Gabi Decker
Käfer-Körperwelten
Gabi Decker ist am 5. Juli 1956 in Ratingen geboren und in Bokensdorf aufgewachsen. Sie ist Autorin, Kabarettistin, Komikerin, Radiomoderatorin, Moderatorin und Sängerin.
Gabi Decker gehört zu den Menschen aus’m Showbiz, die wir an einer Hand abzählen können, mit denen sich über die Jahre hinweg eine Freundschaft entwickelt hat. Wir nennen sie gutgelaunt Grobi; uns blieb eine Neutaufe auch nicht erspart. Sie ruft uns Connylingus und Hellatio, was durchaus Rückschlüsse auf unsere Beziehung zulässt. Wir drohen ihr permanent mit feuchten Zungenküssen und versuchen sie verzweifelt ans andere Ufer zu zerren. Aber sie weigert sich renitent und ärgert sich weiter mit Kerlen rum. Nichtsdesdotrotz bietet sie mir (Conny) ab und an Kost und Logis in Bärlin – wobei ich fassungslos meine Sozialphobie überwinden kann –, oder ich lege mich auch schon mal hackendicht im Kölner Savoy neben sie ins Hotelzimmer, um am nächsten Tag beißenden Spott zu ertragen. Nach dem Motto: «Liebe Conny, ich habe Brennholz für die nächsten drei Winter. Du hast heut Nacht alles zersägt.»
Im Übrigen haben wir die Theorie, dass Grobi unter Witztourette leidet. Jedes Mal, wenn wir telefonieren, erzählt sie uns die schmutzigsten Witze, und wir können tagelang die Bilder nicht mehr aus unseren Köpfen radieren.
Nach einer flotten Aufzeichnung von «4 gewinnt» bei n-tv an einem schwülen Frühlingsdonnerstag in Bärlin schmissen wir uns in ein Taxi mit kaputter Klimaanlage, und auch der aufgeräumte Eingeborene am Steuer konnte mir (Hella) keine gute Laune vermitteln. Die änderte sich schlagartig, als wir Grobi vor ihrer Haustüre durchdrückten und in ihrem blitzsauberen Wohnzimmer ’ne Flasche Pils serviert bekamen. Ich (Hella) muss an dieser Stelle nicht erwähnen, dass mir ’ne Flasche Kölsch unerträglich gute Laune bereitet hätte, aber ich war schon dankbar, dass ihr Stubentiger im Garten rumtaperte und sich nicht, wie beim letzten Besuch, in meinen Unterarm verkrallte.
HvS: Liebe Grobi. Ich durfte gerade deine Gäste-Toilette benutzen und musste leider ein Handyfoto von einer sehr abgefahrenen Autogrammkarte machen. Ich sehe auch hier im Wohnzimmer an der Wand drei … sechs … zehn Bauchredepuppen. Da würde ich gerne mit der Tür ins Haus fallen: Was hat es mit diesen Bauchredepuppen auf sich?
GD: Es fing ganz harmlos mit einer Puppe auf dem Flohmarkt an. Die war auch ziemlich teuer, und dann sagte jemand zu mir: «Jetzt kauf die doch, und dann machst du was da draus.» «Ich kann überhaupt nicht Bauchreden, was soll denn das?» «Jetzt kauf die und mach da was draus.» «Nein, ich kann nicht Bauchreden!» Dann war die aber so außergewöhnlich. Das war ein Nachbau von Charlie McCarthy. Charlie McCarthy hatte mit seinem Menschen – Edgar Bergen – von 1937 bis 1956 seine eigene Radiosendung in den USA. Ein Riesenerfolg! Da er eine Puppe war, konnte er alles sagen, was er wollte. Die Amis konnten das ja nicht übelnehmen, war ja nur ’ne Puppe, die sprach. So, dann habe ich die gekauft, und ein halbes Jahr später hatte ich Premiere. Ich nahm sie zur Zugabe mit auf die Bühne. Charlie saß auf meinem Arm und hinten am Hals zog ich am Faden, um den Mund zu öffnen und zu schließen. Er bekam die Rolle meines Kritikers, hieß Ferdinand von Reich-Schlawinsky, sprach wie Reich-Ranicki, und auf meine Frage «Wie hat es Ihnen heute Abend gefallen?» antwortete er: «Nun, die Notausgänge waren ausreichend beleuchtet und der Teppichboden akkurat verlegt.» Wenn ich ganz ehrlich bin: Meine Karriere hab ich damit nicht bereichern können.
CS: Wie viel hast du für das McCarthy-Double bezahlt?
120 Mark damals.
Wie schrill ist das denn bitte? Bauchreden im Radio? Das erinnert mich an Pantomime für Blinde.
Und dann bist du gezielt über Flohmärkte gelatscht und hast nach Bauchredepuppen gesucht?
Nein, die gibt es hier ja nicht. Wir haben überhaupt keine Kultur für dieses Handwerk oder Mundwerk. In der Schweiz kennen wir einen, der mit so einer Art zotteligem Bibo rumläuft. Den kannte man von Kurt Felix und Paola in der Sendung «Verstehen Sie Paola?». Der wurde da oft engagiert, und ich weiß nicht, ob der noch lebt. Die Puppe ist am End verfilzt. Also, wir hatten und haben überhaupt keine Kultur dafür. Amerika ist das Mutterland. Ehe ich die bei eBay googeln konnte, musste ich erst mal rauskriegen, wie die überhaupt heißen. Die heißen Ventriloquistpuppen.
Venter = der Bauch.
Conny = die Klugscheißerin.
Dann taten sich Hunderte von Seiten mit den schärfsten Puppen auf. Davon sitzen jetzt hier zehn, in meinem Arbeitszimmer nochmal drei. Die wurden damals auch oft für Werbezwecke eingesetzt. Der da oben, der besonders doof guckt, der ist von so ’nem Autoladen, vom ehrlichen Eddie, der Gebrauchtwagen verkaufte.
Dann hast du übers Internet gekauft? Und bei eBay auch ersteigert?
Ja, in Amerika.
Die schicken die dann aus Amerika zu dir? Du machst vorher eine Überweisung?
Ja, ich bezahle vorher, und dann gibt es die Post, die ist schon lange erfunden, und die schicken das dann. Und dann gibt es zwischen den Puppen auch Angebote, das hast du eben auf meinem Gäste-WC gesehen, Autogrammkarten von den damaligen Bauchrednern mit ihren Puppen. Ich habe ja uralte.
Darf man fragen, wie teuer das wird?
Das geht bis zu 5000 Dollar.
Die du aber nicht bezahlt hast?
Die ich nicht bezahle. Ich brauche die auch nicht. Das sind dann die, bei denen du in den Rücken reingreifen kannst, die Augenbrauen sich heben und du die Augen hin- und herrollen kannst. Das muss man ja beherrschen. Und dann musst du noch zwei Typen spielen.
Und sitzen die Puppen nur dekorativ auf ihren extra angefertigten kleinen Podesten vor der Tapete rum, oder nimmst du sie auch runter und unterhältst dich mit ihnen?
(Lacht.) Das ist eine Fangfrage! Du willst mich doch als Verrückte hinstellen.
(Verstellt ihre Stimme und lispelt mit irrem Blick:)
«Na ja, manchmal sonntags, wenn ich ganz alleine bin.»
Nur eine?
(Bleibt in der Rolle:) «Dann nehme ich eine zum Kuscheln runter, weil, sprechen tun die nicht mit mir.»
Würdest du dich als eine Bauchredepuppen-Sammlerin bezeichnen?
Nein. Ich bin eine Bauchrednerpuppenliebhaberin. Schönes Scrabble-Wort. Ich gucke nur ab und an noch bei eBay rein, ob es was Besonderes gibt.
Aber das Sammeln liegt dir durchaus im Blut? An der Wand, die sich mir gegenüber auftut, sehe ich außergewöhnliche Rahmen mit getrocknetem Edelweiß drin. Die sehen aus wie Oberösterreich, anno 1890. Was hat es damit auf sich?
Ich möchte mal kurz sagen, dass es in meiner Wohnung auch moderne Gegenstände gibt.
Unser Aufnahmegerät.
Nein, auch der Tisch und die Stühle, das Regal, es gibt da einiges. Nicht, dass die geneigte Lesenation denkt, ich wohne hier in einem Museum wie so ’ne alte Omma, und bringt mir ’ne Spitzendecke vorbei.
Aber es sind doch vergilbte Edelweiße – oder sind es überhaupt Edelweiße? Ich habe die Brille nicht auf.
Sehen Sie! Da geht es schon los! Das sind lupenreine Brillanten, die an meiner Wand hängen, die habe ich damals von Frank Sinatra bekommen. Das waren meine Amerika-Kontakte. Aber wenn ich von Blinden interviewt werde, kann dabei nichts rauskommen!
Sprich mit uns über diese merkwürdig gewölbten Rahmen.
Das sind Rahmen, die wurden um 1880 bis ungefähr 1940 zur silbernen und goldenen Hochzeit verschenkt. Da war ursprünglich immer ein Strauß für die Dame für den Kopf drin, ein Sträußchen für den Herrn fürs Revers und dann stand da drauf: «25 Jahre verheiratet», «50 Jahre verheiratet». Diese Rahmen, die Gläser sind immer mundgeblasen und so gewölbt. Da habe ich dann gesagt, da mache ich was anderes rein, was ich noch sammle. Und da gibt es einiges. Zum Beispiel diese Skarabäen. Das sind echte Tiere gewesen auch um 1850 rum.
Käfer aus Ägypten.
Käfer aus Ägypten, die man nicht in Gold fassen kann, weil sie zu weich sind, aber man kann sie bei 60 Grad waschen, das ist mir schon passiert, da passiert gar nichts mit.
Sprechen wir von echten ausgestopften Käfern?
Nicht ausgestopft.
Skarabäen bringen schweinemäßig Glück. Mildred hat auch einen beim Staatsbesuch von Sadat geschenkt bekommen.
Balsamico – wie nennt man denn das? – einbalsamiert.
Körperwelten.
Das sind Käfer-Körperwelten. Ich finde vielleicht einmal in fünf Jahren eine Brosche mit so einem Skarabäus. Das ist der absolute Glücksbringer in der ganzen Welt. Ägypten zimmert den jetzt nach in Lapislazuli oder in Silber oder in Gold.
Aha. Aber deine sind praktisch Mumien?
Mumien.
Original-Käfermumien.
Glücksbringermumien.
Wie teuer ist denn so ein Käferchen auf dem Flohmarkt?
Die Broschen kosten zwischen 25 und 150 Euro. Aber man findet sie nicht, weil, wer die hat, will sie behalten, weil es ja ein Glücksbringer ist. In Amerika kannst du bis 3000 Dollar dafür ausgeben.
Werden denn diese Rahmen mit dem lustigen Glas heutzutage noch hergestellt?
Nein.
Das heißt, das sind rare Altertümchen.
Ja. Dann war mir das zu albern, immer mit den goldenen Sträußen da drin. Da dachte ich: «Packe was anderes rein.» Dann habe ich zwei Teddys reingemacht, meine Skarabäen und meine Edelweißanhänger.
Was hat das mit dem Sammeln auf sich? Es gibt ja viele Menschen, die gerne sammeln. Und einige sagen: «Geh mir weg mit Sammeln!»
Ich denke, das hängt auch mit meinem Sternzeichen zusammen. Man sagt den Krebsen nach, die würden alles horten. Also nichts wegschmeißen. Meine Mutter hat immer gesagt: «Räum dein Zimmer auf und schmeiß dann auch was weg.» Der Satz ist mir bis heute im Gedächtnis. Muss damals schon ganz schlimm gewesen sein.
(In dem Moment bumpert es an die Terrassentür. Gabis schneeweiße, taube, 18 Jahre alte Katze Fönix versucht stoisch, mit dem Köpfchen durch die Glasscheibe ins Wohnzimmer zu gelangen.)
Meine Alzheimerkatze findet gerade die Katzenklappe nicht. Zurück zum Stück: Ich habe gerade renoviert und tapfer vier Umzugskartons mit Flohmarktsachen gepackt. Ich brauche wirklich nicht 30 Kerzenleuchter, es reichen 12. Nun bin ich aber auch ein Flohmarktgänger, und das verleitet natürlich. Ich sehe jede Woche irgendwas. Tolle Schnäppchen. Das begeistert mich, das ist immer wie ein Ausflug in die Kindheit.
Kram ist ja total «in». Die Sendungen boomen im TV: «Trödeltrupp», «Trödelking», «Schatzsuche» … müssen es für dich denn echte Antiquitäten sein?
Na ja. Kleeblätter sammle ich auch. Alles, was Glück bringt, sammle ich.
Warum sammelst du alles, was Glück bringt?
Damit es mir Glück bringt.
Aber du hast doch schon ganz viel, was Glück bringt? Meinst du, die Quantität macht es aus?
Nein. Aber ein Kleeblatt anzuschauen, ist schon schön. Ob es echt ist, gepresst ist oder ob es auf einer Vase gemalt ist. Ich finde das einfach schön. Oder Marienkäfer, die dritte Leidenschaft. Skarabäen, Kleeblätter und Marienkäfer. Das sind meine Glücksbringer.
Sei froh, dass du keine Schornsteinfeger sammelst. Sonst wär die Hütte hier voll.
Bin ich von abgekommen. Da war die Ein-Zimmer-Wohnung zu klein.
Würdest du sagen, wenn du so über einen Flohmarkt lustwandelst, du bist eine Expertin? Du weißt, was wertvoll ist? Wie viele Jahre betreibst du das?
Ich bin schon 30 Jahre unterwegs. Das ist mein Wochenendausgleich. Ich bin an der frischen Luft und kann kaufen. Es gibt nichts Schöneres für mich.
Kennen die Flohmarktmenschen dich schon? Reservieren die teilweise Dinge für dich und sagen: «Frau Decker, ich hab hier was für Sie»?
Nur manchmal. Wichtig ist, dass ich für die Flohmarktverkäufer nichts Besonderes bin und dadurch in Ruhe gelassen werde.
Ich glaube, dieses Flohmarktvolk ist ein ganz spezielles Völkchen. Fühlst du dich auch mit den Menschen dort wohl, oder geht es dir nur um die Objekte, die du suchst?
Es geht mir um die Objekte, die ich suche. Die Menschen wechseln ja ständig, da sind jedes Wochenende andere Verkäufer. Ich habe Respekt vor diesen Flohmarkthändlern, weil ich, als ich kein Geld hatte, auch jedes Wochenende da gestanden bin und meine Gas- und Strom-Rechnungen davon bezahlt habe. Teilweise die Miete. Ich weiß, wenn die bei 14 Grad minus stehen, stehen die nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Da kaufe ich auch schon mal was aus Mitleid.
Und parallel bist du auch bei eBay unterwegs?
Ja, zum bisschen Gucken-Kaufen. Ich gucke nach Gartengeräten, Schläuchen oder nach einem Rasenmäher. Sammeln ist schon eine schlimmschöne Angewohnheit.
Warum schlimm?
Es nimmt manchmal überhand. Aber dann kommt es halt wieder weg, kommt es auch zum Flohmarkt.
Du kannst dich dann auch trennen?
Ja.
Du hast fünf Jahre etwas Spezielles gesammelt, und dann sagst du: «Boah, es ist zu voll in der Wohnung – weg damit?» Ohne Herzschmerz?
Ohne Herzschmerz.
Und du kennst auch die Preise und lässt dich nicht runterhandeln?
Na ja, ich kenne die Preise, aber viele Dinge verschenke ich. Wenn jemand zu mir kommt und sagt: «Ach, ist das schön!», dann gebe ich das mit. Ich schenke gerne.
Bist du denn prinzipiell eine gute Händlerin?
Ich würde sagen, ja.
Und handelst du auch runter, wenn du weißt, die stehen da bei 14 Grad minus und brauchen das Geld?
Ja. Sie müssen aus der Nase bluten, wenn ich vor dem Stand bin.
Es gehört, glaube ich, auch mit zu dem Charme von Flohmarkt, dieses Handeln wie auf dem Basar?
Ja, natürlich. Und wenn die nicht runtergehen, nicht mal einen Euro, dann lass ich sie stehen. Unsere türkischen Mitbewohner, die lasse ich dann auch stehen, die kommen aber meistens hinterher und sagen (tiefe Stimme mit Akzent): «Na gutt. Nimm mit.» Und ich denk: «Na bitte, geht doch! Was macht ihr denn vorher so’n Jewese?»
Hast du eigentlich einen Schuhtick?
Nein, ganz moderat. Ein Paar Turnschuhe, diverse Pumps. Ich habe schon begehbare Schuhschränke bei einigen Freundinnen gesehen. Da habe ich mir gedacht: «Oh Gott! Zu jeder Farbe den passenden Schuh!» Das war beeindruckend. Aber für mich kann ich mir das nicht vorstellen.
Hast du sonst einen Kleidertick? Du hast ja, wenn ich das an dieser Stelle sagen darf, extrem schöne Beine. Ist es wichtig für dich, dass du immer kurze Röcke trägst?
Nein. Wenn ich dann mal rausgehe, ziehe ich meistens schon ein Kleid an und keine Stiefel.
Aber in Hose sehe ich dich nur am Wohnzimmertisch. Draußen in freier Wildbahn sehe ich dich nur in Kleidern oder Röcken.
Wir sehen uns in freier Wildbahn meistens nur, wenn es ums Fernsehen geht. Da trage ich Kleider und Röcke. Sonst trage ich Jeans und Turnschuhe.
Du schneiderst deine Garderobe selber?
Ja, überwiegend mache ich meine Bühnengarderobe selber und auch meine Tagesgarderobe, auch Blusen und so.
Und wieso kannst du das?
Ja, ich frage mich auch täglich, warum ich das alles kann. Nein, weiß ich nicht, ich habe es mal mit 15 angefangen.
Hast aber keine Schneiderlehre gemacht?
Nein.
Konnte deine Mutter auch nähen? Hast du es von ihr gelernt?
Nein.
Selber beigebracht? Nähmaschine auf dem Flohmarkt gekauft und losgelegt?
Ja.
Finde ich toll. Bist du auch eine, die sonst alles selber macht zu Hause?
Ja. Leidenschaftlich Gartenarbeit.
Renovieren? Anstreichen?
Nein, das mache ich jetzt nicht mehr, weil ich auch in ein Alter gekommen bin …
(Es maunzt schlechtgelaunt neben dem Tisch.)
Die Katze hat die richtige Klappe gefunden! Mittlerweile stürmt und regnet es in Berlin, aber die Katze hat die richtige Klappe gefunden! JIPPIEH!
Wo wir eben bei den Glücksbringern waren, würdest du sagen, du bist ein abergläubischer Mensch?
Nein.
Gar nicht?
Überhaupt nicht. Obwohl … ich habe meine Rituale auf der Bühne. Ich rufe vorher all die Verstorbenen, die ich mal gekannt habe.
Mit einer Kerze?
Nein. Ungefähr so zehn bis fünf Minuten vorher gehe ich schon mal hinter den Vorhang, eigentlich trennen mich nur noch drei Schritte von der Bühne. Da stehe ich dann und sage: «In dienender Liebe.» Dann möchte ich, dass alle guten Geister bei mir sind. Das sind meine Mutter, mein Vater, alle, die schon verstorben sind. Und gute Menschen, die ich kannte, die schon unter der Erde sind. Dann sehe ich die oft vor mir. Bei einem Namen muss ich immer lächeln. Ich werde mal, wenn ich da oben ankomme, fragen, was das bedeutet hat. Dann gehe ich raus auf die Bühne.
Und wie kommt es zu den Worten «In dienender Liebe»? Ist dir das irgendwann mal in den Sinn gekommen? Hast du das in einem Buch gelesen?
Ich habe mal ein Seminar bei Kurt Tepperwein gemacht, von dem ich heute noch zehre. Es ging um Mentaltraining. Themen wie positives Denken waren eine Beigabe. Interessant war: «Was strahle ich aus?», «Was kriege ich zurück?», «Wie sortiere ich mich?» Also Ursache und Wirkung. «Welche Ziele habe ich?» Die Menschen heutzutage wundern sich, wenn sie keinen Erfolg haben. Dann haben sie auch kein Ziel. Das Universum kann nur wirken, wenn du ein Ziel hast. Und zwar mit Wort, Bild und Gefühl. Wenn dein Ziel ist: «Ich möchte gerne eine Schneiderei-Werkstatt aufmachen.» Da musst du dich jeden Tag in der Werkstatt sehen. Oder in meinem Fall: «Ich möchte gerne zum Fernsehen.» Das war der Satz dazu. Dann habe ich mir als Bild nach diesem Mentaltraining den Abspann im Fernsehen vorgestellt. Dort habe ich alle Komiker reingeschrieben: Mike Krüger, Hape Kerkeling, Karl Dall, Jürgen von der Lippe, und meinen Namen habe ich mir dazwischen vorgestellt. Und mein freudiges Gefühl dazu, wie mich jemand vom Fernsehen anruft und mich bucht. Jeden Abend vor dem Einschlafen habe ich mir das vorgestellt. Und drei Wochen später rief Mike Krüger an, mit dem hatte ich am wenigsten gerechnet, der mich dann zusammen mit Hans-Werner Olm zu dieser SAT1-Show eingeladen hat.
Wie praktisch.
«In dienender Liebe.» Wie habe ich diese Wörter zu verstehen? Heißt das, wenn du dein zweistündiges Soloprogramm spielst, dienst du dem Publikum, um dann ihre Liebe im Applaus zu bekommen?
Nein, ich diene mit Liebe.
Du dienst mit deiner Liebe?
Ich diene denen mit meiner Liebe zu den Menschen. Weil ich ein Menschenfreund bin. Ich liebe die Menschen mit all ihren Facetten. Sicher kann ich nicht alles billigen, das ist ja ganz klar. Aber grundsätzlich liebe ich die Menschen. Und so versuche ich all meine Texte auch mit Liebe zu machen. Auch wenn ich auf der Bühne mit großem Sarkasmus und Ironie drangehe.
Jeder Gag, den ich da ablasse, ist mit großer Liebe am Schreibtisch erfunden. Ich brüskiere niemanden, ich habe noch nie jemanden beleidigt, niemals. Das denken nur viele, die oberflächlich sind. Die denken gar nicht weiter nach, was ich wirklich sage.
Gibt es Speisen, bei denen du jubelst: «Das ist mein Essen! Da bin ich glücklich!»
In den schlimmsten Krisenzeiten konnte ich immer thailändisch essen. Ach so, ich habe noch so ein Ritual nach meinen Auftritten: Da gibt es diese Tütensuppen aus Thailand, kosten 50 Cent. Da sind Nudeln drin, dann irgendein Fett und ein scharfes Gewürz. Dann lasse ich zur Nacht die Nudeln weg und trinke nur diese Brühe. Die bringt mich wieder nach vorne.
Die bringt mich aber auch auf Toilette. Ich kenne diese Brühe, weil meine Gattin diese Nudeln gerne zu sich nimmt. Sie trinkt die Brühe nicht, ich trinke sie dann und habe zweistündige Toilettengänge vor mir. Das schießt mir in die Därme wie Picoprep.
Ja, aber das putzt auch mal durch.
Gibt es denn auch irgendwelche Speisen, vor denen du dich ekelst?
Ja, Austern, Lamm. Ich esse nix, was ich auf den Schoß nehmen kann. Ich habe ja mal ein Jahr im Irak gelebt. Da liefen die Lämmer ja rum, die konnte ich auf den Schoß nehmen. Also, ein Lamm würde mir nie in den Mund kommen, niemals. Einen Hasen sowieso nicht, Hamster und Stubenküken, warum? Was ich verachte an allen Menschen: Wenn sie sich im Restaurant ein Milchlamm bestellen. Das wird aus der Vagina rausgezogen und getötet. Allein das schlimme Karma! Und mir dann noch erzählen: «Aber das ist das zarteste Fleisch!» Da möchte ich mich im hohen Strahl übergeben.
Du hast ein gutes Verhältnis zu Tieren. Du hast Tiere lieb? Alle?
Ja.
Es gibt kein Tier, wo du Angst vor hast?
Na ja, so ein Elefant, wenn der jetzt in meinem Schlafzimmer stünde. Ich würde mich erst mal freuen, dass ich so ein großes Schlafzimmer habe, aber andererseits hätte ich auch ein bisschen Angst. Mit Spinnen habe ich mich arrangiert. Die sind ja nun mal im Erdgeschoss. Deshalb habe ich «Snapy». Habe ich mal bei Neckermann gekauft – das ist so ein Gerät, das stülpt man über die Spinne und schiebt dann einen Deckel unter ihren Arsch mit den pelzigen Augen und acht Beinen, und dann sitzt die da drinnen gefangen: Grrähhneäää – und dann schmeiße ich sie in den Garten.
Hast du Angst vorm Fliegen? Höhenangst? Phobien? Irgendwas?
Nein.
Kannst komplett angstfrei durchs Leben rennen? Echt?
Bin ich eine Aussätzige?
Nein. Ich finde es beneidenswert. Bist du auf der Kirmes eine Achterbahnfahrerin?
Gerne, und auch diese neuen Sachen, wo mir ordentlich schlecht wird. Da kriege ich schon mal Angst, weil, ich weiß ja nicht, was auf mich zukommt. Ich denke, mir machen Dinge Angst, bei denen ich die Kontrolle abgeben muss. Vollnarkose zum Beispiel – finde ich scheiße. Ich weiß dann ja nicht, wie ich mich benehme. Ob ich aussehe wie ein Frosch. Das will ich alles nicht. Und auf dem Rummel ist es auch so. Du gehst in so ein Karussell – neu neu neu – aus Amerika, und dann weißt du nicht, was mit dir passiert. Du hast irre Gestänge um dich herum, und da sackt dir auch schon mal das Herz in die Hose. Da habe ich schon mal Angst, klar.
Du hast jetzt ein paar Mal Amerika erwähnt. Für uns bist ja du die einzig wahre Tina Turner. Du bist eine hervorragende Sängerin, singst perfektes Englisch: Hast du mal drüber nachgedacht, dass du eigentlich lieber in Amerika wohnen würdest?
Niemals. Ich möchte immer in Berlin wohnen.
Immer?
Ich möchte, wenn möglich, sehr lange in dieser Wohnung bleiben.
Hast du Angst vor Veränderungen?
Nein, auch nicht. Wenn sie schön sind.
Amerika könnte ja auch schön sein. Du sagst aber vehement: «Nein, ich will hier bleiben – in Berlin – in der Wohnung!»
Es ist so: Mein Vater war ja Bauingenieur, und wir waren öfter mal im Ausland. Das hieß also, Kofferpacken, Kinderzimmer aufgeben und Freunde aufgeben. Und so ist meine Kindheit bis 21 geprägt. Danach konnte ich wählen, wo ich bleibe. Bin dann nach Berlin. Hier habe ich Pflegeeltern gefunden, hier habe ich meine Freunde, die ich 20, 30 Jahre kenne. Hier bin ich auch nur zweimal umgezogen. Ich brauche einen festen Standort.
Eine Geborgenheit?
Eine Geborgenheit. Einen festen Standort. Gerne kleine Reisen, ich weigere mich aber seit 16 Jahren auf Tournee zu gehen.
Warum?
Weil ich das doof finde. Die Servicewüste Deutschland zeigt da ihr schlimmstes Antlitz. Du kriegst kein Frühstück mehr um 11 Uhr, du musst zusehen, dass du abends in den Schlaf kommst, meistens erst um 4 Uhr, nach dem Erfolg oder nach dem Adrenalin-Ausstoß. Dann stellen sie dir das Tablett vor die Tür, machen nicht mal Zellophan rauf, egal, wie viel Sterne das Hotel hat. Ganz egal. Du bist die Aussätzige, wenn du länger schläfst. Um 11 Uhr fangen sie an zu nerven, rufen im Zimmer an: «Wann wollen Sie auschecken?» «Kann Ihr Zimmer jetzt aufgeräumt werden?» Oder die «Hausdamen» putzen so laut um dich herum, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Viele Theater sind grenzwertig. Ich kann vielleicht fünf aufzählen, wo alles stimmt mit der Werbung. Saubere Garderoben, nettes Ambiente, der Saal ist geputzt, und die Karten sind gut verkauft. Acht Wochen hat mich ein Management mal rumgeschickt. Da saß ich oft morgens auf meinem Bett und habe gedacht: «Was mache ich hier? Ich habe es so schön in Berlin und sitze hier in einem abgefuckten Hotelzimmer in Köln.» Ich werde dieses Hotel mitten in der Stadt nie vergessen. Ich hatte gespielt, eingepackt, noch einen getrunken, bin mit meinem Techniker ins Hotel, 5-Watt-Birnchen an der Decke, wo du nicht mal siehst, dass in deinem Badezimmer Silberfische Tango tanzen. Nein danke.
Du sagst, du hast Kontrollverlust nicht gern. Würdest du dich als einen Kontrollmenschen bezeichnen?
Ja.
Du checkst fünfmal die Herdplatte?
Nein, ich bin ja nicht zwanghaft.
Keine Zwänge?
Nein, ich kontrolliere nur mehrfach meine Bühnengarderobe, es sind ja manchmal bis zu sechs verschiedene Frauen, die ich spiele.
Wir hatten schon Gespräche mit anderen berühmten Zeitgenossen, die von sich sagten: «Ich bin Perfektionist», da waren einige dabei, die Treppen wieder raufgelaufen sind, um zu gucken, ob der Herd noch an ist oder ob das Bügeleisen ausgeschaltet ist. Das hast du gar nicht?
Nein, ich weiß ja, dass ich es ausgeschaltet habe.
Okay.
Nein, aber ich bin ein Kontrolletti, das gebe ich ganz offen zu. Ich kann meinen Techniker fragen: «Hast du das Navi eingestellt?» «Ja, ist alles in Ordnung!» Ich traue ihm nicht. Ich muss das Navi nochmal programmieren, weil ich der Kontrolletti bin.
Heißt das dann auch, dass es, wenn du Alkohol trinkst, nie zum endgültigen Rausch bei dir kommt?
Das heißt es nicht.
(Lachen.)
Also, Pupillenstillstand mache ich natürlich nicht. In der Tat muss ich Restkontrolle haben. Aber es gab durchaus Abende, wo ich die Straße, in der ich wohne, kaum über die Lippen gekriegt habe. Musste dann nochmal rein ins Lokal (lallt:) «Würdest du dem mal sagen, wo ich wohne? Der versteht mich nicht.» Denn wir haben die vielen arabischen Migrationshintergründe, die hinter dem Steuer sitzen. Da ist das besonders schwierig.
Wovor hast du denn Angst im Leben?
Mir würde eine Inflation Angst machen, die in anderthalb Jahren kommen soll. Das würde mir Angst machen. Das würde mich sehr in meiner Zufriedenheit erschüttern.
Das heißt, wir reden davon, dass du ein materieller Mensch bist? Dass Geld und Besitztum dir wichtig ist?
Das ist nicht wichtig. Ich brauche ja nicht viel, ich brauche nur meine Wohnung und was zu essen. Es wäre sehr schade, wenn ich mir das nicht mehr leisten könnte. Ich würde mich natürlich in Nullkommanix damit arrangieren, aber ich fände es nicht schön, weil ich mir das alles ganz hart erarbeitet habe. Als ich von der Inflation gehört habe – wer weiß denn von uns, was eine Inflation ist? Wenn du meinetwegen 100 000 gespart hast, und das ist dann nur noch 10 000 wert, und für die 10 000 kriegst du zehn Brote, dann mache ich mir Gedanken. Ich scheiß auf Statussymbole. Brauche kein «Gucci», kein «Prada», kein Boot, kein großes Auto, kein Ferienhaus. Brauche ich alles nicht.
Was würdest du als deine größte Macke bezeichnen?
Spielen am Computer. Früher war mein Computer: Ich schreibe, bin kreativ, und dann drucke ich das aus. Bis ich dann eines Tages ein Spieleportal entdeckt habe. Und da gibt es ein Mahjong-Spiel. Manchmal habe ich schon gedacht, ich bin spielsüchtig. Das kann ich zwei Stunden am Stück spielen. Meine Maushand schmerzt und meine rechte Schulter – ich kann irgendwie nicht aufhören. Dann denke ich manchmal, gehöre ich jetzt auf ’ne Couch? Muss ich darüber mal reden?
Hmh … zwei Stunden am Tag … und wie viele Tage in der Woche?
Jeden Tag. (Lacht.) Aber das entspannt mich ohne Ende.
Du kannst dabei abschalten?
Ja. Dieses Spiel ist total gaga, zwei Gleiche wegklicken, einfach weg, bis das Bild leer ist. Manche spielen ja Solitär. Stundenlang. Hier wohnt ein Anwalt gegenüber. Die Angestellte, die ich von meinem Wohnzimmer aus sehen kann, macht keine Rechtssachen, die spielt Solitär an ihrem Computer. Da denke ich dann, ich bin nicht alleine.
Beherbergst du gerne fremde Menschen über eine Woche bei dir?
Nein!
Warum nicht?
Es gibt ja nur eine, das ist meine Pflegemutter Renate, die kommt jedes Jahr eine Woche zum Muttertag. Die macht mir Spaß, auch wenn ich es nicht gewohnt bin, so früh aufzustehen. Am zweiten Tag habe ich schon Jetlag. Nachmittags um vier verlassen mich alle guten Geister, und ich denke, ich müsste schlafen gehen. Sonst gilt die alte Regel: Besuch und Fisch stinkt nach drei Tagen.
Doch drei Tage? Bei mir sind’s zwei.
Wenn du verreist und dein Koffer kommt nicht mit dir an. Was würdest du am meisten vermissen?
Ich würde alles vermissen! Kontrolletti! Bücher. Cremes, Genügend Schlüpfer. Badezeug – ich würde das alles vermissen. Das wäre für mich der Horror. Ich würde mir erst mal eine Zahnbürste kaufen, einen Schlüpfer und eine Creme für den Körper. Ich habe trockene Haut. Dann würde ich ein «Fass aufmachen». Also in meiner unmissverständlichen Sprache klarmachen, dass ich nicht eher den Flughafen verlasse, bis ich meinen Koffer habe. Oder ich schnappe mir einen anderen Koffer, der weibisch aussieht.
Und dann hast du einen von ’ner Tunte erwischt.
Aber da habe ich dann alle Cremes drin. (Großes Gelächter.)
Wir möchten dieses Gespräch FÖNIX widmen. Wir vier wissen, warum.