vom Kongress 1797 verabschiedet;

unterzeichnet von Präsident John Adams, 1797)

 

Solltest du jemals geglaubt haben, dass unsere Gründer vorhatten, dass diese Nation eine christliche sein solle – was bedeutet, das Christentum für alle Bürger und Bewohner zu erzwingen, sogar für Agnostiker, Buddhisten, Juden, Muslime, Atheisten, Taoisten, Sikhs, usw. – dann solltest du vielleicht etwas über unsere frühe Geschichte lesen. Ich schlage vor, dass du mit dem oben genannten Abkommen anfängst und dann einen Blick auf die erste Ergänzung unserer Verfassung wirfst und anschließend den Briefwechsel von Jefferson und Adams 1812-1826 liest.

Dies ist de jure keine christliche Nation.

Natürlich wurde dies de facto durch Lug und Betrug eine christliche Nation – vor allem durch Betrug. Das bedeutet, dass theoretisch Nicht-Christen die gleichen Rechte besitzen wie Christen, aber tatsächlich müssen sie jede Stunde eines jeden Tages in jedem Jahr in einem System, in welchem alle Richter und Politiker entweder Christen sind oder dies klugerweise vorgeben zu sein, für diese Rechte kämpfen.

Ich schrieb das Original des folgenden Textes 1965 für ein mittlerweile nicht mehr existierendes Journal namens „Fact“. Nach 40 Jahren ist dieser Text es wert, wiederbelebt zu werden, weil die Christen, mit Hanswurst im Weißen Haus, wieder ausgelassen und unverblümt bösartig geworden sind …

Vier Jahre lang mussten die Bürger Baltimores einen Atheisten in ihrer Mitte ertragen. Nicht nur irgendeinen Atheisten, sollte man meinen, sondern den niederträchtigsten Atheisten Amerikas: Madalyn Murray, jene Frau, die ein Gerichtsverfahren anstrebte und den Obersten Gerichtshof schließlich dazu brachte, monotheistische Gebete aus den öffentlichen Schulen zu verbannen. Von dem Zeitpunkt an, da dieses Gerichtsverfahren die Aufmerksamkeit auf die guten Bürger Baltimores lenkte, trachteten sie danach, Madalyn Murray loszuwerden. Und im Juni 1964 schafften sie es schließlich. Das Ergebnis ihrer Methoden war, dass Madalyn jetzt auf Hawaii im Exil lebt. Einer ihrer Arme ist zum Teil gelähmt, ihr Haar im Alter von 44 Jahren fast vollständig ergraut, ihre Organisation – die Freethought Society of America – wurde ihr entrissen, ihr Bruder ist arbeitslos und ihr Sohn untersteht psychiatrischer Beobachtung. Dennoch brachte das schlimmste Opfer von allen die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, die aus dieser Affäre wesentlich lädierter hervorging als die Familie Murray.

Jene Leute, die sich traditionellerweise um die bürgerlichen Freiheiten sorgen, protestierten nicht sonderlich gegen den Fall Madalyn Murrays. Vielleicht, weil sie ihn einfach nur unglaublich fanden. Als ich auf Hawaii zu Besuch war und dort mit Madalyn Murrays Anwalt, Hyman Greenstein, sprach, teilte dieser mir offen mit, dass selbst er Madalyns Geschichte nicht ganz glauben konnte, als er zustimmte, sie das erste Mal zu vertreten. „Sie war ein Mensch mit Problemen“, sagte er. „Das war offensichtlich. Aber ich war sicher, dass sie übertrieb und das Geschehene dramatisierte. Ich konnte nicht glauben, dass so etwas in den Vereinigten Staaten passieren könnte. Dann fuhr ich nach Baltimore und ermittelte. Glauben Sie mir, Jack Ruby war in Dallas keiner schlimmeren Vorverurteilung ausgesetzt, als es Madalyn Murray in Baltimore war.“

Um die Geschichte von Madalyn Murray zu verstehen, muss man zuerst die Stadt Baltimore und den Staat Maryland verstehen, und niemand in Amerika kann einen darauf vorbereiten. Auch wenn die Väter dieser Nation nicht vorhatten, dass dies hier eine ausschließlich christliche Nation sein solle, so bleibt Maryland in jedem Fall ein christlicher Staat.

Stellt euch Spanien in den Tagen der Inquisition vor, übertragen auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Maryland wurde nach der Jungfrau Maria benannt; es wurde von Katholiken gegründet; es ist immer noch überwiegend katholisch; 17% des gesamten Besitzes in diesem Staat gehört der Katholischen Kirche, welche keine Steuern dafür zahlt. Maryland ist der einzige Staat in den USA, der eine religiöse Qualifikation für Richter verlangt; der einzige Staat, der eine religiöse Qualifikation für Juroren verlangt; der einzige Staat, der eine religiöse Qualifikation für Zeugen verlangt. Daher durften weder Madalyn Murray für sich selbst noch irgendein anderer Atheist als Zeuge für sie aussagen.

Dazu kommt, dass die Gesetze dort seit 1789 nicht mehr überarbeitet wurden. Viele Strafen des alten englischen Gewohnheitsrechts, das woanders abgeschafft wurde, sind hier verewigt. Es ist besonders grausam für Madalyn Murray, die in acht Fällen der Körperverletzung gegen Polizeibeamte (sie behauptete, dass eigentlich sie von den Polizisten angegriffen wurde) unter Anklage stand, dass die Gesetze in Maryland keine Höchststrafe für Körperverletzung festgesetzt haben. Ein Richter kann die Höhe einer Gefängnisstrafe nach beliebigem Ermessen verhängen, also wie ihm gerade der Sinn danach steht – und die Richter in Baltimore sind nicht gerade für ihre Schwäche für Madalyn Murray bekannt.

Die Gesetze Marylands mit ihren Bräuchen und ihrer ständigen Gewalt sind mittelalterlich und haben es verdient, faschistisch genannt zu werden. Es ist fester Bestandteil des Südens: Der Gestank des Hasses verpestet die Luft wie der Smog in Los Angeles und der Ruß in New York. Im letzten Jahr wurden Häuser von Schwarzen beschossen. Rede mit einem Taxifahrer in Baltimore über das „Farbigen-Problem“ und er versprüht Hass wie ein Stinktier seinen Gestank – in drei Minuten wird er sich 90% der Foltern und Qualen einfallen lassen, die sich Marquis de Sade in vielen Jahren erträumen musste – mit „Martin Luther Coon3“ als Lieblingsopfer und gleich danach dem Obersten Bundesrichter Earl Warren.

Vor nicht allzu langer Zeit endete eine allgemein bekannt gewordene Hinrichtung in Baltimore damit, dass jemand aus dem Mob dem gelynchten Mann die Zehen und Ohren abschnitt. Mit Sicherheit finden sich die Ohren und Zehen auf dem Kaminsims von jemandem wieder, der wahrscheinlich sehr stolz darauf ist. Wetten, dass! Er wird sie seinen Gästen mit den Worten zeigen: „Hab’ die Dinger im Kampf gegen den Kommunismus erbeutet.“

In dieser einengenden Umgebung, die vielleicht im 13. Jahrhundert normal war, stand Madalyn Murray auf und erklärte sich selbst zum Atheisten, zum Anarchisten und zum Integrationisten. In dieser Umgebung erkämpfte sie einen Sieg beim Obersten Gerichtshof, der daraufhin Gebete in öffentlichen Schulen abschaffen musste. In dieser Umgebung nahm sie Mae Mallory, eine von den Behörden in North Carolina gesuchte temperamentvolle und militante Schwarze, bei sich zu Hause und in ihrer Freethought Society of America auf.

Und in diesem Umfeld strebte Madalyn Murray, nachdem sie ihren Schulgebets-Prozess gewonnen hatte, einen weiteren Prozess an, um die Regierung der Vereinigten Staaten dazu zu zwingen, Kirchenbesitz genauso zu versteuern wie jeden anderen Besitz auch.

In der März-/Aprilausgabe der Fact von 1964 verfasste ich das erste Profil Madalyn Murrays, das in einer großen Zeitschrift erschien. Darin beschreibe ich einige typische Reaktionen auf Madalyns Aktivitäten:

 

- die Briefe frommer Personen strömten Tag für Tag herein …“Du solltest abgeknallt werden!“, „Warum wäschst du deine dreckige Wäsche nicht in Russland?“, „DU VÄRDAMDES TIERR“, „Ich werde dich TÖDDEN!“ ...

- einen Tag vor Weihnachten wurde ein Stein durch ihr Fenster geschmissen, dabei wurde ein Schaden von 67 Dollar verursacht …

- die Telefonanrufe sind ein Trommelfeuer von Beleidigungen, Obszönitäten, Drohungen und psychotischen Ausschweifungen …

- ihr älterer Sohn Bill, jetzt 17 Jahre alt, wurde mehr als 100 Mal von Horden katholischer Gleichaltriger verprügelt.

- ihr jüngerer Sohn Garth, 9 Jahre alt, bekam durch die ständigen Beleidigungen anderer Jungs Albträume.

- als ich in ihrem Büro saß und sie interviewte, fuhr ein Schulbus vorbei. Die Kinder steckte ihre Köpfe aus dem Fenster und schrien: „Kommi, Kommi, Kommi!4

 

Am 1. April 1964 erschien mein Artikel an den Zeitungsständen. Einige Wochen später schrieb mir Madalyn Murray, dass Schwärme und Bataillone von Reportern von Time und Life einfielen, um sie zu interviewen. Sie bezogen ihre Fragen auf meinen Artikel.

(Sowohl Time als auch Life klauten später meine Überschrift „Die meistgehasste Frau in Amerika“.)

„Alle versuchen, irgendwelche Fehler in deinem Artikel aufzudecken“, erzählte mir Madalyn. „Sie sind beleidigt, weil Fact Fehler bei der Time enthüllt hat, und jetzt wollen sie sich revanchieren.“ Sie haben nicht einen Fehler in meinem Artikel gefunden, obwohl sie einmal dachten, dass es so wäre. Ein gewisser Mr. Michael McManus vom Büro der Time in Washington rief Madalyn an und beschuldigte sie, mich bezüglich ihrer Armeelaufbahn angelogen zu haben. „Sie waren nicht in Eisenhowers Stab!“, brüstete er sich und krächzte weiter: „Sie haben North Carolina niemals verlassen.“

Madalyns Mädchenname war Madalyn Mays und Time war in den Besitz der Militärakte einer anderen Madalyn Mays gekommen.

Der Artikel erschien am 15. Mai in der Time und Madalyn schrieb mir, dass jetzt auch der Esquire und die Saturday Evening Post Geschichten über sie verfassten. Baltimore fand sich jetzt selbst immer mehr im Rampenlicht als Hauptstadt der Atheisten wieder – und das mochte Baltimore überhaupt nicht.

Madalyns Katze wurde erdrosselt.

Eine Reihe von Briefen, abgestempelt in Baltimore, bekam einen fortschreitend hässlicheren Ton: „Du liest das besser sehr aufmerksam! Es könnte das Letzte sein, was du jemals liest. Jemand wird dir eine Kugel in deinen fetten Arsch jagen, du Abschaum, du männliches Miststück einer Lesbe!“

„Es wird endlich Zeit dich zu töten. Oder vielleicht deinen kleinen süßen Jungen. Der Bastard sieht aus wie eine Schwuchtel. Du bist eine Hure und dein Sohn ist ein Bastard.“

„Schlampe! Schlampe! Schlampe! Hurenschlampe aus der Hölle!“

In der Hoffnung, ihn eines Tages unter dem Titel „Briefe von Christen“ zu veröffentlichen, heftete Madalyn alle diese Briefe in einem Ordner ab. Allerdings ging es ihr zunehmend unter die Haut, dass die Mordlust in diesen Briefen durch ein gesteigertes öffentliches Interesse an ihrer Person zunahm und so kaufte sie Tsar, einen riesigen Deutschen Schäferhund, dem sie beibrachte, auf Befehl anzugreifen.

Währenddessen begann jemand im Postamt Baltimore damit, die ersten drei Buchstaben ihres Namens systematisch zu unterstreichen, so dass sie ihre gesamte Post frech adressiert mit „Madalyn Murray5“ erreichte. Madalyn beschwerte sich beim Leiter des Postamtes und wurde später darüber aufgeklärt, dass eine Untersuchung erfolglos geblieben war, der Täter nicht ermittelt werden konnte, obwohl ihre Post weiterhin entstellt zugestellt wurde.

Dann, ganz plötzlich, kam gar keine Post mehr. Madalyn beschwerte sich beim Leiter des Postamts in Baltimore und beim Chef der Postzentrale in Washington, jedoch ohne direkten Erfolg.

Schließlich bekam sie den Anruf eines unbekannten Kommunisten6, der ihr erzählte, dass ihre Post der Kommunistischen Partei Marylands zugestellt wurde. Die Führer der Kommunistischen Partei hegten schon lange einen Groll gegen Madalyn („Alle Kommunisten hegen schon lange einen Groll gegen alle Anarchisten.“ sagte Madalyn). Sie hatten sich nicht darum gekümmert Madalyn mitzuteilen, dass sie ihre Post erhalten hätten. Madalyn beschwerte sich erneut beim Chef der Postzentrale und bekam ihre Post bald wieder zugestellt. Es dauerte jedoch nicht lange, bis das Unterstreichen in „Madalyn Murray“ wieder anfing.

Die guten Christen Baltimores dachten sich weitere Schikanen aus.

Jeden Tag wurden die Müllcontainer vor Madalyns Büro umgekippt, bevor sie abgeholt werden konnten. Nahezu jedes Mal, wenn ihr Sohn Bill mit dem Auto unterwegs war, erhielt er Strafzettel.

Irgendjemand schlich sich nachts in ihren Garten, wurde von Tsar angegriffen und rammte dem Hund ein Stück Holz in den Hals.

Als sie eines Morgens in ihr Büro kam, traf sie auf zwei Beamte des Städtischen Bauamtes, die gerade in ihren Briefen herumschnüffelten. Als sie versuchte, diese wegen unbefugten Betretens verhaften zu lassen, wollte kein Richter einen Haftbefehl ausstellen.

Alle ihre Bemühungen, diese Schikanen zu bewältigen, brachten Madalyn weitere Schwierigkeiten. Um mit dem Müllproblem fertig zu werden, durchforstete sie die Gesetze von Baltimore und fand heraus, dass jeder Geschäftsbetrieb eine eigene Müllverbrennungsanlage betreiben konnte, falls diese die gesetzlich vorgeschriebenen Abmessungen besaß. Sie kaufte eine Verbrennungsanlage, die jene Ansprüche erfüllte, aber als Madalyn die Anlage zum ersten Mal in Betrieb nahm, eilten Feuerwehrfahrzeuge mit heulenden Sirenen heran und löschten den Brand.

Als Madalyn den Feuerwehrchef auf das Gesetz verwies, entgegnete dieser, dass die Verbrennungsanlage seinem entscheidenden Urteil nach unsicher war.

Madalyn suchte sich die eklatantesten Anklagen gegen ihren Sohn Bill wegen verschiedener Verkehrsverstöße heraus und ging damit vor Gericht. Obwohl zwei Zeugen, darunter der Sohn eines Polizisten, aussagten, dass Bill diese Verstöße nicht begangen hätte (über eine rote Ampel gefahren zu sein), sprach ihn das Gericht schuldig.

Madalyn schlug zurück. Ihr Anwalt zu dieser Zeit, Leonard Kerpelman, fand beim Studium seiner Rechtsbücher heraus, dass ein Bürger, der bei einem Verfahren keinen Schadensersatz von einem Gericht zugesprochen bekam, direkt bei einem Großen Geschworenengericht in Berufung gehen konnte. Madalyn überzeugte ihn davon, diesen letzten Versuch zu unternehmen, um Ansprüche gegen die in ihr Büro eingedrungenen Inspektoren des Bauamtes geltend zu machen.

Ein paar Stunden später erhielt Madalyn einen verzweifelten Anruf. Kerpelman saß im Gefängnis. Er hatte am Amtssitz des Großen Geschworenengerichts vorgesprochen und war augenblicklich für Missachtung des Gerichts verhaftet worden. Kerpelman wurde zu Richter T. Barton Harrington gebracht, eiligst verurteilt und mit einem Bußgeld von 25 Dollar belegt. Da er nur 24,78 Dollar in seinen Taschen hatte, sperrte man Kerpelman in den Knast.

Madalyn zahlte das Bußgeld und holte ihn raus. Kerpelman war von dem Experiment allerdings erschüttert und zeigte eine zunehmende Abneigung dagegen, sie weiterhin juristisch zu vertreten. Zudem verängstigte es ihn, dass Madalyns Feinde diese Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts dazu benutzen könnten, ihm die Zulassung als Anwalt zu entziehen. Um das abzuwenden, ging er gegen seine Verurteilung in Berufung. Eigenartigerweise wurde er dabei von William L. Marbury und Marvin Braiterman vertreten. Während der Verhandlung von Madalyns „Steuern-für-die-Kirche“-Fall war Marbury als Rechtsanwalt für die Römisch-Katholische Kirche tätig. Braiterman war in eben diesem Fall als Anwalt für die Anglikanische Kirche beschäftigt.

Die beiden erschienen vor Richter Michael J. Manley und überzeugten ihn, die Anklage gegen Kerpelman fallen zu lassen. Dieses war der erste (und einzige) in der Stadt Baltimore gewonnene Gerichtsfall von jemandem, der einmal mit Madalyn Murray zusammengearbeitet hatte.

Kerpelman brach daraufhin mit Madalyn und arbeitete schließlich öffentlich gegen sie.

Der nächste Akt des Dramas fing, wie auch der Fall von Troja, mit einem weggelaufenen Mädchen an. Die schöne Helena war in diesem Fall die 17-jährige Susan Abramowitz, die sich mit Bill Murray in der High School traf. Bebrillt, schüchtern und „intellektuell“ wie Susan war, entwickelte sie schon bald Gefühle für Madalyns älteren Sohn.

Was dann passierte, verbleibt Gegenstand der Diskussionen. Susans Eltern, Leonard und Jeanne Abramowitz, waren empört darüber, dass die Murrays „Susan dazu verführt hätten, ihren jüdischen Glauben aufzugeben“ und in ihr Haus einzuziehen. Susan sagte indes aus, dass ihre Eltern sie brutal verprügelt hätten, da sie eine Beziehung mit Bill führte. Dabei ging ihre Brille zu Bruch, Zähne splitterten und sie bekam ein blaues Auge verpasst. Sie hätte im Haus der Murrays nur Schutz gesucht, nachdem die Eltern sie aus dem eigenen herausgeworfen hatten.

Die Zeitungen in Baltimore druckten all die Anklagen, die Mr. und Mrs. Abramowitz hervorgebracht hatten, aber nicht ein einziges Wort der Gegenanklage von Susan und den Murrays. Als Madalyn sich beschwerte, erklärte ihr ein Redakteur, dass ihre Anschuldigungen verleumderisch seien und dass er für ihre Veröffentlichung verklagt werden könnte. (Tatsächlich war der Redakteur rechtlich gegen Verleumdung abgesichert, da die Anschuldigungen gegen Mr. und Mrs. Abramowitz Teil einer Darstellung waren, die von Susan Abramowitz, William Murray und Madalyn Murray beim Strafgericht in Baltimore unter Artikel 26, Abschnitt 91-101 des Gesetzbuches von Baltimore eingereicht worden war. Neben der Beschwerde über weitere Grausamkeiten enthielt dieses Dokument die von Susan bezeugte Anklage, dass ihr Vater sie bei einer Gelegenheit so stark verprügelt hatte, dass er sich einen Knochen in seiner eigenen Hand gebrochen hatte.)

Die Abramowitz´ erhielten am 2. Juni von Richter James Cullen die Auflage, Susan unter die Obhut eines Onkels und einer Tante zu stellen. Susan floh sofort nach New York City und versteckte sich bei einer Freundin. Zwei Wochen später kehrte sie mit Bill nach Maryland zurück und die beiden heirateten heimlich.

Am 20. Juni kamen sie in das Haus der Murrays zurück. Ein Nachbar erkannte Susan und rief die Polizei. „Man hätte glauben können, dass sie hinter Dillinger7 her waren.“, erzählte Madalyn. „Eine ganze Flotte von Einsatzwagen raste zu unserem Haus.“ In ihrer Hast vergaß die Polizei, einen Haftbefehl für Susan mitzuführen, also weigerten sich die Murrays, die Tür zu öffnen. Die Polizisten brachen die Tür jedoch einfach auf und drangen in das Haus ein.

Darüber, was im Anschluss passierte, wurde später vor Gericht gestritten. Die Murrays sagten aus, dass sie von den Polizisten brutal zusammengeschlagen worden waren. Laut Polizeiversion hatte Madalyn Murray eigenhändig acht Polizeibeamte angegriffen. (Am nächsten Tag waren es nur noch fünf Polizeibeamte, die einen Angriff von ihr zu Protokoll gaben. Zwei Tage später jedoch sagten drei weitere Polizisten gegen Madalyn und ihre Familie aus.)

Madalyns Mutter Leddie Mays, eine alte Dame, die unter Arthritis litt, wurde ebenfalls des Angriffs auf einen Polizisten beschuldigt. Mrs. Mays gab zu, einen Polizeibeamten angefasst zu haben. „Er hatte Bill zu Boden gedrückt und schlug immer wieder auf ihn ein, also habe ich ihn von hinten an den Schultern gepackt und ihn angeschrien: „Sie bringen den Jungen um!“. Für dieses Verbrechen wurde die 73 Jahre alte Mrs. Mays prompt mit dem Knüppel eines weiteren Freund und Helfers bewusstlos geschlagen.

Als ich die mollige 44-jährige Madalyn fragte, wie in aller Welt sie acht bewaffnete Polizisten überwältigen konnte, grinste sie mich an. „Du wirst es nicht für möglich halten. Ich war eine richtige Amazone!“

Ernster fügte sie hinzu: „Ich wette, dass jeder Gangster in diesem Land nach Baltimore übersiedeln wird, wenn bekannt wird, dass hier acht Polizeibeamte von einer übergewichtigen, Hausfrau mittleren Alters überwältigt wurden.“

Madalyn wurde mit ihren Verletzungen in die Universitätsklinik gebracht, ihre Mutter in das Union Memorial Hospital. Und Bill wurde in das Gefängnis gebracht, wo er eigenen Angaben zufolge die ganze Nacht lang von Polizisten geschlagen wurde, während einer von ihnen laut aus der Bibel vorlas. „Wir werden einen Christen aus dir machen, du Schwanzlutscher!“, soll einer seiner Peiniger gesagt haben8.

Am nächsten Tag wurden die Murrays auf freien Fuß gesetzt. Vorsichtig versteckten sie eine Tonbandaufnahme, die Bill in dem Gerangel gemacht hatte und auf der man klar und deutlich hört, wie Sgt. Charles Kelly zugibt, dass die Polizei keinen Hausdurchsuchungsbefehl habe. Offenbar begann den zuständigen Behörden die Sache mit dem fehlenden Hausdurchsuchungsbefehl Sorgen zu bereiten, da Staatsanwalt W.J. O’Donnell plötzlich eine Pressekonferenz einberief, um zu erklären, dass die Polizei beim Betreten eines Hauses keinen Durchsuchungsbefehl mit sich führen muss, sofern sie Grund hat zu glauben, dass bereits ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt worden sei.

Diese Gesetzesauslegung erschien erstaunlich neu. Ich rief das Büro des Bundesstaatsanwaltes in Washington an, um mich danach zu erkundigen, und mir wurde erzählt: „Ich habe noch niemals von einer solchen Doktrin gehört.“ Als ich danach fragte, ob ich dies als Quelle angeben könnte, fügte er hastig hinzu, dass das Büro des Bundesstaatsanwaltes keine offiziellen Meinungen für die Presse äußert. Er schlug vor, die American Civil Liberties Union9 zu kontaktieren.

Bei der A.C.L.U. erklärte Anwalt Alan Reitmann rundweg: „Eine solche Doktrin gibt es im amerikanischen Gesetz nicht. Wenn eine Durchsuchung erfolgen soll, muss die Polizei einen Durchsuchungsbefehl mit sich führen.“

Madalyns Anwalt auf Hawaii, Hyman Greenstein, sagte unverblümt: „Vor jedem Gericht außerhalb von Maryland hätte O’Donnells Doktrin kürzer Bestand gehabt als ein Schneeball in der Hölle. Sogar in Maryland würde sie gegen jeden anderen außer Madalyn Murray nicht lange Bestand haben10.

Madalyn und ihre Familie hielten eine Konferenz ab. Dabei bedachten sie, dass 100% ihrer Fälle vor Gerichten in Baltimore mit einer Niederlage geendet hatten, und ihnen wurde klar, dass sie bei einem Verbleib in Baltimore zweifellos der Körperverletzung für schuldig gesprochen werden würden. Sie erinnerten sich daran, dass die Höhe der Gefängnisstrafe für Körperverletzung in Baltimore im Ermessen des Richters liegt. So fuhren die Murrays in dieser Nacht zusammen mit Bills Frau Susan nach Washington und nahmen ein Flugzeug nach Hawaii.

Zuletzt war Baltimore seinen Atheisten doch noch losgeworden.

Aber das heilige Volk von Baltimore war noch nicht zufrieden. Leo Murphy, ein Künstler aus Baltimore, der eine Zeichnung für das Cover von Madalyns Magazin American Atheist angefertigt hatte, erhielt Telefonanrufe von Leuten, die damit drohten, ihn zu töten oder ihm Säure ins Gesicht zu schmeißen, damit er erblindet.

Schadenfroh schrieb eine gewisse Ida D. Collins der Baltimore Sun: „Madalyn Murray hat uns diese Woche verlassen, doch sie wählte die falsche Richtung. Um uns allen einen Gefallen zu tun, hätte sie ein Fischerboot nach China nehmen sollen, um für immer da zu bleiben, statt nach Hawaii zu flüchten.“ Die Versicherungsgesellschaft kündigte die Versicherung ihres Hauses und die Bank, obwohl die Hypotheken pünktlich bezahlt wurden, strebte ein Gerichtsverfahren zur Zwangsvollstreckung an, weil das Haus nicht länger versichert war. Und in Hawaii konnte Madalyn ihrem Sohn Bill dabei zuschauen, wie dieser zunehmend in einen Nervenzusammenbruch hineinrutschte.

Während der vergangenen vier Jahre hatte Bill seine Strafen mit spartanischer Solidarität hingenommen. Wie auch immer, nach dieser Nacht im Gefängnis von Baltimore brach es plötzlich in einem Aufschrei vor Richter Joseph G. Finnerty aus ihm hervor und er schrie: „Du Christ, Du Katholik! Ich werde nicht zurück in diese Zelle gehen, um mich wieder fertig machen zu lassen.“ In Hawaii begann Bill damit, über lange Zeiträume schweigsam in seinem Zimmer zu hocken. Bisweilen tauchte er aus seiner Lethargie auf, um seine Mutter verbal zu attackieren und zu behaupten, dass sie sein Leben ruiniert hätte, indem sie ihn in den Schulgebetsfall mit hineingezogen hatte. Danach schloss er sich in seinem Zimmer ein und weigerte sich für annähernd eine Woche, mit irgendjemandem zu sprechen. Zurzeit befindet er sich in Behandlung bei Psychiater Linus Pauling. Er schaffte es, diese wortkarge Depression zu überwinden, bewahrte jedoch seiner Mutter gegenüber, die er für seine gesamten Probleme verantwortlich machte, eine gewalttätige Gehässigkeit.

Doch zurück nach Baltimore, wo man Madalyn in Abwesenheit wegen Missachtung des Gerichts verklagte und sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilte. Auch die Behörden in Baltimore waren fleißig und erließen ein neues Gesetz, das für die Körperverletzung von Polizeibeamten eine Mindeststrafe von 20 Jahren Gefängnis festsetzte. Die Baltimore Sun gab bekannt, dass Madalyn Murray letztlich 160 Jahre Gefängnis zu erwarten hätte, falls sie jemals nach Baltimore zurückkehre. Darüber befragte ich Madalyns Anwalt, Hyman Greenstein: „Untersagt die Verfassung nicht solche ex post facto Strafen?“ „Ja“, entgegnete er, „aber die Verfassung untersagt auch Gerichtsverfahren in absentia, was Baltimore allerdings bereits getan hat.“ Er fügte hinzu: „Wissen Sie, Körperverletzung ist ein Vergehen. Wenn die Gerichte damit durchkommen, wird Madalyn der erste Amerikaner sein, der für acht solcher Vergehen sein Leben lang büßen müsste.“

Unterdessen drang eine Menschenhorde in Madalyns Büro ein und verkündete, dass sie der Freethought Society of America angehörten. Sie versuchten sich zu dem Bankkonto Zutritt zu verschaffen, das Madalyn unter dem Namen dieser Gesellschaft führte. Madalyns Kampf gegen diesen Coup d'État verlief nach den in Baltimores Gerichten üblichen Mustern. Sie verlor jede einzelne Anhörung.

Der Anführer der Gruppe, die Madalyns Büro in Beschlag nahm, war Lemoin Cree, ein 26-jähriger Biologe, der in Fort Detrick arbeitete, wo die U.S. Army an der Erforschung verschiedener biologischer Kriegsmittel arbeitete, wie beispielsweise der Erschaffung künstlicher Beulenpest- und Milzbranderreger. Mr. Cree und sein Mitarbeiterstab beharrten darauf, dass sie vom Aufsichtsrat der Freethought Society einberufen worden waren. Madalyn Murray beharrte darauf, dass es solch einen Aufsichtsrat in der Freethought Society nicht gebe und zeigte mir zum Beweis entsprechende, notariell beglaubigte Schreiben.

Madalyn ist davon überzeugt, dass es sich bei Cree und seinen Leuten um „katholische Agenten“ handelte. Ein Freund von mir, der die atheistische Bewegung so gut kennt wie Clark Kent das Innere der Telefonzelle im Daily Planet, lachte darüber. „Madalyn zerbricht unter dem Druck“, sagte er.

„Die Kirche hat ihr so stark zugesetzt, dass sie überall Priester zu sehen beginnt.“ Diesem Informanten zufolge waren Lemoin Cree und seine Leute in Wirklichkeit Atheisten, jedoch solche Atheisten, die politisch dem rechten Flügel angehörten und die über die Tatsache verbittert waren, dass Madalyn Murray, die einzige Atheistin, die es bis in die nationale Öffentlichkeit geschafft hatte, deutlich dem politisch linken Flügel angehörte.

Da das Büro eine Einrichtung im Wert von mehreren Hundert Dollar hatte, die nicht der Freethought Society of America, sondern Madalyns Mutter Leddie Mays gehörte, verkaufte Madalyn diese an Mae Mallory, die damit gegen diese Gruppe einen Haftbefehl wegen Raubes zu erlangen versuchte. Ein Gericht in Baltimore bestimmte, dass die Kaufurkunde nicht rechtmäßig sei. Die Kaufurkunde war von einem Notar auf Hawaii beglaubigt worden. Das Gericht erklärte jedoch, dass sie, dem Gesetz in Maryland nach, von einem Beamten eines Gerichts auf Hawaii hätte beglaubigt werden müssen und nicht von einem Notar.

Der Anwalt Joseph Wase, der Mae Mallory in diesem Fall vertrat, bestand darauf, dass es ein solches Gesetz in Maryland nicht gäbe.

Wie auch immer, Miss Mallory zufolge hatte das darin verstrickte Gericht über Madalyn gesagt: „Diese Atheistin besitzt keinerlei Rechte in diesem Staat.“

Ja, all diese Dinge geschahen in Baltimore, Maryland, in den Vereinigten Staaten von Amerika, im Jahre des Herrn 1965.

Von Baltimore nach Honolulu zu kommen, muss sein, wie aus dem untersten oder dunkelsten Kreis der Hölle zum Gipfel des Paradieses aufzusteigen. In jedem Fall scheint Hawaii die Antithese zu Baltimore zu sein. Es ist der kosmopolitischste und toleranteste aller amerikanischen Staaten. Die Harmonie zwischen den Volksgruppen ist von so guter Qualität, dass selbst der alljährliche Korso von Touristen – mit seiner hohen Prozentzahl an Legionären, Werwölfen, schwarzen Hexern, Sturmtruppen, Monstern und allerlei anderen Übeln Amerikas – das nicht untergraben kann.

Kurz nach ihrer allseits veröffentlichten Ankunft auf Hawaii telefonierte Madalyn mit Anwalt Greenstein und vereinbarte einen Termin mit ihm. Hyman Greenstein ist auf ganz Hawaii eine Legende. Jeder erzählte mir, dass er das Vorbild für Lieutenant Greenwald in Herman Wouks The Caine Mutiny11 gewesen sei, ein fanatischer Anhänger von Autorennen sei, „unmögliche“ Fälle liebe und während des 2. Weltkriegs so viele „unmögliche“ Verhandlungen vor dem Kriegsgericht gewonnen hätte, dass Admiral Halsey höchstpersönlich intervenierte, um ihn aus dem Pazifikraum wegversetzen zu lassen.

In einem berühmt-berüchtigten Fall des Kriegsgerichtes verlor der Präsident des Gerichts die Fassung und nannte Greenstein „den Sohn einer Hure“. Greenstein drehte sich gelassen zum Gerichtsschreiber um und fragte ihn: „Haben Sie das notiert?“ Die Gerichtsverhandlung wurde augenblicklich unterbrochen. Ein paar Minuten später begann sie wieder, um die Anklagen gegen Greensteins Klienten fallen zu lassen.

Greenstein, ein kleiner Mann mit sanfter Stimme, trägt grundsätzlich einen grünen Schlips und sein Büro ist in grünen Schattierungen eingerichtet. Madalyn warnte mich: „Grün ist für ihn eine Art persönliches Symbol. Er ist überhaupt nicht amüsiert, wenn ihn jemand darauf mit Ach, Mr. Greenstein, kommen Sie etwa aus Irland? anspricht.“

Als bekannt wurde, dass Madalyn angerufen hatte, um ihn als ihren Anwalt zu engagieren, waren seine Angestellten bestürzt. Seine Sekretärin berichtete ihm: „Hier möchte jeder wissen, ob Sie den Fall dieser grauenhaften Frau übernehmen?“ Greenstein bestellte die gesamte Belegschaft in sein Büro und ließ die Tür offen. „Diese Tür wird immer für Leute mit Problemen offen stehen, worin auch immer ihr Glaube besteht.“, sagte er. „Möchte irgendjemand kündigen?“

Keiner kündigte.

Greenstein bereitete sich mit einem gigantischen Aktenberg gegen Madalyns Ausweisung vor. Er klagte an, dass wegen der staatlich verlangten Qualifikation für Richter, Juroren und Zeugen „kein Gericht im Staat Maryland verfassungsmäßig sei.“ Daher ist „das gesamte Recht sprechende System in Maryland eine Missachtung der Konstitution der Vereinigten Staaten und mit ihr unvereinbar.“ Weiterhin argumentierte er, dass Marylands (vergeblicher) Versuch, eine Höchststrafe für Körperverletzung festzusetzen, „barbarisch und überholt“ sei und „den konstitutionellen Garantien gegen unangemessene Bestrafungen“ widerspreche.

Madalyn hatte auf Hawaii nicht nur einen gewissenhaften und kompetenten Anwalt gefunden, sie traf auch auf einige wirklich gute Christen. Achtzehn hawaiianische Geistliche, darunter ein katholischer Priester, unterzeichneten eine Petition, die Gouverneur John A. Burns dazu drängte, die Ausweisung Madalyns zurück „zur religiösen Hetzjagd in Maryland“ nicht zuzulassen. Ihr wurde tatsächlich, kaum war sie auf der Insel angekommen, Hilfe angeboten – von einer Kirche. Rev. Gene Bridges von der Unitarian Church rief sie an, um zu fragen, ob sie schon eine Bleibe gefunden hätte. Als er erfuhr, dass dem nicht so war, lud er die gesamte Familie ein, die Nacht in einem Hinterzimmer der Kirche zu verbringen. Sofort danach rief Mr. Bridges die Geschäftsführung seiner Kirche an, um sich das Einverständnis zu sichern. Dieses Gremium besitzt 15 Mitglieder. Nachdem er acht von ihnen angerufen hatte und sieben ihre Einwilligung gegeben hatten, lud er die Murrays ein, so lange zu bleiben bis sie eine Wohnung gefunden hätten. Sie blieben für zwei Wochen in der Kirche.

„Madalyn hat viel Milde durch die Unitarian Church erfahren“, erzählte mir eines der Mitglieder. Madalyn besuchte jeden Sonntag den Gottesdienst und schickte ihren zehnjährigen Sohn Garth in die kirchliche Sonntagsschule. Einen Sonntag begleitete ich Madalyn zum Gottesdienst in Mr. Bridges Kirche. Der begann mit einer Musikaufnahme von Dizzy Gillespie, dann las Mr. Bridges einige Passagen aus Anne Morrow Lindberghs Gift from the Sea und E. E. Cummings I: 6 non-lectures. Madalyn hörte begeistert zu und sagte mir, als wir herauskamen: „Ist er nicht wundervoll?“

An diesem Nachmittag besuchten Madalyn und ich den größten buddhistischen Tempel in Honolulu und sie nahm einige Flugblätter über buddhistische Zeremonien mit. „Du wirst doch nicht etwa religiös?“, scherzte ich.

„Verflucht, nein!“, sagte sie. „Ich bin nur neugierig.“

Madalyn Murray blieb unerschütterlich – und war nicht klein zu kriegen. Als wir auf der Veranda ihres kleinen Mietshauses in der 1060 Spencer Street auf der Seite des Punchbowl-Vulkans saßen, mit dem Panorama von Honolulu und dem sich abzeichnenden, einem Wal ähnlichen Hügel des Diamond Head, der sich vor uns ausbreitete, erzählte sie mir beflissentlich von ihren Plänen im Besteuert-die-Kirchen-Fall.

„Wir werden den Erzbischof von Baltimore, Lawrence Sheehan, vorladen“, sagte sie, „und werden ihn dazu bringen, offenzulegen, wie viel Geld die Kirche durch ihre Besitztümer in Baltimore einnimmt, wie viel davon in Baltimore verbleibt, wie viel davon in den Vereinigten Staaten verbleibt und wie viel davon nach Rom geht. Zu diesen Informationen hatten wir niemals zuvor Zugang, aber das wird sich jetzt ändern. Die Leute können addieren und subtrahieren, wie du weißt. Warte nur, bis die amerikanische Öffentlichkeit herausfindet, wie niedrig ihre Steuern wären, wenn dieses ganze unversteuerte Geld nicht aus dem Land fließen würde.“

Madalyn hatte auch die Absicht, für das Gouverneursamt in Hawaii zu kandidieren, wobei ihre Plattform darin bestand, der Exekutive, Legislative und Judikative einen vierten Bereich zuzufügen – die Ökonomische. Sie war bis über beide Ohren verschuldet, da die Gerichte in Baltimore ihr Bankkonto gesperrt hatten, und doch ritt sie immer noch „in vollem Galopp und mit einem großen Herzen.“

Die anderen Opfer sind ihres Lebens weniger froh. Bill Murray ist weiterhin in psychiatrischer Behandlung. Ihr anderer Sohn, Garth, hat fortwährend Alpträume, in denen „drei Meter große“ Polizisten seine Mutter verprügeln. Madalyns Bruder Irving, 48, gab einen guten Fabrikjob auf, weil er nicht der einzige Murray in Baltimore und eine Zielscheibe für den noch verbliebenen Hass sein wollte. Er hat bisher keine neue Arbeit gefunden.

Und die Verfassung der Vereinigten Staaten, die am meisten unter den geschilderten Ereignissen gelitten hat, ist ohne Fleisch und Blut und infolge dessen fühlt sie ihre Wunden nicht. Wenn sie sprechen könnte, würde sie wahrscheinlich leise wimmern.

 

Postskriptum: 1995 verschwand Madalyn Murray spurlos in Texas. Die Polizei fand ihren verscharrten Körper ungefähr zwei Jahre später. Mord. Die Polizei in Texas behauptet, dass ein anderer Atheist die Tat begangen hätte.

All die schockierenden und verfassungswidrigen Verfolgungen, die Madalyn erdulden musste, sind heute dank des Krieges gegen (einige) Drogen, (einige) Terroristen und natürlich dank des U.S.A. PATRIOT Acts legal und normal geworden.

Aber ärgert euch nicht; die Ziele ihrer Wahl scheinen sich alle im Mittleren Osten zu befinden: Muslime oder solche, die für die Unwissenden wie Muslime aussehen, einschließlich einiger Sikhs und Hindus.