Jürgen von der Lippe

«JA KLAR! Aprosdokese …»

Jürgen von der Lippe, geboren am 8. Juni 1948 in Bad Salzuflen, ist aus der deutschen Fernsehunterhaltung sowie von den deutschsprachigen Bühnen definitiv nicht mehr wegzudenken. Er brilliert als Moderator, Entertainer, Schauspieler, Komiker und Sänger. Bereits 1976 gründete er unter anderem zusammen mit Hans Werner Olm die legendären «Gebrüder Blattschuss». Seine daran anschließenden vielen erfolgreichen Fernseh-Shows und Bühnenprogramme aufzuzählen, würden den Rahmen dieses Buches sprengen. An dieser Stelle möchten wir auf seine ausgesprochen amüsante Homepage verweisen.

 

Wir hatten das große Vergnügen, uns mit Jürgen von der Lippe («von der Lippe» ist im Übrigen aus demselben Adelsgeschlecht wie «von Sinnen») an einem klirrkalten Mittag – also für uns zu nachtschlafender Zeit – im Café Klaaf am Eigelstein treffen zu dürfen. Jürgen erzählte uns bereits im Vorfeld, dass er während seiner Aufenthalte in Köln hier gerne und häufig sein Frühstück einzunehmen pflegt.

Die Parkplatzsuche stellte sich als ausgesprochen schwierig dar. Obwohl wir schon in weiser Voraussicht mit meinem (Connys) kleinen Mini … und nicht meiner (Hellas) großen Elsa zu dem Treffen gefahren waren, umrundeten wir gefühlte 17-mal den Eigelstein, um dann irgendwann eine erschütternd kleine Lücke zu erspähen. Das anschließende Einparkmanöver benötigte dann auch nur noch schlappe 39 Züge, um final quer in der Lücke stehend den Motor abzuwürgen und Richtung Café zu galoppieren.

Völlig gehetzt eilten wir dann noch die Wendeltreppe rauf in den ersten Stock des Restaurants. Das Frühstück war offensichtlich bereits verspeist, und ein aufgeräumter Jürgen empfing uns in bester Stimmung. Er hatte den letzten Tisch links am Fenster gewählt und nippte entspannt an einem Milchkaffee. Wir bestellten inspirationslos zwei Cola light und schalteten unser leicht antiquiertes Aufnahmegerät an. Obwohl wir im hintersten Winkel des Lokals saßen, waren wir von einer hofbräuhauslauten

Geräuschkulisse umgeben. Ein Klangteppich aus unaufhörlichem Gemurmel, unmotiviertem Tassen- und Tellerklappern und der zwar sehr freundlichen, aber leider doch störenden Frage der jungen Bedienung, ob wir noch einen Wunsch hätten, stellten unsere unausgeschlafenen Nerven auf eine harte Probe. Unsere Nackenhaare standen uns stressbedingt steil zu Berge, doch Jürgen gab uns die Gelassenheit in Person. Jede unserer Fragen beantwortete er aufgeräumt und mit stoischer Ruhe, als würde er in einem Tempel, umgeben von Schweigemönchen, sprechen. Man nennt ihn eben nicht umsonst den «Godfather of Showbiz».

Wir waren noch beim 20-minütigen Ausparken aus der briefmarkengroßen Parklücke nachhaltig beeindruckt.

 

HvS: Lieber Jürgen, du hast uns erzählt, dass du immer gerne im «Klaaf» sitzt und hier auch frühstückst. Würdest du sagen, dass es eine liebe Gewohnheit für dich ist?

 

JvdL: Ja, es ist ein Teil eines Rituals 1, denn ich sitze genauso gerne in dem Café 2 etwas weiter den Ring runter. Ich weiß gar nicht, wie das heißt. «Café Schmitz» heißt das, glaube ich. Wo die Kundschaft noch ein bisschen schräger ist. Hier sind viele so Geschäftsleute. Dort findest du den schlafenden Dichter mit Hut, den alleinerziehenden Vater. Gestern saß ich mit meiner Frau da, und das Kind hatte eine dicke Beule.

 

Wer jetzt, deine Frau?

 

Nein, das Kind des alleinerziehenden Vaters. Wir kamen ins Gespräch, und er sagte: «Das war eine Schlägerei in der Kita 3.» Wir waren tief erschüttert, bis er dann sagte: «Ein Scherz. Sie ist einfach die Treppe runtergefallen.» Das sind einfach schöne Dinge, die du zu Hause beim Frühstück natürlich nicht erlebst.

 

CS: Ein Träumchen! Das heißt, das machst du auch, wenn du in Berlin wohnst? Du gehst grundsätzlich lieber in ein Café frühstücken, als dir zu Hause selber einen Kaffee zu kochen?

 

Ich habe in Berlin leider kein richtig schönes Café mehr, seit einigen Jahren. Ich hatte ein sehr schönes mit wunderbaren wechselnden Bildern und einem schönen Licht, weil mich das auch sehr inspiriert 4 und auf Ideen 5 bringt. Ich lese dann die Tagespresse 6 und habe auch immer einen Block bei. Da kommen mir nicht immer, aber manchmal schöne Ideen bei diesen kontemplativen 7 Momenten außerhalb der eigenen vier Wände. Wozu jetzt nicht ein normales Abendessen zählt. Da bin ich ja mit Essen beschäftigt. Aber so ein Frühstück kann man dehnen. Das ist ja auch immer relativ 8 spät am Vormittag. Ich mache ja «Schlank im Schlaf» seit vielen Jahren, sonst wäre ja auch diese Figur nicht erklärbar. Ich wähle übrigens gerne ein reines Kohlenhydrat 9 -Frühstück. Hier zum Beispiel wäre das im Café Klaaf der «Flammkuchen Apfel», der genau das alles erfüllt.

 

Haben deine Caféhausbesuche damit zu tun, dass du ganz gerne auch mal deinen Namen zwischendrin auf einen, von aufgeregten Mitbürgern hingehaltenen Bierdeckel schreibst für die gute Laune am Morgen?

 

Nein, gar nicht, absolut nicht.

 

Du willst uns aber jetzt bitte nicht weismachen, dass du nicht erkannt oder nicht angesprochen wirst.

 

Ich werde schon erkannt, aber darum geht es nicht. Mir geht es absolut um die Vibes 10 und Atmosphäre 11 eines Ortes. Wenn jetzt dauernd jemand kommen würde, dann wäre das für mich auch nicht ganz die Situation 12, in der eine Geschichte gedeihen könnte.

 

Anders gefragt: Es stört dich aber auch nicht?

 

Es stört mich nicht.

 

Du sitzt nicht mit Hut und Schal da und rasierst dir den Bart ab, um unerkannt zu bleiben?

 

Ich habe da überhaupt gar kein Problem 13. Ich muss auch furchtbar lachen, wenn diese jungen Leute, die von DSDS 14 oder wo auch immer herkommen, erzählen, sie können gar nicht mehr in die Öffentlichkeit. Darum hätten sie jetzt auch Bodyguards 15. Jeder, der nun wirklich prominent 16 ist, weiß ja, dass, wenn man sich ganz normal bewegt, zum Beispiel durch eine gutbesuchte Einkaufsstraße geht, keine Sau guckt. Es gab allerdings ein paar Momente in meinem Leben, da habe ich gedacht: «Um Gottes willen!» Beispielsweise in Berlin auf der Funkausstellung: Wenn man da von der großen Bühne in die Redaktionsräume 17 wollte, standen ein paar Tausend Leute vor der Bühne und blieben auch unter anderem eben deswegen, weil sie ein paar Nasen nun auch anfassen wollten. Und wir wurden in der Tat von acht Bodyguards abgeschirmt, die hatten später blaue Flecken. Da wurde ich regelrecht rumgeschubst und habe nur gedacht: «Was soll das denn hier?» So eine Situation ist allerdings wirklich die Ausnahme. Unter normalen Umständen kommt kein Mensch auf die Idee, sich zusammenzurotten, um dir an die Wäsche zu gehen. Du hörst mal: «Tag, Herr von der Lippe!» Oder wirst angelacht, was ich eben dann sehr schön finde. Oder ein Punk 18 sagt: «Hey, Champ 19!», was ich auch schön finde. Es kommt zum Beispiel auch gerne zu netten Begegnungen in einem Aufzug. Ich fuhr mal mit meinen zwei Musikern im Lift 20, und es kommt eine Mutter mit Kind rein, und das Kind, woher auch immer es mich kannte, fragt: «Sind das deine Bodyguards?» Ich sage: «Ja. Die sind aber scheiße, die werden immer verprügelt!»

 

Die Mutter war begeistert?

 

Die Mutter war begeistert, das Kind war begeistert, meine Musiker waren begeistert.

 

Jürgen, ich bin ein wenig enttäuscht, da du bislang erst 20 Fremdwörter benutzt hast. Als ich letztes Jahr bei dir zu Gast sein durfte in «Was liest du?», bemerkte ich, dass du häufig und ohne Grund Fremdwörter benutzt. Du hast mir daraufhin nicht nur nicht das Fremdwort dafür genannt, sondern auch den Grund, warum du es gerne tust, verraten. Erinnerst du dich noch?

 

Ja Klar! Aprosdokese 21 – das Wort hat auch der geschätzte Kollege Stefan Niggemeier in der FAZ nicht gekannt. Aprosdokese ist die häufige Verwendung ungewöhnlicher Wörter. Das ist in der Tat etwas, was ich sehr gerne mache, wobei meine Frau immer sagt: «Mach das doch nicht. Du willst doch nur den Klugscheißer raushängen.» Ich sage dann: «Du hast es erkannt, Schatz!» Was willst du sonst schon mit einer humanistischen 22 Bildung machen, als ein bisschen Spaß haben. Und mehr ist es nicht. Ein wirklich harmloses Vergnügen. Es dient auch nicht dazu, dass die Menschen sich unterlegen fühlen. Ich habe es einfach gerne, wenn sie «Hääääää?» machen. Natürlich erkläre ich das Wort anschließend. Es macht mir einfach Spaß.

 

Es gibt ja viele Menschen, die gerne Fremdwörter grundsätzlich falsch benutzen. Bist du denn auch jemand, der berichtigt?

 

(Seine Augen beginnen zu funkeln.)

 

Ja, das tue ich.

 

(Wir kichern.)

 

Das tue ich aber nur dann, wenn ich glaube, dass ich es machen kann, ohne dass der Betreffende gekränkt ist. Wenn es ein mir nahestehender Mensch ist, denke ich: «Es tut jetzt einen kleinen Moment weh, aber für die Zukunft blamiert er sich nicht mehr.» Wenn er jetzt sagt: «Die beiden harmonisieren gut!» Dann sage ich: «Völlig richtig! Nur ein paar Buchstaben zu viel: Das heißt harmonieren 23.» Oder wenn jemand von Internita redet, dann stelle ich auch das richtig und sage: «Das heißt Interna 24». Dieses übrigens sind Malapropismen 25.

 

Mallawie?

 

Propismen. Kommt von einem Eigennamen. Ein Theaterstück des vorletzten Jahrhunderts. Das müsste ich jetzt nachgucken.

 

(Wir haben tapfer nachgeschlagen. Siehe Anhang.)

 

Da gab es eine Miss Malaprop, und die machte diese Geschichten: Im alten Rom bekämpften sich die Radiatoren 26 gegenseitig. Diese Schiene. Danach ist das benannt. Das ist ein literaturwissenschaftlicher 27 Terminus 28, den ich von Frau Prof. Leuninger 29 gelernt habe. Ich hatte sie in meiner Sprach-Sendung bei «Frei von der Lippe» zu Gast und schätze sie sehr. Sie ist eine wunderbare Frau mit viel Sensus 30 für Erheiterung und hat zwei sehr schöne Bücher über Versprecher geschrieben. Das eine heißt «Danke und Tschüss fürs Mitnehmen» – allein dieser Titel! Diese Malapropismen findest du sehr häufig bei Fußballern –

 

Wie hat es Lothar Matthäus so schön ausgedrückt: «Wir dürfen jetzt nicht den Sand in den Kopf stecken.»

 

Richtig! Schön ist auch: «Ich habe eine Blut-Invasion 31 erhalten.» Ich teile das Hobby 32 offensichtlich mit dem verstorbenen Kollegen David Foster Wallace 33, der noch in bester Erinnerung ist. In seinem Buch über eine Kreuzfahrt, «Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich», fand ich dann erst mal drei Wörter, die aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken sind. Das ist zum einen der «Overperformer», das war bei ihm ein Föhn, der eine solche Kraft hatte, dass es ihn gegen die Kajütenwand 34 drückte. Dann das Wort «genitalreferenziell», für «Schweinkram». Wenn du dieses Buch liest, findest du auf Schritt und Tritt Wörter, die findest du gar nicht, wenn du nachguckst. Offensichtlich war er auch ein Fremdwortfex 35 und erfand Wörter, die einfach schrecklich amüsant sind. Zum Beispiel das Wort Boviscophobie. Das ist die Angst, für ein Herdentier gehalten zu werden. Das ist ein Begriff, der natürlich richtig abgeleitet ist, aber du findest das Wort nirgendwo.

 

Hast du dir denn auch schon Wörter ausgedacht, die du benutzt, um andere zu verblüffen? Die du selber beispielsweise aus einem Fremdwörterbuch zusammengesetzt hast?

 

Nein, das habe ich noch nicht. Das werde ich aber mit Sicherheit noch tun. Das ist der nächste Schritt.

 

Hast du für neue Wörter, die dir begegnen, ein Elefantengedächtnis? Wenn Conny und ich jetzt beispielsweise ein unbekanntes Wort verwenden würden und es würde dir gefallen: Könntest du dieses neue Wort sofort speichern und in deinen Sprachschatz aufnehmen?

 

Kommt darauf an. Man kennt dieses Phänomen 36, dass irgendetwas sich dem Gedächtnis versperrt. Ich habe das mit Passagen 37 in meinem neuen Programm 38 gerade erlebt. Besonders eine hat mich eine unglaubliche Mühe gekostet. Ich singe also ein Lied über Spreewaldgurken im Walzertakt 39 und sage anschließend: «So ein Lied müssen Sie gegenüber dem Hochfeuilleton 40 natürlich auch mal rechtfertigen. Wenn einer kommt und sagt: ‹Was wollen Sie mit dieser Prekariatsscheiße 41?› Dann sagen Sie dem: ‹Da hat wohl einer was nicht verstanden. Da müssen Sie mal Ihre Präfrontallappen 42 checken lassen, denn wenn die beschädigt sind, können Sie Ironie 43 nicht erfassen. Wenn das ventromediale 44 Areal 45 auch angegriffen ist, raffen Sie gar nichts mehr. Ich könnte Ihnen aus dem Stand vier Interpretationsansätze 46 liefern, will Sie aber nicht überfordern. Vielleicht nur der gastrosophische 47 Ansatz: Sie können das Lied betrachten als resignativen 48 Eskapismus 49, als Rückzug auf ein Genussmittel in einer völlig durchsexualisierten 50 Welt, in der die Nahrung den einzigen von Leistungszwängen freien und jederzeit verfügbaren Lustgewinn verspricht!›» An diesem Satz habe ich lange geknuspert.

 

Das glaube ich dir. Die Leute lachen aber doch vor allem, weil sie kein Wort verstehen, oder?

 

Ich sage mal: ja! Eines meiner Lieblingszitate 51 wollte mir auch lange nicht in den Kopf: «Der Worte keins von Zunge oder Feder so traurig ist wie dies, es hätte können sein!» Das ist eine so verquere 52 Wortstellung, das ist ein bisschen wie: «So viel Tage wie das Jahr, so die Katz am Schwanz hat Haar», wo ja jeder «Die Katz hat Schwanz am Haar» sagt. Das gibt so Geschichten, die wollen dann einfach nicht gerne in den Kopf. Aus diesem Grund bin ich auch Mnemotechniker 53 geworden.

 

Das heißt?

 

Ich merke mir Begriffe mit Hilfe verschiedener Techniken 54. Kennt ihr den wunderbaren Witz, wo ein Mann ein befreundetes Ehepaar besucht und der Gatte sagt: «Ach, ich habe ja so ein schlechtes Gedächtnis und war deshalb gerade eben mit meiner Frau bei diesem bekannten Professor. Ganz große Kapazität 55! Der hat mir beigebracht, dass ich immer, wenn ich mir etwas merken möchte, das mit Hilfe von Brücken ganz einfach kann. Der Besucher ist interessiert und fragt: «Wie heißt der Professor 56 denn?» «Warte mal, muss ich mal überlegen. Wie heißt die Blume mit den Dornen?» «Rose.» «Richtig! Rosi? Wie hieß der Professor nochmal?»
Mit anderen Worten, es geht darum phonetisch 57 Bilder zu entwickeln, um dir zum Beispiel Zahlenfolgen zu merken. Ein Parkplatz im Parkhaus hat ja in der Regel eine vierstellige Ziffer 58. PINs 59 sind auch vierstellig, dafür gibt es das Major-System 60. Da hast du nur einige Konsonanten 61, die du dir merkst. Die lauten: See-Tee-Noah-Mo-Rehe-Leu-Ski-Fee-Po. Und die Vokale 62 sind dann frei verfügbar.

 

 

Liebe Lesenation. Die dicke Tante sitzt hier sehr, sehr müde. Ich könnte mir schon allein dieses alberne se-te-nori-puste-fix nicht merken. Ich versuche mir solche Pinne – wenn überhaupt – mit Jahreszahlen, Geburtstagen zu merken.

 

Bei dem Major-System machst du dann ganz einfach aus Zahlen Wörter. Je sexueller oder gewalttätiger diese Wörter sind, desto besser haften sie. Nenne mir mal eine vierstellige Zahl.

 

5379.

 

Das wäre L-M-K-P. Daraus machst du jetzt ein Wort oder auch zwei. Leimcup 63.

 

Liebe Lesenation, an dieser Stelle ist Frau von Sinnen ausgestiegen. So war das früher beim Rechnen. Wenn mein Vater mir Bruchrechnung beibringen wollte, war ich mit meinen Gedanken sofort bei Flipper oder Bonanza.

 

Ich habe das übers Zaubern 64 gelernt. Es kam irgendwann mal ein Zauberer in meine Garderobe 65 und sagte: «Schreib mal 20 Begriffe auf!» Und dann habe ich sie aufgeschrieben, und dann sagt er: «Welche weißt du jetzt noch?» Dann konnte ich fünf oder sechs aufzählen. Er konnte alle 20. Vorwärts und rückwärts. Doch damit nicht genug! Er konnte auch sagen, auf Position 66 17 ist das. Dann habe ich gedacht: «Das finde ich aber schön! Das möchte ich auch können!» Dann hat er mir das beigebracht. Da musst du natürlich dran arbeiten. Du nimmst für die Ziffern 1  20 Bilder. 1 – was fällt dir bei «1» ein? Optisch 67?

 

Ein Soldat.

 

Soldat – Kirchturm – eine Fahne. Bei mir gibt es den Kirchturm. Bei 2 ist es ein Schwan, bei 3 ist es der Teufel mit Dreizack. Jeder hat seine eigenen Bilder, und du musst das nehmen, was dir am ehesten in den Kopf kommt. Von 1  20 sind Bilder Statthalter 68 für diese Ziffern und mit diesen Bildern wiederum verknüpfst du die Begriffe, die du dir merken willst. Wenn du einen Einkaufszettel machst, und du willst also Haarwaschmittel kaufen, und für deine «1» hättest du den Kirchturm, dann machst du dir das Bild, du wäschst die Kirchturmspitze mit Shampoo 69, und deshalb ist der ganze Kölner Dom im Schaum. So was.

 

Ja, gut. Ich habe dich auch lieb, und das ist auch wirklich dufte. Ich freue mich natürlich sehr, dass dir das so im Leben hilft. Ich möchte mir aber bitte einen Einkaufszettel machen, den ich dann in meine Brusttasche stecke und Punkt für Punkt im Lebensmittelladen abarbeite. Ich bin zwar nicht dumm, aber ich sperre mich bei solchen Dingen, wo ich was umständlich lernen muss.

 

Könnte man es als denkfaul bezeichnen?

 

Ja gut, dann bin ich halt denkfaul.

 

Da ich meine Frau auch dafür begeistern konnte, merken wir uns nach dieser Methode 70 verschiedene Begriffe. Zum Beispiel wenn wir auf Malle 71 in unserem Pool 72 sind und unsere Wassergymnastik 73 mit unseren Geräten – wo ich bitte niemals eine Kamera 74 dabeihaben möchte – machen, verbringen wir ja eine Stunde in diesem pisswarmen Wasser, und das ist herzlich langweilig. Wir lernen dann zum Zeitvertreib 20 Items 75 mit vierstelligen Preisen, also eine Haarspange zu 22,30 – und so weiter. Das fragen wir uns anschließend gegenseitig ab. Hier ist dein Nutzwert, den du offensichtlich vermisst hast.

 

Na, das nenn ich mal Urlaub von Anfang an!

 

Das finde ich schon schön. Es gibt ja auch ältere Herrschaften, die gerne Gedichte lernen oder auch Gedichte aus ihrer Jugendzeit aufsagen. Das ist natürlich ein tolles Denktraining, aber ich käme im Leben nicht auf so eine Idee.

 

Du steigst ja schon bei der Wassergymnastik aus.

 

Jürgen, bist du ein Mensch, der eine regelmäßige Tagesplanung braucht?

 

Es gibt verschiedene Tage, die relativ 76 gleich verlaufen. So ein Tourneetag 77 sieht eigentlich sehr häufig gleich aus. Ich stehe um Viertel nach zehn auf, mache eine Notwaschung, koche mir mit meiner mitgeführten Kaffeemaschine einen kleinen Kaffee und fahre dann mit meinem Tourleiter Tennis 78 spielen. Anschließend kommt mein Frühstück, sein zweites, – aber der hat ja keine Figurprobleme – und während dieses Frühstücks spielen wir zwei Partien Schach 79. Das machen wir jeden Tag. Das ist etwas, was ich sehr liebe, weil ich sehr gerne Tennis spiele, nicht gut, aber sehr gerne. Das anschließende Schachspiel hat so etwas Gemütliches. Alles zusammen ist für mich eine sehr schöne und wichtige Einstimmung auf den Tag.

 

Schach empfinde ich auch als ein sehr anspruchsvolles Spiel. Ich würde «Ich sehe was, was du nicht siehst» bevorzugen. Warst du denn als Kind schon so, dass du dich so wilden Denksportaufgaben stellen wolltest oder musstest? Kam das am End von deiner Erziehung?

 

Nein. Das ist, glaube ich, Zufall. Mein Vater und mein Opa konnten beide nur ein bisschen Schach. Daher kommt das also nicht. Aber ich erinnere mich noch, dass ich irgendwann als Sechs- oder Siebenjähriger meinen Volksschullehrer geschlagen habe. Das hat sich zwar nie wiederholt, aber für mich war das so toll, dass ich seit dem Tag Spaß an Schach habe, obwohl ich beschissen spiele. Wenn mal ein Vereinsspieler kommt, dann sieht man ja, wo man wirklich steht. Aber wenn du mit einem auf gleichem niedrigem Niveau 80 spielst, dann hast du viel Freude an diesem Spiel.

 

Gibt es denn auch Spiele, die du verachtest? Die du nicht spielen würdest, weil sie dir zu läppisch sind?

 

Nein.

 

Du spielst grundsätzlich gerne?

 

Ich spiele prinzipiell 81 gerne, aber ich habe das Spiel «Siedler von Catan» 82, verschenkt. Ich habe es einmal gespielt und habe den halben Abend gebraucht, um die Regeln zu verstehen. Also, dann lieber das gute, alte «Monopoly 83», weil das wieder Kindheit ist. Oder natürlich «Doppelkopf» 84 oder «Skat» 85 oder «Arschloch» 86, was ein sehr, sehr schönes Spiel ist mit einem Skatblatt zu viert. Wir haben einen Pokerspezialisten 87  88 in der Crew 89, unseren Lichtmann, deshalb spielen wir dann abends oft und gerne Texas Hold ’em 90.

 

Du sagst: Monopoly ist Kindheit. Was aus der Kindheit bereitet dir als Erwachsener heute noch so Wohlfühl-Gefühle?

 

Der Geruch von den Keksen, die meine Mutter machte. Die machte nur eine Sorte ganz normaler Mürbekekse 91. Aber dieser Geruch! Das Olfaktorische 92 ist ja sowieso das Intensivste 93, um Erinnerung hochzurufen. Oder auch der Duft von Bratkartoffeln. Oder Pommes 94.

 

Würdest du sagen, du bist ein eitler Mensch?

 

Nicht äußerlich.

 

Was ist dann die andere Eitelkeit? Wenn nicht äußerlich, gibt es eine innere?

 

Es gibt eine, sagen wir mal, auf Leistung bezogene. Also wenn überhaupt, dann bin ich da ein bisschen eitel. Ich möchte nicht gerne für dumm gehalten werden. So, wie andere nicht gerne für hässlich gehalten werden möchten und alles tun, um es zu vermeiden, investiere 95 ich einiges, um mich weiterzubilden und geistig fit zu halten.

 

Bist du in deiner Kindheit einmal für dumm gehalten worden, sodass du sagst: «Das passiert mir im Leben nicht mehr»?

 

Nein, aber ich glaube, das hat ganz einfach mit meiner Herkunft zu tun. Ich bin ja nun nicht aus dem Bildungsbürgertum, sondern aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, in denen Bildung keinen Stellenwert hatte. Meine Mutter war Köchin, mein Vater war Barkeeper 96. Da habe ich mein Dienstleistungsgen 97 vermutlich her. Ich betrachte mich ja als Dienstleister, aber die ganze Bildungsgeschichte wurde «draufgepfropft». Erst mit dem humanistischen 98 Gymnasium 99 und dann mit dem Studium. 100 Das war ja für mich keine Selbstverständlichkeit. Ich habe aber eine große Freude daran gehabt.

 

Bist du ein Einzelkind?

 

Natürlich.

 

Entschuldige, dass ich gefragt habe. Bist du abergläubisch?

 

In bestimmten Dingen schon. Es hat mich sehr viel Überwindung gekostet, ein Amulettchen 101 mit meinem Sternzeichen, was mir meine Mutter geschenkt hat, abzulegen, weil ich das Goldkettchen irgendwann affig fand. Aber das hat mich Überwindungen gekostet, mich davon zu trennen. Es war irgendwie so wie «Ich glaube nicht an Homöopathie 102, und trotzdem behandele ich meine Grippe mit Metavirulent 103». Da sind Widersprüche. Die sind mir auch klar, die sind mir aber auch egal. Dazu gehört auch, dass ich nicht mehr heiraten würde, weil die Eheschließung zweimal die Beziehung nicht befördert hat, vorsichtig ausgedrückt, ich jetzt aber unverheiratet mit meiner Frau ins 32. Jahr gehe. Gut, dann muss man jetzt die zweite Ehe abziehen, aber die war ja sehr kurz. Ich bilde mir ein, ich brauche für mein beschwerdefreies Zusammenleben die Freiwilligkeit der Bindung.

 

Wobei ich das fast mehr unter Lebenserfahrung als unter Aberglaube abbuchen möchte.

 

Ich würde natürlich heiraten, wenn ich jetzt die Nachricht bekomme: «Von der Lippe, Sie haben noch zwei Monate. Klären Sie Ihre Sachen!» Dann würde man schnell heiraten, damit meine Frau für das Erbe nicht so viel Steuern zu zahlen hat. Das wäre dann aber auch der einzige Grund.

 

Sag mal, das Zwillings-Anhängerchen von deiner Mama, hast du das denn noch in deiner Geldbörse?

 

Nein, das ist in der Schublade. Ich hatte es lange Zeit auch im Portemonnaie 104.

 

Da könnte es doch eigentlich wohnen?

 

Es könnte da wohnen, aber ich weiß ja jetzt auch genau, wo es ist.

 

Die liebe Lesenation wird es uns nicht verzeihen, wenn wir das Kapitel deiner eingebildeten Krankheiten nicht ansprechen.

 

Das war, als ich noch etwas jünger war. Mittlerweile ist das verschwunden, wo die Dinge ja doch Gestalt annehmen – sagen wir mal –, täglich vor der Tür stehen. Seitdem ist das nicht mehr so. Schmidt hat ja auch aufgehört mit dem Hobby Hypochondrie 105. Natürlich bist du, sagen wir mal, dem Arzt Stab und Stütze in der Diagnose 106 und Medikation 107.

 

Sehr schön! Gibt es etwas neben der Wassergymnastik, bei dem du unbeobachtet sein möchtest?

 

Da könnte ich jetzt auf Thomas Manns 108 Tagebücher verweisen, wo er ja der Liebe an und für sich, wie ich es nennen möchte, breiten Raum einräumt. Aber das muss nicht sein.

 

Ich empfinde dich als sehr in dir ruhend. Du bist auch niemand, von dem ich sagen würde, der könnte irgendwelche zwanghaften Albernheiten begehen.

 

Außer diesen Süßigkeiten-Anfällen, die wohl jeder von sich kennt, die gegen jede Vernunft 109 natürlich auftauchen, habe ich in dieser Richtung tatsächlich nichts zu bieten.

 

Gibt es eine besondere Süßigkeit, die es dann sein muss?

 

Es gibt so kleine eingewickelte Schokoladenwürfel mit Traube-Nuss-Rumgeschmack.

 

Von Ritter Sport!

 

Ja, diese Bonbons.

 

Die mit dem Papagei auf der Tüte.

 

Ist da ein Vogel drauf? Ich esse die so schnell, da habe ich noch keinen Papagei bemerkt.

 

Bist du jemand, der Weihnachten und Jahreswechsel mit seiner Liebsten gerne immer gleich feiert? Oder sagst du: «Bitte nein. Ich will jedes Jahr was anderes machen!»

 

Mein Ritual für Silvester 110 ist vor der Glotze sitzen. 3sat hat ja diese wunderbaren Konzertmitschnitte 111, die zwar nicht immer gut sind, aber es gibt auch immer wieder Schätzchen im Programm. Clapton 112 ist immer dabei, und jetzt war «25th Rock and Roll Hall of Fame Anniversary Concert» 113 im Madison Square Garden 114. Da musste ich weinen, als Bonnie Raitt 115 mit Crosby, Stills & Nash 116 spielte. Das ist für mich das Schönste.

 

Wer bitte ist Bonnie Raitt?

 

Bonnie Raitt ist die Country-Rock-R&B-Lady, die war bei mir in der Sendung. Wir haben uns sehr verstanden, und sie sagte zu mir – Bonnie Raitt (!) sagte zu mir: «You treated me so nice and I didn’t even sleep with you 117

 

Des Wahnsinns fette Beute: Macken und Marotten auf der Spur
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